Zusammenfassung
Eine Allgemeinanästhesie umfasst folgende Komponenten:
- Ausschaltung des Bewusstseins (Hypnose)
- Ausschaltung der Schmerzempfindung (Analgesie)
- Ausschaltung des Muskeltonus
(Muskelrelaxation) - Reduktion bestimmter Abwehrreflexe
Keines der aktuell verfügbaren Anästhetika kann all diese Anforderungen auf einmal erfüllen. Daher werden oft Kombinationen von verschiedenen Pharmaka (Injektions- oder Inhalationsanästhetika
Inhalations-anästhetika | Injektions-anästhetika | Opioide | Muskel-relaxantien | |
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Hypnose | ↑↑ | ↑↑ | ↑ | - |
Analgesie | v.a. Lachgas | nur Ketamin | ↑↑ | - |
Muskelrelaxation | ↑
| - | - | ↑↑
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Reflexreduktion | ↑
| ↑
| ↑
| ↑
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Indikationen
- Lange Operationsdauer
- Laparoskopische Eingriffe
- Bestimmte Lagerungsformen (z.B. Beachchair-Lagerung)
- Notwendigkeit einer Muskelrelaxierung
- Hohe Invasivität des Eingriffs
- Ablehnung der Regionalanästhesie durch Patient:in
- In der Regel bei Kindern (oft schlechte Compliance
bei regionalen Verfahren) - Balancierte Anästhesie bevorzugen bei:
- Erhöhtem Awareness-Risiko
- TIVA bevorzugen bei:
- Erhöhtem PONV
-Risiko - Maligner Hyperthermie
- Erhöhtem PONV
Balancierte vs. totale intravenöse Anästhesie
Aspekte | Balancierte Anästhesie | Totale intravenöse Anästhesie (TIVA) |
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Definition | Allgemeinanästhesie mit Kombination von Injektions- und Inhalationsanästhetika | Allgemeinanästhesie ausschließlich mit intravenösen Anästhetika |
Wirkstoffe |
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Vorteile ![]() |
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Nachteile ![]() |
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Durchführung der Allgemeinanästhesie
- In der Schleuse:
- Patient:innenidentität: Name und Geburtsdatum (Können Sie mir noch einmal ihren Namen und ihr Geburtsdatum verraten?), Abgleich der Angaben mit Patient:innenarmband und Aufkleber auf Narkosebogen
- Eingriff: Patient:in bestätigt Art und Lokalisation des Eingriffs (Was soll heute bei Ihnen gemacht werden? Auf welcher Seite findet der Eingriff statt? Ist eine Markierung vorhanden?)
- Einwilligung/unterschriebene Einwilligungserklärung
- Sicherheit:
- Frage nach Einhaltung der präoperativen Nüchternzeiten
(Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen oder getrunken?) - Frage nach Allergien (Sind bei Ihnen Allergien bekannt?)
- Frage nach Fremdkörpern (Wurden die Zahnprothesen/Schmuck entfernt? Sind die Zähne alle fest?)
- Überprüfung der Patient:innenakte auf Vollständigkeit (EKG
, Labor, Röntgenbefunde etc.)
- Frage nach Einhaltung der präoperativen Nüchternzeiten
- Vorbereitungen in der Einleitung
- Anschluss des Monitorings
- EKG
-Monitoring - Nicht-invasive Blutdruckmessung
- Pulsoxymetrie
- Intravenöser Gefäßzugang (~18–20G) legen und Infusion anschließen
- Konvektive Wärmezufuhr
- Beingurte sollten oberhalb der Kniegelenke befestigt sein
- Lose Hilfsmittel (Zahnprothese, Hörgeräte, Brille) sollten entfernt und in entsprechender Tüte aufbewahrt werden
- Ggf. perioperative Antibiotikagabe: 30 min vor Hautschnitt
- Überprüfung der Materialien
- War die tägliche Überprüfung des Beatmungsgeräts erfolgreich?
- Sind alle notwendigen Anästhesiemedikamente (+ Notfallmedikamente) aufgezogen und beschriftet?
- Ist die Beatmungsmaske vorbereitet?
- Liegen Hilfsmittel für die Beatmung (z.B. Guedel-Tubus
) griffbereit? - Liegen die Materialien für die Intubation
(Laryngoskop, Tubus mit Gleitgel, Spritze zum Blocken, Klebeband zum Fixieren) bereit und sind funktionstüchtig?
- Präoxygenierung
- Ziel: Aufbau einer Sauerstoffreserve zur Verlängerung der Zeit bis zur Hypoxie bei Apnoe (von 3 min auf ca. 10 min) → Verlängert die Zeit, die zur Sicherung der Atemwege
zur Verfügung steht - Prinzip:
- Erhöhung der O2-Konzentration in O2-speichernden Kompartimenten
- Lunge: Ersatz des Stickstoffs (ca. 78 %) in der funktionellen Residualkapazität durch Sauerstoff
(Denitrogenisierung) → Wesentlicher Faktor - Blut
: Steigerung der Hämoglobin -Sättigung und des physikalisch gelösten Sauerstoffs - Durchführung:
- Patient:innen über das Aufsetzen der Maske informieren
- Präoxygenierung über dicht-sitzende Maske → Kontrolle über Kapnogafie
- 100 % O2 mit hohen Frischgasfluss (z.B. 10l/min) bis die endexspiratorische O2-Konzentration >80 %
- Dauer: ~3 min bei normaler Atmung
Achtung
Bei der Beatmung mit einem hohen inspiratorischen Sauerstoffgehalt (100 %) wird der Sauerstoff
direkt resorbiert. Da kein Stickstoff mehr in den Alveolen vorhanden ist, um diese offenzuhalten, kann es zu einem Kollaps der Alveolen und damit zu Resorptionsatelektasen kommen! Tipp
Bei hypoxiegefährdeten Patient:innen kann ein PEEP
von 5 cmH2O die Apnoetoleranz erhöhen.
- Ziel: Aufbau einer Sauerstoffreserve zur Verlängerung der Zeit bis zur Hypoxie bei Apnoe (von 3 min auf ca. 10 min) → Verlängert die Zeit, die zur Sicherung der Atemwege
- Narkoseeinleitung
- Standard: intravenös (selten: v.a. bei Kindern inhalative Einleitung)
- Injektion des Opioids
- Injektion des Injektionsanästhetikums (meist nach 1-2 min nach Opioidgabe, wenn Wirkung des Opioids bereits eingesetzt hat)
- Ggf. Injektion eines Muskelrelaxans
- Maskenbeatmung
- Verbesserte Jackson-Position
, Maske mittels C-Griff fixieren - Inspirationsdruck
sollte <20 mbar sein, um Magenüberblähung zu vermeiden
→ Entspricht dem Verschlussdruck des unteren Ösophagussphinkters
- Verbesserte Jackson-Position
- Atemwegssicherung
- Endotracheale Intubation
- Anlage einer supraglottischen Atemwegshilfe
- Endotracheale Intubation
- Narkoseführung
- Ziel: Erhalt der normalen Homöostase
- Normotension
- Normofrequenz
- Normovolämie
- Normoglykämie
- Normokapnie
- Normoxie
- Normothermie
- Perioperativen Analgesie
- Orientierende Werte (Auswahl):
- CO2-Ziel-Wert: 34-40 mmHg
- Minimal-Flow: Frischgasfluss von 0,3-0,5 l/min
- PEEP
bei endotrachealem Tubus: standardmäßig 5-8 cmH2O - PEEP
bei Larynxmaske : standardmäßig 3-5 cmH2O - Verhältnis Inspiration
zu Exspiration (I/E): meist 1:1 bis 1:2 - Bei wiederholter Gabe von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien
: Repetitionsdosis ~25 % der Initialdosis
- Ziel: Erhalt der normalen Homöostase
- Narkoseausleitung
- Extubationskriterien:
- Vorhandensein von Schutzreflexen (wie Würge-, Husten-, oder Schluckreflexen)
- Suffiziente Spontanatmung (ausreichende Atemfrequenz und Atemzuvolumen → 10-20/min und >5 ml/kgKG)
- TOF-Ratio
>0,9 (Ausschluss von einer neuromuskulären Restblockade) - Normothermie (≥35 °C bzw. ≤38 °C)
- Kreislaufstabilität
- Wachheit (Befolgen von einfachen Befehlen wie Händedruck oder Augen öffnen)
- Extubation
- Unter Überdruck
- Danach ggf. Maske mit Sauerstoff
vorhalten
- Beatmungsmaske mit Filter verbleibt nach der Extubation bei Patient:in und wird erst nach dem Transfer in den Aufwachraum
entsorgt - Bei Transfer: Atmung des/der Patient:in regelmäßig überprüfen (z.B. durch Gespräch mit Patient:in), ggf. Atemkommandos geben
- Extubationskriterien:
Rapid Sequence Induction (RSI)
Rapid Sequence Induction (RSI, Crush-Intubation
Absolute Indikationen
- Nicht-nüchterne Patient:innen (bei Notfalleingriffen oder dringlichen Operationen)
- Ileus, akutes Abdomen
oder GI-Blutungen - Stenose im oberen GI-Trakt
- Schwangere ab der 20. SSW (Zwillinge ab 16. SSW)
- Polytrauma
- Platzbauch
Relative Indikationen
- Erhöhter intraabdomineller Druck (Aszites
, Adipositas, Schwangerschaft vor der 20SSW) - Symptomatische gastroduodenale Refluxkrankheit (GERD)
- Hiatushernie
- Zustand nach Magen
-Operation - Verzögerte Magenentleerung
Unterschiede zur normalen Einleitung
- Ein Fach- oder Oberarzt sollte bei RSI anwesend sein
- Muskelrelaxans
mit schneller Anschlagzeit ist notwendig (Succinylcholin oder Rocuronium ) - Nach Präoxygenierung wird keine Maskenbeatmung
durchgeführt, um den Magen nicht aufzublähen → Wenn Maskenbeatmung bei drohender Hypoxie erforderlich ist, dann sollte eine Druckbegrenzung auf 15 cmH2O erfolgen - Vor Intubation
: Absaugung von flüssigem Mageninhalt über Magensonde (Magensonde sollte vor der Intubation entfernt werden)
TippDie Lagerung sollte nach klinikinternen Standards erfolgen. Oberkörperhochlagerung (Anti-Trendelenburg-Lagerung) hat den Vorteil, dass die Schwerkraft den Mageninhalt im Magen
zurückhält. Oberkörpertieflagerung (Trendelenburg-Lagerung) hat den Vorteil, dass bei Erbrechen der Mageninhalt am Larynxeingang vorbeifließt.
Beispielhafte Durchführung
- Sicheren Venenzugang schaffen (wenn möglich: 2 Zugänge)
- Monitoring anschließen und alternative Atemwegshilfen für schwierigen Atemweg bereithalten (z.B. Larynxmaske
oder Videolaryngoskop) - Großlumigen Absaugschlauch vorbereiten und Sog anschalten
- Oberkörperhochlagerung (Anti-Trendelenburg)
- Magensonde: dünnflüssigen Mageninhalt absaugen und Magensonde entfernen
- Präoxygenierung (z.B. 10 l/min Frischgasfluss und 100 % Sauerstoff
) über dicht- sitzende Maske - Volumengabe und Bereitstellen eines Vasokonstriktors (z.B. Noradrenalin
)
→ Therapie von starken Blutdruckabfällen - Sequenzielle intravenöse Gabe:
- Analgetikum (z.B. Sufentanil
) - Injektionsanästhetikum
(z.B. Propofol ) - Alternativ bei instabilen Patient:innen: Ketamin
und Midazolam - Muskelrelaxans
(z.B. Succinylcholin oder Rocuronium )
- Analgetikum (z.B. Sufentanil
- Endotracheale Intubation
ohne Zwischenbeatmung nach Abwarten der Faszikulationen (bei Succinylcholin ) bzw. der Anschlagszeit von 45–60 sek - Lagekontrolle des Tubus und Beutelbeatmung
- Maschinelle Beatmung
Komplikationen bei der RSI
- Intubationsverletzungen
- Hypotonie durch die medikamenten-induzierte Vasodilatation und Oberkörperhochlagerung (reduzierter venöser Rückstrom
) - Awareness
- Hypoxie durch das Unterlassen der Zwischenbeatmung.
- Nebenwirkungen des Succinylcholins (Hyperkaliämie
, Herzrhythmusstörungen, vermehrter Sauerstoffverbrauch durch Faszikulationen , Anstieg der Augeninnendrucks, Triggersubstanz der malignen Hyperthermie) - Bei Rocuronium
: Relaxantienüberhang → Durch die hohe Initialdosis kann es zu einer verlängerten Wirkdauer kommen
InfoAwareness und Recall
Awareness bezeichnet das Auftreten von Bewusstsein während einer Narkose. Recall bezieht sich auf die Fähigkeit von Patient:innen, sich nach der Narkose an Ereignisse oder Gespräche während des operativen Eingriffs zu erinnern. Beide Zustände können potentiell traumatisch sein und erfordern eine sorgfältige Überwachung und Prävention seitens des Anästhesieteams.
- Zu flache Narkose
- Drogenabhängigkeit → Höhere Dosen notwendig
- Regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln wie Opioide
→ Höhere Dosen notwendig - ASA≥3 → Geringere Dosen werden verabreicht, um Herz-Kreislauf-System
zu schonen - Sectio caesarea → Geringere Dosen, um Atemdepression bei Ungeborenem zu vermeiden
- Notfalleingriffe
- Rapid Sequence Induction
- Kinder
- Verzicht auf Benzodiazepine
→ Benzodiazepine bewirken eine Amnesie - Einsatz von Muskelrelaxantien
→ Patient:in ist muskulär gelähmt, kann aber bei vollem Bewusstsein sein
Quellen
- S3-Leitlinie: Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
- S1-Leitlinie: Atemwegsmanagement,Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)