Zusammenfassung
Eine effektive Schmerztherapie gehört zu den wichtigsten Maßnahmen im Rettungsdienst. Patient:innen mit starken Schmerzen, z.B. nach Frakturen, Koliken
Hierzu stehen unterschiedliche Medikamente zur Verfügung. Der Artikel erklärt typische Einsatzsituationen, stellt bewährte Kombinationen vor und zeigt auf, wie man sicher und strukturiert vorgeht. Ziel ist eine sichere, nachvollziehbare und patientengerechte Schmerztherapie im Rahmen der präklinischen Notfallversorgung.
Fallbeispiel
Um den Einstieg in das Thema Analgesie etwas zu erleichtern, wird im Folgenden ein Fall beschrieben, wie er sich präklinisch ereignen könnte.
Das Szenario
Einsatzmeldung:
- Stichwort: Gestürzte Person
- Ort: Seniorenheim
- Alarmzeit: 09:34 Uhr
- Anrufer:in: Pflegefachkraft
- Anzahl der Betroffenen: 1
- Zusatzinfo:
- Männlich, 86 Jahre alt
- Sturz im Speisesaal
- Starke Schmerzen im Hüftbereich
Lageeinweisung vor Ort:
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes sitzt der Patient auf dem Boden des Speisesaals. Das Pflegepersonal ist bereits anwesend und betreut ihn.
Die Lage ist wie folgt:
- Der Patient ist wach und ansprechbar
- Er wirkt verängstigt und klagt über starke Schmerzen in der rechten Hüfte
- Das rechte Bein liegt in Außenrotation und ist sichtlich verkürzt
- Bewegung führt zu deutlich erhöhter Schmerzäußerung
- Das Pflegepersonal berichtet, dass der Patient heute etwas wackelig auf den Beinen war, aber keine akuten Beschwerden angegeben hatte. Auf dem Weg zum Tisch kam es zum Sturzereignis

Dieses Bild wurde mit der KI-Software DALL·E (OpenAI) erstellt. Es wurde automatisch generiert und dient ausschließlich illustrativen Zwecken.
Ersteinschätzung nach xABCDE-Schema
Um sich einen ersten umfassenden Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten in einer Notfallsituation zu verschaffen, bietet sich das xABCDE-Schema an. Um die Arbeit mit dem Schema zu veranschaulichen, ist hier ein xABCDE-Schema abgebildet, wie es im Falle einer Ersteinschätzung bei einer Patientin oder einem Patienten angewendet werden kann, beispielsweise bei einem gestürzten älteren Mann mit Verdacht auf eine Oberschenkelhalsfraktur
Es handelt sich dabei um die Befunde, die innerhalb der ersten paar Minuten erhoben werden können. Erweiterte Diagnostik und Abfragen sind natürlich von Bedeutung, jedoch würde zum Beispiel die Messung des Blutzuckers
x |
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A |
| Kein |
B |
| Kein |
C |
| Kein |
D |
| Kein |
E |
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Akutes |
AchtungDas hier gezeigte Assessment vermittelt nur einen exemplarischen ersten Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten. Im Verlauf der Behandlung müssen weitere Maßnahmen ergriffen und Informationen gesammelt werden. Das Schema erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen praktischen Einstieg in das Thema ermöglichen.
Indikationen für eine präklinische Analgesie
Eine Analgesie ist grundsätzlich bei allen akuten Schmerzzuständen angezeigt, die eine hohe subjektive Schmerzbelastung verursachen und eine schnelle präklinische Schmerzlinderung erfordern. Zielwert ist ein NRS < 4.
Dazu gehören insbesondere:
- Abdominelle Schmerzen:
- Kolikartige Schmerzen
(z. B. Nieren- oder Gallenkolik) - Diffuse, fortschreitende Schmerzen (z. B. bei Appendizitis, Ileus)
- Kolikartige Schmerzen
- Nichttraumatische Brustschmerzen, z.B. bei:
- Verdacht auf Lungenarterienembolie (nach Sicherung vitaler Funktionen)
- Akutes Koronarsyndrom
(ACS )
- Traumatische Schmerzen, z.B. bei:
- Frakturen und Luxationen
- Verbrennungen
und Verbrühungen - Weichteilverletzungen
Leitalgorithmus Schmerz
Nichtmedikamentöse supportive Maßnahmen
InfoDiese Maßnahmen dienen der Schmerzreduktion und der Vermeidung weiterer Schädigungen. Sie sollten bei stabilen Patient:innen frühzeitig eingeleitet werden, dürfen jedoch die Gesamtrettungszeit bei vital bedrohlichen Zuständen nicht verzögern.
Lagerung und physikalische Maßnahmen
Dieses Bild wurde mit der KI-Software DALL·E (OpenAI) erstellt. Es wurde automatisch generiert und dient ausschließlich illustrativen Zwecken.
- Bauchdeckenentlastende Lagerung bei abdominellen Schmerzen (z. B. durch Anheben der Beine)
- Kühlung bei stumpfen Traumata, Prellungen oder Verbrennungen
(sofern keine Kontraindikationen) - Schonende Lagerung je nach Schmerzursache (z. B. Oberkörperhochlagerung bei Thoraxschmerz)
Immobilisation
- Ruhigstellung schmerzhafter Körperregionen (z. B. Vakuumschienen, SAM-Splints)
- Reduktion von schmerzverstärkenden Bewegungen zur Prävention weiterer Gewebeschäden
TippDie Immobilisation stellt eine essenzielle Ergänzung zur medikamentösen Analgesie im präklinischen Setting dar. Daher ist die Indikation großzügig zu stellen.
Psychologische Betreuung
- Das Schmerzempfinden
wird im limbischen System affektiv und emotional verarbeitet - Eine einfühlsame Betreuung durch das Rettungsfachpersonal kann das subjektive Schmerzerleben deutlich reduzieren
- Klare, ruhige Kommunikation
- Vermeidung unnötiger Unruhe
TippInsbesondere ein empathisches, beruhigendes und sicheres Auftreten wirkt sich positiv auf die Schmerzwahrnehmung aus.
Praktische Anwendungsbeispiele
Die präklinische Schmerztherapie ist eine zentrale Maßnahme im Rettungsdienst. Je nach Einsatzsituation, Schmerzursache und individueller Patient:innensituation stehen verschiedene medikamentöse und nicht-medikamentöse Optionen zur Verfügung. Ziel ist eine sichere, wirksame und patientengerechte Analgesie, die den rechtlichen Rahmen, das Ausbildungsspektrum und die verfügbaren Ressourcen berücksichtigt.
MerkeDie Auswahl eines geeigneten Analgetikums und Vorgehens hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- Rechtliche Rahmenbedingungen: Landesspezifische SOPs, §2a NotSanG
- Verfügbarkeit von Medikamenten im jeweiligen Einsatzgebiet
- Kompetenz und Sicherheit der Anwender:innen
- Patient:innenfaktoren: Alter, Vorerkrankungen, Begleitmedikation, Allergien
- Einschätzung der Schmerzursache (z. B. kolikartig, viszeral, somatisch)
- Geplante Maßnahmen: z. B. Reposition, Transport mit Vakuummatratze
InfoAnalgesie à la NotSan:
„Analgesie à la NotSan“ steht für einfache, schnell umsetzbare „Handlungsrezepte“ gegen den Schmerz. Ziel ist es, schnell umsetzbare und sichere Konzepte zur Schmerzreduktion bereitzustellen – aus der Praxis für die Praxis.
Schmerzreduktion zählt zu den wichtigsten Maßnahmen im Rettungsdienst. Analgesie muss dabei nicht kompliziert sein. Damit du im Einsatz schnell die passenden Maßnahmen findest, präsentieren wir hier beispielhafte analgetische Konzepte.
AchtungVor jeder Medikamentengabe müssen Indikation, Kontraindikationen, Dosierung und mögliche Wechselwirkungen überprüft werden.
Besonders bei älteren Patient:innen, Multimorbidität oder vorbestehender Dauermedikation ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung unerlässlich.
Jede Gabe erfolgt unter Beobachtung von Vitalparametern, Bewusstsein und Wirkungskontrolle.
Gallenkolik
Das Szenario
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes klagt eine 47-jährige Patientin (80 kg) über plötzlich einsetzende, kolikartige Schmerzen
Die Patientin gibt an, dass solche Schmerzen nach fettreichen Mahlzeiten gelegentlich auftreten. Die letzte Nahrungsaufnahme fand vor etwa zwei Stunden statt.
Vitalparameter | SAMPLER-Schema | OPQRST-Schema |
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Analgesie à la NotSan
MerkeSchritt 1: Basistherapie
- Paracetamol
: 1000 mg i.v. - Butylscopolamin
: 20 mg i.v. Schritt 2: Opioid bei weiter bestehenden Schmerzen (NRS
≥6):
- Nalbuphin: 10 - 20 mg i.v./i.m. (Dosierung Erwachsene)
- Ggf. Wiederholung mit gleicher Dosis nach Wirkungskontrolle
Schritt 3: Eskalation bei Schmerzpersistenz trotz Nalbuphin:
- Weiterbehandlung durch Notarzt (NA) oder durch NotSan und Telenotarzt (TNA)
Brustschmerzen bei akutem Koronarsyndrom
Das Szenario
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes sitzt ein 62-jähriger Patient (92 kg) mit blassem Gesicht und angespannter Körperhaltung auf einem Stuhl in seiner Wohnung. Er klagt seit 25 Minuten über ein Druckgefühl in der Brust. Die Schmerzen seien plötzlich während einer Ruhephase aufgetreten und würden nicht besser. Der Patient wirkt ängstlich, atmet erhöht und hält sich die Brust mit der Hand.
Vitalparameter | SAMPLER-Schema | OPQRST-Schema |
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Analgesie à la NotSan
MerkeSchritt 1: Opioidgabe bei starken Schmerzen (NRS
≥7)
- Morphin
: fraktionierte Gabe in 2 mg Schritten i.v., max. 10 mg Schritt 2: Schmerzpersistenz trotz Morphin
- Weiterbehandlung durch Notarzt (NA) oder durch NotSan + Telenotarzt (TNA)
Luxationsfraktur oberes Sprunggelenk
Das Szenario
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes liegt ein 34-jähriger Patient (90 kg) am Spielfeldrand eines Fußballplatzes. Er ist bei einem Zweikampf umgeknickt und zu Boden gestürzt. Das Sprunggelenk
Vitalparameter | SAMPLER-Schema | OPQRST-Schema |
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Analgesie à la NotSan
MerkeSchritt 1: Analgosedierung
- Midazolam
: 1-2 mg i.v. (langsam, titriert) - Esketamin
: 22,5 mg i.v. - Optional (parallel oder vorab): Paracetamol
: 1000 mg i.v. Stufe 2: Bei Schmerzpersistenz trotz Analgosedierung
- Weiterbehandlung durch Notarzt (NA) oder durch NotSan + Telenotarzt (TNA)
Oberschenkelshalsfraktur
Das Szenario
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes liegt ein 81-jähriger Patient (68 kg) auf dem Boden des Speisesaals eines Altenheims. Er ist beim Gehen zwischen den Tischen gestürzt. Eine Pflegekraft ist vor Ort und berichtet, dass der Patient ohne Fremdeinwirkung gefallen sei. Er wirkt verängstigt und klagt über starke Schmerzen in der rechten Hüfte. Das rechte Bein liegt in Außenrotation und ist sichtlich verkürzt.
Vitalparameter | SAMPLER-Schema | OPQRST-Schema |
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Analgesie à la NotSan
MerkeSchritt 1: Fraktionierte Opioidgabe
- Fentanyl
: fraktionierte Gabe in 50 µg Schritten i.v., max. 2 µg/kg KG mit Reevaluation nach jeder Gabe: NRS , Vigilanz, AF, SpO₂ Schritt 2: Kombination mit Nicht-Opioid-Analgetikum
- Paracetamol
: 1000 mg i.v. Schritt 3: Bei Schmerzpersistenz
- Weiterbehandlung durch Notarzt (NA) oder durch NotSan + Telenotarzt (TNA)
Weitere Informationen zu den jeweiligen Medikamenten findest du in den Lernkarten.
Komplikationen
Atemdepression:
- Ursachen: v. a. Opioide
(z. B. Fentanyl ); Kombination von Esketamin mit Sedativa (z. B. Midazolam , Propofol ) - Maßnahmen:
- Regelmäßige Kontrolle von Atemfrequenz
, SpO₂ und EtCO₂ - Bei Hypoventilation
: Atemkommando, O₂ -Gabe, ggf. Maskenbeatmung - Bei schwerer Atemdepression: Naloxon
(Opioid-Antagonist) bereithalten
- Regelmäßige Kontrolle von Atemfrequenz
Hypotonie:
- Ursachen: Vasodilatation durch Opioide
oder Benzodiazepine - Maßnahmen:
- Engmaschige RR-Kontrolle
- Volumengabe bei Bedarf
Übelkeit & Erbrechen:
- Ursache: Häufig bei Opioidgabe → Opioide
stimulieren primär die Chemorezeptor -Triggerzone (CTZ) in der Area postrema, was häufig zur Auslösung von Übelkeit und Erbrechen führt - Maßnahmen:
- Antiemetika
bereitstellen (z.B. Ondansetron , Dimenhydrinat ) - Aspirationsprophylaxe
: Oberkörperhochlagerung, Absaugung vorbereiten
- Antiemetika
Paradoxe Erregung / Agitation:
- Ursache: v. a. Benzodiazepine
(Midazolam ) - Maßnahmen:
- Ruhige, reizarme Umgebung
- Engmaschige Überwachung
- Bei ausgeprägter Symptomatik: Flumazenil
AchtungPatient:innensicherheit in der Analgesie
- Stufenweises Vorgehen mit individueller Dosisanpassung
- Engmaschige Wirkungskontrolle (NRS
, Vigilanz, Atemparameter) - Monitoring: RR, HF, SpO₂, ggf. EtCO₂
- Antidote kennen und bereithalten (z. B. Naloxon
, Flumazenil ) - Material für Atemwegsmanagement
(Absaugung, Beutel-Maske, Guedel-Tuben ) vorhalten
Quellen
- Analgesie beim Erwachsenen in der prähospitalen Notfallmedizin, Notfallmedizin up2date 2024; 19(02): 165 - 187
- Administration von Nalbuphin durch NotfallsanitäterInnen führt zu sicherer und effektiver Analgesie in der Präklinik, NOTARZT 2024; 40(04): 172 - 173
- S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI)