Zusammenfassung
Die Beckenschlinge ist ein notfallmedizinisches Hilfsmittel zur Stabilisierung einer instabilen Beckenfraktur und dient der Reduktion von Blutungen aus venösen und ossären Strukturen. Sie sollte bei klinischem Verdacht auf eine instabile Beckenfraktur oder hämorrhagischer Schock
Indikationen
- Verdacht auf eine instabile Beckenfraktur
- Der Verdacht besteht bei:
- Verkehrsunfall mit Hochrasanztrauma
- Kollision einer Person mit einem PKW oder LKW
- Sturz aus einer Höhe >3 Meter
- Überrolltrauma
- Einquetschverletzung des Rumpfes
- Explosionsverletzung
- Verschüttung
- Zeichen der Beckeninstabilität:
- Spontanschmerz oder Druckschmerz bei vorsichtiger seitlicher Palpation
- Sichtbare äußere Verletzungen als indirekter Hinweis auf eine Beckenringverletzung:
- Hämatome
, Abschürfungen und offene Wunden - Sichtbare Deformität oder offene Frakturen
- Beinlängendifferenz oder Rotationsfehler des Beins
- Druckschmerzhafte Symphyse, mit oder ohne tastbare Lücke
- Haut- oder Schleimhautblutung zwischen Anus und äußeren Geschlechtsorganen
- Sichtbare Blutungen aus Harnröhre, Vagina oder Anus
- Hämatome
- Der Verdacht besteht bei:
- Hämorrhagischer Schock
unklarer Genese z.B. bei Zustand nach Polytrauma - Hämodynamische Instabilität bei Verdacht auf Beckenverletzung, auch ohne Hinweis auf ein tastinstabiles Becken
InfoS-KIPS-Schema (statt KISS-Schema)
- Definition: Das S-KIPS-Schema ist ein praktischer Algorithmus, der die Indikationsstellung zur Beckenstabilisierung bei Verdacht auf Beckenverletzung erleichtert. Mit der Einführung dieses neuen Schemas ist das veraltete KISS-Schema nicht mehr gültig
- Schock: Vorliegen einer hämodynamischen Instabilität und mindestens eines der folgenden Kriterien:
- K
inematik: Mechanismus mit möglicher Beckenbeteiligung - Inspektion: Sichtbare Beckenverletzung (Deformitäten, Hämatome
oder offene Wunden im Beckenbereich, etc.) - P
alpation: Frakturverdacht bei vorsichtiger seitlicher Palpation - Schmerzen: Spontan- oder Druckschnerz im Bereich des Beckens
Kontraindikationen
Im Notfall bestehen keine absoluten Kontraindikationen für die Anwendung einer Beckenschlinge.
Aufklärung
Da die Anlage einer Beckenschlinge in der Regel eine Notfallmaßnahme darstellt, ist eine formale Aufklärung nicht erforderlich. Dennoch ist es sinnvoll, den Patienten über den Zweck und das Vorgehen zu informieren, um Ängste zu reduzieren und die Kooperation zu erleichtern.
Material
- Einmalhandschuhe
- Beckenschlinge
- Gurt zur Fixierung der Beine in Innenrotationsstellung
Durchführung
Vorbereitung:
- Unfallstelle sichern
- Begrüßung und Vorstellung des Teams
- Einmalhandschuhe
anziehen - Person in achsengerechter Rückenlage positionieren
- Hosen- und Gesäßtaschen der Person leeren
- Beckenschlinge und Gurt zur Fixierung der Beine in Innenrotation bereitlegen
Anlage der Beckenschlinge:
- Fixierung der Beine in Innenrotationsstellung
- Erste Hilfsperson bringt die Beine vorsichtig in Innenrotationsstellung
- Zweite Hilfsperson führt den Gurt unter den Knien hindurch und schließt ihn oberhalb der Knie (kein Druck auf das Fibularisköpfchen und damit den N. fibularis communis ausüben)
- Anlage der Beckenschlinge
- Beide Hilfpersonen befinden sich seitlich auf Beckenhöhe
- Beckenschlinge entfalten
- Beckenschlinge unter den Knien durchziehen
- Enden der Schlinge greifen und mit kranialer Hand manuell das Becken stabilisieren
- Beckenschlinge unter der Person nach kranial bewegen ("Sägebewegung"), möglichst ohne das Becken zu verschieben
- Schlinge auf Höhe des Trochanter major positionieren
- Schnalle vor der Symphyse verschließen
- Freies Ende der Beckenschlinge durch die Schnalle ziehen und zusammen mit Hilfperson Zug ausüben, bis Klickgeräusch den korrekten Druck signalisiert
- Klettverschluss fixieren

Komplikationen
- Fehlplatzierung → unzureichende Frakturstabilisierung, fehlende Blutungskontrolle
- Übermäßige Kompression → Ischämie, Nervenschäden
- Druckulzera bei längerer Tragedauer
- Verdrängung oder Verletzung intraabdominaler Organe (z.B. durch Fragmentdislokation)
Quellen
- S1-Leitlinie Verletzungen des Beckenrings, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU), Stand 2023, Abrufdatum 31.01.2025
- S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung, Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. (DGU), Stand 2022, Abrufdatum 31.01.2025
- Kumle, Bernhard & Kaiser, Bertin. (2016). Beckenschlinge und externe Beckenstabilisation. Notfallmedizin up2date. 11. 321-327. DOI: 10.1055/s-0042-117742.