Zusammenfassung
Antidepressiva sind Medikamente, die zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Zum Teil werden sie allerdings auch bei Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und einigen chronischen Schmerzsyndromen eingesetzt. Antidepressiva benötigen in der Regel einige Wochen, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Die Wahl des geeigneten Antidepressivums hängt von der individuellen Symptomatik, Nebenwirkungsprofilen und möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ab.
Im Laufe ihres Lebens erkranken ca. 9-12% der Deutschen an einer Depression. Es ist damit eine sehr häufige Erkrankung in Deutschland.
Die Leitsymptome der Depression sind:
- Gedrückte Stimmung
- Interessensverlust
- Verminderung des Antriebs
Die vielfältigen Ursachen, die eine Depression bedingen können, werden im biopsychosozialen Modell zusammengefasst:
Wirkprinzipien der Antidepressiva
InfoMonoaminhypothese
Die Monoaminhypothese umfasst die Theorie, dass die Depression durch den Mangel eines der drei Monoamine (Serotonin, Noradrenalin
oder Dopamin) verursacht wird.
Diese Hypothese beruht vor allem auf der Pharmakologie der Antidepressiva, welche insbesondere durch die Erhöhung der Monoamine antidepressiv wirken. Sie wird derzeit kritisch gesehen, kann aber aus didaktischen Gründen zur Klassifikation von Antidepressiva verwendet werden.
Antidepressiva haben vor allem drei Hauptwirkmechanismen:
- Hemmung der neuronalen Wiederaufnahme (Reuptake) von Monoaminen aus dem synaptischen Spalt
⟶ Mehr Serotonin, Noradrenalinoder Dopamin befindet sich im synaptischen Spalt - Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren (SSRIs)
- Selektive Serotonin Noradrenalin
Inhibitoren (SSNRIs) - Noradrenalin
Dopamin Reuptake Inhibitoren - Trizyklische Antidepressiva (TZAs)
- Johanniskraut
- Tetrazyklische Antidepressiva (Mirtazapin)
- Hemmung von präsynaptisch inhibierenden ⍺2-Rezeptoren auf serotonergen und noradrenergen Neuronen
⟶ Vermehrte Freisetzung von Serotonin und Noradrenalin - Hemmung der Monoaminooxidase (MAO)
⟶ Die MAO ist ein mitochondrielles Enzym, welches die Monoamine Serotonin, Noradrenalinund Dopamin abbaut
⟶ Durch die Hemmung des Abbaus erhöht sich die Serotonin- und Noradrenalinkonzentration im synaptischen Spalt- Monoaminooxidase-Hemmer
Indikationen der Antidepressiva
Antidepressiva werden bei verschiedenen Krankheitsbildern eingesetzt. Dazu gehören:
- Depression
- Angst- und Panikstörungen
- Zwangsstörungen
- Phobien
- Posttraumatische Belastungsstörungen
- Belastungsinkontinenz
- Schmerztherapie (Co-Analgetika)
TippDer Wirkeintritt von Antidepressiva ist in der Regel um 2-6 Wochen verzögert. Die Nebenwirkungen treten direkt bei Behandlungsbeginn auf, sind jedoch meistens vorübergehend (die Patient:innen sollten hierüber aufgeklärt werden, um ein selbstständiges Absetzen durch die Patient:innen zu verhindern).
Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren (SSRIs)
InfoSelektive Serotonin Reuptake Inhibitoren (SSRIs) sind gegenwärtig die am häufigsten eingesetzte Gruppe der Antidepressiva.
- Wirkstoffe:
- Citalopram
- Escitalopram (wirksames
S-Enantiomer von Citalopram) - Sertralin
- Fluoxetin
- Paroxetin
- Wirkung:
- Selektive Hemmung des Serotonin-Reuptake-Transporters (SERT)
→ Erhöhung von Serotonin im synaptischen Spalt
→ Antriebssteigerung und Stimmungsaufhellung
- Selektive Hemmung des Serotonin-Reuptake-Transporters (SERT)
- Nebenwirkungen:
- Unruhe (Antriebssteigerung)
→ Initial erhöhte Suizidalität (die Nebenwirkungen treten häufig vor dem positiven Wirkeffekt auf – die Nebenwirkungen sind meistens vorübergehend und treten insbesondere in den ersten 4 Wochen nach Therapiebeginn auf) - Serotonin-Syndrom
- Übelkeit
- Sexualstörungen
- QT-Zeit
-Verlängerung → Gefahr für Torsade-de-pointes-Tachykardien
- Unruhe (Antriebssteigerung)
- Besonderheiten:
- Cave: keine Kombination mit anderen serotonerg wirksamen Medikamenten (MAO-Hemmer, Tramadol) → Gefahr eines Serotonin-Syndroms
- CYP450-Wechselwirkungen (Fluoxetin und Paroxetin sind starke CYP2D6
-Inhibitoren)
MerkeMerkhilfe: Ein depressives P
aar zittert sehr flux. Escitalopram, P
aroxetin, Citalopram, Sertralin, Fluoxetin.
SSNRIs
Selektive Serotonin Noradrenalin Reuptake Inhibitoren (SSNRIs)
- Wirkstoffe:
- Duloxetin
- Venlafaxin
InfoDuloxetin wird ebenfalls zur Therapie der Belastungsinkontinenz eingesetzt.
- Wirkung:
- Selektive Hemmung des Serotonin- und Noradrenalin
-Reuptakes (SERT, NAT)
→ Erhöhung von Serotonin und Noradrenalinim synaptischen Spalt
→ Antriebssteigerung und Stimmungsaufhellung
- Selektive Hemmung des Serotonin- und Noradrenalin
- Nebenwirkungen:
- Unruhe (Antriebssteigerung) → Initial erhöhte Suizidalität
- Serotonin-Syndrom
- Übelkeit
- Sexualstörungen
- QT-Zeit
-Verlängerung → Gefahr für Torsade-de-pointes-Tachykardien
Noradrenalin Dopamin Reuptake Inhibitoren
- Wirkstoff:
- Bupropion ist der wichtigste Wirkstoff der Noradrenalin
Dopamin Reuptake Inhibitoren
- Bupropion ist der wichtigste Wirkstoff der Noradrenalin
- Wirkung:
- Hemmung der Noradrenalin
- und Dopamin-Wiederaufnahme (NAT, DAT )
→ Antriebssteigerung und Stimmungsaufhellung
- Hemmung der Noradrenalin
- Nebenwirkungen:
- Kopfschmerzen
- Unruhe
- Übelkeit
- Kopfschmerzen
InfoBupropion hat als Nebenwirkung keine sexuellen Funktionsstörungen.
Trizyklische Antidepressiva (TZAs)
Trizyklische Antidepressiva sind eine alte Wirkstoffgruppe. Es besteht daher eine große klinische Erfahrung. Der Name beruht auf der chemischen Struktur, welche durch drei fusionierte Ringstrukturen charakterisiert ist. Sie werden auch als Nicht-selektive-Monoamin-Reuptake-Inhibitoren (NSMRI) bezeichnet.
AchtungAufgrund der nicht-selektiven Wirkungsweise von TZAs tritt ein breites Spektrum von Nebenwirkungen auf. Sie werden daher analog zu den Antihistaminika der 1. Generation zu den “dirty drugs“ gezählt.
- Wirkstoffe
Wirkstoffe | Wirkung |
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Amitriptylin-Typ
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Desipramin-Typ
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Imipramin-Typ
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MerkeMerkhilfe: Abends trinkt man Dosenbier → Amitriptylin, Trimipramin, Doxepin
Cave: Duloxetin ist ein SSNRI, Doxepin ist ein TZA!
- Wirkung:
- Hemmung des Serotonin- und Noradrenalin
-Reuptakes (SERT, NAT) - Antagonismus am ⍺1-Adrenozeptor → Anti-⍺1-adrenerg
- Antagonismus am H1-Rezeptor → Antihistaminerg
- Antagonismus am Muskarinrezeptor → Anticholinerg
- Hemmung des Serotonin- und Noradrenalin
- Wirkung und resultierende Nebenwirkungen
- Besonderheiten:
- Missbrauch durch Überdosierung in suizidaler Absicht
- Zahlreiche Wechselwirkungen bspw. mit MAO-Hemmern (Serotonin-Syndrom), Anticholinergika
(anticholinerges Syndrom), Antihypertensiva , Antiarrhythmika sowie Antipsychotika - CYP450-Wechselwirkungen
Tetrazyklische Antidepressiva
Tetrazyklische Antidepressiva sind eine Weiterentwicklung der trizyklischen Antidepressiva.
- Wirkstoff:
- Mirtazapin
- Wirkung:
- Antagonismus an präsynaptischem ⍺2-Adrenozeptor
- Antagonismus an 5-HT2- und 5-HT3-Rezeptoren → gesteigerte serotonerge Neurotransmission über 5-HT1-Rezeptoren
- Antagonismus an Histaminrezeptoren
- Nebenwirkungen:
- Sedierung → Reaktionsvermögen eingeschränkt (Autofahren)
- Agranulozytose
- Gewichtszunahme
- Orthostatische Hypotonie
- Besonderheiten:
- Mirtazapin ist Substrat von CYP3A4
→ CYP3A4-Induktoren erniedrigen Mirtazapinspiegel (Carbamazepin, Johanniskraut, Rifampicin )
→ CYP3A4-Inhibitoren erhöhen Mirtazapinspiegel (Amiodaron , Makrolide , Grapefruitsaft)
- Mirtazapin ist Substrat von CYP3A4
Monoaminooxidase-Hemmer
Es werden zwei Isoenzyme der Monoaminooxidase unterschieden (MAO-A und MAO-B). Die Monoamine Serotonin und Noradrenalin
- Wirkstoffe:
- Moclobemid (selektiver MAO-A-Hemmer)
- Tranylcypromin (unselektiver MAO-Hemmer → MAO-A&B)
- Wirkung:
- Hemmung der MAO
→ Durch die Hemmung des Abbaus werden Serotonin und Noradrenalinvermehrt freigesetzt
- Hemmung der MAO
- Nebenwirkungen:
- Unruhe
- Kopfschmerzen
- Übelkeit
- Serotonin-Syndrom (siehe nächste Seite)
- Tranylcypromin: hypertensive Krise
bei Aufnahme von tyraminreichem Essen (vor allem in gereiftem Käse und Rotwein enthalten = „Cheese-Effekt“)
- Besonderheiten:
- Cave: bei Kombination mit anderen serotonerg wirkenden Substanzen
→ erhöhtes Risiko für das Serotonin-Syndrom
- Cave: bei Kombination mit anderen serotonerg wirkenden Substanzen
Weitere Antidepressiva
Johanniskraut
Als wichtigster Wirkstoff im Johanniskraut gilt Hyperforin.
- Wirkung:
- Hemmung des Serotonin- und Noradrenalin
-Reuptakes
- Hemmung des Serotonin- und Noradrenalin
- Nebenwirkungen:
- Verdauungsbeschwerden
- Photosensibilisierung
- Serotonin-Syndrom
- Besonderheiten:
- CYP3A4
-, CYP2C9 - und CYP2C19 -Induktion
→ Kontrazeptiva, Mirtazapin, Benzodiazepine, Immunsuppressiva und bestimmte AIDS-Medikamente geringer wirksam
- CYP3A4
Melatonin-Analoga
Ziel dieser Wirkstoffgruppe ist es, den Schlaf-Wach-Rhythmus von an Depression Erkrankten wieder zu resynchronisieren.
- Wirkstoff:
- Agomelatin
- Wirkung:
- Agonismus an den melatonergen MT1- und MT2-Rezeptoren
- Antagonistisch an den
5-HT2C-Rezeptoren im Nucleus suprachiasmaticus („innere Uhr des Menschen“)
→ Verbessert die Schlafqualität
- Nebenwirkungen:
- Erhöhte Leberwerte
- Kopfschmerzen
- Übelkeit
Komplikation
Serotonin-Syndrom
- Ursache:
- Zentraler Serotoninüberschuss, welcher in der Regel durch eine kombinierte Einnahme von serotonerg wirksamen Substanzen auftritt (MAO-Hemmer, SSRIs, TZAs)
- Symptome:
- Vegetativ: Tachykardie
, Fieber, Diarrhö - Psyche: Verwirrtheit, Agitiertheit, psychomotorische Unruhe, Angst, Koma
- Neuromuskulär: Tremor, Hyperreflexie
- Vegetativ: Tachykardie
- Therapie:
- Absetzen der ursächlichen Wirkstoffe
- Bei Unruhe: Benzodiazepine
- Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution
Videos
Quellen
- Freissmuth et al.: Pharmakologie und Toxikologie. Springer 2012, ISBN: 978-3-642-12353-5.
- Karow, Lang-Roth: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2012
- Lüllmann et al.: Pharmakologie und Toxikologie. 15. Auflage Thieme 2002, ISBN: 3-133-68515-5
- Wehling: Klinische Pharmakologie. 2. Auflage Thieme 2011, ISBN: 978-3-131-60282-4