Einleitung
- Die Thrombozytenaggregationshemmer werden zur Verhinderung von arteriellen Gefäßverschlüssen verwendet
- Antikoagulantien
wie Heparin oder Vitamin-K-Antagonisten können aufgrund des schnellen Blutstroms im arteriellen System nur bedingt wirken und werden daher zur Verhinderung einer Thrombenbildung im venösen System eingesetzt
Thrombozytenaggregationshemmer | |
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Wirkstoffgruppe | Wirkstoffe |
Irreversibler COX-Inhibitor |
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ADP-Rezeptor-Antagonisten/ P2Y12-Inhibitoren | Langwirksam und niedrigpotent:
Langwirksam und hochpotent:
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Glykoprotein 2b/3a-Antagonisten |
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Zielstrukturen und Wirkprinzipien
Wirkstoff | Wirkprinzip |
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Irreversibler COX-Inhibitor
| Irreversible COX1
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ADP (P2Y12) -Rezeptor-Antagonisten
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Glykoprotein 2b/3a-Antagonisten
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Indikationen
- Als
Monotherapie zur Sekundärprophylaxe bei KHK, ischämischem Schlaganfall und pAVK - Als
duale antithrombozytäre Therapie (= DAPT/doppelte Plättchenhemmung/duale Thrombozytenaggregationshemmung) nach der Implantation eines Koronarstents oder nach einem akuten Koronarsyndrom
Übersicht über die Wirkstoffe
Für die Wirkprinzipien siehe oben.
Wirkstoffe | Indikationen | Hinweise |
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Irreversibler COX-Inhibitor
| Niedrige Dosis (z.B. 100 mg
Hohe Dosis (500-1000 mg
| + Lange Erfahrung + Viele Daten + Geringe Kosten + Kann bei geringem/mittlerem Blutungsrisiko perioperativ fortgeführt werden - Vermehrt Allergien/Unverträglichkeiten - Gastrointestinale Nebenwirkungen - Bei gleichzeitiger Einnahme von Ibuprofen ➜ Medikament der ersten Wahl für die Sekundärprophylaxe der KHK bei den meisten KHK-Patient:innen |
ADP-Rezeptor-Antagonisten/ Langwirksam und niedrigpotent:
Langwirksam und hochpotent:
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| Clopidogrel: + Geringste Nebenwirkungen und beste Verträglichkeit der ADP-Rezeptor-Antagonisten - Geringere Wirkung als - CYP2C19 - Wirkung zwischen Patient:innen individuell verschieden ➜ Alternative zu ASS bei ASS-Unverträglichkeit im Rahmen der antithrombozytären Monotherapie ➜ Kombinationspartner zu ASS nach einer elektiven Koronarintervention im Rahmen eines chronischen Koronarsyndroms Ticagrelor: + Stärker und interindividuell geringere Schwankungen der Wirksamkeit (zuverlässlicher) als + Geringere Blutungsgefahr als - Weniger potent als - Kürzere Halbwertszeit: Gabe 2-mal täglich - CYP3A4 ➜ Kombinationspartner zu ASS nach einem akuten Koronarsyndrom (bei Patient:innen mit einem erhöhten Blutungsrisiko) Prasugrel: + Stärkste Wirkung - Erhöhtes Blutungsrisiko (keine Anwendung bei Patient:innen >75 Jahren und Dosisreduktion bei Patient:innen <60 Kg) ➜ Kombinationspartner zu ASS nach einem akuten Koronarsyndrom (bei Patient:innen mit einem geringen Blutungsrisiko) Prasugrel und Ticagrelor haben einen schnelleren Wirkeintritt (ca. 30 Minuten) als |
Glykoprotein 2b/3a-Antagonisten
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➜ Einzellfallentscheidung ➜ Abciximab ist in Deutschland nicht mehr verfügbar |
Nebenwirkungen
- Allgemein: Alle Thrombozytenaggregationshemmer bewirken eine verlängerte Blutungszeit
→ Blutungsrisiko erhöht - Insbesondere erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen
(z.B. Magenulkusblutung)
- Insbesondere erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen
AchtungBei Kombination mit anderen gerinnungshemmenden Wirkstoffen wie den Antikoagulantien
besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko! Es sollte daher überprüft werden, ob eine Indikation für die Kombination von Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulantien (z.B. im Rahmen einer Triple-Therapie nach Stent-Implantation ) besteht. Das Blutungsrisiko und das Ischämierisiko sollten evaluiert und gegeneinander abgewogen werden.
Spezifische Nebenwirkungen
- Acetylsalicylsäure (ASS):
- Analgetika-Asthma: entsteht durch die vermehrte Bildung von Leukotrienen, da die Arachidonsäure nicht mehr zu Prostaglandinen synthetisiert werden kann
- Reye-Syndrom: Bei Kindern mit fieberhaftem Infekt und ASS-Einnahme
- Erbrechen
- Akute Enzephalopathie (ggf. mit Bewusstseinsstörungen)
- Leberfunktionsstörungen ➜ Ammoniak↑, AST
/ALT ↑ - Prognose: in 50% der Fälle letal (bei einem Drittel verbleiben nach Ausheilung neurologische und kognitive Störungen)
Achtung
Bei Kindern (<15 Lebensjahr) keine ASS-Gabe bei viralem Infekt!
- ASS-Intoleranz-Syndrom (Morbus Widal, Morbus Samter):
- Äußert sich klinisch als
Samtertrias: - ASS/NSAR
-Unverträglichkeit - Asthma bronchiale
(insbesondere Verschlechterung eines bereits vorliegenden Asthma bronchiale ) - Sinusitis mit Polyposis nasi
- ASS/NSAR
- Ggf. Uritkaria, Anaphylaxie, Angioödem
- Therapie: es gibt einige Indikationen, in denen eine Einnahme von ASS sinnvoll/notwendig ist (z.B. duale Thrombozytenaggregationshemmung nach koronarem Stenting) ➜ adaptive ASS-Desaktivierung durch langsame Aufdosierung unter stationärer Überwachung
- Äußert sich klinisch als
- Weitere Nebenwirkungen (v.a. bei systemischer Wirkung/hohen Dosen):
- Magen
- und Darmulzera mit Gefahr der Ulkusblutung - Symptom der oberen GI-Blutung
: Teerstuhl (Meläna )
- Symptom der oberen GI-Blutung
- Verschlechterung der Nierenfunktion: durch verminderte Prostaglandinsynthese wird das Vas afferens eng gestellt → Reduzierte renale Durchblutung
- Magen
- ADP-Rezeptor-Antagonisten:
- Gastrointestinale Beschwerden
- Thrombozytopenie
- Leukozytopenie
- Glykoprotein 2b/3a-Antagonisten:
- Allergie
- Thrombozytopenie
Gemeinsame Kontraindikationen
- Akute Blutungen (GI-Trakt, Hirnblutungen)
- Schwere Blutungen in der Anamnese
- Schwere Leberfunktionsstörung (verminderte Synthese der Gerinnungsfaktoren)
- Schwere Nierenfunktionsstörung
- Schwere Hypertonie
: Gefahr von Aneurysmablutungen oder eines hämorrhagischen Schlaganfalls
Wechselwirkungen
- NSARs (außer ASS) sind reversible COX-Hemmer
- Wenn die NSARs vor
ASS eingenommen werden, ist die COX bereits besetzt (reversibel) und ASS kann seine irreversibel hemmende Wirkung nicht entfalten → abgeschwächte ASS-Wirkung → ASS sollte mindestens zwei Stunden vor anderen NSARs eingenommen werden
- Wenn die NSARs vor
AchtungWenn ASS und NSAR
indiziert (z.B. KHK und Perikarditis ): zuerst ASS und erst 2 Stunden später NSAR einnehmen!
- CYP2C19
: Da Clopidogrel und Omeprazol beide über CYP2C19 metabolisiert werden, kann Omeprazol die Wirkung von Clopidogrel abschwächen - CYP3A4
: Dexamethason kann die Wirkung von Ticagrelor reduzieren; Clarithromycin kann die Wirkung von Ticagrelor verstärken
Therapieschemata
Therapieschemata antithrombozytäre Therapie
- Bei akutem Koronarsyndrom/Myokardinfarkt: Akuttherapie
- Nach akutem Koronarsyndrom: Temporäre DAPT in der Regel für 12 Monate
- Nach elektiver Stentimplantation (z.B. im Rahmen eines chronischen Koronarsyndroms): DAPT in der Regel für 6 Monate
- Bei chronischem Koronarsyndrom/KHK: lebenslange Monotherapie
- Nach Aorto-Coronaren-Bypass: lebenslange Monotherapie
- Bei zusätzlich bestehender Indikation für eine Antikoagulation
: siehe gleichzeitig bestehende Indikation für eine antithrombozytäre Therapie und eine Antikoagulation
Thrombozyten | Loading Dose | Erhaltungsdosis |
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Acetylsalicylsäure (= ASS) | 150 – 300 mg | 100 mg |
Clopidogrel | 600 mg | 75 mg |
Ticagrelor | 180 mg | 90 mg |
Prasugrel | 60 mg | 10 mg (>75 LJ oder <60 Kg: |
InfoNach einer Stentimplantation sollte eine antithrombozytäre Therapie erfolgen. Um zu Beginn und frühzeitig eine ausreichende Wirksamkeit zu erreichen, sollte bereits vor
der Intervention die Gabe einer loading Dose des jeweils anschließend verordneten Thrombozytenaggregationshemmers erfolgen. Bei einem Wechsel von einem Wirkstoff auf einen anderen wird ein sogenanntes „Umloading“ notwendig. Bevor der aktuelle Thrombozytenaggregationshemmer abgesetzt wird, bzw. der neue Thrombozytenaggregationshemmer angesetzt wird, sollte die Gabe einer loading Dose des neuen Thrombozytenaggregationshemmers erfolgen.
TippWenn im Akutfall die orale Einnahme nicht möglich ist, kann Acetylsalicylsäure (ASS) auch intravenös gegeben werden. Bei geplanter PCI
und nicht möglicher/nicht erfolgter Gabe eines zusätzlichen P2Y12-Hemmers, kann als Kombinationspartner zu Acetylsalicylsäure Cangrelor intravenös verabreicht werden. Cangrelor ist ein P2Y12-Hemmer, der reversibel die Thrombozytenaggregation hemmt. Zu Beginn sollte vor der PCI eine Gabe von Cangrelor 30 µg/KgKG i.v. als Bolus erfolgen. Anschließend sollte Cangrelor 4 µg/Kg/Minute als Dauerinfusion während der PCI und für mindestens 2 Stunden gegeben werden. Kontraindikationen für Cangrelor sind eine Überempfindlichkeit gegen Cangrelor, aktive Blutungen oder erhöhtes Blutungsrisiko und Schlaganfall oder transiente ischämische Attacke in der Anamnese. Anschließend sollte eine Therapie mit einem oralen P2Y12-Hemmer erfolgen.
Dosierungen je nach Indikation
Ereignis/ Situation | Besondere Faktoren | Therapieschema |
STEMI |
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STEMI |
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NSTEMI |
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NSTEMI |
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Chronisches Koronarsyndrom ohne Intervention (PCI |
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Chronisches Koronarsyndrom mit Intervention (PCI |
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Chronisches Koronarsyndrom mit operativer Koronar-revaskularisation (Bypass-Operation) |
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Akutes Koronarsyndrom |
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MerkeIm Normalfall erfolgt bei einer elektiven Stentimplantation im Rahmen eines chronischen Koronarsyndroms eine duale antithrombozytäre Therapie mit ASS und Clopidogrel für 6 Monate. Nach einem akuten Koronarsyndrom erfolgt im Normalfall, abhängig von den patient:inneneigenen Faktoren (wie z.B. Alter, Gewicht, Komorbiditäten und Blutungsrisiko) eine duale antithrombozytäre Therapie mit ASS und Ticagrelor oder Prasugrel.
AchtungDie in der vorherigen Tabelle (Therapieschemata) angegebenen Dauern der dualen antithrombozytären Therapie der verschiedenen Therapieschemata beziehen sich auf den Normalfall. Für jede Patientin und jeden Patienten sollte eine individuelle Dauer festgelegt werden. Diese sollte abhängig vom Blutungsrisiko, Ischämierisiko und davon, ob bzw. wie gut die Thrombozytenaggregationshemmer von der Patientin oder dem Patienten vertragen werden, festgelegt werden.
Das Blutungsrisiko lässt sich z.B. anhand des Precise-DAPT-Scores berechnen.
Das Ischämierisiko lässt sich anhand des DAPT-Scores berechnen.
Therapiedauer je nach Indikation
Ereignis/Situation | Risikoprofil | Empfohlene Dauer der DAPT |
Chronisches Koronarsyndrom mit Intervention (PCI |
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Akutes Koronarsyndrom |
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Akutes Koronarsyndrom |
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AchtungNach einer Stentimplantation sollte eine duale antithrombozytäre Therapie erfolgen. Nach Beendigung dieser erfolgt im Normalfall eine lebenslange antithrombozytäre Therapie mit ASS 100 mg
1-0-0 p .o. Nur in bestimmten Fällen, wie z.B. bei einer bestehenden Indikation für eine Antikoagulation und keiner bestehenden Indikation für eine duale antithrombozytäre Therapie, kann auf die antithrombozytäre Therapie zugunsten eines geringeren Blutungsrisikos verzichtet werden. Die antithrombozytäre Therapie verringert das Ischämierisiko und erhöht das Blutungsrisiko. Es sollte daher immer eine Abwägung der beiden Risiken vor dem Hintergrund der patient:innenspezifischen Faktoren erfolgen.
Antikoagulation + Thrombozytenaggregationshemmung
Gleichzeitig bestehende Indikation für eine antithrombozytäre Therapie und eine Antikoagulation
- Während die Thrombozytenaggregationshemmer primär im arteriellen System wirken, wirken die Antikoagulantien
überwiegend im venösen System. Es bestehen somit unterschiedliche Indikationen für die beiden Wirkstoffgruppen - Da beide Wirkstoffgruppen das Blutungsrisiko erhöhen, müssen das Blutungsrisiko und das Ischämierisiko gegeneinander abgewogen werden. Je nach vorliegender Situation und Indikation für die gerinnungshemmende Therapie gibt es verschiedene Therapieschemata
Ereignis/Situation | Besondere Faktoren | Therapieschema |
Indikation für eine orale Antikoagulation |
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Indikation für eine orale Antikoagulation |
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ASS: 100 mg Bei Dual-Therapie (Monotherapie mit einem Thrombozytenaggregationshemmer + Antikoagulation Bei Triple-Therapie (duale Thrombozytenaggregationshemmung + Antikoagulation |
InfoBei einer zusätzlich bestehenden Indikation für eine Antikoagulation
sind besondere Therapieschemata notwendig. Das Antikoagulans darf nicht einfach abgesetzt werden, da die Thrombozytenaggregationshemmer nicht im venösen System wirken und venöse Gerinnungsstörungen somit nicht ausreichend vermieden werden. Gleichzeitig darf aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos und der fehlenden ausreichenden Evidenz nicht einfach zusätzlich zu der Antikoagulation die normale/nicht-angepasste antithrombozytäre Therapie erfolgen. Diese ist jedoch zur Vermeidung von Stentthrombosen (nach einer Stentimplantation) oder von Myokardinfarkten unbedingt notwendig. Bedarf es einer Kombination einer Antikoagulation
und einer Thrombozytenaggregationshemmung ist Clopidogrel (75 mg 1-0-0 p .o.) der Wirkstoff der Wahl.
Umloading
Nach einer Stentimplantation sollte eine antithrombozytäre Therapie erfolgen. Um zu Beginn und frühzeitig eine ausreichende Wirksamkeit zu erreichen, sollte bereits vor
Bei einem Wechsel von einem Wirkstoff auf einen anderen wird ein sogenanntes „Umloading“ notwendig. Bevor der aktuelle Thrombozytenaggregationshemmer abgesetzt wird, bzw. der neue Thrombozytenaggregationshemmer angesetzt wird, sollte die Gabe einer loading Dose des neuen Thrombozytenaggregationshemmers erfolgen.
Fallbeispiele
Fallbeispiele zur gerinnungshemmenden Therapie, zu Gerinnungswerten
Für ein Fallbeispiel zur Thrombozytenaggregationshemmung bei einem STEMI
Für ein Fallbeispiel zur gerinnungshemmenden Therapie bei einem Vorhofflimmern
Videos
Quellen
- Leitlinie: Durchführung der perkutanen Koronarintervention, Manual der Arbeitsgruppe Interventionelle Kardiologie (AGIK) der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK)
- Leitlinie: Management des akuten Koronarsyndroms ohne ST-Hebungen (NSTE-ACS), Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC)
- Leitlinie: Therapie des akuten Herzinfarkte: bei Patienten mit ST-Streckenhebung (STEMI), European Society of Cardiology (ESC), Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)
- Fachinformationen