Physiologie des Hörorgans
- Äußeres Ohr: Der Prozess des Hörens, auch als auditiver Wahrnehmungsweg bezeichnet, beginnt mit der Erfassung von Schallwellen aus der Umgebung durch das äußere Ohr, das aus der Ohrmuschel und dem äußeren Gehörgang besteht. Diese Schallwellen werden durch das äußere Ohr geleitet und erreichen das Trommelfell. Das Trommelfell ist eine dünn gespannte Membran, die in Schwingungen versetzt wird, wenn Schallwellen darauf treffen.
- Mittelohr: Die Schwingungen des Trommelfells werden dann auf die drei winzigen Gehörknöchelchen - Hammer, Amboss und Steigbügel - übertragen, die sich im Mittelohr befinden. Diese Gehörknöchelchen verstärken die Schwingungen und leiten sie an die ovale Fenstermembran des Innenohrs weiter.
- Innenohr: Die ovale Fenstermembran führt zu einer Struktur im Innenohr, die als Cochlea oder Schnecke bezeichnet wird. In der Cochlea befindet sich die eigentliche Hörrezeptorregion, die mit Tausenden winziger Haarsinneszellen gefüllt ist. Wenn die Schwingungen auf die Cochlea übertragen werden, setzen sie eine Flüssigkeit in Bewegung, was wiederum die Haarsinneszellen stimuliert.
- Hörnerv: Die stimulierten Haarsinneszellen erzeugen elektrische Signale, die über den VIII. Hirnnerven (N. vestibulocochlearis) zum Gehirn weitergeleitet werden. Der Hörnerv transportiert diese elektrischen Impulse zum auditorischen Kortex im Gehirn. Dort werden die Signale verarbeitet und in die wahrgenommene Klangqualität und -intensität umgewandelt.
- Interpretation: Die Interpretation und Integration dieser Informationen erfolgt im Gehirn, was zur Wahrnehmung des Schalls und zur Erkennung von Klängen führt. Dieser komplexe Prozess ermöglicht es uns, die Vielfalt der Geräusche in unserer Umwelt zu hören, zu verstehen und zu genießen.

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Grundlagen
Schall: Schall ist eine Form von Energie, die sich in Form von Schallwellen ausbreitet. Diese Wellen sind mechanische Schwingungen, die sich durch Medien wie Luft, Wasser oder feste Stoffe fortbewegen können. Schallwellen sind Longitudinalwellen, bei denen die Verschiebung des Mediums in der Ausbreitungsrichtung der Welle erfolgt.
Ton: Ein Ton entsteht, wenn Schallwellen eine regelmäßige Schwingung einer einzigen Frequenz aufweisen. Es handelt sich um eine Sinusschwingung.
Klang: Komplexere Schwingungen, die sich aus mehr als einer Frequenz zusammensetzen, werden als Klang bezeichnet.
Geräusch: Ein Geräusch ist im Gegensatz zum Ton eine eher unregelmäßige Schallwelle ohne harmonische Struktur. Geräusche enthalten oft eine Mischung aus vielen verschiedenen Frequenzen ohne ein erkennbares Muster. Beispiele für Geräusche sind Straßenlärm oder das Rauschen von Blättern.
Frequenz: Die Frequenz eines Schalls bezieht sich auf die Anzahl der Schwingungen (oder Wellen), die pro Sekunde auftreten. Sie wird in Hertz (Hz) gemessen. Frequenzen bestimmen die Tonhöhe; höhere Frequenzen klingen höher, während niedrigere Frequenzen tiefer klingen.
Lautstärke: Die Lautstärke ist ein subjektives Maß, das beschreibt, wie laut oder leise ein Schall wahrgenommen wird. Sie hängt nicht nur von der physikalischen Intensität des Schalls ab, sondern auch von der Empfindlichkeit des menschlichen Ohrs, die je nach Frequenz des Schalls variiert. Das menschliche Ohr ist beispielsweise empfindlicher für Frequenzen zwischen 1.000 und 4.000 Hertz, weshalb Töne in diesem Bereich als lauter wahrgenommen werden, selbst wenn ihre physikalische Intensität gleich ist wie die von Tönen in anderen Frequenzbereichen. Die Lautstärke wird oft in Dezibel (dB) gemessen, wobei dieser Wert eine logarithmische Skala darstellt, die die relative Intensität des Schalls angibt.
Schalldruckpegel: Der Schalldruckpegel ist ein objektives Maß für die Intensität einer Schallwelle und wird in Pascal (Pa) gemessen. Er beschreibt den Druck, den eine Schallwelle auf eine Fläche ausübt. In der Audiologie und Akustik wird der Schalldruckpegel jedoch meist in Dezibel (dB) angegeben, um eine handhabbare und anschauliche Skala zu bieten. Der Schalldruckpegel ist direkt proportional zur Energie der Schallwelle. Ein höherer Schalldruckpegel bedeutet eine stärkere Schallwelle und führt in der Regel zu einer höheren wahrgenommenen Lautstärke. Jedoch ist die Wahrnehmung der Lautstärke auch von anderen Faktoren wie der Frequenz des Tons abhängig.
L = Schalldruckpegel
lg = Logarithmus
Px = Einwirkender Schall
P0 = Bezugschalldruck
MerkeEine Verzehnfachung des Schalldrucks führt zu einer Zunahme des Schalldruckpegels um 20 Dezibel. Eine hundertfache Steigerung des Schalldrucks resultiert in einer Erhöhung des Schalldruckpegels um 40 dB. Entsprechend bewirkt eine Verdopplung des Schalldrucks eine Erhöhung des Schalldruckpegels um 6 dB. Der Mensch kann einen Unterschied im Schalldruckpegel von ca. 3 dB deutlich wahrnehmen.
Lautstärkepegel: Die Lautstärke, die wir wahrnehmen, hängt nicht nur von der Intensität des Schalls, sondern auch von seiner Frequenz ab. Dies bedeutet, dass zwei Schallereignisse mit dem gleichen Schalldruckpegel, aber unterschiedlichen Frequenzen, von uns als unterschiedlich laut empfunden werden können. Der Lautstärkepegel ist ein Maß für diese subjektive Wahrnehmung der Lautstärke und wird in Phon angegeben. Die Skala für den Lautstärkepegel reicht von 0 Phon, was der unteren Hörgrenze des menschlichen Ohrs entspricht, bis zu etwa 120 Phon, der Schmerzgrenze. Bei einem Ton mit einer Frequenz von 1000 Hertz stimmen die Phon- und Dezibel-Skalen überein, das heißt, ein Schalldruckpegel von 20 Dezibel bei dieser Frequenz wird als 20 Phon wahrgenommen. Bei anderen Frequenzen kann jedoch derselbe Schalldruckpegel als lauter oder leiser empfunden werden.
Isophone: Isophone sind Kurven, die in einem Diagramm darstellen, welche Kombinationen aus Frequenz und Schalldruckpegel vom menschlichen Gehör als gleich laut wahrgenommen werden. Das bedeutet, dass alle Töne auf einer Isophonen-Kurve subjektiv als gleich laut empfunden werden, auch wenn sie unterschiedliche objektive Schalldruckpegel haben. Die unterste dieser Kurven, die bei etwa 3 Phon liegt, ist die sogenannte Hörschwellenkurve. Diese gibt an, welche Töne gerade noch hörbar sind. Ein Ton mit einer Frequenz von 1000 Hertz und einem Schalldruckpegel von 4 Dezibel liegt beispielsweise auf dieser untersten Kurve. Das menschliche Gehör ist besonders empfindlich im Frequenzbereich zwischen 2000 und 5000 Hertz.
Alle Punkte auf den jeweiligen Isophonen werden gleich laut wahrgenommen.
Je nach Frequenz ist ein unterschiedlicher Schalldruckpegel für die gleiche Hörempfindung notwendig.
Beispielaufgabe: Ein Ton mit einem Schalldruckpegel von 80 dB von einer Frequenz von 10 kHz entspricht einer subjektiven Lautstärke von 80 Phon?
Richtig oder falsch?
Lösung: Richtig.
Diese Aufgabe lässt sich leicht lösen, indem man den Schalldruckpegel von 80 dB mit der Frequenz von 10 kHz in Beziehung setzt. Der Schnittpunkt liegt auf der Isophone 80 Phon.
Äußeres Ohr und Mittelohr
Das äußere Ohr umfasst die Ohrmuschel und den Gehörgang. Der Gehörgang endet am Trommelfell.
Durch die Form der Ohrmuschel gelangt der Schall in den Gehörgang, wo das Trommelfell (Membrana tympanica) in Schwingungen versetzt wird.
Die Schwingungen gelangen zum Mittelohr, wo sie auf die Gehörknöchelkette bestehend aus Hammer, Amboss und Steigbügel (Malleus, Incus und Stapes) übertragen werden. Die Gehörknöchelkette befindet sich in der Paukenhöhle (Cavitas tympani).
Der Steigbügel ist mittels einer dünnen Membran mit dem ovalen Fenster verbunden. Durch diese Verbindung überträgt er die Bewegung der Gehör- knöchelkette auf die Perilymphe des Innenohrs. Im Mittelohr befinden sich außerdem der M. tensor tympani und der M. stapedius, die die Empfindlichkeit des Gehörs anpassen können, indem sie die Schwingungsfähigkeit der Gehörknöchelkette beeinflussen können.
Lars Chittka; Axel Brockmann, CC BY 2.5 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.5>, via Wikimedia Commons. Es wurden die Markierungen der Ohrabschnitte ergänzt.
Innenohr
Das Innenohr setzt sich aus zwei Hauptteilen zusammen: dem Organ für Gleichgewicht und einem spiralförmigen, schneckenartigen Bereich, der als Cochlea bekannt ist.
Aufbau der Cochlea:
- Allgemeine Struktur:
- Die Cochlea ist ein spiralförmiges Organ, das sich um einen zentralen Pfeiler, die Modiolus, windet
- Besteht aus drei flüssigkeitsgefüllten Kanälen (Scalae): Scala vestibuli, Scala tympani, und Scala media
- Scala vestibuli:
- Beginnt am ovalen Fenster, an dem Schwingungen des Steigbügels auf die Perilymphe übertragen werden
- Scala tympani:
- Liegt parallel zur Scala vestibuli
- Endet am runden Fenster, das als Druckausgleich für die Schwingungen der Perilymphe dient
- Scala media (Ductus cochlearis):
- Von Scala vestibuli durch die Reissner-Membran und von Scala tympani durch die Basilarmembran getrennt
- Beherbergt das Corti-Organ auf der Basilarmembran, das mechanische Energie in elektrische Impulse umwandelt
- Die Stria vascularis an der Wand ist für die Produktion der Endolymphe und Aufrechterhaltung des endokochlearen Potentials verantwortlich
OpenStax, CC BY 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/4.0>, via Wikimedia Commons. Diese Abbildung ist ein Derivat, der oben angegebenen Quelle. Es wurden die Markierungen ergänzt.
Corti-Organ
Das Corti-Organ, positioniert auf der Basilarmembran (Membrana basilaris), ist eine essenzielle Struktur im Ohr für das Hören. Es setzt sich aus verschiedenen Zelltypen zusammen, die in einer wellenförmigen Anordnung stehen und von der Tektorialmembran (Membrana tectoria) bedeckt sind. Das Corti-Organ spielt eine entscheidende Rolle bei der Trennung verschiedener Flüssigkeitskompartimente im Innenohr, insbesondere der kaliumreichen Endolymphe und der natriumreichen Perilymphe. Diese Trennung ist essenziell für die Funktion der Haarzellen und die korrekte Verarbeitung von Schallsignalen.
- Hauptzellen
: Innere und äußere Haarzellen: - Innere Haarzellen: Diese Sinneszellen besitzen etwa 50-70 feine Fortsätze, die Stereozilien genannt werden. Sie sind direkt mit den Neuronen im Ganglion spirale verbunden und spielen eine zentrale Rolle bei der Umwandlung von Schallwellen in elektrische Signale
- Äußere Haarzellen: Mit typischerweise 100-200 Stereozilien agieren diese Zellen als dynamische Verstärker des Schalls (kochleärer Verstärker). Sie können aktiv ihre Länge ändern, um die Bewegung der Basilarmembran zu modulieren und die Schallwahrnehmung zu verbessern, insbesondere bei niedrigen Lautstärken
- Kaliumreiche Endolymphe: Diese Flüssigkeit umgibt die Haarzellen im inneren Gehörgang und hat eine hohe Kaliumkonzentration. Die hohe Kaliumkonzentration ist notwendig für die Depolarisation
der Haarzellen, welche die mechanischen Schallwellen in elektrische Signale umwandelt - Natriumreiche Perilymphe: Diese Flüssigkeit füllt den Raum um das Corti-Organ und hat eine hohe Natriumkonzentration, ähnlich der Zusammensetzung der extrazellulären Flüssigkeit in anderen Teilen des Körpers. Sie sorgt für die notwendige elektrische Isolation und unterstützt die mechanische Bewegung der Basilarmembran
- Funktion der Phalangenzellen und anderer Stützzellen: Innere und äußere Phalangenzellen bieten strukturellen Halt für die Haarzellen und tragen zur Stabilität der gesamten Zellarchitektur bei. Diese Zellen helfen auch, eine dichte Zellverbindung (Tight Junctions) zu bilden, die als Barriere dient und verhindert, dass Endolymphe und Perilymphe sich vermischen. Diese Barriere ist entscheidend, um das elektrische Potenzial zwischen den beiden Flüssigkeiten aufrechtzuerhalten, was für die Haarzellfunktion notwendig ist
- Tektorialmembran: Die Tektorialmembran bedeckt die Haarzellen und unterstützt die mechanische Erregung der Haarzellen durch Schallwellen
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Schalltransduktion: Ausbildung der Wanderwelle
- Schallwellen erreichen das Ohr: Zuerst gelangen Schallwellen durch den äußeren Gehörgang zum Trommelfell und versetzen es in Schwingung
- Übertragung auf die Gehörknöchelchen: Diese Schwingungen werden dann durch die Gehörknöchelchen im Mittelohr (Hammer, Amboss und Steigbügel) übertragen und verstärkt
- Anregung der Cochlea: Die Fußplatte des Steigbügels überträgt die Schwingungen auf das ovale Fenster. Dadurch wird die Perilymphe in der Scala vestibuli in Bewegung gesetzt
- Bewegung der Endolymphe: Die Bewegung der Perilymphe bewirkt durch die elastischen Eigenschaften der Reissner-Membran auch eine Bewegung der Endolymphe in der Scala media
- Stimulation der Basilarmembran: Durch die Bewegung der Endolymphe wird die darunterliegende Basilarmembran zum Schwingen gebracht. Die Frequenz dieses Schwingens entspricht der Frequenz des Steigbügels
- Verdrängung der Perilymphe: Die Schwingungen der Basilarmembran verdrängen Perilymphe in der Scala tympani, was dazu führt, dass das runde Fenster ebenfalls schwingt
- Eigenschaften der Basilarmembran: Die Basilarmembran ist an ihrem Anfang, nahe dem ovalen Fenster, schmaler und steifer und wird zum Helicotrema hin breiter und flexibler. Dies bedeutet, dass Schallwellen entlang der Basilarmembran wandern und an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark schwingen
- Wanderwelle und Tonhöhenwahrnehmung: Die Wanderwelle entlang der Basilarmembran absorbiert anfänglich wenig Energie, nimmt aber mit der Entfernung zu, bis sie ein Maximum an Energieabsorption erreicht. Dieser Punkt ist abhängig von der Frequenz des Tons. Hohe Frequenzen haben ihr Maximum nahe an der Basis und niedrigere Frequenzen näher am Helicotrema. Nach diesem Maximum fällt die Welle abrupt ab. Diese spezifische Absorption
der Energie, abhängig von der Frequenz, trägt zur Wahrnehmung verschiedener Tonhöhen bei
Cenveo - Drawing Anatomy of the Ear - English labels" at AnatomyTOOL.org by Cenveo, license: Creative Commons Attribution. Diese Abbildung ist ein Derivat, der oben angegebenen Quelle. Es wurden die Markierungen ergänzt.
Hochfrequenter Schall (hohe Töne): Bei Schallwellen mit hoher Frequenz, also bei hohen Tönen, sind die Wellen eng beieinander. Sobald diese Schallwellen das ovale Fenster am Anfang der Cochlea erreichen, überlagern sie sich schnell. Diese Überlagerung führt zu einer starken Auslenkung und somit zur Reizung des Corti-Organs, das für die Wahrnehmung des Schalls zuständig ist. Aufgrund dieser schnellen Überlagerung und starken Auslenkung erlischt die Welle relativ früh, d.h., sie verliert ihre Energie und "versandet".
Niedrigfrequenter Schall (tiefe Töne): Bei niedrigeren Frequenzen, also tieferen Tönen, sind die Wellenmaxima weiter auseinander. Die Wellen wandern weiter in die Cochlea hinein, bevor sie sich überlagern. Die maximale Auslenkung und damit die stärkste Reizung des Corti-Organs erfolgt in diesem Fall näher am Helicotrema, dem Ende der Cochlea. Nach der maximalen Auslenkung erlischt auch diese Welle.
MerkeDie größte Amplitude der Wanderwellen liegt bei hohen Tönen (hohe Frequenzen) nahe dem ovalen Fenster. Tiefe Töne (tiefe Frequenzen) führen zur größten Amplitude der Wanderwelle nahe der Schneckenspitze (Helicotrema).
Das Haarzellsystem
Das Corti-Organ im Ohr enthält zwei Arten von Haarzellen: etwa 3.500 innere und rund 12.000 äußere Haarzellen. Diese Zellen sind wichtig für die Verarbeitung von Schallfrequenzen, wobei jede Zelle einem bestimmten Frequenzkanal entspricht.
Die inneren Haarzellen sind für den eigentlichen Hörvorgang zuständig. Sie sind sensorisch und wandeln Schallschwingungen in elektrische Signale um, die dann an das Gehirn weitergeleitet werden. Ohne diese Zellen wäre Hören nicht möglich.
Die äußeren Haarzellen hingegen dienen nicht direkt dem Hören, sondern haben eine unterstützende Funktion. Sie werden als Effektorzellen bezeichnet. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die mechanischen Eigenschaften der Basilarmembran, auf der sie sitzen, zu beeinflussen. Dadurch verändern sie die Art und Weise, wie die inneren Haarzellen auf Schall reagieren. Dieser Einfluss verbessert die Empfindlichkeit und Präzision des Hörens.
Tip links:
Die sogenannten "Tip links" in den Haarzellen des Innenohrs sind wichtige Strukturen für das Hören. Sie bestehen aus zwei speziellen Proteinen, die zur Cadherin-Familie gehören: Cadherin 23 (Cdh23) und Protocadherin 15 (Pcdh15). Diese Proteine bilden eine Verbindung zwischen den einzelnen Stereozilien einer Haarzelle.
Die Hauptfunktion der Tip links liegt in der Übertragung von Scherkräften. Wenn Haarzellen mechanisch gereizt werden, etwa durch Schallwellen, entstehen Scherkräfte zwischen den Stereozilien. An der Insertionsstelle der Tip-Links am apikalen Pol der Zilien befinden sich mechanosensitive Transduktionskanäle. Durch den Zug an den Tip-Links werden diese Kanäle geöffnet, und die Haarsinneszelle wird depolarisiert.
Äußere Haarzellen:
Die äußeren Haarzellen haben die besondere Eigenschaft, ihre eigene Länge aktiv zu modifizieren. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, die Schwingungen der Basilarmembran zu beeinflussen. Sie können diese Schwingungen entweder dämpfen oder verstärken.
Ablauf:
- Schwingungen der Basilarmembran: Diese verursachen minimale Verschiebungen zwischen der Tektorial- und der Basilarmembran
- Auslenkung der Stereozilien: Die Verschiebungen führen dazu, dass die Stereozilien der äußeren Haarzellen, die in die Tektorialmembran hineinragen, ausgelenkt werden
Öffnung der Ionenkanäle: Durch die Auslenkung werden die Tip-Links zwischen den Stereozilien gedehnt,
was zur sofortigen Öffnung der mechanosensitiven Kationenkanäle führt- Einströmen von Kalium
-Ionen: Die Endolymphe weist eine sehr hohe Kaliumkonzentration auf (ca. 150 mM). Dies führt zu einem K+-Einstrom in die Zelle, was zur Depolarisation der Haarzellen führt - Repolarisation
: Bei der Schwingung in die Gegenrichtung schließen sich die Ionenkanäle wieder, und die Haarzellen repolarisieren. Dabei öffnen sich seitlich gelegene spannungsabhängige Kaliumkanäle, und K+ wird über den K+-Cl−-Cotransporter in die Stützzellen transportiert
Kochlearer Verstärker:
Kommt es zu einer Depolarisation
MerkeDie hohe K+-Konzentration in der Endolymphe resultiert im Vergleich zu anderen extrazellulären Flüssigkeiten wie der Perilymphe in einem endokochleären K+-Potential von circa +85 mV. Bei einem Membranpotenzial
der Haarzellen von ungefähr -70 mV entsteht dadurch eine Potenzialdifferenz von etwa 150 mV zwischen der Endolymphe und dem Inneren der Haarzellen.
Innere Haarzellen:
Der kochleäre Verstärker sorgt für eine deutliche Erhöhung der Amplitude der Wanderwelle. Diese erhöhte Amplitude bewirkt, dass die Endolymphe in Schwingung versetzt wird. Durch diese Schwingungen werden die Stereozilien der inneren Haarzellen ausgelenkt.
Ablauf:
- Auslenkung der Stereozilien der inneren Haarzelle
- Tip-Links zwischen den Stereozilien werden gedehnt
- Öffnung von Transduktionskanälen
- Einstrom von K+-Ionen aus der Endolymphe
→ Depolarisationder inneren Haarzelle - Spannungsabhängige L-Typ-Ca2+-Kanäle werden geöffnet
- Eine Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration führt zu einer vermehrten Freisetzung von Glutamat
- Glutamat löst an der Nervenfaser ein Aktionspotenzial
aus - Repolarisation
durch seitlich gelegene Kaliumkanäle
MerkeIm Innenohr erfolgt der Transduktionsprozess in drei Schritten:
- Wanderwelle: Schall erreicht das Innenohr und erzeugt aufgrund der Basilarmembran eine Wanderwelle, die entlang der Cochlea verläuft
- Kochleärer Verstärker: Die Wanderwelle stimuliert äußere Haarzellen, die über Prestin eine Längenänderung erfahren und so die Amplitude der Welle verstärken können
- Signaltransduktion: Die verstärkte Welle führt zur Auslenkung der Stereozilien auf den inneren Haarzellen, was mechanische Schallwellen in elektrische Signale für das Gehirn umwandelt
Hörbahn
Aufbau der Hörbahn
Start am Corti-Organ
- Das Corti-Organ im Innenohr wandelt Schallwellen in elektrische Signale um
- Der Hörnerv (Nervus cochlearis) leitet diese Signale weiter. Er ist synaptisch mit der Basis der Sinneszellen verbunden
1. Neuron
- Die Perikarya (Zellkörper) des ersten Neurons befinden sich im Ganglion spirale, das im Modiolus der Cochlea liegt
2. Neuron
- Nach Eintritt in den Hirnstamm
teilt sich der Hörnerv in mehrere Bahnen, die in den Nuclei cochleares enden
Pfade der Hörbahn
- Direkte Hörbahn: Einige Nervenfasern verlaufen direkt zum Colliculus inferior der gleichen Seite (ipsilateral)
- Indirekte Hörbahn (Corpus trapezoideum): Die Mehrheit der Fasern bildet das Corpus trapezoideum und wird teilweise im oberen Olivenkernkomplex umgeschaltet, bevor sie zum Colliculus inferior auf der gegenüberliegenden Seite (kontralateral) kreuzen
3. Neuron
- Die Fasern ziehen als Lemniscus lateralis zum Colliculus inferior. Einige Fasern kreuzen erneut zur Gegenseite
4. und 5. Neuron
- Über das Brachium colliculi inferioris laufen die Fasern weiter zum Corpus geniculatum mediale im Thalamus
Hörrinde:
Primäre Hörrinde:
Die primäre Hörrinde ist lokalisiert in den Heschl-Querwindungen (Gyri temporales transversi) und fällt unter das Brodmann-Areal 41. Ihre Hauptaufgabe besteht in der genauen Analyse der Grundkomponenten von Klängen, wie Frequenz und Lautstärke. Durch ihre tonotope Organisation, bei der ähnliche Frequenzen räumlich gruppiert werden, ermöglicht sie eine feine Frequenzdiskriminierung.
Sekundäre Hörrinde:
Die sekundäre Hörrinde umfasst die Bereiche des Brodmann-Areals 42 und Teile von Areal 22 und liegt im Gyrus temporalis superior, angrenzend an die primäre Hörrinde. Sie ist zuständig für die weiterführende Interpretation von Klängen, indem sie auditive Informationen mit bereits gespeicherten Erinnerungen, Sprache und emotionalen Bewertungen verknüpft. Dieser Bereich ist essenziell für das Verständnis von Sprache, die Erkennung von Musik und die Zuordnung von Bedeutung zu Geräuschen unserer Umgebung. Durch ihre Verbindungen zu anderen Gehirnarealen unterstützt die sekundäre Hörrinde auch die Kombination und Bewertung von auditiven Signalen mit Informationen anderer Sinnessysteme, was eine multimodale Wahrnehmung und Interpretation ermöglicht.
Richtungshören:
Richtungshören bedeutet, dass wir erkennen können, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Voraussetzung dafür ist das beidohrige Hören (binaurales Hören). Im zentralen Hörsystem gibt es wichtige Schaltstellen wie den Nucleus olivaris superior und die Colliculi inferiores, die Informationen von beiden Ohren erhalten. Diese Bereiche vergleichen die Muster der Nervensignale, die von beiden Ohren kommen.
Wichtige Mechanismen mit denen das Gehirn die Richtung eines Geräusches ermittelt:
- Laufzeitdifferenz: Das Geräusch erreicht ein Ohr ein wenig früher als das andere. Diese kleine Zeitdifferenz hilft dem Gehirn zu bestimmen, aus welcher Richtung das Geräusch kommt
Morphologie der Ohrmuschel: Unsere Ohrmuscheln verzerren ankommende Schallsignale je nach Einfallsrichtung unterschiedlich. Das Gehirn erkennt diese Verzerrungen und nutzt sie, um die Richtung des Geräuschs zu bestimmen
Dank dieser Mechanismen ist unser Richtungshören sehr empfindlich. Wir können bereits eine minimale Abweichung einer Schallquelle von nur 1 Grad erkennen.
Audiometrie
Die audiometrische Diagnostik dient der Überprüfung des Hörvermögens und der Feststellung von Schallleitungsstörungen (Außen- und Mittelohr) und Schallempfindungsstörungen (Innenohr oder andere Teile der Hörbahn) mittels bestimmter Testverfahren. Man unterscheidet zwischen subjektiven Testverfahren, die die aktive Mitarbeit der Patient:innen erfordern (z.B. Stimmgabelverfahren oder Schwellenaudiometrie) und objektiven Testverfahren, die keine aktive Mitarbeit erfordern (z.B. BERA).
Stimmgabelverfahren:
Die grundlegendsten Methoden zur subjektiven Hörprüfung sind die Rinne- und Weber-Stimmgabeltests. Diese Tests ermöglichen eine erste Einschätzung, ob es sich bei einer Hörstörung um ein Problem bei der Schallwahrnehmung oder bei der Schallübertragung handelt.
Rinne-Versuch :
Der Rinne-Test ist ein Verfahren zur Überprüfung der Schallleitung in den Ohren, um festzustellen, ob eine Hörstörung vorliegt. Er vergleicht, wie gut das Ohr Schall über die Luft im Vergleich zur Knochenleitung wahrnimmt.
Durchführung des Rinne-Versuchs:
- Eine vibrierende Stimmgabel wird auf den Knochen hinter
dem Ohr (Processus mastoideus) gesetzt. - Sobald der/die Patient:in den Ton nicht mehr hört, wird die
Stimmgabel, ohne sie erneut anzuschlagen, vor das Ohr gehalten.
Interpretation des Versuchs:
- Positiver Rinne-Versuch
: Der Patient hört den Ton wieder, wenn die Stimmgabel vor das Ohr gehalten wird. Dies deutet darauf hin, dass die Luftleitung besser funktioniert als die Knochenleitung, was normal ist. Es liegt somit wahrscheinlich keine Schallleitungsstörung vor. Eine Schallempfindungsstörung kann jedoch durch diesen Versuch nicht ausgeschlossen werden, da bei dieser die Hörempfindung über die Knochenleitung und über die Luftleitung gleichermaßen eingeschränkt sein kann - Negativer Rinne-Versuch
: Der Patient hört den Ton nicht wieder, wenn die Stimmgabel vor das Ohr gehalten wird. Dies bedeutet, dass die Luftleitung nicht besser ist als die Knochenleitung, was auf eine Schallleitungsstörung im getesteten Ohr hinweist
Weber-Versuch :
Zweck: Der Weber-Versuch
Durchführung:
1.Eine vibrierende Stimmgabel wird auf die Mitte des Schädels gesetzt.
2.Der Patient wird gefragt, auf welchem Ohr der Ton stärker zu hören ist.
Interpretation:
- Keine Lateralisation (gleiche Wahrnehmung auf beiden Ohren): Normalzustand oder beidseitige Hörstörung gleicher Ursache
- Lateralisation zum gesunden Ohr: Wenn der Ton im gesunden Ohr besser gehört wird, handelt es sich um eine Schallempfindungsstörung im erkrankten Ohr
- Lateralisation zum erkrankten Ohr: Wenn der Ton im erkrankten Ohr lauter gehört wird, handelt es sich um eine Schallleitungsstörung im erkrankten Ohr
Warum kommt es bei einer Schallleitungsstörung zu einer Lateralisation in das erkrankte Ohr?
Bei einem gesunden Gehör wird ein Teil dieser Töne durch das Mittelohr nach außen geführt und somit nicht vollständig vom Innenohr aufgenommen. Liegt jedoch eine Schalleitungsstörung vor, ist dieser Weg nach außen durch eine Blockade im Mittelohr versperrt. Folglich staut sich der Schall im betroffenen Ohr, was dazu führt, dass der Ton dort verstärkt wahrgenommen wird.
Befund | Rinne rechts | Rinne links | Weber |
Schallleitungsstörung links | Positiv | Negativ | Lateralisation nach links |
Schallempfindungs-störung links | Positiv | Positiv | Lateralisation nach rechts |
Schallleitungsstörung rechts | Negativ | Positiv | Lateralisation nach rechts |
Schallempfindungs-störung rechts | Positiv | Positiv | Lateralisation nach links |
Tonschwellenaudiometrie:
Ein Tonschwellenaudiogramm untersucht die Schallaufnahme des Innenohrs mittels Kopfhörer, wobei zwischen Luft- und Knochenleitung unterschieden wird:
- Luftleitung: Überprüft die Schallübertragung durch äußeres und mittleres Ohr ins Innenohr
- Knochenleitung: Misst die Leistung des Innenohrs, besonders der Haarzellen im Corti-Organ
Die Prüfung erfolgt mit Sinustönen im Frequenzbereich von 125 Hz bis 10 kHz und einer Lautstärke von 0 dB bis 120 dB. Für jede Frequenz wird die Lautstärke in Schritten von 5 dB gesteigert. Der Patient signalisiert das Hören des Tons durch ein vereinbartes Zeichen, wie das Heben eines Fingers oder das Dru
Die Luftleitungskurve beurteilt, wie Schall durch das äußere und mittlere Ohr ins Innenohr gelangt und dort verarbeitet wird. Probleme bei der Schallübertragung können im äußeren Ohr (zum Beispiel im Gehörgang) und im Mittelohr auftreten. Die Knochenleitungsschwelle hingegen gibt Auskunft über die Hörleistung des Innenohrs.
Bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit, die das Innenohr betrifft, zeigen sich Beeinträchtigungen sowohl in der Knochen- als auch in der Luftleitung. Liegt hingegen ein Problem im äußeren oder mittleren Ohr vor, ist ausschließlich die Luftleitung beeinträchtigt, was als Schallleitungsstörung bezeichnet wird.
Erklärung: Die Luftleitung ist im Vergleich zur Knochenleitung stark reduziert. Die Knochenleitung ist sogar noch etwas besser (siehe Weber-Versuch
BERA (Brainstem Evoked Response Audiometry):
Die Hirnstammaudiometrie ist ein objektives Verfahren zur Überprüfung des Hörvermögens, das durch akustische Reize, wie Klickgeräusche, ausgelöste Hirnströme misst. Diese frühen akustisch evozierten Potenziale (AEP) mit einer Latenzzeit unter 10 ms werden zwischen dem Kopfscheitel und dem Mastoid aufgezeichnet. Durch ein EEG und spezielle Elektroden werden die Reaktionen des Hirnstamms auf die Hörreize erfasst. Ein Mittelungsverfahren filtert dabei störende Signale heraus, sodass nur die spezifischen Antworten auf die akustischen Signale übrig bleiben. Diese Methode ermöglicht es, Hörstörungen zu identifizieren.
Das Verfahren eignet sich für Neugeborene und bewusstlose Personen, da es keine aktive Mitarbeit der Patient:innen erfordert.
Dadurch kann nicht nur die Funktionalität des Innenohrs belegt werden. Die Kurvenform und die Latenzzeiten zwischen Ton und Potenzialen ermöglichen häufig eine Bestimmung des Ortes der zugrundeliegenden zentralen Störung.