Zusammenfassung
Auch wenn es sich bei Calcaneusfrakturen um seltene Brüche handelt, zählen sie zu den häufigsten Frakturen der Fußwurzelknochen. Verursacht werden sie fast immer durch hochenergetische axiale Krafteinwirkung im Rahmen eines Sprungs aus großer Höhe oder bei Verkehrsunfällen. Aufgrund der Neigung zu massiven Weichteilschwellungen und der Entwicklung eines Kompartmentsyndroms (in 10% der Fälle) erfolgt fast immer eine stationäre Aufnahme bei Diagnosestellung.
InfoAufgrund des axialen Traumamechanismus (z.B. Sturz) sind bei Calcaneusverletzungen begleitende Wirbelsäulenverletzungen häufig!
Pathophysiologie
- Der primäre Mechanismus resultiert aus axialer Kraftübertragung über die laterale Talusspitze im Gissane-Winkel, weshalb die Frakturlinie nach plantar und von anterolateral nach posteromedial verläuft. Es entstehen ein anteromediales Sustentaculum-Fragment, das ligamentär mit dem Talus verbunden ist und ein dorsolaterales Tuberositas-Fragment.
- Der weitere Kraftverlauf ist abhängig von der Stellung des oberen Sprunggelenks. Bei Plantarflexion wirkt die Kraft nahezu vertikal auf den Calcaneus, es entsteht die oben genannte primäre Frakturlinie sowie sekundär eine Frakturlinie unterhalb der hinteren Facette nach posterior verlaufend. Das hintere untere Fragment wird durch den axialen Druck (da es nicht nach unten ausweichen kann) nach posterior gedrückt und das hintere obere Fragment kippt vorne nach unten und wird wie ein Hebel nach hinten aufgeklappt. Diese Form wird nach Essex und Lopresti Tounge-type-Fraktur genannt.
- Bei Dorsalextension hingegen wird die Kraft deutlich horizontaler, wodurch ebenfalls die oben beschriebene primäre Bruchlienie entsteht. Aufgrund der weiter posterior ansetztenden Kraft auf der hinteren Facette wird diese wie ein Keil nach unten gedrückt und es entsteht eine weitere Bruchlinie direkt hinter der Facette nach kaudal verlaufend. Das Keilfragment verdrängt dabei die beiden benachbarten Fragmente zur Seite. Nach Essex und Lopresti spricht man von einer Depression-type-Fraktur
Klassifikation
Sanders-Klassifikation
Das Verständnis der Frakturentstehung liefert jedoch noch keine prognostische Aussage. Eine therapeutisch und prognostisch aussagekräftige Klassifikation wurde durch Sanders erstellt. Diese basiert auf der Anzahl der Frakturfragmente in der koronalen (Frontalebene) CT-Bildgebung.
- Typ I: nicht-dislozierte Frakturen (1 Fragment), A = lateral, B = zentral, C = medial
→ Versorgung eher konservativ - Typ II: Fraktur mit zweigeteilter hinterer Facette (2 Fragmente), A = lateral, B = zentral, C = medial → Chirurgische Reposition und Osteosynthese
- Typ III: Fraktur mit dreigeteilter hinterer Facette (3 Fragmente), A = lateral, B = zentral, C = medial → Chirurgische Reposition und Osteosynthese
- Typ IV: Fraktur mit viergeteilter hinterer Facette (4 Fragmente), A = lateral, B = zentral, C = medial → Chirurgische Fusion
, da hohes Arthroserisiko
Diagnostik
Bei der Diagnostik sollte nach dem passenden Traumamechanismus Ausschau gehalten und eine zielgerichtete körperliche Untersuchung durchgeführt werden. Hinweise für einen bereits kritischen Weichteilzustand können eine massive Schwellung mit plantarem Hämatom, sowie Spannungsblasen sein. Ein Druckschmerz ist vor allem an der Ferse lokalisiert.
Bei Verdacht auf eine Calcaneusfraktur sollte ein Röntgenbild in 3 Ebenen (häufig des Fußes, bei zielgerichtetem Verdacht nur des Calcaneus möglich) angefertigt werden. Eine Abflachung des Böhler-Winkels im seitlichen Strahlengang < 20° kann ein erster Hinweis auf eine Fraktur durch einen Kollaps der hinteren Facette sein (Norm: 20-40°, Cave: es gibt auch einen Böhler-Winkel

Bei Hinweisen auf eine Fraktur oder kann eine Fraktur nicht sicher ausgeschlossen werden bei passender Klinik sollte eine CT-Untersuchung ergänzt werden. Diese liefert die Grundlage für die Therapie und eine orientierende Prognose abhängig vom Frakturtyp.
- Axiale CT-Ansicht: Beurteilung des calcaneocuboidalen Gelenks und Hinweise auf eine Subluxation der Peronealsehne
- Sagittale CT-Ansicht: Beurteilung des Subtalargelenks
- Coronale CT-Ansicht: Beurteilung der Dislokation
der hinteren Facette und der Fragmentanzahl Klassifikation nach Sanders



Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Klassifikation von Sanders. Nicht dislozierte, extraartikuläre Frakturen (Sanders Typ I), extreme Trümmerfrakturen, sowie eine limitierende Heilungssituation bei pAVK oder Diabetes mellitus
Konservative Therapie:
- Zunächst abschwellende Maßnahmen durch Hochlagerung und Kühlung (z.B. mittels „Hilotherm“) in Kombination mit Entlastung, Lymphdrainage und passiver Physiotherapie
- Nach ca. 2 Wochen nach Schwellungsrückgang Anlegen einer Fersenentlastungsorthese und Start der Teilbelastung ungefähr ab der 3. Woche
- Anschließend Belastungsaufbau bis zur Vollbelastung mit intermittierenden Röntgenkontrollen und schrittweiser Einlage von Druckaufbaupolstern mit Behandlungsabschluss ca. nach 3 Monaten
Sanders-Typ-II-IV-Frakturen, Avulsionsfrakturen der Achillessehne („Entenschnabelfrakturen“) und offene Frakturen sollten operiert werden. Dabei wird eine operative Therapie nach Abschwellung der Weichteile (ca. nach 7-14 Tagen) favorisiert. Notfallindikationen für eine sofortige Operation sind hingegen offene Frakturen, Avulsionsfrakturen der Achillessehne oder Frakturen mit Gefahr einer Durchspießung der Weichteile, sowie das Kompartmentsyndrom. Schädigungen der Peronealsehnen sollten nicht übersehen werden.
Operative Therapie: Nach der Operation sollte eine frühzeitige physiotherapeutische passive Beübung, sowie eine Gipsschienen-Anlage bis zur Wundheilung und anschließend die Anlage einer Fersenentlastungsorthese erfolgen
- Offene Reposition und interne Fixation (ORIF) mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese
- Bei guter Fragmentlage ggf. geschlossene Reposition und interne Fixation (CRIF) mittels perkutaner Osteosynthese
- „Entenschnabelfrakturen“ (Avulsionsfraktur der Achillessehne) meist mittels perkutaner Schraubenosteosynthese
- Bei Notfalloperationen ggf. kurzfristige Kunsthautdeckung und second-look-Operation im Verlauf erfolgen können
- Arthrodese (bei einem Trümmerbruch bzw. Sanders-Typ-IV-Frakturen kann aufgrund der signifikant erhöhten Arthrose-Neigung eine Arthrodese bevorzugt werden
- Teilweise ist die Verwendung eines Knochenspans zur Aufrichtung des Calcaneus notwendig
