Zusammenfassung
Die Beurteilung eines Neugeborenen umfasst verschiedene wichtige Aspekte, darunter die Ermittlung von Normwerten wie Gewicht, Länge und Kopfumfang sowie die Überprüfung von Reifezeichen wie Hautbeschaffenheit und Ohrknorpelbildung. Primäre Reflexe, beispielsweise der Moro- oder Suchreflex, sind ebenfalls von Bedeutung. Der APGAR-Score
Normwerte
In der Pädiatrie gibt es für fast alle bestimmbaren Parameter altersabhängige Normwerte. Da es wenig sinnvoll ist, sich alle Werte für jedes Alter zu merken, ist es in der Praxis hilfreich, Tabellen und Perzentilen
TippJe älter ein Kind wird, desto mehr gleichen sich die Werte natürlich denen von Erwachsenen an.
Bei Neugeborenen unterscheiden sich einige Parameter erheblich von denen Erwachsener. Daher ist es sinnvoll, sich zentrale Kenngrößen einzuprägen. So kann man bei der klinischen Beurteilung zügig eine Einschätzung vornehmen, ohne umfangreich nachschlagen zu müssen.
- Körpergröße: ca. 50 cm
- Körpergewicht: ca. 3-3,5 kg
- Kopfumfang: ca. 35 cm
- Atemfrequenz: ca. 40/Min
- Herzfrequenz
: 110-180/Min - Körpertemperatur
: 36,6 – 37,3 °C - Blutdruck: 60/35 mmHg
- Direktes Bilirubin
: < 1 mg/dl - Blutvolumen: ca. 85 ml/kgKG
Nabelschnur-pH:
pH-Wert Bewertung >7,30 normal 7,20-7,29 leichte Azidose 7,1-7,19 mittelgradige Azidose 7,0-7,09 fortgeschrittene Azidose <7,0 schwere Azidose Bewertung des pH-Wertes aus dem Nabelschnurblut - Erste Urinausscheidung innerhalb von 24 Std nach Geburt
- Mekoniumabgang innerhalb von 48 Std
Reifezeichen
Reifezeichen des Neugeborenen geben Hinweise auf den Entwicklungsstand und können bei der Beurteilung des Gesundheitszustands helfen. Man unterscheidet zwischen somatischen und neuromuskulären Reifezeichen.
Somatische Reifezeichen
Zu den somatischen Reifezeichen zählen folgende, klinisch zu beobachtende Kriterien, die Rückschlüsse auf die körperliche Entwicklung des Neugeborenen zulassen. Diese Zeichen ermöglichen eine Einschätzung der Reife des Neugeborenen hinsichtlich seiner äußeren, körperlichen Merkmale:
- Rosige Haut ohne sichtbare Venenzeichnung, was auf eine gut entwickelte subkutane Fettschicht hindeutet
- Wenig bis keine Lanugo-Behaarung, was typischerweise bei reif geborenen Kindern zu beobachten ist, da diese feinen Haare in den letzten Wochen der Schwangerschaft zurückgehen
- Ein voll ausgebildeter und fester Ohrknorpel, der zeigt, dass das Ohr bereits eine stabile Struktur hat
- Gut erkennbare und ausgeprägte Brustwarzen
- Bei Jungen sollten die Hoden deszendiert sein, und bei Mädchen sollten die inneren Labien von den äußeren Labien bedeckt sein
- Querfalten in den Fußsohlen
- Nägel, die die Finger- oder Zehenkuppen bedecken oder sogar überragen, was auf eine längere intrauterine Wachstumsphase hindeutet
Neuromuskuläre Reifezeichen
Neuromuskuläre Reifezeichen, auch als funktionelle Reifezeichen bezeichnet, beziehen sich auf die neurologische und muskuläre Entwicklung des Neugeborenen. Diese Kriterien geben Aufschluss darüber, inwiefern das Neugeborene in der Lage ist, seine Bewegungen zu kontrollieren und grundlegende Reflexe zu zeigen, die auf eine gesunde neurologische Entwicklung hindeuten:
- Körperhaltung: Die typische Körperhaltung eines reifen Neugeborenen zeichnet sich durch eine physiologische Beugehaltung der Extremitäten aus. Arme und Beine sollten gebeugt und nicht schlaff sein, da dies auf einen normalen Muskeltonus
und eine gut entwickelte Muskelkontrolle hinweist. Zudem sollte das Neugeborene den Kopf kurzzeitig heben und aufrecht halten können, was ein Zeichen für eine gute neuromuskuläre Reifung ist - Neugeborenenreflexe: Diese Reflexe, die nur in den ersten Lebensmonaten auftreten, sind ebenfalls wichtige Hinweise auf die neuromuskuläre Reife. Zu den wichtigsten Reflexen gehören der Moro-Reflex
, der Saugreflex, der Greifreflex und der Schreitreflex. Sie zeigen, dass das zentrale Nervensystem des Kindes altersgemäß entwickelt ist und adäquat auf Reize reagieren kann. Das Vorhandensein und die Stärke dieser Reflexe lassen Rückschlüsse auf den neurologischen Zustand des Neugeborenen zu
Neugeborenenreflexe
Als Neugeborenenreflexe, auch frühkindliche Reflexe genannt, bezeichnet man eine Reihe von Reflexen, die in bestimmten Entwicklungsphasen des Kindes auftreten, sich in charakteristischer Weise wieder zurückbilden oder - je nach Reflex
Name | Bewegung bzw. Ablauf | Lebensalter | Abbildung |
---|---|---|---|
Asymmetrischer tonischer Nackenreflex | Wird durch die Kopfdrehung zur Seite ausgelöst, wobei auf der Gesichtseite eine Streckung von Arm und Bein und auf der Hinterhauptseite eine Beugung von Arm und Bein erfolgt | 0.-2. Lebensmonat | |
Moro Reflex | Plötzliches Verlagern des Säuglings von einer aufrechten Position in eine liegende Position führt zuerst zu einer Streck- und dann zu einer umklammernden Beugebewegung der Extremitäten | 0.-3./4. Lebensmonat | |
Saugreflex | Beginn des Saugens bei Berührung der Lippen | 0.-3./4. Lebensmonat | |
Schluckreflex | Schlucken bei Berührung des Zungengrundes, des Gaumenbogens oder der Pharynx-Hinterwand | 0.-3./4. Lebensmonat | |
Suchreflex | Zuwenden des Kopfes und das Öffnen des Mundes bei Berührung der Wange. | 0.-3./4. Lebensmonat | |
Galant Reflex | Halten des Neugeborenen auf dem Bauch, bestreichen der paravertebralen Haut führt zu einer ipsilateralen Krümmung des Rumpfes | 0.-5./6. Lebensmonat | |
Palmarer Greifreflex | Berührung der Handinnenfläche führt zum Faustschluss | 0.-5./6. Lebensmonat | |
Plantarer Greifreflex | Berührung der Fußsohle führt zum Zusammenkrümmen des Fußes | 0.-5./6. Lebensmonat | |
Babinski-Reflex | Kräftiges Bestreichen der lateralen Fußsohle führt zu einer Beugung und Spreizung der Kleinzehen und Dorsalextension der Großzehe | 0.-12. Lebensmonat |
|
Landau-Reflex | Halten des Säuglings in schwebender Bauchlage führt zu Hebe des Kopfes und Strecken der Wirbelsäule und Beine | 4.-18. Lebensmonat | |
Sprungbereitschaft | Umgreifendes Halten des Bauches und Thorax | Ab 5. Lebensmonat, bleibend |
APGAR-Score
Der APGAR-Score
Folgende Parameter werden benutzt und wie angegeben bewertet:
APGAR | Parameter | 0 Punkte | 1 Punkt | 2 Punkte |
---|---|---|---|---|
Appearance | Hautfarbe | Blass/blau | Akrozyanose (Stamm rosig, Extremitäten blau) | rosig |
Pulse | Puls | Kein Puls | < 100/min | > 100/min |
Grimace | Absaugereflex | keine | Grimassieren | Schreien |
Activity | Muskeltonus | schlaff | leichte Flexionsbewegungen | Eigene aktive Bewegungen |
Respiration | Atmung | keine | Unregelmäßig & langsam bzw. Schnappatmung | Regelmäßig (40/min) |
Insgesamt können beim APGAR-Score
Der APGAR-Score
Untersuchung eines Neugeborenen
Bei der Untersuchung eines Neugeborenen ist es hilfreich, nach einem Schema vorzugehen, um nichts zu vergessen. Beispielhaft ist hier der Ablauf einer vollständigen körperlichen Untersuchung eines Neugeborenen.
- Ausziehen des Neugeborenen und auf warme, geschützte Umgebung achten (bspw. unter Wärmelampe)
- Beurteilung des Hautkolorits (rosig/gräulich/marmoriert)
Rekapillarisierungszeit
(= Zeitdauer bis zur sichtbaren kapillären Wiederfüllung = Rötung nach Druck auf das Sternum) Achtung
Eine Rekapillarisierungszeit
von mehr als 3 Sekunden ist auffällig und kann auf eine gestörte periphere Durchblutung oder eine Kreislaufinsuffizienz hinweisen. - Beurteilung der somatischen Reifezeichen
- Beurteilung der neuromuskulären Reifezeichen
- Fontanellen tasten und auskultieren
Cor/Pulmo/Abdomen: Auskultieren
Tipp
Es bietet sich an, die Herzauskultation so früh wie möglich durchzuführen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Babys oft noch ruhig und entspannt, was die Untersuchung erleichtert. Je weniger gestört oder unruhig das Kind ist, desto klarer und zuverlässiger lassen sich Herztöne und eventuelle pathologische Geräusche (z. B. Herzgeräusche
oder rhythmische Unregelmäßigkeiten) wahrnehmen. - Abdomen: Palpation
- Pulsstatus: Leisten und Oberarm
- Genitale (Hoden aszendiert/deszendiert, Labien)
- Gaumenspalte geschlossen? (bei Reflexstatus zusammen mit Saugreflex prüfen)
Fundus Reflex
Achtung
Retinoblastom
Beim Fundusreflex ist besondere Vorsicht geboten, weil ein fehlender oder veränderter Fundusreflex (normalerweise erscheint der Fundusreflex als roter Lichtreflex im Auge
) auf das Vorliegen eines Retinoblastoms hinweisen kann. Ein Retinoblastom ist ein bösartiger Tumor der Netzhaut, der häufig im Kindesalter auftritt. Anstelle des normalen roten Reflexes kann ein weißlicher Reflex
(Leukokorie) sichtbar sein, was ein typisches Anzeichen für diese Erkrankung ist. Frühzeitiges Erkennen ist entscheidend, da ein unbehandeltes Retinoblastom das Sehvermögen bedrohen und potenziell lebensgefährlich sein kann. - Auf Bauch drehen:
Wirbelsäule durchgehend? Grübchen am Po/Rücken
Achtung
Spina bifida bezeichnet eine Fehlbildung des Neuralrohrs, bei der sich Teile der Wirbelsäule und des Rückenmarks nicht vollständig schließen. Diese Fehlbildung entsteht während der frühen Schwangerschaft und führt dazu, dass ein Teil des Rückenmarks und der umgebenden Strukturen ungeschützt bleibt. Es gibt unterschiedliche Schweregrade:
- Spina bifida occulta: Eine mildere Form, bei der der Defekt oft nur einen oder wenige Wirbel betrifft und meist keine sichtbaren oder schweren Symptome auftreten. Sie wird oft nur zufällig entdeckt
- Meningozele: Hier wölben sich die Hirnhäute durch eine Lücke in der Wirbelsäule nach außen, aber das Rückenmark bleibt in der Wirbelsäule. Die neurologischen Auswirkungen sind variabel
- Myelomeningozele: Die schwerste Form, bei der das Rückenmark und die Hirnhäute durch eine größere Lücke in der Wirbelsäule nach außen treten. Dies führt häufig zu schweren neurologischen Beeinträchtigungen, wie Lähmungen, Blasen- und Darmfunktionsstörungen
- Galant Reflex
durchführen - Lunge auskultieren
Quellen
- Kinder-Richtlinie zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern, gemeinsamer Bundesausschuss
- Seelisch gesund aufwachsen, Deutsche Liga für das Kind
- Reifezeichen des Neugeborenen, Pschyrembel online
- Gramer et al.: Neugeborenenscreening 2020: Perspektiven der Krankheitsfrüherkennung, Springer Nature Link