Zusammenfassung
Der Begriff Diabetes mellitus bezeichnet eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, die durch eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels (Hyperglykämie) aufgrund eines absoluten oder relativen Insulinmangels gekennzeichnet sind. Die beiden wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind Diabetes mellitus Typ 1 und Diabetes mellitus Typ 2.
Beim Typ-1-Diabetes kommt es im Rahmen einer Autoimmunreaktion zur Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen im Pankreas. Es entsteht ein absoluter Insulinmangel, der von Beginn an eine Insulintherapie erforderlich macht. Beim Typ-2-Diabetes handelt es sich um eine multifaktoriell bedingte Erkrankung, die durch eine gestörte Insulinsekretion der ß-Zellen in Kombination mit einer Insulinresistenz peripherer Gewebe (relativer Insulinmangel) gekennzeichnet ist. Mit Fortschreiten der Erkrankung nimmt die Funktion der ß-Zellen jedoch weiter ab, woraus wiederum ein absoluter Insulinmangel resultieren kann.
Klinisch manifestiert sich der Diabetes mellitus Typ 1 meist akut und im jüngeren Lebensalter. Zu den klassischen Insulinmangelsymptomen zählen u.a. Polyurie
Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung steht diagnostisch die Bestimmung verschiedener Blutzuckerwerte im Vordergrund. Für eine weitere Differenzierung können außerdem die Bestimmung von C-Peptid

Übergeordnete Therapieziele umfassen die Einstellung des Blutzuckerspiegels sowie die Prävention von Langzeitkomplikationen. Beim Typ-1-Diabetes ist eine lebenslange Insulintherapie notwendig, während beim Typ-2-Diabetes zunächst nicht-medikamentöse Maßnahmen im Vordergrund stehen.
Bei allen Diabetesformen können anhaltend erhöhte Blutzuckerspiegel
Epidemiologie
- Weltweite Entwicklung: Die Prävalenz des Diabetes mellitus nimmt global zu, insbesondere aufgrund des steigenden Anteils von Typ-2-Diabetes. Als wesentliche Risikofaktoren gelten Übergewicht, Bewegungsmangel, aber auch genetische Prädisposition, Alter und sozioökonomische Einflüsse
- Deutschland: Etwa 9,5 Millionen Menschen sind betroffen.
- Diabetes mellitus Typ 2: Rund 9,1 Millionen Menschen (über 90 % aller Diabetesfälle)
- Diabetes mellitus Typ 1: Etwa 400.000 Menschen
Ursachen
Diabetes mellitus Typ 1
- Multifaktorielle Genese: chronische (meist autoimmunbedingte) Zerstörung der insulinproduzierenden ß-Zellen des Pankreas (→ Absoluter Insulinmangel)
- Auslöser der Autoimmunreaktion:
- Genetische Prädisposition (starke Assoziation mit HLA-DR3 und -DR4)
- Umweltfaktoren (z.B. virale Infektionen, Chemikalien, Toxine)
- Auslöser der Autoimmunreaktion:
- Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen (z.B. Zöliakie
, Morbus Addison , Hashimoto-Thyreoiditis )
Diabetes mellitus Typ 2
- Multifaktorielle Genese:
- Genetische Faktoren (starke erbliche Komponente)
- Weitere Risikofaktoren:
- Lebensstil (Bewegungsmangel, fettreiche und ballaststoffarme Ernährung, Rauchen)
- Metabolisches Syndrom
- Medikamente (z.B. Glucocorticoide
, Antipsychotika )
InfoDer genetische Einfluss ist bei Typ-2-Diabetes ausgeprägter als bei Typ-1-Diabetes. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit einem erkrankten Elternteil im Laufe seines Lebens an Typ-2-Diabetes erkrankt, liegt bei 50 %. Bei eineiigen Zwillingen liegt die Konkordanzrate sogar bei >90 %.
Klassifikation
Die Klassifikation des Diabetes mellitus (nach ADA und WHO) orientiert sich an den verschiedenen Ursachen:
Klasse (Typ) | Ursache | Merkmale und Beispiele |
I (Typ 1) | Immunologisch (Typ 1A) | ß-Zell-Destruktion, absoluter Insulinmangel |
Idiopathisch (Typ 1B) | ||
II (Typ 2) | Genetische Prädisposition und Umwelteinflüsse | Insulinresistenz mit relativem Insulinmangel (später auch absoluter Insulinmangel) |
III (Sonderformen) | Genetisch bedingte ß-Zell-Störung (MODY) | Keine Antikörper, Manifestation vor dem 25. Lebensjahr |
Genetisch bedingte Insulinresistenz | Hohe Insulinspiegel im Plasma | |
Pankreopriver Diabetes mellitus | z.B. chronische Pankreatitis | |
Sekundär endokriner Diabetes mellitus | z.B. Cushing Syndrom | |
Iatrogen | Medikamente (z.B. Glucocorticoide | |
Infektiös | z.B. CMV, kongenitale Röteln | |
Immunologisch | z.B. Anti-Insulinrezeptor-Antikörper bei SLE | |
Andere genetische Syndrome | z.B. Down-, Klinefelter-, Turner-Syndrom, Chorea Huntington | |
IV (Gestationsdiabetes) | Gestörte Glucosetoleranz in der Schwangerschaft | Erstmanifestation in der Schwangerschaft, erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes nach der Geburt |
InfoLADA (Latent Autoimmune Diabetes in Adults)
LADA ist eine Sonderform des Typ-1-Diabetes, die sich erst im Erwachsenenalter manifestiert.
Die Autoimmunreaktion verläuft langsamer, wodurch initial häufig fälschlich eine Diagnose als Typ-2-Diabetes gestellt wird. Charakteristisch sind positive Autoantikörper bei fehlender Insulinresistenz.
Pathophysiologie
Sekretion und Wirkung von Insulin
Insulinsekretion:
Insulin
Die Ausschüttung von Insulin
Steigt der Blutzuckerspiegel
das physiologisch wirksame Insulin
Anschließend werden beide durch Exozytose
An den Zielzellen bindet Insulin
MerkeDer wichtigste Stimulus für die Insulinsekretion ist der Anstieg des Blutzuckerspiegels.
Wirkung:
Insulin
Wirkungen von Insulin | Folgen bei Insulinmangel | |
Kohlenhydratstoffwechsel |
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Fettstoffwechsel |
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Proteinstoffwechsel |
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Kaliumhaushalt ![]() |
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Diabetes mellitus Typ 1
Pathophysiologie
Diabetes mellitus Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zur progredienten Zerstörung der insulinproduzierenden ß-Zellen in den Langerhans-Inseln des Pankreas
MerkeKlinische Symptome treten typischerweise erst auf, wenn mehr als 80 % der ß-Zellen zerstört sind.
Pathophysiologischer Verlauf:
Der pathophysiologische Ablauf kann in die Phasen der genetischen Prädisposition, Entstehung und Progression der Autoimmunreaktion gegen die ß-Zellen sowie schließlich die klinische Manifestation eingeteilt werden.
- Genetische Prädisposition:
- Mehr als 40 verschiedene Gen-Loci sind mit Typ-1-Diabetes assoziiert
- Der Hauptanteil des familiären Risikos ist durch HLA-Gene determiniert
- HLA-Gene beeinflussen die T-Zell-Selektion, Antigenpräsentation und Immunantwort, was ihre Rolle in der Initiierung des Autoimmunprozesses erklärt
- Zwei Kombinationen von HLA-Genen/Haplotypen sind als Risikogene von besonderer Bedeutung: DR4-DQ8 und DR3-DQ2 (→ Bei bis zu 90 % der Kinder mit Diabetes nachweisbar)
- Bei Personen mit hohem genetischen Risiko werden Beginn und Progression der Autoimmunität durch Umweltfaktoren (z.B. Infektionen oder Ernährungsfaktoren) beeinflusst
- Initiierung der Autoimmunreaktion
- Autoantikörper gegen Inselzellantigene nachweisbar (→ Entscheidend für die Progression zum Typ-1-Diabetes)
- Progrediente ß-Zell-Degeneration → Prädiabetes
- Manifestation:
- Bei Unterschreiten einer kritischen Zahl der noch verbliebenen β-Zellen (etwa 15–20 % der Ausgangsmasse) → Klinische Manifestation
- Absoluter Insulinmangel → Exogene Insulinzufuhr notwendig
InfoNeben dem autoimmunbedingten Typ-1-Diabetes (Typ 1A) existieren seltene idiopathische Formen, die unter dem Begriff Typ-1B-Diabetes zusammengefasst werden. Diese verlaufen klinisch ähnlich, jedoch ohne Nachweis von Autoantikörpern. Die zugrunde liegende Pathophysiologie ist bislang nicht vollständig geklärt.
Diabetes mellitus Typ 2
Pathophysiologie
Diabetes mellitus Typ 2 ist eine multifaktoriell bedingte Erkrankung, die durch eine gestörte Insulinsekretion der β-Zellen in Kombination mit einer Insulinresistenz peripherer Gewebe gekennzeichnet ist.
Der pathologische Prozess wird durch verschiedene Faktoren wie genetische Prädisposition oder Lebensstil beeinflusst. Über das Stadium der gestörten Glucosetoleranz kommt es im Verlauf von Monaten bis Jahren zur Manifestation der diabetischen Stoffwechsellage.
Pathophysiologischer Verlauf:
- Periphere Insulinresistenz:
- Periphere Zielgewebe (v.a. Muskeln, Fett, Leber
) sprechen vermindert auf Insulin an - Ursachen: genetische Prädisposition, Übergewicht
(v.a. viszerale Adipositas ), Bewegungsmangel, Umweltfaktoren
- Ursachen: genetische Prädisposition, Übergewicht
- Zunächst kompensatorische Steigerung der Insulinsekretion (→ Führt trotz Insulinresistenz zu einer Phase der kompensierten Normoglykämie)
- Hohe Insulinspiegel fördern die Resistenz peripherer Insulinrezeptoren (→ Relativer Insulinmangel)
- Insulinabhängige Glucoseaufnahme in Muskel- & Fettzellen↓ → Blutzuckerspiegel
↑ - Hemmende Wirkung von Insulin
↓ → Glykogenolyse & Gluconeogenese↑ → Blutzuckerspiegel ↑
- Insulinabhängige Glucoseaufnahme in Muskel- & Fettzellen↓ → Blutzuckerspiegel
- Periphere Zielgewebe (v.a. Muskeln, Fett, Leber
- ß-Zell-Dysfunktion:
- Chronischer Anstieg von Fettsäuren und Glucose
im Blut (Gluco-Lipo-Toxizität) → Langfristige Schädigung der ß-Zellen - Kontinuierliche Abnahme der Insulinsekretion
- Chronischer Anstieg von Fettsäuren und Glucose
Klinik
Allgemeine Insulinmangelsymptome
- Polyurie
(Glucosurie mit osmotischer Diurese) - Polydipsie
(Kompensation des Flüssigkeitsverlustes durch Polyurie ) - Müdigkeit & Abgeschlagenheit
- Leistungsminderung
- Gewichtsverlust (v.a. bei Typ-1-Diabetes)
- Sehstörungen (durch osmotisch bedingte Linsenveränderungen)
- Pruritus
- Wadenkrämpfe
- Wundheilungsstörungen
- Infektneigung
Charakteristika des Diabetes mellitus Typ 1
- Manifestation:
- Meist im jüngeren Lebensalter
- Häufig akuter Beginn (innerhalb weniger Wochen)
- In vielen Fällen Erstmanifestation als diabetische Ketoazidose
- Klassische Insulinmangelsymptome: Polyurie
, Polydipsie , Gewichtsverlust etc. (siehe allgemeine Symptome)
MerkeDer Typ-1-Diabetes entwickelt sich meist rasch und manifestiert sich nicht selten erstmals in Form einer diabetischen Ketoazidose. Zu den Leitsymptomen der Ketoazidose zählen u.a. heftige Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, acetonartiger Atemgeruch und Bewusstseinsstörungen.
Charakteristika des Diabetes mellitus Typ 2
- Manifestation:
- Meist ältere Personen (>40 Jahre)
- Schleichender Beginn (häufig Zufallsdiagnose im Rahmen von Routineuntersuchungen)
- Häufig bestehen bereits Folgeerkrankungen (z.B. KHK
, Retinopathie)
- Symptomatik:
- Klassische Insulinmangelsymptome meist nicht im Vordergrund (→ Äußern sich in der Regel erst bei ausgeprägter Hyperglykämie)
- Gelegentlich unspezifische Beschwerden wie Pruritus, Müdigkeit und Leistungsabfall, verminderte Libido, Harnwegsinfektionen, Wundheilungsstörungen oder Infektneigung
Diagnostik
Anamnese
- Symptome: Polyurie
, Polydipsie, Gewichtsverlust, Sehstörungen, Müdigkeit etc. - Medikamentenanamnese: Einnahme diabetogener Medikamente (z.B. Glucocorticoide
, Diuretika , atypische Antipsychotika )? - Familienanamnese:
- Diabetes mellitus bei Verwandten 1. oder 2. Grades?
- Familiäre Häufung von metabolischem Syndrom, Hypertonie, Dyslipidämie?
- Risikofaktoren: Lebensstil (Bewegungsmangel, unausgewogene Ernährung
, Nikotinabusus), Adipositas (insb. viszerale Adipositas )
Körperliche Untersuchung
- Allgemeinzustand und Vitalparameter:
- Körpergewicht, Körpergröße, BMI
, Bauchumfang - Blutdruck und Pulsstatus (inkl. Fußpulse)
- Inspektion der Haut, Schleimhäute und Skleren (trockene Haut, schlecht heilende Wunden, Pruritus etc.)
- Auskultation des Herzens
(Hinweise auf bereits bestehende Folgeerkrankungen wie KHK ?)
- Körpergewicht, Körpergröße, BMI
Labor
Bei der Erstdiagnostik einer vermuteten Glucosestoffwechselstörung werden verschiedene Blutzuckerwerte bestimmt:
- Nüchternblutzucker: Bestimmung der Blutzuckerkonzentration 8-12 Stunden nach der letzten Kalorienzufuhr
- HbA1c
: Parameter für den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel der vergangenen 8-12 Wochen - Gelegenheitsblutzucker: Bestimmung des Blutzuckerspiegels zu einem beliebigen Zeitpunkt
- Oraler Glucosetoleranztest (oGTT
): - Ablauf: Nüchternblutentnahme (nach 8-12 Stunden Nüchternheit) → Orale Einnahme von 75 g Glucose
→ Nach 2 Stunden erneute Blutzuckerbestimmung - Indikationen:
- Bei diskrepnaten Ergebnissen der verschiedenen Messgrößen
- Gestationsdiabetes-Screening
- Personen mit erhöhtem Risiko und grenzwertigen Glucosewerten
- Ablauf: Nüchternblutentnahme (nach 8-12 Stunden Nüchternheit) → Orale Einnahme von 75 g Glucose
Bestimmung aus venösem Plasma | Kein Diabetes | Prädiabetes | Diabetes |
Nüchternblutzucker | <100 mg/dl (<5,6 mmol/l) | 100–125 mg/dl (5,6–6,9 mmol/l) → Abnorme Nüchternglucose | ≥126 mg/dl (≥7,0 mmol/l) |
HbA1c | <5,7% (<39 mmol/mol) | 5,7–6,4% (39–48 mmol/mol) | ≥6,5% (≥48 mmol/mol) |
Gelegenheitsblutzucker | Wird nicht zum Ausschluss eines Diabetes verwendet | ≥200 mg/dl (≥11,1 mmol/l) | |
oGTT | <140 mg/dl (<7,8 mmol/l) | 140–199 mg/dl (7,8–11,0 mmol/l) → Pathologische Glucosetoleranz | ≥200 mg/dl (≥11,1 mmol/l) |
MerkeFür die Diagnose eines Typ-1-Diabetes muss mindestens ein Blutzuckerparameter pathologisch erhöht sein. Für die Diagnose eines Typ-2-Diabetes ist dagegen der Nachweis von mindestens zwei pathologischen Blutzuckerparametern (z.B. durch mehrfache Messung des Nüchternblutzuckers oder simultane Bestimmung eines anderen Parameters) erforderlich.
Parameter zur Klassifizierung des Diabetes mellitus
C-Peptid :
- Marker der körpereigenen Insulinsekretion → Unterscheidung zwischen Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes:
- Typ-1-Diabetes: C-Peptid
↓↓ (durch absoluten Insulinmangel) - Typ-2-Diabetes: C-Peptid
↔/↑ (Insulinresistenz → Kompensatorisch gesteigerte Insulinsekretion) - Bei Versagen der Insulinsekretion im Spätstadium auch erniedrigte Werte möglich
- Typ-1-Diabetes: C-Peptid
- Indikation: unklare Abgrenzung zwischen Typ-2- und Typ-1-Diabetes
Autoantikörper:
- Indikationen:
- Frühdiagnostik/Screening eines Typ-1-Diabetes bei Personen mit positiver Familienanamnese
- Diagnosesicherung eines Typ-1-Diabetes inkl. LADA (Latent Autoimmune Diabetes in Adults)
- Differentialdiagnose eines Diabetes bei polyendokrinen Erkrankungen
- Ausschluss eines autoimmunen Diabetes bei Verdacht auf MODY oder bei Erkrankungen des exokrinen Pankreas
- Typische Autoantikörper:
- Anti-Glutamatdecarboxylase-Antikörper (Anti-GADA)
- Anti-Inselzellantigen-2-Antikörper (Anti-IA2-AK)
- Anti-Zinktransporter-8-Antikörper (Anti-ZnT8-AK)
- Anti-Insulin
-Autoantikörper (Anti-IAA)
Erweiterte Laborwerte bei Erstdiagnose
- Lipidstatus
- Nierenfunktion: Retententionsparameter und GFR
- Urinstatus:
- Glucosurie
: bei Blutzuckerwerten über der normalen Nierenschwelle - Normale Nierenschwelle: 150–180 mg/dl
- Die Bestimmung der Glucose im Urin
ist nicht zur Diagnosesicherung geeignet
- Proteinurie
: Albuminurie Grad A2 als Frühzeichen einer diabetischen Nephropathie - Ketonurie
: bei vermehrter Synthese von Ketonen (insb. bei Typ-1-Diabetes)
- Glucosurie
Differenzierung zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und 2
Die Differenzierung zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 kann aufgrund ähnlicher Symptome schwierig sein. Deshalb sollten möglichst viele der unten aufgelisteten Merkmale beurteilt werden.
Typ-1-Diabetes | Typ-2-Diabetes | |
Häufigkeit | 5-10% | 90-95% |
Pathogenese | Autoantikörper, absoluter Insulinmangel | Insulinresistenz & -sekretionsstörung (zunächst relativer, im Verlauf ggf. absoluter Insulinmangel) |
Typisches Manifestationsalter | Kindes- bis Erwachsenenalter | Erwachsenenalter |
Gewicht | Eher Normalgewicht | Meist Übergewicht |
Klinische Manifestation | Akut: Polyurie | Schleichender Verlauf, i.d.R. bereits Folgeerkrankungen vorhanden |
Neigung zur Ketose | Ja | Nein |
Stoffwechsellage | Labil | Stabil |
C-Peptid | Vermindert bis fehlend | Zu Beginn oft erhöht, dann vermindert |
Autoantikörper | Ja | Nein |
Therapie | Insulintherapie immer erforderlich | Anpassung des Lebensstils, orale Antidiabetika |
InfoBei Personen ≥30 Jahre wird in >40% der Fälle anstatt eines Typ-1-Diabetes fälschlicherweise ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert.
Differentialdiagnosen
- Metabolische Azidose
: - Diarrhö
- Akute Nierenschädigung
oder chronische Nierenerkrankung - Renal tubuläre Azidose
- Laktatazidose
- Nicht diabetische Ketoazidose:
- Nahrungskarenz
- Ketogene Diät
- Diarrhö
- Polyurie
und/oder Polydipsie: - Diabetes insipidus
- Psychogene Polydipsie
- Elektrolytstörungen
- Diabetes insipidus
Therapie
Festlegung der Therapieziele
Die allgemeinen Grundsätze zur Festlegung von Therapiezielen gelten für alle Diabetesformen. Sie bilden das Fundament jeder modernen Diabetestherapie.
Partizipative Entscheidungsfindung:

- Patient:innen sollen aktiv in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden
- Initiale und wiederholte gemeinsame Evaluation und ggf. Adaption der allgemeinen und individuellen Therapieziele
- Verständliche Kommunikation über Vor- und Nachteile der verschiedenen Therapieoptionen
- Ziele und Nutzen der partizipativen Entscheidungsfindung:
- Verbesserung der Behandlungszufriedenheit
- Erhöhung der Adhärenz
- Reduktion des Therapieaufwands
- Bessere Integration der Therapie in den Alltag
- Förderung der Autonomie von Patient:innen
MerkeDie partizipative Entscheidungsfindung soll fester Bestandteil jeder gesundheitsbezogenen Entscheidung im Therapieverlauf sein.
Individuelle Therapieziele:
Die Therapieziele sollten realistisch, patient:innenzentriert und individuell angepasst sein. Medizinisch „ideale“ Werte können abhängig von verschiedenen Einflussfaktoren von den individuell angemessenen Zielen abweichen.
- Mögliche Einflussfaktoren:
- Geschlecht, Alter, Lebenserwartung
- Lebensstil
- Werte und Lebensziele
- Häusliches und berufliches Umfeld
- Lebensqualität und psychosoziale Belastung durch die Therapie
- Kognitive, motorische und visuelle Fähigkeiten
- Technikanwendungskompetenz (z. B. CGM, Insulinpumpe)
MerkeIndividuelle Therapieziele sollten gemeinsam mit den Patient:innen priorisiert und kontinuierlich überprüft werden.
Diabetes mellitus Typ 1
Therapieziele
Übergeordnete Therapieziele:
- Senkung der Mortalität
- Vermeidung von Akutkomplikationen (schwere Hypo- oder Hyperglykämien, Ketoazidosen, diabetisches Koma)
- Vermeidung mikro- und makrovaskulärer Folgeerkrankungen (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie, Makroangiopathie)
- Erhalt einer möglichst stabilen Stoffwechsellage (Vermeidung starker Blutzuckerschwankungen)
- Erhalt der Lebensqualität und beruflichen bzw. gesellschaftlichen Teilhabe
- Adipositas
vermeiden bzw. reduzieren - Optimierung weiterer Risikofaktoren (z.B. Nikotinkarenz, Vermeidung von arterieller Hypertonie
und Hyperlipidämie )
HbA1c -Zielwerte:
Die Festlegung der Zielwerte sollte grundsätzlich immer durch partizipative Entscheidungsfindung und unter Berücksichtigung von Nutzen, Risiko, Lebensstil und Therapieadhärenz erfolgen. Dennoch gibt es allgemeine Empfehlungen, die als Orientierung
Situation | Empfohlener HbA1c |
Geringes Hypoglykämierisiko, z. B. bei Neumanifestation | ≤6,5% (≤48 mmol/mol) |
Ohne schwere Hypoglykämien | ≤7,5% (≤58 mmol/mol) |
Hohe Hypoglykämiegefahr, mangelnde Therapiesicherheit oder Komorbiditäten | <8,5% (69 mmol/moll) |
Glykämische Zielbereiche bei CGM (Continous Glucose Monitoring):
Die glykämischen Zielbereiche beschreiben, wie viel Prozent der Zeit der Glucosewert innerhalb eines definierten Bereichs liegen sollte. Sie bieten somit einen quantitativen Überblick über die Glucosekontrolle im Tagesverlauf:
- Time in Range:
- Definition: Anteil der Zeit, in dem die interstitiellen Glucosewerte innerhalb des Zielbereichs von 70–180 mg/dl liegen
- Empfehlung: ≥70% der Tageszeit
- Time below Range:
- Definition: Anteil der Zeit, in dem die interstitiellen Glucosewerte unterhalb des Zielbereichs liegen
- Empfehlung:
- <70 mg/dl: <4 % der Zeit
- <54 mg/dl: <1 % der Zeit (→ Klinisch relevante Hypoglykämie)
- Time above Range:
- Definition: Anteil der Zeit, in dem die interstitiellen Glucosewerte oberhalb des Zielbereichs liegen
- Empfehlung:
- >180 mg/dl: <25 % der Zeit
- >250 mg/dl: <5 % der Zeit
DefinitionCGM steht für „Continuous Glucose
Monitoring“. Dabei wird der interstitielle Glucosegehalt mittels Glucosesensor im subkutanen Fettgewebe wiederholt gemessen (alle 1-5 Minuten). Das System besteht aus Sensor (subkutan), Transmitter (auf der Haut) sowie Empfänger (Lesegerät oder Smartphone) und dient der kontinuierlichen Therapieüberwachung.
Ernährung:
- Kohlenhydratanteil: sollte geschätzt werden können (Schulung zur Kohlenhydratberechnung)
- Mediterrane Kost: kann bei Übergewicht
empfohlen werden - Alkoholkonsum:
- Begrenzung der Alkoholmenge (wie auch für die Allgemeinbevölkerung empfohlen): ♂ ≤24 g/d, ♀ ≤12 g/d
- Patient:innen sollten über das erhöhte Risiko schwerer Hypoglykämien
beim Genuss größerer Mengen Alkohol informiert werden (→ Eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme reduziert dieses Risiko und wird daher empfohlen).
Schulung
- Allen Patient:innen mit Typ-1-Diabetes sollten unmittelbar nach Diagnose sowie regelmäßig im Verlauf der Erkrankung strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramme angeboten werden.
- Patient:innen mit Typ-1-Diabetes und Problemen im Zusammenhang mit Hypoglykämien
sollte eine Schulung zur Verbesserung der Wahrnehmung und des Umgangs mit Hypoglykämien angeboten werden.
Insulintherapie

Bei Patient:innen mit Typ-1-Diabetes ist immer eine lebenslange Insulintherapie erforderlich. Sie dient dem Ersatz des fehlenden körpereigenen Insulins
- Basaler Insulinbedarf (mahlzeitenunabhängig): ca. 50–60% des Tagesbedarfs
- Prandialer Insulinbedarf (mahlzeitenabhängig): ca. 40–50% des Tagesbedarfs
Berechnungsgrundlagen:
- Mithilfe der Kohlenhydrateinheit (KE) kann der Kohlenhydratgehalt von Lebensmitteln in Insulineinheiten umgerechnet werden.
- 1 KE ≙ 10 g Kohlenhydrate → Blutzuckeranstieg um ca. 30–40 mg/dl
- Die Angabe der Kohlenhydratmenge ist bei allen verpackten Lebensmitteln verpflichtend (alternativ werden von zahlreichen Anbietern auch sog. Kohlenhydrat-Austauschtabellen und Rechner bereitgestellt)
- Insulintagesbedarf:
- Basalinsulin (mahlzeitenunabhängig)
- Prandialinsulin (mahlzeitenabhängig)
- Mahlzeitenfaktor: Menge an Insulin
(in IE), die zur Mahlzeit gespritzt werden muss, um die durch 1 KE verursachte Blutzuckersteigerung auszugleichen - Faustregel: 1 IE pro 1 KE
- Tageszeitabhängigkeit: zirkadiane Schwankungen der Insulinempfindlichkeit → Veränderung des Insulinbedarfs pro KE im Tagesverlauf → Anpassung des Mahlzeitenfaktors notwendig:
- Morgens: Mahlzeitenfaktor x 2–3
- Mittags: Mahlzeitenfaktor x 1
- Abends: Mahlzeitenfaktor x 1,5-2
- Korrekturfaktor: zusätzliche Blutzuckerkorrekturen sollten erst dann erfolgen, wenn keine Wirkung des prandial verabreichten Insulins
mehr zu erwarten ist - Faustregel: 1 IE senkt den Blutzuckerspiegel
um 30–40 mg/dl
- Faustregel: 1 IE senkt den Blutzuckerspiegel
- Mahlzeitenfaktor: Menge an Insulin
Merke1 KE ≙ 10 g Kohlenhydrate → Anstieg des Blutzuckers um ca. 30–40 mg/dl → Faustregel: 1 IE Insulin
pro 1 KE!
AchtungDer tatsächliche Insulinbedarf kann durch zahlreiche Faktoren beeinflusst werden und sollte daher immer individuell ermittelt werden. Die Angaben zum Insulinbedarf dienen als Orientierungshilfe, gelten jedoch nicht als allgemeingültiger Standard.
Strategien der Insulintherapie:
- Konventionelle Insulintherapie (CT
): - Prinzip: Injektion fixer Insulindosierungen (morgens und abends) sowie feste Vorgaben zur Abfolge und Größe der Mahlzeiten
- Indikation:
- Intensivierte Insulintherapie kann nicht durchgeführt werden (z.B. aufgrund kognitiver Einschränkungen)
- Patient:innen entscheiden sich nach ausführlicher Aufklärung gegen eine intensivierte Insulintherapie
- Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT):
- Basal-Bolus-Prinzip: Imitation der physiologischen Insulinsekretion
- Basalinsulin: mahlzeitenunabhängige Injektion langwirksamer Insulinanaloga
- Bolusinsulin: postprandiale Injektion von Humaninsulin oder kurzwirksamen Insulinanaloga
- Basalinsulin: mahlzeitenunabhängige Injektion langwirksamer Insulinanaloga
- Indikation: Standardtherapie bei Typ-1-Diabetes
- Basal-Bolus-Prinzip: Imitation der physiologischen Insulinsekretion
- Insulinpumpentherapie (CSII):
- Prinzip: kontinuierliche subkutane Insulinapplikation mittels externer Pumpe → Insulinzufuhr besteht aus:
- Basalrate: individuell programmierbare, kontinuierliche Insulinabgabe
- Bolusgabe: zusätzlicher Bedarf (z.B. vor Mahlzeiten oder zur Korrektur erhöhter Werte) → Wird per Knopfdruck abgegeben
- Indikationen:
- Nichterreichen der individuellen Therapieziele unter intensivierter Insulintherapie
- Rezidivierende schwere Hypoglykämien
unter intensivierter Insulintherapie - Hoher Flexibilitätsbedarf (z. B. bei wechselnden Arbeitszeiten, Leistungssport)
- Kinderwunsch oder Schwangerschaft
- Bei geringem Insulinbedarf
- Prinzip: kontinuierliche subkutane Insulinapplikation mittels externer Pumpe → Insulinzufuhr besteht aus:
Diabetes mellitus Typ 2
Therapieziele
Die Therapieziele sollten immer individuell definiert und gemeinsam reevaluiert werden (→ Partizipative Entscheidungsfindung). Außerdem sollten Therapieentscheidungen immer unter Berücksichtigung von Faktoren wie persönlichen Präferenzen, Komorbiditäten, Alter und Lebenserwartung, Erkrankungsdauer, Lebensqualität sowie sozialen und kulturellen Aspekten getroffen werden.
Allgemeine Therapieziele:
- Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Lebensqualität und Alltagstauglichkeit:
- Vermeidung therapieassoziierter Belastungen
- Erhalt von Selbstständigkeit und Teilhabe
- Reduktion der Behandlungskomplexität bei älteren oder multimorbiden Patient:innen
- Kompetenzsteigerung im Umgang mit der Erkrankung und möglichen Komplikationen:
- Teilnahme an strukturierten Schulungen
- Förderung der langfristigen Therapieadhärenz
- Nutzung digitaler Unterstützung
- Reduktion des Risikos von Folgeerkrankungen und Komplikationen
- Behandlung von Begleiterkrankungen
Spezifische Therapieziele:
- Blutzucker:
- HbA1c
-Zielbereich: 6,5–8,5% (48–69 mmol/mol) - Individuelle Zielvereinbarung unter Berücksichtigung beeinflussender Faktoren (z.B. Alter, Komorbiditäten, Hypoglykämierisiko)
- HbA1c
- Blutdruck:
- Orientierungswert: ≤140/90 mmHg
- Individuelle Zielvereinbarung unter Berücksichtigung von Verträglichkeit, funktionellem Status, Alter, Kognition und Komorbiditäten
- Lipide
: zielwertorientierte Therapie gemäß individuell festgelegter LDL-Ziele und dem Grad des kardiovaskulären und renalen Risikos - Körpergewicht: Gewichtsreduktion bei Adipositas
Basistherapie
Bei Patient:innen mit Typ-2-Diabetes ist von Beginn an eine nicht-medikamentöse Basistherapie indiziert, die auch im Falle einer zusätzlichen medikamentösen Intervention fortgeführt werden soll.
Die Basistherapie umfasst lebensstilmodifizierende Maßnahmen, die darauf abzielen, komplexe medikamentöse Therapien zu vermeiden und der Entstehung sowie dem Fortschreiten diabetischer Komplikationen vorzubeugen. Zentrale Bestandteile sind:
- Schulung und strukturierte Aufklärung
- Ernährungstherapie
(siehe Ernährung bei Diabetes mellitus) - Gewichtsmanagement
- Körperliche Aktivität
und Bewegung - Tabakentwöhnung
InfoDie Rolle von Lebensstiländerungen bei Typ-2-Diabetes
Durch Gewichtsreduktion, gesunde Ernährung und körperliche Aktivität
können viele Menschen mit Typ-2-Diabetes ihren Blutzuckerspiegel kontrollieren, die Manifestation der Krankheit verhindern oder verzögern und in einigen Fällen sogar eine Remission erreichen.
Medikamentöse Therapie
- Indikation: Nichterreichen der Therapieziele durch Basistherapie nach 3–6 Monaten (→ Die medikamentöse Therapie erfolgt immer unter Weiterführung der Lebensstilmaßnahmen)
- Wirkstoff 1. Wahl: Metformin (sofern keine Kontraindikationen bestehen)
- Nach 3–6 Monaten Reevaluation des individuellen Therapieziels
- Bei Nichterreichen des individuellen Therapieziels nach 3–6 Monaten → Eskalation der Therapie
Medikamentöser Therapiealgorithmus nach Risikoprofil:
- Kein hohes Risiko:
- Kombinationstherapie (Metformin +):
- DPP-4-Hemmer
- SGLT2-Hemmer
- GLP-1-Rezeptoragonisten
- Sulfonylharnstoffe
- Änderung oder Intensivierung der Kombinationstherapie
- Ggf. Insulintherapie
- Kombinationstherapie (Metformin +):
- Hohes Risiko: individuelle Beurteilung und partizipative Entscheidungsfindung (je nach Beurteilung Vorgehensweise wie bei Personen ohne hohes Risiko oder mit relevanten kardiovaskulären/renalen Erkrankungen)
- Klinisch relevantes kardiovaskuläres/renales Risiko:
- Kombinationstherapie (Metformin +):
- SGLT2-Hemmer
oder - GLP-1-Rezeptoragonisten
- → Nachweisliche kardioprotektive und nephroprotektive Effekte
- SGLT2-Hemmer
- Änderung oder Intensivierung der Kombinationstherapie
- Ggf. Insulintherapie
- Kombinationstherapie (Metformin +):
InfoGLP-1-Rezeptoragonisten
Eine Kombination aus GLP-1-RA und oralen Antidiabetika
(ausgenommen DPP4-Hemmern) ist eine effektive Behandlungsoption, wenn das individuelle Therapieziel mit oralen Antidiabetika in Mono- oder Mehrfachkombinationen nicht erreicht wurde oder Nebenwirkungen eine neue Therapiestrategie erforderlich machen. Prinzipiell sollte für die meisten Patient:innen mit Typ-2-Diabetes der Einsatz von GLP-1-RA vor Beginn einer Therapie mit Insulin
erwogen werden, da diese Substanzklasse ein niedriges Hypoglykämierisiko aufweist, einen günstigen Gewichtsverlauf zeigt und über vorteilhafte kardiovaskuläre und renale Outcome-Daten verfügt. Eine Ausnahme bilden Patient:innen mit sehr hohem HbA1c
sowie solche, bei denen ein Typ-1-Diabetes nicht ausgeschlossen werden kann.
Insulintherapie
Indikationen:
- Bei Patient:innen mit Typ-2-Diabetes soll die Indikation zur Insulintherapie in folgenden Situationen geprüft werden:
- Nichterreichen der individuellen Therpapieziele trotz Ausschöpfung der nichtmedikamentösen Maßnahmen und medikamentösen Therapie mit Antidiabetika
- Bei Stoffwechselentgleisungen (z.B. massiv entgleister Blutzucker bei Erstdiagnose)
- Bei Gabe diabetogener Medikamente (z.B. Glucocorticoide
), bei schweren Infekten, Traumata oder größeren Operationen (ggf. nur temporär) - Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion (in Abhängigkeit von individuellen Therapiezielen)
- Nichterreichen der individuellen Therpapieziele trotz Ausschöpfung der nichtmedikamentösen Maßnahmen und medikamentösen Therapie mit Antidiabetika
Strategien der Insulintherapie:
- Basal unterstützte orale Therapie (BOT):
- Prinzip: Gabe eines langwirksamen Insulinanalogons (i.d.R. 1x täglich) zusätzlich zur medikamentösen Therapie mit Antidiabetika
- Indikation: Erweiterung der bisherigen medikamentösen Therapie bei Typ-2-Diabetes (→ Individuelles Therapieziel ohne Insulin
nicht erreicht)
- Prinzip: Gabe eines langwirksamen Insulinanalogons (i.d.R. 1x täglich) zusätzlich zur medikamentösen Therapie mit Antidiabetika
- Supplementäre Insulintherapie (SIT):
- Prinzip: Insulininjektionen zu den Mahlzeiten als Ergänzung zur bisherigen antidiabetischen Therapie
- Indikation: Typ-2-Diabetes mit gut eingestelltem Nüchternblutzucker, aber hohen postprandialen Blutzuckerwerten → Bei vorwiegend postprandial auftretenden Blutzuckerspitzen ist die SIT eine gute Alternative zur BOT
In einigen Fällen kann bei Patient:innen mit Typ-2-Diabetes auch eine konventionelle (CI) oder eine intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) indiziert sein (siehe auch Diabetes mellitus Typ 1 – Insulintherapie). Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die individuellen Therapieziele trotz Ausschöpfung nicht-medikamentöser und medikamentöser Maßnahmen sowie weniger intensiver Insulintherapien nicht erreicht werden.
Stufentherapie bei Diabetes mellitus Typ 2 - Übersicht
Akute Komplikationen
Bei Patient:innen mit Diabetes mellitus stellen v.a. schwere Blutzuckerentgleisungen eine mögliche Akutkomplikation dar. Diese können sowohl ein hyperglykämisches als auch ein hypoglykämisches Koma hervorrufen.
TippBei Personen mit Diabetes können sowohl hyperglykämische als auch hypoglykämische Komazustände auftreten. Für die Differenzierung ist die Bestimmung des Blutzuckerspiegels ausschlaggebend!
Hypoglykämie
Ursachen:
- Überdosierung blutzuckersenkender Wirkstoffe
- Patient:innen mit Typ-1-Diabetes: plötzlich unerwartet starker Anstieg des Glucoseverbrauchs (z.B. durch starke körperliche Betätigung, Alkoholkonsum, unzureichende Nahrungsaufnahme)
Symptomatik:
- Symptome der autonomen Gegenregulation:
- Sympathikotonus↑: Unruhe, Schwitzen, Tremor, Tachykardie
- Parasympathikotonus↑: Heißhunger, Übelkeit, Erbrechen
- Sympathikotonus↑: Unruhe, Schwitzen, Tremor, Tachykardie
- Neuroglykopenisch: Verwirrtheit, Kopfschmerzen
, Sprachstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit, hypoglykämisches Koma
Therapie:
- Verabreichung von Glucose
p.o. oder i.v. (bei Bewusstlosigkeit)
AchtungSymptome der autonomen Gegenregulation dienen als Schutzmechanismus, indem sie frühzeitig vor Hypoglykämien
warnen. Bei langjährigem Diabetes oder häufigen Hypoglykämien kann die Wahrnehmung dieser Symptome nachlassen („hypoglykämiebedingte Hypoglykämieunempfindlichkeit“), wodurch das Risiko für schwere Hypoglykämien deutlich zunimmt.
Hyperglykämisches Koma
DefinitionDas hyperglykämische Koma, auch Coma diabeticum genannt, ist eine akute Stoffwechselentgleisung mit massivem Anstieg des Blutzuckerspiegels, die unbehandelt tödlich endet und bei Patient:innen mit Diabetes mellitus auftritt.
Das Coma diabeticum manifestiert sich bei Typ-1-Diabetes vorwiegend in Form eines ketoazidotischen Komas, wohingegen es sich bei Typ-2-Diabetes in der Regel als hyperosmolares Koma
präsentiert.
Ätiologie:
- Fehlende oder unzureichende Insulinzufuhr:
- Erstmanifestation bei bisher unbekannter Erkrankung (insb. Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes)
- Fehlerhafte oder unterlassene Insulinzufuhr bei bekanntem Diabetes mellitus
- Erhöhter Insulinbedarf:
- Fieberhafte
Infektionen - Schwere Erkrankungen, Operationen oder Traumata
- Einnahme von Glucocorticoiden
- Fieberhafte
Einteilung:
- Ketoazidotisches Koma
: - Vorwiegend bei Typ-1-Diabetes (absoluter Insulinmangel)
- Pathophysiologie:
- Insulinmangel → Lipolyse↑ → Bildung von Ketonkörpern → Metabolische Azidose
(→ Erbrechen → Flüssigkeits- & Elektrolytverlust → Hypovolämie) - Insulinmangel → Hyperglykämie → Hyperosmolarität → Osmotische Diurese → Flüssigkeits- & Elektrolytverlust → Hypovolämie
- Insulinmangel → Lipolyse↑ → Bildung von Ketonkörpern → Metabolische Azidose
- Hyperosmolares Koma
: - Vorwiegend bei Typ-2-Diabetes (relativer Insulinmangel)
- Pathophysiologie:
- Die Pathogenese ähnelt der des ketoazidotischen Komas, jedoch reichen die Mengen des noch vorhandenen Insulins
aus, um eine überschießende Lipolyse und somit die Bildung von Ketonkörpern zu verhindern. - Insulinmangel → Hyperglykämie → Hyperosmolarität → Osmotische Diurese → Flüssigkeits- & Elektrolytverlust → Hypovolämie
- Die Pathogenese ähnelt der des ketoazidotischen Komas, jedoch reichen die Mengen des noch vorhandenen Insulins
AchtungIm Rahmen der metabolischen Azidose
verschiebt sich Kalium von intra- nach extrazellulär. Dadurch kann ein bestehender intrazellulärer Kaliummangel maskiert werden, sodass der Serumkaliumwert trotz eines gesamten Defizits zunächst normal oder sogar erhöht erscheint.
Differenzierung:
Ketoazidotisches Koma | Hyperosmolares Koma | |
Diabetes Typ | V.a. Typ-1-Diabetes | V.a. Typ-2-Diabetes |
Blutzucker | 400–700 mg/dl | >700 mg/dl |
pH-Wert | <7,3 | >7,3 |
Ketonnachweis | Positiv | Negativ bzw. minimal |
Serum | Variabel | > 320 mOsm/l |
MerkeDas ketoazidotische Koma
ist durch die charakteristische Trias aus Hyperglykämie, Ketonnachweis und metabolischer Azidose mit positiver Anionenlücke charakterisiert.
Symptomatik:
- Gemeinsame Symptome:
- Polyurie
(aufgrund der Hyperosmolarität kommt es zur osmotischen Diurese) - Polydipsie
- Bewusstseinstrübung
- Somnolenz
- Polyurie
- Ketoazidotisches Koma
: - Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis diabetica)
- Übelkeit und Erbrechen
- Azetongeruch der Atemluft (→ Durch entstehende Ketonkörper)
- Kußmaul-Atmung
(→ Respiratorische Kompensation der metabolischen Azidose ) - Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma
- Hyperosmolares Koma
: - Somnolenz bis hin zum Koma, zerebrale Krampfanfälle
- Massive Exsikkose
, aber normale Atmung
Therapie:
- Intensivmedizinische Behandlung notwendig!
- Ausgleich der Dehydratation
: - 1.000 ml NaCl 0,9 % in der 1. Stunde (aufgrund der ausgeprägten Exsikkose
zeigt sich laborchemisch eine Hypernatriämie , obwohl jedoch tatsächlich eine Hyponatriämie vorliegt) - Nachfolgend Anpassung der Infusionslösung
- Regelmäßige Kontrolle der Flüssigkeitsbilanz
- 1.000 ml NaCl 0,9 % in der 1. Stunde (aufgrund der ausgeprägten Exsikkose
- Insulingabe unter engmaschigen Blutzuckerkontrollen:
- Langsame Senkung des Blutzuckerspiegels mit niedrig dosiertem Normalinsulin
i.v. (Low-Dose-Schema) → Der Blutzuckerspiegel sollte pro Stunde maximal um ca. 50 mg/dl gesenkt werden
- Langsame Senkung des Blutzuckerspiegels mit niedrig dosiertem Normalinsulin
- Engmaschige Elektrolytkontrollen (häufig muss ein Kaliummangel
ausgeglichen werden) - Ggf. Bicarbonatgabe: bei starker Ausprägung der metabolischen Azidose
(pH-Werte <6,9)
MerkeDie Blutzuckersenkung bei einem diabetischen Koma muss kontrolliert und langsam erfolgen, um lebensgefährliche Komplikationen wie ein Hirnödem
oder Elektrolytverschiebungen zu vermeiden.
AchtungZu Beginn liegt aufgrund der Azidose
häufig eine Hyperkaliämie vor. Mit Einleitung der Insulintherapie kann der Kaliumspiegel jedoch rasch und teils bedrohlich abfallen. Aus diesem Grund sind engmaschige Kontrollen sowie eine gegebenenfalls frühzeitige Kaliumsubstitution essenziell.
Langzeitkomplikationen
Langzeitkomplikationen beeinflussen den Verlauf der Erkrankung sowie die Lebensqualität und Mortalität der Patient:innen maßgeblich.
Die Ursache nahezu aller Langzeitkomplikationen des Diabetes mellitus sind mikro- und/oder makroangiopathische Veränderungen. Primär betroffen sind die Augen, Nieren, Nerven und das Herz-Kreislauf-System
Diabetische Makroangiopathie
- Hauptmanifestationen:
- Koronare Herzkrankheit
(KHK ) - Arterielle Verschlusskrankheit der Hirnarterien (Schlaganfall)
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
- Mönckeberg-Mediasklerose:
- Assoziation mit Diabetes mellitus
- Betrifft im Gegensatz zur Atherosklerose
nicht die Intima, sondern die Media der Gefäße
- Koronare Herzkrankheit
TippBei Patient:innen mit Diabetes mellitus können Myokardinfarkte oder eine Claudicatio intermittens aufgrund der Neuropathie auch schmerzlos bleiben. Aus diesem Grund sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen indiziert.
Diabetische Mikroangiopathie
Die diabetische Mikroangiopathie betrifft die kleinen Blutgefäße und ist die Folge einer chronischen Hyperglykämie. Zu den wichtigsten Manifestationen zählen:
- Diabetische Retinopathie
- Diabetische Nephropathie
- Diabetische Polyneuropathie
- Diabetisches Fußsyndrom (beim diabetischen Fußsyndrom ergeben sich Überschneidungen mit der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit)
AchtungEine strenge Blutzuckereinstellung ist entscheidend, um einer diabetischen Mikroangiopathie vorzubeugen.
Diabetische Retinopathie
DefinitionDie diabetische Retinopathie ist eine mikrovaskuläre Komplikation des Diabetes mellitus und betrifft die Netzhautgefäße. Sie ist eine der häufigsten Ursachen für Erblindung im Erwachsenenalter in Industrieländern und kann sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes auftreten.
Pathophysiologie:
Durch chronisch erhöhte Blutzuckerwerte kommt es zu strukturellen Veränderungen der retinalen Kapillargefäße
Klassifikation:

“Fundus - diabetic retinopathy.png” von Shaofeng Hao, Changyan Liu, Na Li, Yanrong Wu, Dongdong Li, Qingyue Gao, Ziyou Yuan, Guanyan Li, Huilin Li, Jianzhou Yang, and Shengfu Fan, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fundus_-_diabetic_retinopathy.png, CC BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0 via Wikimedia Commons
- Nicht-proliferative Retinopathie:
- Pathologische Veränderungen bleiben auf die Retina
beschränkt - Typische Veränderungen der Netzhaut:
- Mikroaneurysmen und punktförmigen Einblutungen
- Kalibersprünge der Venen
- Harte Exsudate
(Lipidablagerungen) - Cotton-Wool-Herde (weiße Netzhautareale durch Ischämie der Netzhaut)
- Pathologische Veränderungen bleiben auf die Retina
- Proliferative Retinopathie:
- Stadium mit weitergehenden Einschränkungen der Retina
-Funktion sowie extraretinalen Komplikationen - Typische Kennzeichen:
“Fundus Proliferative retinopathy EDA01.JPG” https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9f/Fundus_Proliferative_retinopathy_EDA01.JPG, Public domain, via Wikimedia Commons
Cotton-Wool-Herde - Präretinale Neovaskularisationen
- Instabile Gefäße → Glaskörperblutung mit Vernarbung
- Netzhautablösung durch Narbenzug des Glaskörpers (Traktionsamotio)
- Rubeosis iridis mit Gefahr eines Sekundärglaukoms
- Stadium mit weitergehenden Einschränkungen der Retina
- Diabetisches Makulaödem:
- Kann isoliert oder in Kombination auftreten
- Ischämische Makulopathie
Klinik:
- Frühstadien meist asymptomatisch
- Im Verlauf Visusminderung:
- In der Regel langsam progredientes Fortschreiten
- Bei Glaskörperblutung oder Netzhautablösung akute Visusminderung möglich: Sehstörungen, "Rußregen“, plötzlicher Visusverlust
- Im Endstadium vollständige Erblindung möglich
Diagnostik:
- Regelmäßige augenärztliche Kontrolle bei allen Patient:innen mit Diabetes mellitus
- Diagnostische Verfahren:
- Bestimmung der Sehschärfe
- Beidseitige Untersuchung des Augenhintergrundes (Fundoskopie in Mydriasis)
- Optische Kohärenztomografie (bei Verdacht auf Makulaödem)
- Bestimmung der Sehschärfe
- Dokumentation mittels standardisiertem Dokumentationsbogen
TippDie diabetische Retinopathie verläuft lange symptomlos, weshalb eine regelmäßige augenärztliche Untersuchung bei Diabetiker:innen von großer Bedeutung ist!
Therapie:
- Allgemein gilt: präventive Maßnahmen als wichtigste Strategie (Vorsorgeuntersuchungen, optimale Blutzuckereinstellung etc.)
- Therapie der proliferativen Retinopathie:
- Panretinale Laserkoagulation
- Bei Traktionsablösung oder Glaskörperblutung: Vitrektomie
- Therapie bei Makulaödem:
- Ohne Beteiligung der Fovea centralis: Laserkoagulation des betroffenen Areals
- Mit Beteiligung der Fovea centralis: Anti-VEGF-Injektionen
(bei Therapieresistenz ggf. intravitreale Steroidtherapie)
- Therapie der proliferativen Retinopathie:
Diabetische Neuropathie
DefinitionDie diabetische Neuropathie ist eine häufige Komplikation des Diabetes mellitus und umfasst verschiedene Formen von Nervenschädigungen, die durch eine langanhaltende Hyperglykämie verursacht werden.
Pathophysiologie:
Chronisch erhöhte Blutzuckerwerte führen zu metabolischen und vaskulären Nervenschädigungen. Verschiedene Mechanismen wie nicht-enzymatische Glykierung, oxidativer Stress und mikroangiopathiebedingte lokale Ischämie verursachen strukturelle und funktionelle Schäden an sensorischen, motorischen und autonomen Nervenfasern.
Klassifikation:
- Sensomotorische Polyneuropathie (häufigste Form): insb. distal und symmetrisch
- Schmerzempfinden
↓ - Parästhesien und/oder Allodynie
- In späteren Stadien auch motorische Nervenfasern betroffen (Atrophien, Paresen)
- Typischerweise Beginn an den Füßen
- Schmerzempfinden
- Autonome diabetische Neuropathie:
- Eingeschränkte Schmerzwahrnehmung im Bereich der inneren Organe
- Typische Manifestationen:
- Kardiovaskulär: stumme Ischämie, Tachykardie
, ventrikuläre Arrhythmie , orthostatische Hypotonie - Gastrointestinal: Gastroparese, Obstipation
, Diarrhö , Inkontinenz - Urogenital: Blasenentleerungsstörungen, erektile Dysfunktion
- Weitere Manifestationen: Störungen von Pupillenfunktion, Sudomotorik (Dyshidrose) und Thermoregulation, verminderte Hypoglykämiewahrnehmung
- Kardiovaskulär: stumme Ischämie, Tachykardie
Diagnostik:
- Sorgfältige Anamnese und regelmäßige Verlaufskontrollen
- Neurologische Basisdiagnostik:
- Prüfung der Druck-, Vibrations-, Temperatur- und Berührungsempfindung
- Reflexprüfung
- Messung der Muskelkraft
- Ggf. zusätzliche diagnostische Tests (z.B. Elektroneurographie)
- Ausschluss anderer Ursachen (z.B. Vitaminmangel, Alkohol, Toxine)
Therapie:
- Allgemeinmaßnahmen zur Verlangsamung der Progression:
- Optimale Blutzuckereinstellung
- Kontrolle bestehender Risikofaktoren: Blutdruck- und Lipidkontrolle, Nikotinverzicht
- Sensomotorische Polyneuropathie: symptomatische Schmerztherapie
- Eingesetzte Analgetika und Co-Analgetika:
- Nicht-Opioid-Analgetika
(z.B. Paracetamol , Metamizol ) - Opioid-Analgetika (z.B. Tramadol, Morphin
) - Antikonvulsiva
(Pregabalin, Gabapentin) - Antidepressiva
(Duloxetin, Amitryptilin) - Topisch: Capsaicin-Creme
- Nicht-Opioid-Analgetika
- Eingesetzte Analgetika und Co-Analgetika:
- Autonome diabetische Neuropathie: symptomatische Therapie der jeweiligen Ausfallserscheinungen und Beschwerden (z.B. prokinetische Therapie bei diabetischer Gastroparese)
InfoBei Patient:innen mit schmerzhafter diabetischer Neuropathie richtet sich die Wahl des Medikaments nach der analgetischen Wirksamkeit und dem allgemeinen Risikoprofil. Substanzen mit erhöhten renalen und kardiovaskulären Langzeitrisiken (z.B. NSAR
oder Coxibe ) sind bei der Therapie neuropathischer Schmerzen im Rahmen des Diabetes mellitus daher nicht indiziert.
Diabetische Nephropathie
DefinitionBei der diabetischen Nephropathie handelt es sich um eine progressive Nierenerkrankung, die auf einer Angiopathie der Kapillaren
des Nierenkörperchens beruht. Das charakteristische histologische Merkmal ist eine noduläre Glomerulosklerose.
Pathophysiologie:
Langjährig erhöhte Blutzuckerspiegel
Stadieneinteilung nach Mogensen:
- Hyperfiltration
: GFR initial erhöht (Hyperperfusion), anschließend zunehmender Abfall - Normoalbuminurie: Pseudonormalisierung der Nierenfunktion
- Mikroalbuminurie
(Albuminausscheidung 30–300 mg/Tag) → Frühestes Anzeichen einer diabetischen Nephropathie - Makroalbuminurie
(Albuminausscheidung >300 mg/Tag) - Terminale Niereninsuffizienz
Klinik:
- Frühstadien:
- Meist asymptomatisch → Regelmäßige Screeninguntersuchungen zur frühzeitigen Erfassung!
- Blutdruckanstieg → Eine frühzeitige antihypertensive Therapie verzögert die Progression der diabetischen Nephropathie!
- Im weiteren Verlauf:
- Ödeme
(insb. im Bereich der Beine und Augenlider) - Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit
- Urämisches Syndrom
- Ödeme
Diagnostik:
- Regelmäßige Screeninguntersuchungen
- Laborparameter:
- Albumin
-Kreatinin -Ratio (ACR) im Spot-Urin (morgens) - EGFR (berechnet z. B. nach CKD
-EPI-Formel) - Kreatinin
im Serum - Ggf. 24-h-Sammelurin
bei unklaren Fällen
- Albumin
- Laborparameter:
Therapie:
- Allgemeinmaßnahmen:
- Frühzeitige Diagnosestellung
- Lebensstilmodifikation (z.B. Gewichtsreduktion, Nikotinverzicht)
- Vermeidung nephrotoxischer Substanzen
- Blutzuckerkontrolle
: - HbA1c
-Zielwert zur Verhinderung der Progression: ≤7 % - SGLT2-Inhibitoren
empfohlen (z. B. Empagliflozin, Dapagliflozin) - Alternativ/ergänzend: GLP-1-Rezeptoragonisten
- HbA1c
- Blutdruckeinstellung:
- Zielwert: ≤130/80 mmHg
- Bei Patient:innen mit chronischer Nierenfunktionsstörung wird ein systolischer Zielblutdruck von 130–139 mmHg empfohlen
- Mittel der Wahl: ACE-Hemmer
oder AT1-Blocker in Kombination mit Kalziumantagonisten sowie ggf. anderen Substanzen (z.B. Diuretika oder Beta-Blocker) - Keine Kombination von ACE-Hemmern und AT1-Blockern (→ Gefährliche Hyperglykämien möglich)
- Zielwert: ≤130/80 mmHg
- Lipidtherapie:
- Bei nicht dialysepflichtigen Patient:innen mit chronischer Nierenfunktionsstörung ist eine Statin- bzw. Statin/Ezetimib-Kombination indiziert
- Bei Dialysepatient:innen ohne atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen sollte keine Statintherapie neu begonnen werden
Diabetisches Fußsyndrom
DefinitionEin diabetisches Fußsyndrom (DFS) ist eine komplexe Folgeerkrankung des Diabetes mellitus, die durch pathologische Veränderungen am Fuß charakterisiert ist und auf der Grundlage einer diabetischen Polyneuropathie und/oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) entsteht.
Ätiologie und Pathogenese
Das diabetische Fußsyndrom ist das Ergebnis eines multifaktoriellen Zusammenspiels mehrerer diabetesbedingter Folgeerkrankungen. Dabei spielen vor allem folgende Kausalfaktoren eine Rolle:
- Diabetische Polyneuropathie → Sensibilitäts- und Schmerzwahrnehmung
↓ (Verlust des Schmerzes als Warnfunktion, Wunden bleiben oft unbemerkt) - Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) → Durchblutungsstörungen → Ischämie
- Weitere Risikofaktoren:
- Infektionen und Wundheilungsstörungen (immunologische Inkompetenz im Rahmen der chronischen Stoffwechselentgleisung)
- Biomechanische Fehlbelastung des Fußes
- Eingeschränkte Gelenkmobilität
Krankheitsbilder
In Abhängigkeit von den ursächlichen pathologischen Faktoren (Neuropathie und/oder pAVK) werden folgende klinisch relevante Subtypen unterschieden:
Neuropathischer Fuß:

“Diabetic Wound 121.jpg” von Milorad Dimic MD, Nis, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b1/Diabetic_Wound_121.jpg, CC BY-SA 3.0 RA, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via Wikimedia Commons
- Ätiologie: diabetische Polyneuropathie
- Merkmale:
- Warme, gut durchblutete Haut
- Plantare Anhidrose
- Sensibilitäts- und Vibrationsempfinden
↓ - Schmerz- und Temperaturempfinden
↓
- Komplikationen:
- Leitsymptom: Malum perforans (neuropathisches Ulcus
, meist schmerzlos) - Charcot-Fuß (Diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie; deformierende Erkrankung der Gelenke und Knochen)
“Charcotfuss.jpg” von Hellerhoff, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b0/Charcotfuss.jpg, CC BY-SA 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
Charcot-Fuß Fehlstellungen, Destruktion des Fußskeletts, Osteolysen, Frakturanfälligkeit
- Leitsymptom: Malum perforans (neuropathisches Ulcus
Ischämischer Fuß:
- Ätiologie: pAVK
- Merkmale:
- Kalte, blasse oder livide Haut
- Fehlende Fußpulse
- Meist schmerzhafte Läsionen (insb. an druckbelasteten Stellen wie Zehen oder Ferse)
- Komplikationen:
- Schlechte Wundheilung, Infektionen und Osteomyelitiden
- Distale Gangrän/Nekrosen
AchtungBei etwa ⅓ der Patient:innen mit diabetischem Fußsyndrom handelt es sich um eine kombinierte Form aus ischämischem und neuropathischem Fuß (neuroischämischer Fuß). Hierbei ist das Risiko für Komplikationen, Infektionen und Amputationen am höchsten, weshalb ein komplexes Management notwendig ist.
Therapiemaßnahmen
- Stoffwechseloptimierung:
- Blutzuckereinstellung
- Behandlung internistischer Grunderkrankungen (z.B. Hypertonie, Herzinsuffizienz
)
- Infektionskontrolle
- Wunddébridement (Wundreinigung)
- Druckentlastung
- Methoden: Orthesen, Spezialschuhe, Gehstützen etc.
- Regelmäßige Entfernung von Hornhautschwielen
- Stadiengerechte lokale Wundbehandlung
- Therapie von Gefäßerkrankungen: aggressive Indikationsstellung zu Revaskularisationseingriffen bei nicht heilenden Fußläsionen oder Amputationsgefahr
- Schulung:
- Inhalte: Fußpflege, Schuhgebrauch, Warnzeichen
- Schulung auch für Angehörige und Pflegende
- Amputation:
- Möglichst kleinflächig und funktionell erhaltend
- Majoramputationen nur als letzte Option
Prognose
- Die Prognose hängt maßgeblich von der Einstellung des Blutzuckers sowie der Behandlung von Begleiterkrankungen und der Vermeidung von Folgekomplikationen ab
- Typ-2-Diabetes kann initial reversibel sein (Remission durch Lebensstiländerung)
Prävention
- Primärprävention: gesunde Ernährung, körperliche Aktivität
, Normalgewicht - Screening der Nüchternblutzuckerwerte bei gesunden Personen (≥35 Jahre, alle 3 Jahre)
Quellen
- S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes, 2023, Deutsche Diabetes Gesellschaft
- S2-Leitlinie Definition, Klassifikation, Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Diabetes mellitus: Update 2022, Deutsche Diabetes Gesellschaft
- S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes, 2023, Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)
- Ziegler D et al.: Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft - Diabetische Neuropathie, Diabetologie 2021, 16 (Suppl 2): S336–S350, DOI: 10.1055/a-1515-9168
- Morbach S et al.: Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft - Diabetisches Fußsyndrom, Diabetologie 2018, 13 (Suppl 2): S244–S252, DOI: 10.1055/a-0598-3040
- Haak T et al.: Diabetologie für die Praxis. Georg Thieme Verlag, 2021, DOI: 10.1055/b-0034-69531
- Van de Loo I, Harbeck B: Facharztwissen Endokrinologie und Diabetologie, Klinik, Diagnostik, Therapie. Springer Verlag, 2020, ISBN: 978-3-662-58896-3