Der häufigste Vertreter der Unterarmfrakturen und in der Literatur teils als der häufigste Knochenbruch überhaupt beschrieben, ist die distale Radiusfraktur (AO 2R3). Ruft man sich den Trauma-Mechanismus vor Augen ist das nicht verwunderlich, da diese Brüche fast immer durch einen Sturz auf das ausgestreckte Handgelenkentstehen. Die distale Radiusfraktur hat zwei Altersgipfel und kommt gehäuft bei Schulkindern und älteren Menschen um das 70. Lebensjahr vor, da diese zu Stürzen neigen.
Typisch ist eine reflexartige Abwehrbewegung der Hände vor den Körper und ein Abfangen auf den Handgelenken. Die Handgelenke sind dabei meist überstreckt und es kommt zur sogenannten Radiusextensionsfraktur (auch Colles-Fraktur genannt). Seltener sind Stürze auf die gebeugte Hand, welche eher bei weniger kontrollierten Stürzen zur Seite oder nach hinten erfolgen. Diese Frakturen werden Radiusflexionsfrakturen (auch Smith-Fraktur) genannt.
Seltener sind andere Trauma-Mechanismen, wie ein direkter Anprall durch schwere Gegenstände. Eine isolierte Fraktur des Processus styloideus radii wird auch alsChauffeur-Fraktur bezeichnet und resultiert aus einem direkten radialseitigen / thenaren Anprall am Handgelenk. Frakturen werden mit dorsalem Kantenfragment alsBarton-Fraktur („partiell intraartikuläre“ Colles-Fraktur) und mit palmarem Kantenfragment alsReversed-Barton-Fraktur („partiell intraartikuläre“ Smith-Fraktur) bezeichnet.
Neben dem Traumamechanismus unterscheidet man bezüglich des Procederes vor allem extraartikuläre und intraartikuläreFrakturen.
Tipp
Alswichtiger Risikofaktor sollte immer eine Osteoporose erfragt werden. Distale Radiusfrakturen zählen auch zu den osteoporotischen Frakturen.
Merke
Merkhilfe: Smith➜ Inward, Colles ➜ Outward
Diagnostik
KörperlicheUntersuchung
Inspektion (sichere Frakturzeichen, radialseitige Schwellung des Handgelenks)
pDMS-Beurteilung (schmerzbedingte Immobilisation des Handgelenks, Schmerzen bei Bewegung des Daumens, Palpation der Radialis- und Ulnarispulse)
Suche nach Begleitverletzungen
Bildgebung
Nach der körperlichen Untersuchung sollte eine Röntgenuntersuchung erfolgen. Bei isolierten Beschwerden im Handgelenk ist eine Röntgenuntersuchung des Handgelenks in 2 Ebenen (anterior-posterior, sowie seitlichem Strahlengang) sinnvoll.
Beurteilt wird im Röntgenbild neben dem Ausschluss von Begleitverletzungen vor allem die Komplexität, Dislokation, Gelenkbeteiligung und Gelenkflächenneigung (Böhler-Winkel).
Tipp
Häufige Begleitverletzungen: Abriss des Processus styloideus ulnae (PSU), Scaphoid-Fraktur, SL-Band-Ruptur.
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Therapie
Die Therapie richtet sich nach Form und Komplexität der Fraktur. Zunächst wird geprüft ob Indikationen für eine Notfalloperation vorliegen (Verletzung großer Gefäße, Luxationen (Handgelenk / Handwurzel / perilunär), Kompressionssyndrome, Nervenbeteiligung).
Liegt keine Indikation für eine Notfalloperation vor, werden dislozierte Frakturen meist im Rahmen der Erstversorgung in der Notaufnahme geschlossen reponiert. Die Reposition erfolgt dabei meist mithilfe von Extensionshülsen, die früher auch als „Mädchenfänger“ bezeichnet wurden. Dabei wird beim „Aushängen“ ein axialer Zug auf das Handgelenk ausgeübt und die Fragmente auseinandergezogen (z.B. im Liegen mit 90° gebeugtem Ellenbogen und dort angebrachtem Gewicht). Wird eine zufriedenstellende Stellungsverbesserung erreicht, kann die Fraktur zunächst in einer Unterarmgipsschiene ruhiggestellt und mittels erneuten Röntgenbildes die Stellung kontrolliert werden. Anschließend kann entweder eine operative Versorgung innerhalb von 7-10 Tagen nach Trauma oder eine konservative Therapie erfolgen.
Konservative Therapie
Konservative Therapie (Indikationen DGU Leitlinie 2015): stabile extraartikuläre Frakturen, nicht / gering dislozierte intraartikuläre Frakturen (ggf. nach geschlossener Reposition), Patient:innen >70 Jahren eher konservativ, Patient:innen >80 Jahre fast immer konservativ, bei Kontraindikationen gegen eine Operation
Ruhigstellung im Gips für ungefähr 6 Wochen (Erwachsene)
1. Woche: Dorsale Unterarmgipsschiene bei Risiko der Abkippung nach dorsal zur Streckseite (Extensionsfrakturen, siehe Abbildung) oder volare Unterarmgipsschiene bei Risiko der Abkippung nach volar zur Beugeseite (Flexionsfrakturen)
2.-6. Woche: Bei akzeptabler Weichteilsituation kann ein Wechsel auf einen zirkulären Unterarmgips / Unterarmcast erfolgen
Röntgenkontrollen nach 1, 2 und 6 Wochen
Achtung
Aufgrund der Schwellneigung in den ersten Tagen sollte primär kein zirkulärer Gips angelegt werden, da sonst die Gefahr der Entwicklung eines Kompartmentsyndroms besteht.
Tipp
Nach ungefähr 2 Wochen festigen sich Brüche. Die ersten Röntgenkontrollen sollten daher zur Detektion von Dislokationen in einem Zeitraum erfolgen, indem eine Reposition möglich ist, nach 6 Wochen hingegen zur Kontrolle des Endergebnisses.
Operative Therapie
Operative Therapie (Indikationen DGU Leitlinie 2015): instabile Frakturen, dislozierte intraartikuläre Frakturen, Frakturen mit prominentem Weichteilschaden, offene Frakturen, komplexe Begleitverletzungen des Handgelenks / der Handwurzel, traumatische Nervus medianus Kompression, begleitende Gefäß- / Nervenverletzungen, Durchblutungsstörungen nach Reposition, erfolglose Reposition, dislozierte Smith-Frakturen
Volare Plattenosteosynthese(bei Flexionsfrakturen oder Extensionsfrakturen)
Dorsale Plattenosteosynthese(bei Extensionsfrakturen, jedoch komplikationsreicher durch Eröffnung der Sehnenfächer und potenzieller Irritation der Strecksehnen)
Schraubenosteosynthese (z.B. bei Chauffeur-Frakturen oder als Zusatzmaßnahme)
K-Drahtosteosynthese (häufig bei Kindern oder ergänzend beim Fixateur externe)
Geschlossenes Verfahren: Fixateur externe(meist Notfallmaßnahme, erster Schritt bei zweizeitigen Verfahren zweite Operation zur definitiven Versorgung)
Neben der Dislokation mit Einheilung in einer Fehlstellung und daraus resultierender Bewegungseinschränkung stellen vor allem das posttraumatische Karpaltunnelsyndrom, die posttraumatische Arthrose oder (chronische) Schmerzen die Hauptkomplikationen bei distalen Radiusfrakturen dar. Besonders soll hier auf das CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) Bezug genommen werden.
Das CRPS resultiert aus einer Verschaltung von peripheren Nerven als Antwort auf einen langanhaltenden oder starken Schmerzreiz. Durch Traumata, schmerzhafte Repositionsmanöver, langanhaltende Schmerzen oder zu starke Kompression, wie zum Beispiel durch Fehlanlage eines Gipses / Verbands, kommt es neben einem brennenden Ruheschmerz auch zu trophischen Veränderungen mit blasser livider Haut im Seitenvergleich, Ödembildung und gestörter Thermoregulation.
Tipp
Um ein CRPS zu verhindern, ist eine effektive und zügige Schmerztherapie nach dem Unfall wichtig. Repositionsmanöver sollten ebenfalls unter adäquater Schmerztherapie erfolgen.
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Quellen
S2e-Leitlinie Distale Radiusfraktur, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU)
Zuletzt aktualisiert am 20.01.2025
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