Ernährungsplan für Säuglinge
Das Säuglingsalter ist ein Lebensabschnitt, der besonders sensibel für den Einfluss von Umgebungsfaktoren ist. Das rasche Wachstum, die Körperzusammensetzung und entwicklungsbedingte Veränderungen der Organfunktionen erfordern die Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse.
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung entwickelte Anfang der 90er Jahre einen Ernährungsplan für Säuglinge im 1. Lebensjahr. Dieser gliedert sich in 3 Abschnitte:
- Milchernährung in den ersten 4-6 Monaten
- Einführung der Beikost ab dem 5.-7. Monat
- Einführung der Familienkost ab dem 10. Monat
Milchernährung
Muttermilch
Verschiedene Hormone
Vorteile der Muttermilch:
- Optimale Zusammensetzung von Energie, Wasser und Nährstoffen mit hoher Bioverfügbarkeit
- Auf den Stoffwechsel und die Verdauung des Säuglings abgestimmt
- Infektionsschutz: Muttermilch enthält u.a. Immunglobuline (v.a. IgA), Lysozym
, Lactoferrin und Leukozyten - Allergie- & Krankheitsprophylaxe: Risiko für Allergien, Asthma, Neurodermitis, Diabetes und Fettleibigkeit↓
- Unterstützung einer gesunden Darmflora: Muttermilch enthält verschiedene Prä- & Probiotika
die das Wachstum nützlicher Darmbakterien fördern und die Entwicklung einer gesunden Darmflora unterstützen - Mütterliche Gesundheit: schnellere Rückbildung der Gebärmutter; Risiko für Mamma- & Ovarialkarzinome↓
Zusammensetzung:
Die Zusammensetzung der Muttermilch verändert sich im Laufe der Zeit und passt sich dem entwicklungsbedingten Nährstoffbedarf des Säuglings an.
Milch | Zusammensetzung | Funktion |
Kolostrum (Tag 1-3) |
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Übergangsmilch (ab Tag 3-4) |
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Reife Milch (ab Tag 10-14 bis Ende der Stillzeit |
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Die Zusammensetzung der Muttermilch verändert sich auch während der Stillmahlzeit. Zu Beginn der Stillmahlzeit ist die Milch dünnflüssiger und weist einen hohen Gehalt an Wasser und Laktose auf. Sie dient damit in erster Linie der Hydratation sowie der schnellen Energiebereitstellung. Gegen Ende der Stillmahlzeit wird die Milch dickflüssiger und der Fettgehalt nimmt zu. Der höhere Kalorienanteil sättigt und unterstützt das Wachstum.
Stillen - Kontraindikationen und Komplikationen:
Muttermilch stellt für gesunde Säuglinge die optimale Nahrungsquelle dar. Dennoch existieren einige Kontraindikationen, die einer Stillung entgegenstehen:
- Stoffwechselerkrankungen des Kindes (Galaktosämie, hereditäre Laktoseintoleranz
) - Mütterliche Infektionskrankheiten (z.B. HIV-Infektion oder offene Tuberkulose)
- Mütterlicher Drogenabusus oder Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Zytostatika
, Lithium oder Amiodaron )
Beim Stillen kann es außerdem zu verschiedenen Komplikationen kommen (wunde Mamillen, übermäßige Brustdrüsenschwellung, Milchstau etc.). Die Ursache dafür liegt nicht selten in einer falschen Stilltechnik. Treten Komplikationen auf, sollte neben einer ärztlichen Abklärung auch eine qualifizierte Stillberatung erfolgen.
Künstliche Säuglingsmilchnahrung (Formula)
Wenn Säuglinge nicht oder nur teilweise gestillt werden können, kommt industriell hergestellte Säuglingsnahrung zum Einsatz. Man unterscheidet hierbei zwischen:
- Säuglingsanfangsnahrungen mit der Bezeichnung „Pre“ oder der Ziffer „1“
- Folgenahrungen mit der Ziffer „2“ oder „3“
Säuglingsanfangsnahrungen sind für das gesamte 1. Lebensjahr geeignet und weitgehend an den Nährstoffgehalt der Muttermilch adaptiert. Nahrungen mit der Bezeichnung „Pre“ enthalten wie Muttermilch als einziges Kohlenhydrat Laktose. Die mit der Ziffer „1“ gekennzeichneten Produkte enthalten neben Laktose auch Stärke.
Folgenahrung eignet sich für Säuglinge ab dem 6. Lebensmonat und wird zusammen mit der Beikost gegeben. Sie ist sättigender und kann die Beikost als flüssige Komponente ergänzen. Eine Umstellung von Anfangs- auf Folgenahrung ist jedoch nicht zwingend notwendig.
Anfangs- und Folgenahrungen sind auf Kuhmilchbasis erhältlich. Bestehen diesbezüglich Kontraindikationen (z.B. Galaktosämie), können auch Produkte auf Sojabasis verwendet werden. Die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von Sojanahrungen sind jedoch unbekannt. Eine generelle Empfehlung kann daher nicht gegeben werden. Aus ernährungsphysiologischen und hygienischen Gründen wird zudem dringend davon abgeraten, Säuglingsnahrung selbst herzustellen.
AchtungKuhmilch in der Säuglingsernährung: Risiken und Nachteile
Reine Kuhmilch ist als Säuglingsnahrung nicht geeignet und muss daher immer angepasst werden. Im Vergleich zu Muttermilch enthält sie bspw. deutlich mehr Proteine, Natrium
, Calcium und Phosphor . Dies kann u.a. zu einer Überlastung der Nieren führen. Zudem steigt das Risiko für Elektrolytstörungen und Dehydratation. Demgegenüber ist der Gehalt an Eisen und ungesättigten Fettsäuren in Kuhmilch deutlich geringer, was das Risiko für Mangelerscheinungen erhöht.
Kritische Nährstoffe
Muttermilch deckt in den ersten 6 Monaten den Nährstoffbedarf des Säuglings bis auf wenige Ausnahmen ausreichend ab. Zu diesen Ausnahmen zählen Vitamin K
Vitamin K :
- Begrenzte Vitamin-K-Speicher bei Neugeborenen & niedriger Gehalt in der Muttermilch → Risiko für Vitamin-K-Mangel-Blutungen↑
- Prophylaxe: bei den Vorsorgeuntersuchungen (1. Lebenstag, 3.-10. Lebenstag, 4.-6. Lebenswoche) werden 3 x je 2 mg Vitamin K
oral verabreicht
Vitamin D:
- Synthese erfolgt größtenteils endogen über UV-Strahlung → Empfindliche Haut der Säuglinge → Direkte Sonneneinstrahlung sollte vermieden werden
- Zusätzlich erhöhter Bedarf durch schnelles Wachstum & niedrige Gehalte in der Muttermilch → Orale Verabreichung zur Rachitisprophylaxe notwendig
- Prophylaxe: 400-500 IE/Tag in Tablettenform bis zum 2. erlebten Frühsommer
Fluorid:
- Empfehlung einer täglichen Supplementierung zur Vorbeugung von Karies & Rachitis
- Prophylaxe: bis zum Durchbruch des ersten Zahns empfiehlt die DGE in Zusammenarbeit mit der DGKJ eine tägliche Supplementierung von 0,25 mg Fluorid in Form von Tabletten (als Kombipräparat mit Vitamin D erhältlich)
- Nach dem Durchbruch der ersten Milchzähne kann Fluorid entweder weiter supplementiert oder durch fluoridhaltige Zahnpasta ersetzt werden (spätestens ab dem 1. Geburtstag sollte auf regelmäßiges Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta umgestellt werden)
- Ausnahme: in Ländern, in denen das Trinkwasser einen hohen Fluoridgehalt aufweist, wird von einer zusätzlichen Einnahme abgeraten
Neben den genannten Nährstoffen wird im Säuglingsalter auch die Jodversorgung als kritisch eingestuft. Jod
Einführung der Beikost
Zwischen dem 4.-7. Lebensmonat wird (je nach Entwicklungsstand des Säuglings) schrittweise Beikost eingeführt. Dabei wird monatlich eine Milchmahlzeit durch eine Breimahlzeit ersetzt. Neue Lebensmittel einer Breimahlzeit werden im Abstand von 2-3 Tagen ergänzt. So können Verdauungsprobleme vermieden und Unverträglichkeiten erkannt werden. Als Breimahlzeiten eignen sich industriell hergestellte oder selbst zubereitete Mahlzeiten.
Reihenfolge der Breimahlzeiten:
- Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei:
- Beginn mit kleinen Mengen Gemüsepüree einer einzelnen Sorte (z.B. Karotten oder Brokkoli) → Langsame Steigerung der Breimenge, anschließend Ergänzung um weitere Zutaten
- Fleisch dient als wichtige Eisen
- & Zinkquelle - Die Breimahlzeiten sollten mit Vitamin-C-reichem Obstsaft kombiniert werden (→ Durch die Kombination von Vitamin-C-haltigen Produkten mit eisenreichen Lebensmitteln wird die Aufnahme von Nicht-Häm-Eisen
aus pflanzlichen Produkten verbessert) - Als Fettzusatz eignet sich v.a. Rapsöl (→ Günstiges Omega-6- zu Omega-3-Verhältnis)
- 1-2 x wöchentlich Meeresfisch statt Fleisch → Wichtige Quelle für essenzielle Fettsäuren & Jod
- Vollmilch-Getreide-Brei:
- Zusammensetzung aus Vollkorngetreide (z.B. Haferflocken), Obst & Vollmilch als wichtige Mineralstoffquelle (v.a. Calcium
) - Als Milch eignet sich Kuhmilch (Vollmilch, pasteurisiert oder ultrahocherhitzt) oder Säuglingsmilch
- Geeignete Obstsorten sind z.B. Äpfel oder Birnen (Bananen enthalten viel Zucker und sollten daher nicht jeden Tag auf dem Speiseplan stehen)
- Zusammensetzung aus Vollkorngetreide (z.B. Haferflocken), Obst & Vollmilch als wichtige Mineralstoffquelle (v.a. Calcium
- Getreide-Obst-Brei:
- Der milchfreie Getreide-Obst-Brei dient als wichtige Vitaminquelle
- Ab Einführung der 3. Breimahlzeit benötigt der Säugling erstmals zusätzlich Flüssigkeit (100-200 ml/Tag)
AchtungHonig kann Sporen des Bakteriums Clostridium botulinum enthalten. Um Säuglingsbotulismus zu vermeiden, sollten Kinder im ersten Lebensjahr keinen Honig erhalten.
Einführung der Familienkost
Etwa ab dem 10. Lebensmonat wird die Ernährung schrittweise von Milch- & Breimahlzeiten auf Familienkost umgestellt. Zu Beginn werden die Milchmahlzeiten und der Milch-Getreide-Brei durch kalte Hauptmahlzeiten ersetzt. Dazu eignen sich z.B. Vollkornbrot oder Getreideflocken, die mit etwas Obst und Milch oder Joghurt kombiniert werden können.
Später wird aus dem Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei eine warme Hauptmahlzeit. Diese besteht idealerweise aus einer Kohlenhydratquelle (z.B. Kartoffeln, Nudeln oder Reis), Gemüse und Fleisch oder Fisch. Schließlich wird der Getreide-Obst-Brei zu 2 kleineren Zwischenmahlzeiten, bestehend aus Obst oder Rohkost, Getreide (Brot, Getreideflocken o.Ä.) und ggf. Milch-/Milchprodukten.
Flüssigkeitsbedarf
Säuglinge haben einen deutlich höheren Wasserumsatz als Erwachsene. Dies ist mitunter auf die erhöhte Perspiratio (u.a. bedingt durch eine relativ größere Körper- & Lungenoberfläche sowie eine höhere Atemfrequenz) und die noch eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit der Nieren zurückzuführen.
In den ersten 4-6 Monaten wird der Flüssigkeitsbedarf vollständig durch Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrung gedeckt. Hohe Außentemperaturen oder krankheitsbedingte Faktoren (z.B. Fieber oder Erbrechen) können jedoch schnell zu einem hohen Flüssigkeitsverlust führen. In diesen Fällen kann eine zusätzliche Flüssigkeitszufuhr notwendig sein. Mit Einführung der Beikost müssen Säuglinge an regelmäßiges Trinken gewöhnt werden.
Alter | Flüssigkeitsbedarf |
1.-3. Lebensmonat |
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4.-12. Lebensmonat |
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Quellen
- S3-Leitlinie Allergieprävention, Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. (DGAKI), Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ)
- Biesalski H, Grimm P, Nowitzki-Grimm S: Taschenatlas Ernährung, Georg Thieme Verlag, 2020, ISBN: 978-3-13-242607-8
- Biesalski H et al.: Ernährungsmedizin, Georg Thieme Verlag, 2017, ISBN: 978-3-13-100295-2
- Suter P.: Checkliste Ernährung, Georg Thieme Verlag, 2008, ISBN: 9783131526731