Zusammenfassung
Die Fremdkörperingestion ist ein häufiges pädiatrisches Notfallereignis, das vor allem Kleinkinder im Alter von 1 bis 4 Jahren betrifft. Typische verschluckte Objekte sind Münzen, Spielzeugteile, Knopfzellen und Magnete. Besonders gefährlich sind mehrere verschluckte Magnete, die durch gegenseitige Anziehung Drucknekrosen und Darmperforationen verursachen können, sowie Knopfzellen, die durch elektrochemische Reaktionen zu schweren Verätzungen im Ösophagus führen können.
Die Symptomatik ist oft unspezifisch und reicht von Würgen, Erbrechen und Hypersalivation bis hin zu Atemnot. In vielen Fällen verläuft die Ingestion asymptomatisch, sodass späte gastrointestinale oder respiratorische Beschwerden die einzigen Manifestationen sein können.
Die Diagnostik erfolgt primär mittels Röntgenuntersuchung des Thorax
Therapeutisch erfordern Fremdkörper im Ösophagus eine dringliche Endoskopie. Im Magen kann meist abgewartet werden, außer bei spitzen Gegenständen, Magneten oder großen Knopfzellen, die rasch endoskopisch entfernt werden müssen. Komplikationen wie Perforationen oder Blutungen können eine chirurgische Intervention erforderlich machen.
Definition
Ingestion bezeichnet das Verschlucken von Fremdkörpern, die anschließend in den Ösophagus, den Magen
Epidemiologie und Risikogruppen
- Kinder (v.a. 1.–4. Lebensjahr)
- Häufigste Altersgruppe
- Verschlucken typischerweise Spielzeug, Münzen, Knopfbatterien
- Kinder mit neurologischen oder psychischen Beeinträchtigungen
- Größere Kinder
- Ingestion mitunter aus Imponiergehabe
- Erwachsene
- Akzidentelle Ingestion (z. B. Zahnprothesen)
- Häufig bei psychiatrischen Erkrankungen oder unter Einfluss von Substanzen (z.B. Alkohol- oder Drogenkonsum)
Häufige Fremdkörper:
- Münzen
- Knopfzellbatterien
- Magnete (v. a. mehrere!)
- Spielzeugteile
- Zahnersatz
- Große Nahrungsstücke (z. B. Fleischbolus)

“Coin-cells.jpg” von Gerhard H Wrodnigg, CC BY-SA 2.5, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5, via Wikimedia Commons
Fremdkörper | Risiko |
---|---|
Mehrere Magnete | Anziehung im GI-Trakt → Darmwand-Einklemmung → Drucknekrose, Perforation |
Knopfzellenbatterien | Stromfluss → Verätzung nach 1–2 h → tiefe Nekrosen |
Spitze/scharfkantige Fremdkörper | Perforationsgefahr |
Klinik
Akute Symptomatik
- Plötzliches Würgen oder Erbrechen (v. a. beim Essen/Spielen)
- Vermehrter Speichelfluss
- Schluckstörung
- Fremdkörpergefühl
- Nahrungsverweigerung
- Hustenreiz
- Dyspnoe bei Kompression von Larynx oder Trachea
Späte/unspezifische Symptome
- Bauchschmerzen
- Fieber
- Gedeihstörung
- Chronischer Husten
- Respiratorische Infekte
MerkeIn vielen Fällen ist der Verlauf initial asymptomatisch!
Diagnostik
MerkeBei Verdacht auf eine Fremdkörperingestion im Kindesalter sind eine gründliche Anamnese, eine gezielte körperliche Untersuchung und – falls erforderlich – bildgebende Verfahren notwendig. Da Kinder den Vorfall häufig nicht schildern können und die Symptome oft unspezifisch sind, ist eine sorgfältige Einschätzung der Gesamtsituation besonders wichtig.
Anamnestische Hinweise auf Ingestion:
- Plötzlicher Symptombeginn (z. B. Husten
, Würgen, Dysphagie) - Fehlen von typischen Infektzeichen (kein Fieber, kein Infektfokus)
- Symptombeginn unmittelbar nach oder beim Spielen (insbesondere mit Kleinteilen) oder Essen
- Unbeobachtete Momente mit potenziell zugänglichen Objekten (z. B. Münzen, Spielzeug)
Körperliche Untersuchung:
- Inspektion von Mund- und Rachenraum (z. B. sichtbarer Fremdkörper, Schleimhautschwellung)
- Auskultation auf Atemgeräusche
(z. B. Stridor bei oberen Fremdkörpern, asymmetrische Belüftung bei bronchialer Verlagerung) - Palpation des Abdomens bei Verdacht auf abdominelle Beschwerden durch distale Fremdkörper
Apparative Diagnostik:
- Röntgen-Thorax
in 2 Ebenen (p.a. und seitlich) - Durchführung von der oberen Thoraxapertur
bis zum Zwerchfell - Darstellung von röntgendichten Fremdkörpern
- Beurteilung auf Luftansammlungen vor dem Fremdkörper (z. B. Erweiterung der Speiseröhre oberhalb einer Verengung), Verlagerung von Strukturen im Mediastinum
oder das Vorliegen eines Pneumothorax
- Durchführung von der oberen Thoraxapertur

“Verschluckte Münze” von Samir at English Wikipedia, CC BY 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons
- Abdomenübersicht
- Bei unklarer Lokalisation oder Verdacht auf distale Passage des Fremdkörpers
- Endoskopie (flexibel oder starr)
- Indikation:
- Klinischer Verdacht trotz negativem Röntgen
- Nicht-röntgendichte Fremdkörper (z. B. Kunststoff, Holz)
- Funktion: Diagnostisch und zugleich therapeutisch
- Indikation:
Therapie
Die Therapie der Fremdkörperingestion richtet sich maßgeblich nach dem Ort des Fremdkörpers, seiner Beschaffenheit sowie dem klinischen Zustand des Kindes. Akut lebensbedrohliche Situationen wie eine vollständige Atemwegsverlegung erfordern sofortiges Handeln, während bei asymptomatischen Kindern mit distal lokalisiertem Fremdkörper oft ein abwartendes Vorgehen vertretbar ist. Entscheidend ist die rasche Einschätzung der Dringlichkeit, insbesondere bei potentiell gefährlichen Objekten wie Knopfbatterien oder Magneten.
Akute Entfernung bei Atemwegsverlegung
- Komplette Verlegung der oberen Atemwege: Sofortige Notfalllaryngoskopie mit Entfernung des Fremdkörpers mittels Magill-Zange unter Sicht
Fremdkörper im Ösophagus
- Dringliche Ösophagogastroduodenoskopie
(ÖGD ) innerhalb von 2 Stunden bei: - Knopfzellenbatterien
- Münzen (insbesondere bei längerem Steckenbleiben oder Symptomen)
- Spitzem oder scharfkantigem Fremdmaterial
- Ziel ist die rasche Vermeidung von Druckulzera, Perforationen oder Fistelbildungen.
Fremdkörper im Magen
- In der Regel konservatives Vorgehen, da die meisten Objekte spontan ausgeschieden werden
- Ausnahmen mit dringlicher ÖGD
(innerhalb von 2 Stunden): - Spitze oder scharfkantige Fremdkörper
- Mehrere verschluckte Magneten (Gefahr von intestinalen Perforationen durch Anziehung benachbarter Darmschlingen)
- Knopfzellbatterien mit > 20 mm Durchmesser
- Altersabhängige Empfehlung bei Knopfzellen im Magen
: - <5 Jahre: dringliche ÖGD
empfohlen - ≥ 5 Jahre: klinische Überwachung mit Röntgenkontrolle nach 24–48 h; bei Persistenz im Magen
: endoskopische Bergung
- <5 Jahre: dringliche ÖGD
AchtungFremdkörper im Ösophagus
müssen immer zeitnah entfernt werden, da bereits nach wenigen Stunden Drucknekrosen und tiefgreifende Schleimhautschäden drohen. Fremdkörper, die den Magen erreicht haben, können in vielen Fällen abgewartet werden – es sei denn, es handelt sich um gefährliche Objekte wie Batterien oder Magneten. Diese können schwerwiegende Komplikationen bis hin zur Perforation verursachen.
Therapie bei Komplikationen
- Trinkversuch: Vor Entlassung zur Überprüfung der Passage
- Stationäre Überwachung: Bei Schleimhautschäden oder nach Bergung gefährlicher Objekte
- Antibiotikagabe: Prophylaktisch oder therapeutisch bei Schleimhautverletzung oder Aspirationsrisiko
- Protonenpumpeninhibitoren
(PPI ): Zur Reduktion der Magensäure und Förderung der Schleimhautheilung - Enterale Ernährung
: Über Magensonde , falls orale Nahrungsaufnahme nicht möglich ist - Bildgebende Diagnostik: (CT
, Kontrastmittelpassage) bei Verdacht auf Perforation, Fistel oder Mediastinitis - Langfristige Nachsorge: Bei Ösophagusstrikturen, z. B. durch wiederholtes Bougieren (häufig über Monate bis Jahre erforderlich)
TippRed Flags bei Fremdkörperingestion (sofortiges Handeln erforderlich!)
- Plötzlicher Stridor
, Husten oder Zyanose → Hinweis auf Atemwegsverlegung - Speicheln, Dysphagie, retrosternaler Schmerz → Hinweis auf ösophagealen Fremdkörper
- Verschlucken von:
- Knopfzellbatterien (v. a. im Ösophagus
oder bei Kleinkindern) - Mehreren Magneten
- Scharfen/spitzen Objekten
- Zeichen der Perforation:
- Fieber
, Abwehrspannung, Pneumoperitoneum /Pneumomediastinum - Abnorme Röntgenbefunde:
- Luftstau über ösophagealem Fremdkörper
- Mediastinale Luft
- Dislozierte Fremdkörper in atypischer Lokalisation
Prognose
- In 80–90 % der Fälle verläuft die Fremdkörperpassage durch den Magen-Darm-Trakt spontan und komplikationslos (v. a. bei kleinen, glatten, nicht toxischen Objekten).
- Weitere Einflussfaktoren:
- Dauer bis zur Entfernung
- Anatomische Engstellen (z. B. ösophageale Stenosen)
- Größe und Alter des Kindes
- Spätfolgen:
- Ösophagusstrikturen
- Fisteln (tracheoösophageal, enterokutan)
- Chronischen Schluckstörungen nach Schleimhautschädigung
TippCheckliste vor Entlassung nach Fremdkörperingestion
Quellen
- S2k-Leitlinie Fremdkörperaspiration und Fremdkörperingestion, interdisziplinäre Versorgung von Kindern, Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI)