Zusammenfassung
Im klinischen Alltag treffen Mediziner:innen auf verschiedene Gesprächssituationen. Damit ergeben sich auch unterschiedliche Anforderungen bzgl. des Inhalts und der kommunikativen Kompetenzen. Im Rahmen des folgenden Artikels werden häufige Gesprächssituationen aus dem Alltag der Klinik und Praxis näher besprochen.
Anamnesegespräch
Ein Anamnesegespräch setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen. Bezüglich der Strukturierung existieren verschiedene Möglichkeiten, die sich insbesondere in der Reihenfolge der Inhalte und deren Gliederung unterscheiden. Es geht dabei nicht darum, sich strikt an eine bestimmte Reihenfolge zu halten. In der Praxis hat es sich jedoch bewährt, nach einem gewissen Schema vorzugehen. Die Ausgestaltung eines solchen Schemas kann individuell erfolgen. Eine Strukturierung der Inhalte und die Auswahl eines Schemas, das man in der Regel anwendet, fördert einen routinierten Ablauf und hilft dabei, die wichtigen Aspekte abzufragen und keine Punkte zu vergessen.
AchtungEine ausführliche Anamnese ist wichtig!
- Falsche Diagnosen sind in mehr als
50 % der Fälle auf eine unvollständige Anamnese zurückzuführen - 85 % aller Diagnosen werden anhand der Anamnese korrekt gestellt
Mögliche Gliederung der Inhalte:
- Aktuelle Anamnese – Leitsymptom
- Risiko- und Suchtmittelanamnese
- Vegetative Anamnese
- Vorgeschichte
- Gynäkologische Anamnese
- Familienvorgeschichte
- Berufs- und Psychosozialanamnese
1. Aktuelle Anamnese – Leitsymptom
Im ersten Schritt geht es um die aktuelle Beschwerdesymptomatik. Dabei werden nach und nach die verschiedenen Attribute des Leitsymptoms in Erfahrung gebracht.
Die 7 Attribute eines Symptoms:
Attribute | Passende Fragen |
---|---|
1.Lokalisation |
|
2.Qualität |
|
3.Quantität |
|
4.Zeit |
|
5.Setting |
|
6.Einflussfaktoren |
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7.Begleitsymptome |
|
TippUm die Quantität von Schmerzen besser angeben zu können, hat sich in der Praxis die Nutzung einer numerischen Skala bewährt. Eine Möglichkeit ist z.B. die Angabe in Zahlen von 1-10, wobei die Zahl 1 für geringe Schmerzen und die Zahl 10 für unerträgliche Schmerzen steht.
Im Zusammenhang mit den aktuellen Beschwerden sollte auch auf die unmittelbare Vorgeschichte eingegangen werden:
- Ärztliche Vorbehandlung: „Waren Sie mit den aktuellen Beschwerden bereits bei einem Arzt/einer Ärztin?“
- Selbstbehandlung: „Haben Sie selbst schon etwas gegen die Beschwerden unternommen?“ (Selbstmedikation, sonstige Maßnahmen)
- Eigene Einschätzung: „Haben Sie eine Idee, woher die Beschwerden kommen könnten?“ oder „Gab es ein Ereignis, das ursächlich für die Beschwerden sein könnte?“
2. Risiko- und Suchtmittelanamnese
- Allergien und Unverträglichkeiten: Die Unterscheidung zwischen Allergien und Unverträglichkeiten ist aus klinischer Sicht von großer Bedeutung. Insbesondere bei der Verabreichung von Medikamenten kann es bspw. vorkommen, dass eine Unverträglichkeit keine Kontraindikation darstellt, eine allergische Reaktion hingegen schon
- Herzkreislaufrisiken: Bluthochdruck
, erhöhte Blutfettwerte, Diabetes mellitus - Sexualanamnese
- Suchtmittelanamnese: Alkohol, Rauchen (Angabe in Pack Years
), weitere Drogen
Suchtmittelanamnese - Alkoholkonsum ansprechen
Gerade bei der Anamnese zum Thema Drogen und insbesondere zum Alkoholkonsum ist Fingerspitzengefühl bei der Wortwahl gefragt. Trotzdem ist die Thematisierung durch Ärzt:innen wichtig und bewirkt bei vielen Betroffenen eine deutliche Reduktion des Konsums. Folgende Punkte helfen dabei, die Alkoholanamnese zu erleichtern:
- Passender Zeitpunkt: Zunächst sollte ein passender Zeitpunkt gewählt werden. Dabei eignet sich bspw. der Erstkontakt, bei dem allgemein gesundheitliche Risikofaktoren angesprochen werden. Ein weiterer passender Zeitpunkt wäre z.B. dann gegeben, wenn aktuelle Beschwerden oder Befunde auf einen schädlichen Alkoholkonsum hinweisen könnten.
- Bezug zum allgemeinen Gesundheitsverhalten: Es macht Sinn, Fragen zum Alkoholkonsum mit der Erfassung des allgemeinen Gesundheitsverhaltens zu verbinden. Dadurch wirkt die Thematisierung weniger stigmatisierend.
Beispiel:
Arzt: „Wahrscheinlich ist Ihnen bewusst, dass das eigene Verhalten einen großen Einfluss auf die Gesundheit haben kann. So spielt bspw. die Ernährung, die körperliche Aktivität
- Erlaubnis einholen: Fragen nach dem Alkoholkonsum können für Patient:innen bedrohlich wirken. Viele reagieren darauf mit Verleugnung oder Verharmlosung. Um dies zu vermeiden, sollte man vorher um Erlaubnis fragen, ob der Alkoholkonsum thematisiert werden darf.
Beispiel:
Arzt: „Ich würde gerne mit Ihnen über Ihr Gesundheitsverhalten sprechen. Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Alkoholkonsum stelle?“
- Neutrale und deutliche Formulierungen: Sowohl Patient:innen, als
auch Ärzt:innen empfinden die Thematisierung von Suchtmittelgebrauch oft als unangenehm. Daher ist es wichtig, Fragen klar zu formulieren und dabei Selbstverständlichkeit auszudrücken. Offene Fragen nach Menge, Häufigkeit und Alkoholgehalt ermöglichen außerdem eine genauere Einschätzung. Negativ behaftete Begriffe wie „Betrinken“ sollten dagegen vermieden werden.
Beispiel:
Arzt: „In unserer Gesellschaft gehört der Konsum von Alkohol oft einfach dazu. Deshalb würde mich interessieren, ob Sie Alkohol trinken? Wenn ja, wie häufig konsumieren Sie Alkohol? An den Tagen, an denen Sie Alkohol trinken, wie viele Gläser sind es dann ungefähr? Welche Art von Alkohol konsumieren Sie?“
AchtungDie WHO definiert riskanten Alkoholkonsum als
einen täglichen Konsum von mehr als 12 g Reinalkohol bei Frauen und mehr als 24 g bei Männern. Dies entspricht etwa einer Menge von 300 ml Bier für Frauen und 600 ml Bier für Männer.
InfoCAGE-Test
Bei dem Verdacht auf einen pathologischen Alkoholkonsum eignet sich der sogenannte CAGE-Test
. Dieser einfache, kurze Test besteht aus 4 Fragen und dient der groben Einschätzung des Konsumverhaltens.
- Cut down drinking: “Haben Sie jemals daran gedacht, weniger zu trinken?”
- Annoying: “Haben Sie sich schon einmal über Kritik bezüglich Ihres Trinkverhaltens geärgert?”
- G
uilty: “Empfinden Sie selbst Schuldgefühle wegen Ihres Trinkverhaltens?” - Eye opener: “Benötigen Sie morgens Alkohol, um leistungsfähiger zu werden?”
Jede positiv beantwortete Frage entspricht einem Punkt. Werden 2 oder mehr Punkte erreicht, ist eine Alkoholabhängigkeit wahrscheinlich.
3. Vegetative Anamnese
Veränderungen vegetativer Körperfunktionen können wichtige Hinweise auf bestimmte Erkrankungen sein. Folgende Punkte sind Bestandteil der vegetativen Anamnese:
- Appetit- und Durstgefühl
- Ungewollte Veränderungen des Körpergewichts
- Schlaf: Ein- oder Durchschlafstörungen
- Müdigkeit, Erschöpfung, Leistungsknick
- Stuhlgang: Frequenz (Diarrhö
, Obstipation ), Beschaffenheit, Farbe - Miktion: Frequenz und Menge, Aussehen (Farbe, Schaum), Dysurie
, Nykturie - Atmung
- Fieber, Schweißausbrüche, Nachtschweiß
4. Vorgeschichte
- Vorerkrankungen: Um keine relevanten Informationen zu verpassen, bietet sich bei der Befragung zu Vorerkrankungen ein systematisches Vorgehen nach Organsystemen oder Körperregionen an
- Operationen
- Kinderkrankheiten: Mumps, Masern, Röteln, Diphterie, Pertussis
- Impfstatus
- Medikamentenanamnese: Dokumentation mit Wirkstoff, Dosis, Häufigkeit und Darreichungsform
Eselsbrücke zur Systematik der Organe und Organsysteme: Karl-Heinz Taugenichts:
K | Kopf |
H | Hals |
T | Thorax |
A | Abdomen |
U | Uro- |
G | Genital |
E | Extremitäten |
N | Nerven |
I | Immunsystem (Lymphknoten) |
C | Cardiovaskuläres System |
H | Haut |
T | Thyroidea |
S | Skelett- und Bewegungssystem |
5. Gynäkologische Anamnese
Gegebenenfalls ist auch eine gynäkologische Anamnese
- Menstruation
: Regelmäßigkeit, Zwischenblutungen , Zeitpunkt der letzten Periode, Menstruationsbeschwerden - Menarche/Menopause
- Schwangerschaften
6. Familienvorgeschichte
Neben klassischen Erbkrankheiten gibt es auch viele verbreitete Erkrankungen mit genetischer Komponente. So kann eine familiäre, genetische Disposition bspw. bei Autoimmunerkrankungen, Hypertonie, Diabetes mellitus
- Bekannte Erbkrankheiten
- Chronische Erkrankungen in der Familie
- Früher Erkrankungsbeginn/frühes Krankheitsereignis in der Familie
- Gegebenenfalls Todesursache naher Verwandter
7. Berufs- und Psychosozialanamnese
Im Rahmen der Berufs- und Psychosozialanamnese wird das soziale Umfeld der Patient:innen exploriert. Der Umfang und Fokus können hierbei je nach Symptomen und Erkrankung variieren. Handelt es sich möglicherweise um eine Berufskrankheit, sollte neben der aktuellen Berufssituation bspw. auch die Berufshistorie erfragt werden. Liegt der Verdacht dagegen auf einer psychischen Erkrankung, sollte die Berufs- und Psychosozialanamnese ohnehin umfangreich ausfallen.
- Berufliche Situation: Bildungsabschluss, berufliche Tätigkeit, berufliche Probleme (drohender Arbeitsverlust, Mobbing, Überstunden, Stress…)
- Finanzielle Situation
- Familiäre Situation: Familienstand, Lebensweise, Sucht in der Familie
- Belastende Ereignisse: Haftstrafen, Kindesverlust, Reha-Aufenthalte...
- Persönliche Interessen: Freizeitaktivitäten, sportliche Aktivität, Nebentätigkeiten
TippAuch wenn die Berufs- und Psychosozialanamnese auf den ersten Blick überflüssig erscheinen mag, lassen sich aus ihr viele Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ziehen. So können einschneidende Ereignisse in der Vergangenheit bspw. auf gesundheitliche Risiken hindeuten.
Beispiel eines Anamnesegesprächs
Der folgende Ausschnitt eines Anamnesegesprächs zum Schritt “Aktuelle Anamnese – Leitsymptom” soll als
Ausgangssituation: In der Allgemeinarztpraxis von Dr. Müller stellt sich eine junge Patientin mit wiederkehrenden Kopfschmerzen
1. Gesprächsbeginn
InfoErinnerung - Ziele des Gesprächbeginns:
- Vorbereitung
- Kontaktaufnahme
- Identifikation der Gründe für die Konsultation
Dr. Müller bereitet sich auf das Gespräch vor
Analyse: Der Arzt beginnt das Gespräch mit einer Begrüßung und Vorstellung. Danach ermittelt er
Patientin: “Ich habe seit ungefähr 2 Wochen wiederkehrende, starke Kopfschmerzen
2. Anamnese
Arzt: “Dass das belastend ist, kann ich sehr gut verstehen. Können Sie den Schmerz vielleicht etwas genauer beschreiben?”
Analyse: Herr Dr. Müller zeigt an dieser Stelle Verständnis für die Situation der Patientin. Er
InfoDer Fragenstil ändert sich mit dem Verlauf des Gesprächs. Zu Beginn der Anamnese sollten eher offene Fragen gestellt werden.
Patientin: “Die Schmerzen sind stechend und treten meist 2-3 mal pro Nacht auf. Wenn sie auftreten, dauern sie etwa eine Stunde an. Sie begrenzen sich auf eine Gesichtshälfte und sind im Bereich um das Auge
Analyse: Einige Attribute des Symptoms hat die Patientin bereits beschrieben. Nun geht es darum, gezielt nach fehlenden Informationen zu fragen.
Arzt: “Sie haben gesagt, die Schmerzen sind immer einseitig. Sind sie immer auf der gleichen Seite?”
Patientin: “Ja, bisher waren die Schmerzen immer auf der rechten Seite.”
Arzt: “Wie würden Sie Ihre Schmerzen auf einer Skala von 1-10 einordnen, wenn 1 kaum Schmerzen und 10 unerträgliche Schmerzen bedeutet?”
Patientin: “Ich würde sagen zwischen 7 und 8.”
Analyse: Dr. Müller verwendet eine Schmerzskala
Arzt: “Sie hatten anfangs erwähnt, dass der Schmerz vor
Patientin: “Nein, sonst ist mir nichts aufgefallen.”
Arzt: “Okay. Wenn der Schmerz auftritt, gibt es Faktoren, die den Schmerz verbessern oder verschlechtern?”
Patientin: “Nein, auch nicht. Ich dachte, Schmerzmittel würden helfen. Leider hatte ich damit aber keinen Erfolg.”
Arzt: “Welche Schmerzmittel haben Sie denn genommen?”
Patientin: “Bisher nur Ibuprofen
Arzt: “In Ordnung, Ibuprofen
Analyse: Insbesondere im Hinblick auf Medikamentenangaben sind kurze Wiederholungen hilfreich, um Missverständnisse zu vermeiden. Zudem nutzt Dr. Müller den Dialog passend, um auf die unmittelbare Vorgeschichte überzuleiten.
InfoDie unmittelbare Vorgeschichte ist Teil der aktuellen Anamnese und beinhaltet Fragen zur ärztlichen Vorbehandlung, Selbstmedikation und zur eigenen Einschätzung bzgl. möglicher Ursachen.
Patientin: “Nein, sonst habe ich nichts unternommen. Bei einem Arzt oder einer Ärztin war ich bisher auch noch nicht.”
Arzt: “Haben Sie denn selbst eine Idee, woher die Schmerzen kommen könnten?”
Patientin: “Nein. Ich mache nichts anders als
Arzt: “Dann würde ich kurz zusammenfassen, was wir bisher besprochen haben. Wenn ich etwas falsch verstanden habe, korrigieren Sie mich bitte. Sie haben seit ca. 2 Wochen wiederkehrende, stechende Kopfschmerzen
(…)
Bisher haben Sie lediglich 600 mg
Patientin: “Ja, das stimmt so.”
Arzt: “Möchten Sie sonst noch etwas ergänzen?”
Patientin: “Nein, mir fällt nichts mehr ein.”
Analyse: Bevor Dr. Müller zum nächsten Schritt der Anamnese übergeht, fasst er
TippBereits während des Anamnesegesprächs sollte auch auf klinische Eindrücke geachtet werden. So können bspw. der Allgemeinzustand, der Ernährungszustand, die Körperhaltung oder Hautveränderungen erste Hinweise auf Erkrankungen geben.
Stationsvisite
Das Visitengespräch zählt in der Klinik zu den täglichen Aufgaben vieler Ärzt:innen. Es ist dennoch wichtig, dass die Bedeutung der Visite
Die Rahmenbedingungen einer Stationsvisite
- Kommunikation auf Augenhöhe: Das Visitengespräch sollte wenn möglich auf Augenhöhe stattfinden. Dies gelingt bspw., indem sich die Ärzt:innen auf einen Stuhl neben das Bett der Patient:innen setzen. Dies signalisiert zusätzlich Ruhe und zeigt, dass man sich Zeit für das Gespräch nimmt. Aus hygienischen Gründen sollte man sich nicht auf das Bett der Patient:innen setzen.
- Besprechungen im Team: Besprechungen im Team sollten nicht im Zimmer der Patient:innen geführt werden. Alternativ kann die interne Kommunikation z.B. im Gang erfolgen. Hier sollte darauf geachtet werden, dass keine anderen Patient:innen oder Angehörige sensible Informationen erfahren.
- Pausen machen: Während des Gesprächs sollten Ärzt:innen ausreichend Pausen machen. Auf diese Weise erhalten Patient:innen die Möglichkeit, die Informationen zu verarbeiten und Fragen zu stellen.
- Strukturierung der Inhalte und Themen: Häufig sind die medizinischen Fakten in Verbindung mit der begrenzten Zeit und mehreren Personen, die die Visite
begleiten, überfordernd für die Patient:innen. Eine Strukturierung des Gesprächs kann hierbei hilfreich sein.
Da die Informationsvermittlung im Mittelpunkt der Visite
Die Visite
AchtungIm Rahmen der Visite
kommt es oftmals zu einem Interessenkonflikt: Während das Pflegepersonal und die Assistenzärzt:innen bspw. ihr fachliches Können unter Beweis stellen wollen, haben Chefärzt:innen bestimmte Erwartungen und wollen ihrem Ruf als Vorgesetzte gerecht werden. Dies führt dazu, dass oft über und nicht mit den Patient:innen gesprochen wird. Um diesen Interessenkonflikt zu vermeiden, eignet sich eine funktionelle Untergliederung der Visite
in ein internes Fachgespräch über die Patient:innen und ein persönliches Gespräch mit den Patient:innen.
TippBei der Visite
bleibt oft wenig Zeit, um Informationen zu erhalten und zu vermitteln. Die inhaltlichen Interessen und Prioritäten unterscheiden sich aus Sicht der Patient:innen und Ärzt:innen. Während für Ärzt:innen die Diagnose und Therapie die wichtigsten Themen darstellen, wollen Patient:innen bspw. vor allem über das Erleben ihrer Erkrankung sprechen. Im Sinne einer guten Beziehung, sollte zwischen den Erwartungen beider Seiten vermittelt werden.
.
Ablauf eines Visitengesprächs - Beispiel
Ausgangssituation: Die Stationsärztin Dr. Müller beginnt die morgendliche Visite
- Name des Patienten
- Ergebnisse der Diagnostik, Diagnose und anstehende Diagnostik
- Therapieplan
- Aktuelle Probleme
Analyse: Analog zur Anamnese sollte auch im Rahmen der Stationsvisite
Bevor das Team den Raum betritt, findet eine kurze Besprechung im Rahmen eines internen Fachgesprächs statt. Dabei werden u.a. folgende Standardfragen behandelt:
- Welche Themen stehen aktuell im Vordergrund?
- Welches Ziel hat das Visitengespräch?
- Wer spricht welche Themen an?
Analyse: Wie bereits erwähnt, sollte das fachinterne Gespräch ohne Anwesenheit von Patient:innen erfolgen, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden und Themen offen ansprechen zu können. Zudem hilft die gemeinsame Vorbesprechung, das anschließende Gespräch besser zu strukturieren.
Das Team betritt das Zimmer des Patienten. Anschließend bittet Frau Dr. Müller alle anderen Anwesenden, den Raum zu verlassen.
Analyse: Damit soll die Privatsphäre während des Gesprächs gewährleistet werden. Dies ist bei mehreren bettlägerigen Patient:innen in einem Zimmer nicht immer möglich.
Dr. Müller setzt sich auf einen Stuhl neben das Bett des Patienten und beginnt das Gespräch: „Guten Tag Herr Krause, wir kennen uns noch nicht. Mein Name ist Dr. Müller. Ich bin Stationsärztin und werde heute zusammen mit meinem Team das Visitengespräch mit Ihnen führen. Wie fühlen Sie sich denn aktuell?“
Analyse: Die Begrüßung erfolgt analog zum Anamnesegespräch. Im Rahmen der Visite
Patient: „Mir geht es schon viel besser! Nachdem die letzten Tage so mühsam waren, würde ich jetzt aber wirklich gerne nach Hause. Wann kann ich denn gehen?“
Arzt: „Wir freuen uns sehr, dass es Ihnen besser geht. Ich verstehe auch, dass Sie schnell nach Hause wollen. Vor
Analyse: Die Stationsärztin drückt Verständnis für die Situation des Patienten aus. Zudem erklärt sie ihm das geplante Vorgehen und fragt nach seinem Einverständnis. Auf diese Weise wird Herr Krause in die Entscheidungsfindung einbezogen.
Patient: „Ja, das ist für mich in Ordnung. Danke!“
Arzt: „Sehr gut. Haben Sie noch irgendwelche Fragen oder Anmerkungen?“
Patient: „Nein, aktuell nicht. Ich informiere schonmal meine Frau, sie würde mich wahrscheinlich abholen.“
Pflegepersonal: „Wenn Sie doch noch Fragen haben oder wir sonst etwas für Sie tun können, sagen Sie uns gerne jederzeit Bescheid. Wir kommen gleich nochmal, um Ihnen Blut
Analyse: Die Stationsärztin gibt dem Patienten die Möglichkeit, offene Fragen zu klären. Auch das Pflegepersonal bietet dem Patienten an, nochmals in Ruhe über persönliche Anliegen nachzudenken und diese zu einem späteren Zeitpunkt anzusprechen.
Arzt: „Gut. Sobald die Laborwerte vorliegen, komme ich noch einmal für eine kurze Besprechung zu Ihnen. Bis später.“
Das Team verlässt den Raum. Abschließend werden fachinterne Anliegen besprochen und das geplante Vorgehen nochmals gemeinsam zusammengefasst.
Aufklärungsgespräch
Das Aufklärungsgespräch zählt zu den wesentlichen Pflichten von Ärzt:innen. Es dient dazu, Patient:innen über geplante diagnostische und/oder therapeutische Maßnahmen zu informieren und eine Einwilligung einzuholen.
AchtungPatient:innen haben das Recht, angemessen über geplante Eingriffe aufgeklärt zu werden und selber zu entscheiden, ob diese durchgeführt werden sollen. Dieser Anspruch geht aus dem Selbstbestimmungsrecht hervor. Nach der Rechtslage ist für die Aufklärung ein vertrauensvolles Gespräch zwischen Ärzt:innen und Patient:innen erforderlich. Zusätzlich können Informationen über den Eingriff und die Risiken in schriftlicher Form zur Verfügung gestellt werden. Es sollte eine Dokumentation erfolgen.
Im Rahmen der Aufklärung von Patient:innen, müssen einige rechtliche Vorgaben eingehalten werden.
InfoDas Aufklärungsgespräch muss…
… mündlich und durch den/die Behandler:in/Untersucher:in selbst erfolgen oder bei Übertragung der Aufgabe an Kolleg:innen in Bezug auf die korrekte Durchführung überprüft werden
… schriftlich dokumentiert werden
… mit genügend zeitlichem Abstand zum Eingriff erfolgen
→ Patient:innen sollten Entscheidungen ohne Handlungsdruck treffen können. Ist eine Aufklärung im Vorfeld nicht möglich, muss diese schnellst möglich nachgeholt werden. Eine solche Situationen wäre z.B. dann gegeben, wenn Patient:innen nicht ansprechbar sind und in akuter Lebensgefahr schweben.… in einer für die Patient:innen verständlichen Sprache erfolgen
→ Möglichst wenige Fachbegriffe und ggf. mit Dolmetscher:in (nicht Angehörige der Patient:innen aufgrund der Sicherung der Privatsphäre und Neutralität)… Informationen zu möglichen Risiken enthalten
→ Der Umfang hängt insb. von der Dringlichkeit des Eingriffs ab. In der Regel ist es nicht erforderlich, alle denkbaren Risiken im Einzelnen aufzuzählen und genau zu beschreiben. Die rechtliche Anfechtbarkeit ist allerdings umso schwieriger, je detaillierter die Aufklärung erfolgt. Es sollte grundsätzlich immer auf häufig auftretende und besonders schwerwiegende Risiken hingewiesen werden. Es sollte weiterhin eine Einschätzung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses anhand der individuellen Faktoren der Patient:innen erfolgen. … über Alternativen aufklären
Abgesehen von den rechtlichen Vorgaben ist es wichtig, dass im Rahmen des Gesprächs über folgende Inhalte informiert wird:
- Diagnose/Verdachtsdiagnose
- Art, technische Durchführung, Dringlichkeit und Ziel der Behandlung oder Untersuchung
- Nutzen und Risiken
- Alternativmethoden
- Folgen bei Ablehnung der Intervention
InfoZiel der Aufklärung ist es, dass Patient:innen über geplante Maßnahmen und mögliche Alternativen Bescheid wissen. Ärzt:innen überschätzen jedoch häufig, wie viel Patient:innen vom Inhalt des Gesprächs tatsächlich verstanden haben. Patient:innen trauen sich wiederum oft nicht nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.
Bei der Aufklärung ist deshalb besonders viel Wert auf eine strukturierte und leicht verständliche Informationsvermittlung zu legen. Zudem sollte überprüft werden, ob Patient:innen die Informationen auch tatsächlich verstanden haben.
Für die Informationsvermittlung im Rahmen der Aufklärung eignet sich das Vorgehen mithilfe der Buch-Metapher
Als
InfoIm Aufklärungsgespräch sollen die Patient:innen so informiert werden, dass sie gemeinsam mit dem/der Ärzt:in eine Entscheidung bezüglich der weiteren Diagnostik und/oder Therapie treffen können. Es sollte nicht eine reine Informationsvermittlung, sondern eine gemeinsame Entscheidungsfindung erfolgen. Man spricht auch vom „informed consent“ oder der „informierten Einwilligung“.
Übermitteln schwieriger Botschaften
Neben Routinegesprächen gehört auch das Überbringen schwieriger Botschaften zum Alltag vieler Ärzt:innen. Gerade zu Beginn sind derartige Gespräche für Mediziner:innen schwierig und herausfordernd. Als
InfoSPIKES-Modell
- Setting: Vorbereitung und Umgebung
- P
erception: Wissensstand und Wahrnehmung erfragen - Invitation: Informationsbedürfnis klären
- Knowledge: Informationsvermittlung
- Empathy: Emotionen zulassen, benennen, anerkennen
- Strategy and Summary: Planung und Zusammenfassung
Setting
- Vorbereitung:
Überlegung, welche Informationen vermittelt werden sollen
→ Planung der Schritte
→ Sicherstellung eines geeigneten Umfelds: Unterbrechungen und Störungen vermeiden
→ Ausreichend Zeit einplanen - Eventuell Miteinbeziehung von Bezugspersonen (je nach Wunsch und Situation)
P erception
- Vorwissen und Vorahnungen einschätzen/erfragen
- Offene Fragen wie z.B.: „Wie schätzen Sie Ihre Krankheitssituation denn aktuell selber ein?“
Invitation
- Erkundung des Informationsbedürfnisses
→ Mögliche Frage: „Möchten Sie, dass ich Sie über alle Einzelheiten Ihrer Erkrankung aufkläre oder möchten Sie lieber, dass ich erstmal sage, was ich für wichtig erachte?“
Knowledge
- Auf die Botschaft vorbereiten: „Leider habe ich keine guten Nachrichten für Sie…“
- Vermittlung der Informationen entsprechend des Vorwissens und des Informationsbedürfnisses
- Klare und verständliche Sprache
- Vermeidung drastischer Formulierungen
- Keine reine Aufzählung von Informationen → Aufteilung in kleinere Einheiten
- Zwischendurch Verständnis überprüfen
Empathy
Siehe NURSE-Modell
Strategy and Summary
- Weiteres Vorgehen planen – „Fahrplan“ erarbeiten:
→ Was geschieht alsnächstes? (Behandlung, Termine, Prognose…) - Zusammenfassung des Gesprächs
- Offene Fragen und Missverständnisse klären
Beispiel:
Herr Dr. Meier bereitet sich auf ein Gespräch mit Herrn Bunt vor
Arzt: „Wie geht es Ihnen aktuell?“
Patient: „Ich habe weiterhin starken Husten und bin mir unsicher, ob dieser durch meine Herzerkrankung oder etwas anderes hervorgerufen wird.“
Arzt: „Genau aus diesem Grund würde ich gerne heute mit Ihnen sprechen. Wir möchten herausfinden, was die Ursache für Ihren Husten ist, damit wir eine zielgerichtete Therapie durchführen können. Möchten Sie, dass ich Sie genauer über die möglichen Ursachen und das weitere Vorgehen informiere?“
Analyse: Herr Dr. Meier bereitet sich auf das Gespräch vor
Patient: „Ja, informieren Sie mich bitte über die möglichen Diagnosen und das weitere Vorgehen.“
Arzt: „Der Husten ist mit ihrer bereits bekannten Herzschwäche
Analyse: Herr Dr. Meier vermittelt Herrn Bunt in einfachen Worten die möglichen Ursachen für seinen Husten. Er
Patient: „Aktuell fühle ich mich verunsichert. Wann könnte diese Untersuchung durchgeführt werden?“
Arzt: „Ich verstehe Ihre Verunsicherung. Das ist ganz normal, wenn man so etwas hört. Wir würden die Untersuchung morgen durchführen. Ich werde sie gleich ausführlich über die Untersuchung aufklären. Wäre das für Sie in Ordnung?“
Patient: „Ja, das wäre in Ordnung für mich!“
Arzt: „Ok, dann beginnen wir gleich mit der Aufklärung. Ich fasse noch einmal zusammen: Sie haben seit mehreren Wochen einen starken Husten, der mit Ihrer Herzschwäche
Analyse: Herr Dr. Meier fasst am Ende des ersten Teils des Gesprächs die Informationen zusammen. Er
Motivierende Gesprächsführung
Die motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing - MI) ist eine evidenzbasierte Methode der Kommunikation, um die Veränderungsbereitschaft von Patient:innen zu fördern. Das Ziel ist es, die intrinsische Motivation und Selbstwirksamkeitserwartung bzgl. einer Verhaltensänderung durch bestimmte Gesprächstechniken zu stärken. Die motivierende Gesprächsführung kann bspw. bei Patient:innen mit Suchterkrankungen angewendet werden.
Im Rahmen der motivierenden Gesprächsführung ist die Haltung der Ärzt:innen entscheidend. Folgende motivationsfördernde Grundhaltungen werden dabei beschrieben:
Grundhaltung | Merkmal |
---|---|
Partnerschaftlichkeit |
|
Evokation |
|
Autonomie |
|
Es wird also davon ausgegangen, dass Patient:innen selbst in der Lage sind, ihr Verhalten zu ändern. Im ersten Schritt geht es demnach darum, die Bereitschaft zur Veränderung anzustoßen. Der Versuch, Patient:innen zu überreden oder zu konfrontieren stößt in der Regel auf Widerstand und sollte deshalb vermieden werden. Stattdessen besteht das Ziel in diesem Schritt darin, die Reflexion des eigenen Verhaltens zu fördern. Dies gelingt bspw. durch eine sachliche Beleuchtung von den Auswirkungen, mit denen das jeweilige Verhalten einhergeht. Eine Möglichkeit besteht darin, die konkreten Zusammenhänge zwischen dem Verhalten und den gesundheitlichen Auswirkungen aufzuzeigen. Dabei kann z.B. auf konkrete Laborwerte oder Befunde zurückgegriffen werden. Die Patient:innen werden auf diese Weise zum Nachdenken angeregt. Im besten Fall liefern sie sich selbst Argumente, um genügend Veränderungsbereitschaft aufzubauen. Inwiefern die Schlussfolgerungen zur Verhaltensänderung beitragen, bleibt jedoch jedem selbst überlassen.
Besteht bereits ausreichend Veränderungsbereitschaft, geht es im zweiten Schritt darum, die Selbstverpflichtung zu stärken. Dies gelingt, indem konkrete Ziele und Pläne zur Zielerreichung erarbeitet werden.
Ärzt:innen sollten vor
Das übergeordnete Ziel der motivierenden Gesprächsführung besteht darin, ein Klima zu schaffen, das es den Patient:innen erlaubt, Probleme und belastende Umstände anzusprechen. Während jede Form von Veränderungsbereitschaft gefördert werden soll, muss auch die Ablehnung von Veränderungen akzeptiert werden.
Beispiel:
Frau Dr. Blume spricht mit ihrem Patienten über den aktuellen Stand seiner Alkoholabhängigkeit:
Ärztin: „Wie geht es Ihnen aktuell?“
Patient: „Ich habe weiterhin sehr mit meinem Alkoholproblem zu kämpfen. Ich schaffe es einfach nicht aufzuhören und ich habe schon wieder das Gefühl, dass ich die Kontrolle verloren habe.“
Ärztin: „Zunächst einmal schätze ich Ihre Offenheit. Das klingt wirklich sehr frustrierend. Erzählen Sie mir bitte, was Sie dazu motiviert, aufzuhören?“
Analyse: Frau Dr. Blume zeigt Verständnis für die Frustration des Patienten. Das Ziel ist es zunächst, ausreichend Veränderungsbereitschaft aufzubauen. Durch ihre Frage regt sie den Patienten zum Nachdenken an. Dieser liefert sich daraufhin selbst Argumente, sein Verhalten zu ändern.
Patient: „Am meisten motiviert mich meine Familie. Ich möchte ein guter Vater für meine Kinder sein. Es ist denke ich vor
Ärztin: „Stress durch die Arbeit kann durchaus sehr belastend sein. Fallen Ihnen vielleicht andere Ressourcen ein, um mit dem Stress umzugehen?“
Analyse: Mit dieser Frage hilft die Ärztin ihrem Patienten, einen alternativen Umgang mit Stress zu finden. Sie weicht dabei nicht von der Grundhaltung ab
Patient: „Ja, früher hat mir Sport
Ärztin: „Das ist eine tolle Idee! Fällt Ihnen ein, wie Sie diese Strategie in Ihren Alltag integrieren könnten?“
Analyse: Mithilfe dieser Frage leitet die Ärztin den nächsten Schritt ein, in dem es u.a. darum geht, Pläne für die Umsetzung bestimmter Ziele zu entwickeln. In weiterer Folge ist es sinnvoll, konkrete Ziele festzulegen.