Zusammenfassung
Ein maligner Hodentumor bezeichnet eine bösartige Gewebeveränderung des Hodens. Häufig davon betroffen sind junge Männer im Alter von 25 bis 45 Jahren.
Die konkrete Genese ist bislang noch unbekannt. Mögliche Einflussfaktoren, die die Entstehung begünstigen (Kausalgenese) sind: ein unbehandelter Hodenhochstand, Umweltgifte oder eine fehlerhafte Keimzellenreifung. Die Einteilung erfolgt nach Entstehungsort bzw. Histologie in Keimzelltumore und Nicht-Keimzelltumore. Der Keimzelltumor kommt mit ca. 90 % am häufigsten vor.
Die Erkrankung macht sich zu Beginn durch eine meist schmerzlose, harte Vergrößerung des Hodens bemerkbar. In weiterer Folge können Schmerzen im Hoden, in der Leiste sowie bei Metastasierung Schmerzen im Rücken bis hin zu Dyspnoe auftreten.
Therapie erster Wahl ist die rasche und komplette Entfernung des betroffenen Hodens (Orchiektomie), wobei zuvor über eine Spermienkonservierung nachgedacht werden muss, da es zu einer möglichen Zeugungsunfähigkeit, durch den Eingriff, kommen kann. Nach der Operation ist primär die Kontrolle der Tumormarker
Für die Prognose der Erkrankung gilt, je früher die Diagnose, desto günstiger ist die Prognose.
Epidemiologie
Inzidenz:
- Leicht steigend
- Liegt momentan bei etwa 10 auf 100.000 Einwohner
- Obwohl es der häufigste Tumor des jungen Mannes ist, sind Hodentumore mit 1,2 % Gesamtanteil aller Karzinome des Mannes insgesamt selten
Altersgruppe:
- Zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr (Stand: 22.10.2024, RKI)
- Durchschnittliches Erkrankungsalter: 37 Jahren
Ursachen
Die genaue Genese ist unbekannt. Folgende Risikofaktoren sind bekannt:
- Fehlerhafte Reifung von Keimzellen
- Häufig kommt es bereits beim männlichen Embryo zu einer fehlerhaften Reifung der primordialen Keimzelle, welche zu ungehemmter Zellteilung führt
- Diese Krebsvorstufe wird Germ cell neoplasia in situ genannt und entwickelt sich erst nach der Pubertät potentiell zum Hodentumor
- Maldescensus testis
- Bei einem unbehandelten Hodenhochstand (Kryptorchismus) kann sich das Hodenkrebsrisiko auf das 20-fache erhöhen
AchtungNach Vollendung des ersten Lebensjahres gehört ein Maldescensus testis daher unbedingt behandelt!
- Familiäre Prädisposition bzw. onkologische Vorgeschichte
- Ein erkrankter Vater verdoppelt, ein erkrankter Bruder vervierfacht das Hodenkrebsrisiko
- Kontralateraler Hodentumor
- Eine Behandlung des Hodentumors birgt ein 12-fach erhöhtes Risiko für einen Tumor am anderen Hoden
- Umweltgifte (bspw. wie Pestizide, Herbizide), Rauchen
Klassifikation
Keimzelltumor:
- Definition: sind Tumore, die aus den Keimzellen (Spermien) entstehen, welche in zwei Gruppen geteilt werden:
- Seminom
- Ausgangspunkt der Entartung: Keimepithel (Spermatogonien)
- Eigenschaft: wachsen langsam
- Nicht-seminomatös
- Unterscheidung nach Gewebeart in:
- Embryonalzellkarzinom
- Dottersacktumor
- Teratom
- Chorionkarzinom
- Mischtumoren
- Eigenschaft: tendenziell aggressiv, metastasieren schnell
- Ca. 50 % sind bei der Diagnose bereits metastasiert (lymphogen oder hämatogen)
- Unterscheidung nach Gewebeart in:
- Seminom
InfoEtwa 1-2 % aller Keimzellentumor treten beidseits (bilateral) auf.
Nicht-Keimzelltumor:
- Definition: entstehen nicht aus den Keimzellen, sondern aus anderen Zelltypen des Hodens
- Häufigkeit: sind seltener
- Zelltypen:
- Leydigzellen
- Sertolizellen
- Granulosazellen

InfoUm welche Art es sich handelt, kann mittels histologischen Befund geklärt werden. Die Klassifikation ist für die Prognose und weiterführende Therapie entscheidend.
Diagnostik
Anamnese
- S (Symptome): schmerzlose (indolent), hart, vergrößerte Hoden mit tastbaren Knoten, Schmerzen im Hoden oder der Leiste, Gynäkomastie, teilweise Symptome durch Metastasen wie Rückenschmerzen, Dyspnoe, tastbarer Unterbauchtumor, Beinödem
- P (Patientenvorgeschichte): familiäre Prädisposition, onkologische Vorgeschichte, bekannter Maldescensus testis
- L (Last
): letzter Krankenhausaufenthalt, letzte Miktion - R (Risiko): Raucheranamnese, Umweltgifte
MerkeLeitsymptom des Hodentumors
- Schmerzlose Größenzunahme (ca. 70 %)
- Tastbare Knoten
Körperliche Untersuchung
- Inspektion
- Suche nach äußerlichen Auffälligkeiten, wie Rötungen, Schwellungen, Ödemen
- Palpation
- Bimanuelle Palpation der Hoden auf Verhärtungen, Unregelmäßigkeiten
- Tastbefund: Hodentumore sind verhärtet
- Beklopfen der Wirbelsäule
- Schmerzen könnten ein Zeichen für Metastasierung sein
- Bimanuelle Palpation der Hoden auf Verhärtungen, Unregelmäßigkeiten
MerkeDie Palpation der Hoden immer im Seitenvergleich durchführen!
Sonografie
- Indikation: Untersuchungsmethode zur Bestimmung von Lage sowie Größe des Tumors
- Echogenität:
- Ein Hodentumor stellt sich typischerweise echoarm (dunkel) bis echogemischt dar
- Er hebt sich normalerweise deutlich vom Hodenparenchym ab
und - Ist häufig hyperperfundiert (übermäßig durchströmt)
- Ausnahme: Zerfällt der gesamte Hoden nekrotisch, kann sich dieser inhomogen darstellen

Figure 1 out: Iwatsuki S, Naiki T, Kawai N, Etani T, Iida K, Ando R, Nagai T, Okada A, Tozawa K, Sugiyama Y, Yasui T. Nonpalpable testicular pure seminoma with elevated serum alpha-fetoprotein presenting with retroperitoneal metastasis: a case report. J Med Case Rep. 2016 May 5;10(1):114. doi: 10.1186/s13256-016-0906-7. PMID: 27150447; PMCID: PMC4858825. Lizenziert unter CC-BY-4.0. Die Abbildung ist ein Derivat der oben genannten Abbildung. Sie wurde dupliziert und es wurde eine Markierung sowie eine Beschriftung ergänzt.
MerkeSonografie-Untersuchungen immer im Seitenvergleich durchführen.
Labor
- Bestimmung der Tumormarker
- α-Fetoprotein (AFP)
- β-HCG (Beta-Humanes-Choriongonadotropin)
Laborparameter | Seminom | Nicht-Seminom |
---|---|---|
α-Fetoprotein (AFP) | nicht erhöht | einer oder beide erhöht |
β-HCG | erhöht |
InfoNachsorge
Beide Parameter (AFP, β-HCG) sind auch für die Nachsorge sehr wichtig.
- Weitere Tumormarker
- Lactatdehydrogenase (LDH) ist häufig erhöht
- Nachteil: unspezifischer Marker für einen Zellzerfall
- Vorteil: häufig bei schnell wachsenden Tumoren nachweisbar
- Lactatdehydrogenase (LDH) ist häufig erhöht
- Weitere Laborparameter
- Nierenwerte
: Kreatinin , Elektrolyte (Natrium , Kaliu ) - Kleines Blutbild
: Erythrozyten , Hämoglobin , Hämatokrit , Leukozyten , Thrombozyten - Blutgerinnungsdiagnostik: Quick, INR und PTT
- Nierenwerte
SPECT/CT
- Synonym: Single Photon Emission Computed Tomography/Computertomografie
- Definition: medizinisches Bildgebungsverfahren, zur Funktionsüberprüfung von Organen durch die Verteilung einer radioaktiven Substanz
- Indikation: zur Vervollständigung der Diagnostik und Staging
- Aufgrund der schnellen Verdopplungszeit von Hodentumoren, muss das Staging jedoch nicht abgewartet werden, bis eine Therapie eingeleitet wird
DefinitionBegriff Staging
- Synonym: Stadienbestimmung
- Definition: dient der Bestimmung des Ausmaßes der Tumorausbreitung

Figure 6 out: Brouwer OR, van der Poel HG, Bevers RF, van Gennep EJ, Horenblas S. Beyond penile cancer, is there a role for sentinel node biopsy in urological malignancies? Clin Transl Imaging. 2016;4(5):395-410. doi: 10.1007/s40336-016-0189-4. Epub 2016 Jul 4. PMID: 27738628; PMCID: PMC5037151. Lizenziert unter CC-BY-4.0
DefinitionSentinel-Lymphknoten
- Synonym: Wächterlymphknoten
- Definition:
- bezeichnet man Lymphknoten im Abflussgebiet eines Primärtumors, die im Falle einer lymphogenen Metastasierung als
erstes betroffen sind - Sie spielen somit bei der Beurteilung der Tumorausbreitung eine wichtige Rolle
Probenentnahme
- Indikation: bei unklarem Befund (z.B. negative Tumormarker
, untypischer Sonografiebefund), kann man zunächst eine Gewebeprobe entnommen werden → Schnellschnittdiagnostik in der Pathologie
Differentialdiagnosen
Bei Symptomen wie Rötung, Schmerzen, Fieber, Harnweginfektion sollten folgende Differenzialdiagnosen abgeklärt werden:
- Hodenentzündung (Orchitis)
- Hodennebenentzündung (Epididymitis)
Bei akuten, schmerzhaften Beginn:
- Hodentorsion
Therapie
Vor der Operation
Spermienkonservierung
- Definition: das Einfrieren und Lagern von Sperma, für eine zukünftige, künstliche Befruchtung
- Indikation: Familienplanung des Patienten ist zum Zeitpunkt der Erkrankung nicht abgeschlossen
- Es gibt häufig einen dominant spermienproduzierenden Hoden
- Nach der Entfernung des Hodens kann der Patient ggf. zeugungsunfähig sein
- Wann: vor Therapiebeginn
InfoSeit Juli 2021 übernimmt sogar die Krankenkasse die Kosten dieser Kryokonservierung bei Krebserkrankungen.
Chirurgischer Eingriff
- Rasche und komplette Entfernung des betroffenen Hodens (inguinale Orchiektomie)
- Ggf. Durchführung einer Probeentnahme des kontralateralen Hodens
InfoOperationszugang
- Stets von inguinal
- Von skrotal besteht die Gefahr einer Tumorzellverschleppung
Nach der Operation
Labor
- 5–7 Tage nach der Entfernung des Hodens sollte bei markerpositiven Tumoren eine erneute Hodentumormarkerkontrolle erfolgen
MerkeBei kompletter Entfernung des Tumors sollten diese mindestens die Hälfte des ursprünglichen Wertes betragen.
Histologie
- Die weitere Therapie ist abhängig vom
- Histopathologischen Ergebnis
- Insbesondere von der Tumorart (Seminom oder Nicht-Seminom)
- Stagingbefund
- Histopathologischen Ergebnis
Adjuvante Therapien
- Aktive Überwachung
- Bei kleinen (<4 cm) sowie das Rete testis nicht infiltrierenden Tumoren, insbesondere Seminomen
- Bei größeren Tumoren
- Carboplatin-Chemotherapie
- Bei Seminomen kann die Gabe eines Zyklus Carboplatin-Chemotherapie erfolgen, um die Rezidivrate zu senken
- Chemotherapie nach dem PEB-Schema
- Bei Nicht-Seminomen sowie Seminomen höherer Stadien sollte eine Chemotherapie nach dem PEB-Schema (Cisplatin, Etoposid, Bleomycin) erfolgen
- Die Anzahl der Zyklen variiert hierbei je nach Stadium und Fernmetastasen
- Bei Nicht-Seminomen sowie Seminomen höherer Stadien sollte eine Chemotherapie nach dem PEB-Schema (Cisplatin, Etoposid, Bleomycin) erfolgen
- Lymphadenektomie
- Bei großen retroperitonealen Metastasen ist auch die retroperitoneale Lymphadenektomie eine Therapieoption
- Carboplatin-Chemotherapie
Komplikationen (Auswahl)
- Metastasierung
- Hodentumore metastasieren lymphogen vor allem retroperitoneal
- Hämatogene Metastasen finden sich vor allem in:
- Lunge
- Leber
- Gehirn
- Knochen
- Lunge
Prognose
MerkeJe früher die Diagnose, desto besser ist die Prognose. Die Heilungschance ist grundsätzlich sehr gut und ist daher eine seltene Todesursache. Jungen und Männern wird daher, ab
der Pubertät, eine kontinuierliche Selbstuntersuchung empfohlen.
Rezidivrate
- Abhängig vom Tumorstadium und der adjuvanten Therapie, treten in bis zu 18 % der Fälle Rezidive, jedoch ist die 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate selbst bei Patienten mit schlechter Prognose über 50 %
Quellen
- S3-Leitlinien Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens, DKG
- Hodenkrebs (Hodenkarzinom): https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Hodenkrebs/hodenkrebs_node.html. Stand 2024. Aufgerufen am 05.01.2025
- Hautmann et al: Urologie. Springer Verlag 2014, ISBN: 13 978-3-642-34318-6
- Schmelz et al: Facharztwissen Urologie. Springer Verlag 2014, ISBN: 78-3-642-44941-3