Zusammenfassung
Beim Hyperparathyreoidismus (HPT) handelt es sich um ein endokrinologisches Krankheitsbild, das durch eine übermäßige Sekretion von Parathormon
Die Hormonüberproduktion führt zu einem Ungleichgewicht im Calcium
Es werden drei Hauptformen unterschieden:
- Primärer HPT (pHPT): autonome Überproduktion von PTH
- Sekundärer HPT (sHPT): reaktiv gesteigerte PTH
-Sekretion aufgrund einer chronischen Hypocalcämie und / oder Hyperphosphatämie - Tertiärer HPT (tHPT): autonome PTH
-Produktion durch chronische Überstimulation der Nebenschilddrüsen
Die Mehrheit der Patient:innen mit Hyperparathyreoidismus weist unspezifische oder gar keine Symptome auf. Bei symptomatischen Verläufen können u.a. Knochenschmerzen, Nierensteine, neuropsychiatrische Auffälligkeiten sowie gastrointestinale Beschwerden auftreten.
Die Diagnose des Hyperparathyreoidismus wird laborchemisch gestellt. Weiterführende Untersuchungen dienen einerseits der Therapieplanung und andererseits der Beurteilung sowie Verlaufsbeobachtung bereits eingetretener Folgeerscheinungen.
Bei primärem oder tertiärem Hyperparathyreoidismus ist eine chirurgische Entfernung der Nebenschilddrüsen (Parathyreoidektomie) in der Regel die Therapie der Wahl. Demgegenüber fokussiert sich die Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus auf die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung.
Epidemiologie
Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT):
- Inzidenz: ca. 25−30/100.000 Personen/Jahr
- Geschlecht: ♀ > ♂ (ca. 3:1)
- Alter: Prävalenz steigt mit dem Alter (Häufigkeitsgipfel: 50–60 Jahre)
Ursachen
Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT):
- Häufigste Ursache: Adenome der Nebenschilddrüse (ca. 80-85 %)
- Solitäre Adenome (ca. 80 %)
- Multiple Adenome (ca. 5 %)
- Hyperplasie der Nebenschilddrüse (ca. 10-15 %)
- Selten:
- Karzinome der Nebenschilddrüse
- MEN-Syndrome
Sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT):
- Renale Genese: Folge einer chronischen Nierenschädigung
- Nicht-renale Genese:
- Mangel an aktivem Vitamin D
(z.B. durch Malabsorption , Lebererkrankungen oder mangelnde Sonnenlichtexposition) - Calciummangel
(z.B. Verlust durch Medikamente wie Schleifendiuretika )
- Mangel an aktivem Vitamin D
Tertiärer Hyperparathyreoidismus (tHPT):
Der tertiäre HPT entsteht als Folge eines langjährigen, unbehandelten sekundären HPT. Eine langanhaltende Überstimulation der Nebenschilddrüsen führt im Verlauf zu einer autonomen PTH
Klassifikation
Der Begriff Hyperparathyreoidismus umfasst alle Erkrankungen, die mit einem erhöhten Spiegel des Parathormons
- Primärer Hyperparathyreoidismus: primäre Überfunktion der Nebenschilddrüsen → Autonome, unregulierte Überproduktion von PTH
- Sekundärer Hyperparathyreoidismus: kompensatorisch gesteigerte PTH
-Sekretion aufgrund einer chronischen Hypocalcämie und/oder Hyperphosphatämie - Tertiärer Hyperparathyreoidismus: autonome Überproduktion von PTH
infolge einer langjährigen Überstimulation der Nebenschilddrüsen im Rahmen eines sekundären HPT
Pathophysiologie
Physiologische Grundlagen
PTH -Sekretion:
Parathormon

MerkePTH
-Sekretion
- Regulation: Sekretion in Abhängigkeit des extrazellulären Ca2+-Spiegels
- Extrazelluläres Calcium
↑ → Aktivierung calciumsensitiver Rezeptoren → PTH -Sekretion↓ - Extrazelluläres Calcium
↓ → Hemmung calciumsensitiver Rezeptoren → PTH -Sekretion↑
Einfluss von PTH auf den Calcium - und Phosphathaushalt:
PTH
- Knochen: Aktivierung der Osteoklasten → Freisetzung von Calcium
und Phosphat - Niere:
- Ausscheidung von Phosphat
und Bikarbonat↑ - Rückresorption von Phosphat
↓ - Rückresorption von Calcium
↑ - Calcitriolsynthese↑
- Ausscheidung von Phosphat
- Darm: Resorption von Calcium
↑ (→ Indirekt über gesteigerte Calcitriolsynthese)
TippMerkhilfe: “Parathormon
stellt Calcium parat!”
Pathophysiologie
Primärer Hyperparathyreoidismus:
- Autonome PTH
-Produktion durch: - Verminderte Sensitivität des calciumsensitiven Rezeptors aufgrund einer verminderten Anzahl an Rezeptoren pro Nebenschilddrüsenzelle und / oder
- Vermehrte Masse an Nebenschilddrüsengewebe durch eine vermehrte Anzahl an Nebenschilddrüsenzellen
- Folge: pathologische Hypercalcämie
und verminderte Serumphosphatspiegel
Sekundärer Hyperparathyreoidismus:
- Reaktive gesteigerte PTH
-Produktion in den Nebenschilddrüsen durch Hypocalcämie und / oder Hyperphosphatämie: - Wichtigste Ursache → Chronische Nierenfunktionsstörung
: - Glomeruläre Filtration↓ → Phosphatretention → PTH
-Sekretion↑ - Calcitriolsynthese↓ → Hypocalcämie
→ PTH -Sekretion↑
- Glomeruläre Filtration↓ → Phosphatretention → PTH
- Wichtigste Ursache → Chronische Nierenfunktionsstörung
Tertiärer Hyperparathyreoidismus:
- Autonome PTH
-Produktion nach chronischer Überstimulation: - Langjähriger, unbehandelter sekundärer Hyperparathyreoidismus → Überstimulation der Nebenschilddrüsen → Hyperplasie mit autonomer Hypersekretion von PTH
- Ähnliche Laborkonstellation wie beim primären Hyperparathyreoidismus (Hypercalcämie
, PTH ↑)
- Langjähriger, unbehandelter sekundärer Hyperparathyreoidismus → Überstimulation der Nebenschilddrüsen → Hyperplasie mit autonomer Hypersekretion von PTH
Klinik
Primärer und tertiärer Hyperparathyreoidismus
Die Mehrzahl der Patient:innen ist asymptomatisch oder zeigt unspezifische Symptome wie Müdigkeit oder verminderte Leistungsfähigkeit
Symptome einer Hypercalcämie :
- Niere:
- Polyurie
& Polydipsie (verminderte Konzentrationsfähigkeit der Niere durch Hypercalcämie ) - Nephrolithiasis (40-50 %) → Calciumphosphat-/Calciumoxalatsteine
- Selten: Nephrokalzinose
- Polyurie
- Gastrointestinaltrakt:
- Ulcus ventriculi
/duodeni (Hypercalcämie → HCl-Sekretion↑) - Übelkeit
- Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust
- Obstipation
- Meteorismus
- Pankreatitis
- Ulcus ventriculi
- Neuromuskuläre Symptome:
- Muskelschwäche
- Rasche Ermüdbarkeit
- Muskelatrophie

“Brown tumours of the hands.jpg” von Frank Gaillard, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brown_tumours_of_the_hands.jpg, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 via Wikimedia Commons
- Kognitive und psychische Auffälligkeiten:
- Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen
- Depressive Verstimmung bis hin zur manifesten Depression
Folgen des erhöhten PTH-Spiegels:
- Knochenabbau↑ → Osteopenie bis hin zur manifesten Osteoporose:
- Knochen- und Gelenkschmerzen
- Pathologische Frakturen
- Osteolysen (z.B. Akroosteolysen an den Fingerknochen)
- Chondrokalzinose
- Selten: Ostitis fibrosa cystica generalisata ("braune Tumore")
- Tertiärer Hyperparathyreoidismus: zusätzlich Symptome der Grunderkrankung
TippKlassische Symptomtrias: „Stein-, Bein- und Magenpein“!
InfoDie Mehrheit der Betroffenen (ca. 80 %) mit pHPT ist asymptomatisch oder hat nur unspezifische Beschwerden. Die Diagnose ist daher häufig ein Zufallsbefund.
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Symptome der Grunderkrankung (z.B. chronische Nierenfunktionsstörung
), ansonsten meist asymptomatisch - Ggf. Beschwerden am Bewegungsapparat:
- Diffuse Knochenschmerzen
- Pathologische Frakturen
- Pruritus
- Bei Kindern: renaler Minderwuchs
Diagnostik
Labor
Die Diagnose eines Hyperparathyreoidismus wird laborchemisch gestellt:
Calcium | Phosphat | PTH | |
Primärer HPT | ↑ | ↓ | ↑ |
Sekundärer HPT | ↔/↓ | ↔/↑ | ↑ |
Tertiärer HPT | ↑ | ↑ | ↑ |
Weitere Labordiagnostik:
- Bestimmung des Vitamin-D
-Spiegels: - Die Bestimmung des 25(OH)-Vitamin-D
sollte zur Diagnostik eines HPT grundsätzlich erfolgen - Vitamin-D
-Mangel als häufigste Ursache für einen reaktiv erhöhten PTH -Wert bei Normocalcämie
- Die Bestimmung des 25(OH)-Vitamin-D
- Bestimmung der Calciumausscheidung im 24-Stunden-Urin:
- Bei V.a. primären Hyperparathyreoidismus zum Ausschluss einer familiären hypokalziurischen Hyperkalzämie
(FHH)
- Bei V.a. primären Hyperparathyreoidismus zum Ausschluss einer familiären hypokalziurischen Hyperkalzämie
- Alkalische Phosphatase
(spiegelt Ausmaß der Knochenbeteiligung wider)
InfoBeim sekundären und tertiären Hyperparathyreoidismus sind die Phosphatwerte abhängig von der Nierenfunktion. Im Allgemeinen sind jedoch erhöhte Werte zu beobachten.
MerkeWährend die Calciumkonzentration im Serum beim primären und tertiären Hyperparathyreoidismus i.d.R. erhöht ist, zeichnet sich der sekundäre Hyperparathyreoidismus häufig durch eine Hypocalcämie
aus.
Apparative Diagnostik
Eine weiterführende apparative Diagnostik dient einerseits der Therapieplanung und andererseits der Beurteilung und Verlaufsbeobachtung bereits eingetretener Folgeerscheinungen, wie beispielsweise Nierensteine oder eine verminderte Knochendichte.
- Beurteilung der Nebenschilddrüsen (Lokalisationsdiagnostik):
- Indikation: Adenomsuche bei geplanter Nebenschilddrüsen-Resektion
- Verfahren:
- Szintigrafie (99m-Tc-Sestamibi)
- 18F-Cholin-PET
/CT - Sonografie der Halsregion (Adenome stellen sich als echoarme Raumforderungen mit echoreichem Saum dar)
- Beurteilung des Skelettsystems:
- Osteodensitometrie (Erfassung einer Osteopenie / Osteoporose)
- Röntgen (Beurteilung von Skelettveränderungen)
- Sonografie der Nieren
Differentialdiagnosen
Weitere Ursachen für eine Hypercalcämie :
- Paraneoplastische Hypercalcämie
(Tumorsekretion von PTH-related peptide = PTHrP↑) - Erkrankungen mit Granulombildung (Sarkoidose, Tuberkulose)
- Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie
(FHH) - Vitamin-D
-Intoxikation - Medikamentös induzierte Hypercalcämie
(z.B. Lithium, Thiaziddiuretika )
Differentialdiagnose des sekundären HPT:
Einige Patient:innen mit primärem Hyperparathyreoidismus haben ein normales Serum-Calcium
- Mögliche Ursachen des normocalcämischen primären HPT:
- Frühstadium oder unvollständige Ausprägung („forme fruste“) der Erkrankung
- Primärer HPT bei gleichzeitigem Vitamin-D
-Mangel
Therapie
Primärer Hyperparathyreoidismus
Chirurgische Therapie:
Die operative Entfernung der Nebenschilddrüsen (total oder nur adenomatös vergrößerte Anteile) ist die einzige kurative Therapie des pHPT.

“Parathyroid Adenoma Gross.jpg” von Ed Uthman, MD, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Parathyroid_Adenoma_Gross.jpg, CC BY 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0 via Wikimedia Commons
Patient:innen mit einem pHPT sollten unabhängig von ihrem Alter operiert werden. Eine Beobachtung kann ausnahmsweise bei asymptomatischen Patient:innen mit nur gering erhöhten Calciumwerten erfolgen.
- Verfahren:
- Parathyroidektomie (subtotal oder total)
- Das genaue Verfahren richtet sich immer nach der jeweils vorliegenden Ursache
- Intraoperatives PTH
-Monitoring empfohlen - Postoperativ: ggf. Supplementation von Vitamin D
und Calcium
Konservative Therapie:
- Indikation: in der Regel nur bei Kontraindikationen für ein operatives Vorgehen
- Allgemeine Maßnahmen:
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
- Meiden von Thiaziddiuretika
und Digitalispräparaten - Ausreichende Zufuhr von Vitamin D
und Calcium
- Medikamentös:
- Calcimimetika (z.B. Cinacalcet)
- Ggf. Bisphosphonate
zur Osteoporoseprophylaxe
MerkeDie Parathyroidektomie ist die einzige kurative Therapieoption bei Patient:innen mit pHPT!
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Therapie der Grunderkrankung:
- Therapie bei chronischer Nierenfunktionsstörung (häufigste Ursache des sHPT):
- Phosphatkontrolle:
- Phosphatarme Diät
- Ggf. Phosphatbinder (bei erhöhten Calciumspiegeln Bevorzugung calciumfreier Phosphatbinder wie Sevelamer)
- Substitution von Vitamin D
: - Bei verminderten Vitamin-D
-Spiegeln (25(OH)D <30–50 nmol/l) → Frühzeitige Gabe von Cholecalciferol - Bei unzureichender PTH
-Senkung und/oder stark eingeschränkter Nierenfunktion → Substitution von aktivem Vitamin D3 (Calcitriol , Alfacalcidol)
- Bei verminderten Vitamin-D
- Engmaschige Überwachung von Calcium
, Phosphat und PTH - Ggf. Calcimimetika (Cinacalcet):
- Bindet an den Calcium
-sensitiven Rezeptor → Empfindlichkeit des Rezeptors für extrazelluläres Calcium ↑ → PTH -Sekretion↓ - Indikation: persistierend hohes PTH
trotz oben genannter Maßnahmen
- Bindet an den Calcium
- Phosphatkontrolle:
AchtungOhne Therapie ist ein Übergang in einen tertiären Hyperparathyreoidismus wahrscheinlich!
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
Im Falle einer Nichtansprache auf medikamentöse Maßnahmen stellt die chirurgische Entfernung der Nebenschilddrüsen die Therapie der Wahl dar.
Die Parathyreoidektomie kann subtotal oder total erfolgen. Gegebenenfalls wird sie mit einer Autotransplantation von Nebenschilddrüsengewebe in den Arm verbunden. So kann einerseits eine Restwirkung erzielt werden und andererseits das Gewebe bei einem Rezidiv einfacher entfernt werden.
Komplikationen
Hyperkalzämische Krise
DefinitionDie hyperkalzämische Krise ist definiert als ein rascher und ausgeprägter Anstieg des Serumcalciums (>3,5 mmol/l) mit akuten systemischen Symptomen. Sie stellt einen endokrinologischen Notfall dar.
- Seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation des Hyperparathyreoidismus
- Symptome:
- Renal: Polyurie
, Polydipsie bzw. akute Einschränkung der Nierenfunktion, ausgeprägte Exsikkose - Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen
- ZNS: Verwirrtheit, Somnolenz, psychotische Erscheinungen, Koma
- Kardial: Herzrhythmusstörungen, Bradykardie
- Renal: Polyurie
- Therapie:
- Stationäre Aufnahme und intensives Monitoring
- Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung
- Volumengabe (NaCl 0,9 %) zur Rehydrierung und Förderung der Calciumausscheidung als erste Maßnahme
- Falls Volumengabe nicht ausreicht → Forcierte Diurese unter engmaschiger Elektrolytkontrolle
- Bisphosphonate
(ggf. zusätzlich bei schwerer Hypercalcämie ) - Calcitonin
: ggf. vorübergehender Einsatz zur akuten Senkung des Calciumspiegels bis zum Wirkungseintritt der Bisphosphonate - Glucocorticoide
: Therapie der Wahl bei Vitamin-D -Intoxikation, granulomatösen Erkrankungen und manchen Lymphomen - Dialyse
: Ultima Ratio bei Nierenversagen oder Misserfolg der bisherigen Therapie
Quellen
- S2k-Leitlinie Operative Therapie des primären und renalen Hyperparathyreoidismus, 2020, Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie (CAEK), Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV)
- Weismann D: Symptomatische Hyperkalzämie und hyperkalzämische Krise. Journal für Endokrinologie. Diabetologie und Stoffwechsel. 17, 132–137 (2024), doi: 10.1007/s41969-024-00251-5
- Suttorp N et al.: Harrisons Innere Medizin, Georg Thieme Verlag, 2020, ISBN: 978-3-132-43524-7
- Herrmann F, Karger S: Endokrinologie für die Praxis, Georg Thieme Verlag, 2015, ISBN: 978-3-131-95107-6
- Herold G et al.: Innere Medizin, De Gruyter, 2021, ISBN: 978-3-11-073889-6