Zusammenfassung
Eine Hyperventilation beschreibt eine vertiefte und beschleunigte Atmung. Meist wird diese durch psychische Faktoren ausgelöst, allerdings können sich auch ernstzunehmende Erkrankungen dahinter verbergen. Das macht eine sorgfältige Anamnese und Diagnostik unumgänglich.
Geht die Hyperventilation mit Bewusstlosigkeit, Fieber oder Schmerzen einher, handelt es sich um eine akute Situation mit Handlungsbedarf.
Wichtige Symptome einer Hyperventilationstetanie sind eine vertiefte und beschleunigte Atmung, Kribbelparästhesien in Händen, Füßen und Gesicht, sowie einer spezifischen Handhaltung, der "Pfötchenstellung". Zudem tritt sie überwiegend in Kombination mit einer Panikattacke oder einem eindeutig erkennbaren, psychogenen Auslöser auf.
Behandelt werden die primären Ursachen der Hyperventilation, bei psychogenen Ursachen kann Beruhigung und eine Anleitung zur Rückatmung helfen.
Fallbeispiel
Um den Einstieg in das Thema Hyperventilation etwas zu erleichtern, wird im Folgenden ein Fall beschrieben, wie er sich präklinisch ereignen könnte.
Das Szenario
Einsatzmeldung:
- Stichwort: "Plötzliche Atemnot, Taubheitsgefühl"
- Ort: Einfamilienhaus, Musterstraße 27, 2. Obergeschoss, 50229 Musterstadt
- Alarmzeit: 10:42 Uhr
- Anrufer:in: Mutter vor Ort
- Anzahl der betroffenen Personen: 1
- Zusatzinfo:
- 15-jähriger, männlicher Patient
- Akut aufgetretene Atemnot
- Freundin hat gerade Schluss gemacht
- Schwitzt
- Zunehmende Panik
Lageeinweisung vor Ort:
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes steht eine Angehörige vor dem Wohnhaus und weist euch den Weg in die Wohnung.
Die Lage ist wie folgt:
- Der Patient sitzt beim Küchentisch und atmet schnell und tief
- Die Anruferin berichtet, dass der Patient vor etwa 6 Minuten vom Telefonieren zurückgekommen sei und seitdem über starke Atembeschwerden klage. Der Patient ist auf den ersten Blick panisch und zeigt ein schnelles und tiefes Atemmuster
- Sie berichtet weiterhin, dass wohl die Freundin des Patienten gerade per Telefon die Beziehung beendet hätte

Dieses Bild wurde mit der KI-Software DALL·E (OpenAI) erstellt. Es wurde automatisch generiert und dient ausschließlich illustrativen Zwecken.
Ersteindruck nach xABCDE-Schema
Um sich einen ersten umfassenden Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten in einer Notfallsituation zu verschaffen, bietet sich das xABCDE-Schema an. Um die Arbeit mit dem Schema zu veranschaulichen, ist hier ein xABCDE-Schema abgebildet, wie es im Falle einer Ersteinschätzung bei einer Patientin oder einem Patienten mit Hyperventilation aussehen könnte.
Es handelt sich dabei um die Befunde, die innerhalb der ersten paar Minuten erhoben werden können. Erweiterte Diagnostik und Abfragen sind natürlich von Bedeutung, jedoch würde zum Beispiel die Messung des Blutzuckers
x |
| |
A |
| Kein |
B |
| Kein |
C |
| Kein |
D |
| Kein |
E |
| Mittelbares E-Problem |
AchtungDas hier gezeigte Assessment vermittelt nur einen exemplarischen ersten Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten. Im Verlauf der Behandlung müssen weitere Maßnahmen ergriffen und Informationen gesammelt werden. Das Schema erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen praktischen Einstieg in das Thema ermöglichen.
Definition
Die Hyperventilation beschreibt eine schnelle und vertiefte Atmung, mit welcher ein erhöhtes Atemminutenvolumen einhergeht. Es handelt sich um eine Tachypnoe, mit einer vermehrten Abgabe von Kohlenstoffdioxid
Durch den Verlust von Kohlenstoffdioxid
Ursachen
Die Auslöser einer Hyperventilation können sehr unterschiedlich sein.
Man kann sie in zwei Hauptauslöser einteilen:
- Psychische Gründe: Streit, Todesfälle, Angst, Panik
- Akute Erkrankungen: Schmerzen, zerebrale Schädigung, Intoxikation, metabolische Azidose
Aufgrund dieser verschiedenen Ursachen ist eine gründliche Untersuchung und Ursachenforschung wichtig.
Pathophysiologie
MerkeReminder: Physiologische Grundlagen
- Bei der Atmung findet ein Gastaustausch zwischen Organismus und Umwelt statt
- Die Atemregulation wird vom Atemzentrum in der Medulla Oblongata (=verlängertes Mark) gesteuert
- Der stärkste Atemantrieb unter normalen Bedingungen ist ein erhöhter Partialdruck von Kohlenstoffdioxid
- Der Gasaustausch
findet in den Alveolen der Lunge statt - Unsere Atemluft besteht aus 78% Stickstoff, 21% Sauerstoff
und 0,03% Kohlenstoffdioxid - Unsere Ausatemluft besteht aus 78% Stickstoff, 17% Sauerstoff
und 4% Kohlenstoffdioxid - Säure-Basen
-Haushalt wird zum Teil durch die Lunge reguliert (HCO3-/CO 2), um den pH-Wert des Körpers im Gleichgewicht zu halten - Hyperventilation führt zu einer Abnahme der Kohlenstoffdioxidkonzentration → Alkalose
- Hypoventilation
führt zu einer Zunahme der Kohlenstoffdioxidkonzentration → Azidose
Wird die Hyperventilation durch psychische Ursachen ausgelöst, so befindet sich der Körper in einer akuten Angst- oder Stresssituation. Aufgrund dieser „Bedrohung“, wird der Sympathikus
Im Zuge dessen kommt es zu
- Steigerung von Atemtiefe und Atemfrequenz
, um eine ausreichende Versorgung des Körpers mit Sauerstoff sicherzustellen - Einer Verschiebung des Säure-Basen
-Haushalts - Mehr Panik und einer Art von positiver Rückkoppelung, welche zu noch schnellerer Atmung führt
Das vertiefte Ein- und Ausatmen verursacht ein erhöhtes Atemminutenvolumen und es wird vermehrt Kohlenstoffdioxid
Klinischer Eindruck
Typische Zeichen
- Vertiefte, beschleunigte Atmung
- Panisches, unruhiges Verhalten
- Parästhesien/Kribbeln der Hände und im Gesicht
- „Pfötchenstellung“ der Hände durch Verkrampfungen
Generalisierte Zeichen
- Engegefühl in der Brust
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Synkope
- Evtl. Krampfanfälle
Diagnostik
MerkeAnamnese und körperliche Untersuchung im Fokus
Die Diagnose einer Hyperventilationstetanie wird durch die Anamnese und körperliche Untersuchung gestellt.
Da eine Hyperventilation auch Ursachen nicht psychischer Genese haben kann, ist eine sorgfältige Differenzialdiagnostik wichtig und die Vermeidung von Fixierungsfehlern sollte im Vordergrund stehen.
Anamnese
Aktuelle Anamnese:
- S (Symptome): Dyspnoe, Tachypnoe
- A (Allergien, Infektionen): Keine
- M (Medikation): Keine
- P (Patientengeschichte): Freundin hat soeben Beziehung beendet
- L (Letzte…)
- E (Ereignis): Psychisches Ereignis
- R (Risiko): Keine Risikofaktoren
S (Schwangerschaft) /
Tipp
Nutze Schemata
Um die Anamnese strukturiert durchzuführen, bietet es sich an, Schemata, wie das SAMPLERS oder OPQRST-Schema
zu nutzen. Am obigen Beispiel haben wir Fragen und Befunde dargestellt, die bei dem Verdacht auf eine Hyperventilationstetanie abgefragt werden sollten und vorliegen könnten.
Körperliche Untersuchung
Eine Hyperventilation beruht meist auf psychischen Ursachen, dennoch ist es wichtig keine anderen Krankheitsbilder zu übersehen.
AchtungBesondere Vorsicht bei folgenden Begleitsymptomen
Tritt eine Tachypnoe mit vertiefter Einatmung
in Kombination mit einem der folgenden Dinge auf, sollte genauer nachgeforscht werden:
- Bewusstlosigkeit in Folge von Trauma kann auf eine ZNS-Schädigung hinweisen
- Fieber in Kombination mit Tachypnoe kann auf eine Sepsis hindeuten
- Schmerzen können ebenfalls eine reflektorische Hyperventilation auslösen
- Intoxikation
- Metabolische Azidose
, v.a. bei Hyperglykämie
Inspektion:
- Verletzungen im Thoraxbereich (z.B. (Spannungs-)Pneumothorax
, Rippenfrakturen) - Unregelmäßige Atemmuster
(z.B. bei neurologischen Schädigungen)
Palpation:
- Knöcherne Verletzungen, welche starke Schmerzen oder Atembeschwerden verursachen können (z.B. Rippenfrakturen)
Auskultation:
- Bei einer Hyperventilation psychogener Ursache sollten vesikuläre Atemgeräusche
hörbar sein - Bei pathologischen Geräuschen jeder Art sollte eine weitere Diagnostik erfolgen
Vitalparameter:
- Tachykardie
- Hypertonie
- Ggf. Hyperkapnie
TippEine Hyperventilation kann auch als Symptom einer Ketoazidose im Rahmen einer Hyperglykämie vorkommen. Hier riecht der Atem nach Aceton. Es handelt sich in diesem Fall meist um eine normofrequente Atmung, welche aber deutlich vertieft ist → Kußmaul-Atmung
. Der Körper nutzt diese Atmungsform, um vermehrt Kohlenstoffdioxid
abzuatmen, um eine metabolische Azidose respiratorisch zu kompensieren.
Therapie
MerkeZiel: Stoppen der Hyperventilation, Beruhigung des Patienten
Das Ziel der Behandlung ist das Durchbrechen der Hyperventilation und so auch das Terminieren der physischen Begleitsymptome.
Zusammengefasst erfordert die Therapie einer Hyperventilationstetanie:
- Beruhigung des Patienten
- Rückatmung anleiten
Parallel dazu ist Verständnis und Einfühlungsvermögen
notwendig.
InfoJe nach Ausprägung einer durch psychische Faktoren ausgelösten Hyperventilation kann es sich einfach oder schwierig gestalten, eine Person in diesem Zustand zu beruhigen.
Psychische Betreuung
- Beruhigung
- Auflisten von Dingen in der Gegenwart (z.B. Dinge, die man sehen, hören oder spüren kann und Konzentration darauf lenken)
- „Mitatmen“ → Atemfrequenz
vorgeben, um sie so zu senken
Rückatmung
Ohne Hilfsmittel:
- Beide Hände des Patienten vor das Gesicht halten lassen, um so Frischluftzufuhr einzuschränken
- Weniger beengend als mit Hilfsmitteln
Mit Hilfsmitteln:
- Sauerstoffmasken mit Reservoir
, Tüten oder spezielle Hyperventilationsmasken können verwendet werden - Können beengend wirken und sogar mehr Panik verursachen
- Hier ist sorgfältige Anleitung und Erklärung notwendig
AchtungBei der Rückatmung von Kohlenstoffdioxid
muss immer wieder Zugang zu normaler Raumluft gewährt werden, um keine Hypoxie zu verursachen. Sobald die Situation etwas ruhiger und eine gewisse Beruhigung erkennbar ist, kann die Maske/Tüte kurzzeitig abgenommen werden.
Erfolgskontrolle:
- Wenn erfolgreich:
- Symptomverbesserung
- Leicht erkennbar an niedrigerer Atemfrequenz
- Kribbelparästhesien nehmen ab
- Patient wieder besser kontaktierbar
- Leicht erkennbar an niedrigerer Atemfrequenz
- Symptomverbesserung
- Wenn nicht erfolgreich:
- Verschlechterung der Symptomatik
- Möglicherweise tritt Bewusstlosigkeit ein
Weitere Maßnahmen
Medikamentöse Behandlung
- Sedierung mittels Benzodiazepinen als letzter Versuch
- Danach ist je nach internen Vorgaben ein Kliniktransport notwendig
AchtungLiegt im Zusammenhang mit diesem psychischen Ausnahmezustand eine Eigen- und oder Fremdgefährdung
vor, ist das Hinzuziehen der Exekutive und eines Amtsarztes/Amtsärztin ratsam.
Weitere Therapie im klinischen Setting
Liegen Begleiterkrankungen zusätzlich zu der Hyperventilation vor, so sollte eine Hospitalisierung erfolgen. Die Wahl des Zielkrankenhauses ist abhängig vom individuellen Fall. Es sollte eine internistische Notaufnahme vorhanden sein, eine angebundene psychiatrische Station wäre bei rezidiver Hyperventilation ratsam.
AchtungWichtig ist der Ausschluss von:
- Somatogenen Ursachen
- Hypocalcämische Tetanie
- KHK
(Koronare Herzkrankheit ) - Asthma bronchiale
- Traumatischen Ursachen
Zum Ausschluss der Differenzialdiagnosen wird im Regelfall eine BGA
Respiratorische Alkalose
- pH erhöht: Aufgrund von vermehrter Abatmung von CO
2 wird das Blut alkalischer - CO
2 erniedrigt: Durch gesteigerte Ausatmung - HCO₃⁻ normal oder erniedrigt: In Akutfällen kann es Normwerte annehmen, bei chronischer Hyperventilation kann es aufgrund einer metabolischen Kompensation erniedrigt sein
- BE
(Base Excess ) normal: Bei akuter Hyperventilation normal, da die Nieren für die Kompensation Vorlaufzeit benötigen
Bei einer chronisches Hyperventilation kann eine kompensierte respiratorische Alkalose
Transport
Beim Transport sollte man auf mehrere Dinge achten, um dem Betroffenen möglichst wenig zusätzlich aufregende Stimuli zu geben.
- Patient:innen nicht alleine lassen
- Aufmerksamkeit schenken
- Angenehme Lagerung: aufrechter Oberkörper, um Atmung zu erleichtern
- Auf Bedürfnisse eingehen
Licht dimmen
Achtung
Bei Eigen- und oder Fremdgefährdung
, muss die Exekutive und ein Amtsarzt hinzugezogen werden, diese sollten den Transport zum Schutz des Personals auch begleiten.
Prüfungswissen
Zur Zusammenfassung hier die Hard Facts, die bei der Examensvorbereitung oder im Einsatz helfen können:
Ursachen:
- Psychische Gründe
- Akute Erkrankungen (z.B metabolische Ursachen, Schädigungen des ZNS)
Pathophysiologie:
- Angst/Stress aktiviert den Sympathikus
und führt so schneller und vertiefter Atmung - Vermehrtes Abatmen von Kohlenstoffdioxid
- Durch Abnahme von Kohlenstoffdioxidkonzentration kommt es zu Verschiebungen im Säure-Basen
-Haushalt - Respiratorische Alkalose
durch Ansteigen des pH-Wertes - Freies Calcium
liegt dadurch vermehrt plasmaproteingebunden vor → Hypocalcämie
"Red Flags" - Spezifische Symptome:
- Tiefe, schnelle Atmung
- Kribbelparästhesien in Händen/Füßen/Gesicht
- Krämpfe der Extremitäten, “Pfötchenstellung”
Therapie:
- Psychische Unterstützung
- Zu langsamer Atmung anregen
- Rückatmung mit oder ohne Hilfsmittel
- Sedierung als letzter Ausweg
Quellen
- LPN - Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin: Patientenversorgung und spezielle Notfallmedizin S+K, 6. Auflage. ISBN: 978-3-96461-011-9
- Repetitorium Notfallmedizin: Zur Vorbereitung auf die Prüfung "Notfallmedizin" Springer, 3. Auflage. ISBN: 978-3-642-20815-7
- Herold, G.: Innere Medizin. De Gruyter, 2023. ISBN: 978-3-111-07830-4
- S3-Leitlinie Therape des Typ-1 Diabetes; Deutsche Diabetes Gesellschaft