Zusammenfassung
Hypoparathyreoidismus ist eine endokrinologische Erkrankung, bei der die Nebenschilddrüsen nicht ausreichend oder gar kein Parathormon
PTH
Klinisch stehen Symptome der Hypocalcämie
Diagnostisch findet sich eine Hypocalcämie
Die Dauertherapie umfasst die orale Substitution von Calcium
DefinitionBeim Hypoparathyreoidismus handelt es sich um eine endokrinologische Erkrankung, die durch eine unzureichende oder fehlende Sekretion von Parathormon
durch die Nebenschilddrüsen gekennzeichnet ist. Die dadurch entstehende Hypocalcämie geht typischerweise mit Zeichen neuromuskulärer Übererregbarkeit einher.
Epidemiologie
- Gesamtprävalenz: 20-40/100.000
- Postoperativer Hypoparathyreoidismus: häufigste Form (80-90 % der Fälle)
Ursachen
- Iatrogen:
- Häufigste Ursache: operative Eingriffe an der Schilddrüse (80-90 % der Fälle)
- Seltener: Bestrahlungen im Halsbereich
- Angeboren (genetische Ursachen):
- DiGeorge-Syndrom (22q11.2-Deletion) → Hypoplasie oder Aplasie der Nebenschilddrüsen
- Autoimmune polyglanduläre Syndrome (z.B. APS Typ I)
- Isolierte Gendefekte (z.B. CASR, GCM2)
- Langanhaltender und schwerwiegender Magnesiummangel
- Infiltrative und destruktive Prozesse: z.B. Hämochromatose
, Metastasen
MerkeOperative Eingriffe an der Schilddrüse sind mit Abstand die häufigste Ursache des Hypoparathyreoidismus.
Pathophysiologie
Physiologische Grundlagen
PTH -Sekretion:
Parathormon

MerkePTH
-Sekretion
- Regulation: Sekretion in Abhängigkeit des extrazellulären Ca2+-Spiegels
- Extrazelluläres Calcium
↑ → Aktivierung calciumsensitiver Rezeptoren → PTH -Sekretion↓ - Extrazelluläres Calcium
↓ → Hemmung calciumsensitiver Rezeptoren → PTH -Sekretion↑
Einfluss von PTH auf den Calcium - und Phosphathaushalt:
PTH
- Knochen: Aktivierung der Osteoklasten → Freisetzung von Calcium
und Phosphat - Niere:
- Ausscheidung von Phosphat
und Bikarbonat↑ - Rückresorption von Phosphat
↓ - Rückresorption von Calcium
↑ - Calcitriolsynthese↑
- Ausscheidung von Phosphat
- Darm: Resorption von Calcium
↑ (→ Indirekt über gesteigerte Calcitriolsynthese)
TippMerkhilfe: “Parathormon
stellt Calcium parat!”
Pathophysiologie
- Ausgangspunkt: unzureichende oder fehlende Sekretion von PTH
durch die Nebenschilddrüsen - Pathophysiologische Konsequenzen des PTH
-Mangels: - Knochen: Knochenresorption↓ → Freisetzung von Calcium
und Phosphat ↓ - Niere:
- Rückresorption von Calcium
↓ → renaler Calciumverlust↑ - Rückresorption von Phosphat
↑ → Hyperphosphatämie - Calcitriolsynthese↓ → intestinale Calciumresorption↓
- Rückresorption von Calcium
- Knochen: Knochenresorption↓ → Freisetzung von Calcium
- Pathophysiologische Konsequenzen des PTH
Insgesamt führen die pathophysiologischen Mechanismen zu einer Hypocalcämie
InfoNeuromuskuläre & kardiale Erregbarkeit bei Hypocalcämie
- Hypocalcämie
(extrazelluläres Ca2+↓):
- Neuromuskuläre Erregbarkeit↑ (Tetanie
) - Kardiale Erregbarkeit↓ (Hemmung calciumsensitiver Kaliumkanäle → Verlängerung des Aktionspotenzials → Verlängerung der QT-Zeit
)
Klinik
- Leitsymptom: Tetanie
(niedrige Calciumkonzentrationen → neuromuskuläre Erregbarkeit↑): - Muskelkrämpfe
& -schmerzen - Kribbelparästhesien (typischerweise perioral)
- Karpopedalspasmen: Pfötchenstellung der Hände, Spitzfußstellung
- Organbezogene Spasmen: Bronchospasmen, Gallenkoliken, Stenokardien etc.
- Generalisierte Hyperreflexie
- Muskelkrämpfe

“MBQ MorbusFahr-marked.jpg” von MBq, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MBQ_MorbusFahr-marked.jpg, Public Domain https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d0/MBQ_MorbusFahr-marked.jpg via Wikimedia Commons
- Psychische Auffälligkeiten:
- Konzentrationsstörungen
- Reizbarkeit, Angst, Depression
- Schlafstörungen
- Kardiale Symptome:
- Störungen der kardialen Reizleitung
→ Verlängerung der QT-Zeit → Gefahr ventrikulärer Rhythmusstörungen (Torsade-de-Pointes-Tachykardie ) - Abnahme der kardialen Pumpfunktion ("Low-Output-Syndrom")
- Störungen der kardialen Reizleitung
- Weitere langfristige Symptome:
- Hautveränderungen, Alopezie, brüchige Nägel
- Zahnentwicklungsstörungen
- Paradoxe Verkalkungen (durch Hyperphosphatämie trotz erniedrigter Calciumspiegel):
- Tetanischer Katarakt
(Verkalkung der Augenlinse) - Morbus Fahr (Verkalkung der Basalganglien)
- Tetanischer Katarakt
Diagnostik
Anamnese
- Typische Symptome: Parästhesien, Muskelkrämpfe
, psychische Auffälligkeiten etc. - Vorgeschichte: Zustand nach Schilddrüsen- / Nebenschilddrüsenoperation?
- Familienanamnese: Hinweise auf genetische Ursache (z.B. frühzeitige Kataraktoperationen?)
Körperliche Untersuchung
Die Hypocalcämie

“Trousseau's Sign of Latent Tetany.jpg” von Tmdswan, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trousseau%27s_Sign_of_Latent_Tetany.jpg, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons
Chvostek-Zeichen:
- Durchführung: Beklopfen des N. facialis (ca. 2 cm ventral des Ohrläppchens)
- Positiv: Kontraktion der Gesichtsmuskulatur (z. B. Mundwinkel, Nasenflügel, Augenlid)
Trousseau-Zeichen:
- Durchführung: Aufpumpen einer Blutdruckmanschette über den systolischen Blutdruck
- Positiv: Pfötchenstellung (krampfartige Kontraktion der Finger- und Handmuskulatur)
Labor
- Typische Trias:
- Serum
-Calcium ↓ - Serum
-Phosphat ↑ - PTH
↓ oder „unangemessen normal“
- Serum
MerkeDiagnosekriterium: Hypocalcämie
+ inadäquat niedriges PTH !
InfoBei vorliegender Hypocalcämie
ist eine kompensatorische Erhöhung des Parathormonspiegels zu erwarten. Bleibt diese physiologische Reaktion aus, liegt eine gestörte PTH -Sekretion vor, was wiederum auf einen Hypoparathyreoidismus schließen lässt.
- Zusätzliche Parameter:
- Magnesium
: normal oder ↓ - Vitamin D
: normal oder ↓ - Alkalische Phosphatase
: normal
- Magnesium
InfoIm EKG zeigt sich häufig eine Verlängerung der QT-Zeit
.
Differentialdiagnosen
- Andere Ursachen einer Hypocalcämie
: - Pseudohypoparathyreoidismus (genetisch bedingte Endorganresistenz gegenüber PTH → Bildung und Sekretion von PTH sind jedoch nicht beeinträchtigt → PTH↑)
- Malabsorptionssyndrome (intestinale Hypocalcämie
) - Chronische Nierenfunktionsstörung
- Akute Pankreatitis
- Vitamin-D
-Mangel oder -Resistenz (Calciumresorption im Darm↓→ sekundäre Hypocalcämie )
- Differentialdiagnosen der normocalcämischen Tetanie
: - Hyperventilationstetanie (respiratorische Alkalose
) - Schwere Hypokaliämie
- Infektionskrämpfe
- Hyperventilationstetanie (respiratorische Alkalose
Therapie
Akuttherapie
- Vorgehen bei Tetanie
: - Blutentnahme (für spätere Calciumbestimmung)
- 10 %ige Calciumgluconatlösung i.v. (langsame Injektion, um unangenehmes Wärmegefühl zu vermeiden)
- Bei Dauertetanie (Status tetanicus) ist ggf. eine Dauerinfusion mit Calciumgluconat notwendig
Dauertherapie
Therapieziele:
- Serum
-Calcium im unteren Referenzbereich (Substitution von Calcium in hohen Mengen → Hyperkalzurie → Risiko für Nierensteine und Nephrokalzinose ↑) - Vermeiden einer Hyperphosphatämie
- 25-OH-Vitamin D3
und Magnesiumspiegel im Normbereich
MerkeDer Calciumspiegel sollte möglichst im unteren Referenzbereich liegen, um das Risiko für Komplikationen wie Nephrolithiasis oder Nephrokalzinose
zu minimieren.
Medikamentöse Therapie:
- Konventionelle Therapie:
- Calciumsubstitution:
- Steigerung des intestinalen Calciumangebots
- 500–1500 mg Calciumionen/Tag p.o. (2-3 Einzeldosen)
- Vitamin-D
-Analoga: - Calcitriol
(1,25(OH)₂-D3) oder Alfacalcidol (1α-OH-D3) - Steigerung der intestinalen Calciumresorption
- Dosierung individuell
- 25-OH-Vitamin-D
ist bei Hypoparathyreoidismus wirkungslos (Umwandlung in aktive Form wird durch PTH stimuliert)
- Calcitriol
- Magnesiumsubstitution bei Bedarf
- Calciumsubstitution:
- Rekombinantes PTH
(Hormonersatztherapie): - Präparat: rhPTH (1-84)
- Indikation: unzureichende Wirkung, Verträglichkeitsprobleme oder Komplikationen (z.B. Nephrokalzinose
, Nephrolithiasis, Hyperphosphatämie) unter konventioneller Therapie
AchtungAchtung bei Patient:innen unter Digitalis-Therapie: Calcium
und Digitalis wirken synergistisch, weshalb es insbesondere bei gleichzeitiger Verabreichung zu potenziell lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen kommen kann.
Nachsorge:
- Laborkontrollen:
- Regelmäßige Bestimmung von Calcium
, Phosphat , Magnesium , 25-OH-Vitamin-D und Kreatinin (bei stabiler Einstellung mind. 1 x jährlich; initial und bei Symptomen häufiger) - Regelmäßige Kontrolle der Calciumausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin
- Regelmäßige Bestimmung von Calcium
- Apparative Kontrollen:
- Bei Vorliegen einer Hyperkalzurie alle 6-12 Monate Nierensonografie
→ Ausschluss einer Nephrokalzinose oder Nephrolithiasis - Ophtalmologische Untersuchungen mind. 1 x jährlich → frühzeitiges Erkennen von Kalzifikationen der Cornea
- Bei Vorliegen einer Hyperkalzurie alle 6-12 Monate Nierensonografie
- Regelmäßige Evaluation der Lebensqualität
Prognose
Bei gut eingestellter medikamentöser Behandlung kann in den meisten Fällen Beschwerdefreiheit erreicht werden.
Um therapieassoziierte Risiken (z.B. Nephrokalzinose
Zudem sollten alle Patient:innen über die Symptome einer Hypercalcämie
Quellen
- S1-Leitlinie Hypoparathyreoidismus und Pseudohypoparathyreoidismus, 2022, Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED) e.V.
- Suttorp N et al.: Harrisons Innere Medizin, Georg Thieme Verlag, 2020, ISBN: 978-3-132-43524-7
- Herrmann F, Karger S: Endokrinologie für die Praxis, Georg Thieme Verlag, 2015, ISBN: 978-3-131-95107-6
- Herold G et al.: Innere Medizin, De Gruyter, 2021, ISBN: 978-3-11-073889-6