Zusammenfassung
Hypothermie bezeichnet eine Absenkung der Körperkerntemperatur
Fallbeispiel
Um den Einstieg in das Thema Hypothermie etwas zu erleichtern, wird im Folgenden ein Fall beschrieben, wie er sich präklinisch ereignen könnte.
Das Szenario
Einsatzmeldung:
- Stichwort: Hypothermie
- Ort: Parkbank, Innenstadt
- Alarmzeit: 05:30 Uhr
- Anrufer:in: Passant
- Anzahl der betroffenen Personen: 1
- Zusatzinfo:
- 75-jährige Patientin
- Reagiert auf Ansprache
Lageeinweisung vor Ort:
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes sitzt die Patientin angelehnt gegen die Parkbank, der Passant steht neben ihr und macht mit Winken auf sich aufmerksam.
Die Lage ist wie folgt:
- Die Patientin ist auf laute Ansprache erweckbar
- Sie wirkt starr und teilnahmslos
- Die Betroffene zeigt eine Lippenzyanose
- Ein Passant kam zufällig vorbei, bemerkte den auffälligen Zustand der Patientin und alarmierte daraufhin den Notruf
- Umgebungstemperatur: -2 °C, leichter Wind
Es sind keine äußeren Verletzungen erkennbar
Ersteindruck nach xABCDE-Schema
Um sich einen ersten umfassenden Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten in einer Notfallsituation zu verschaffen, bietet sich das xABCDE-Schema an. Um die Arbeit mit dem Schema zu veranschaulichen, ist hier ein xABCDE-Schema abgebildet, wie es im Falle einer Ersteinschätzung bei einer Patientin oder einem Patienten mit Hypothermie aussehen könnte.
Es handelt sich dabei um die Befunde, die innerhalb der ersten paar Minuten erhoben werden können. Erweiterte Diagnostik und Abfragen sind natürlich von Bedeutung, jedoch würde zum Beispiel die Anlage eines 12-Kanal-EKG
X |
| ![]() |
A |
| ![]() Kein A-Problem |
B |
| ![]() Akutes B-Problem |
C |
| Mittelbares C-Problem |
D |
| Mittelbares D-Problem |
E |
| ![]() Akutes E-Problem |
AchtungDas hier gezeigte Assessment vermittelt nur einen exemplarischen ersten Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten. Im Verlauf der Behandlung müssen weitere Maßnahmen ergriffen und Informationen gesammelt werden. Das Schema erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen praktischen Einstieg in das Thema ermöglichen.
Definition
DefinitionDie Hypothermie ist definiert als ein Abfallen der Körperkerntemperatur
unter 35 °C. Dabei wird zwischen folgenden Stadien unterschieden:
- Milde Hypothermie (35–32 °C)
- Moderate Hypothermie (32–28 °C)
- Schwere Hypothermie (unter 28 °C)
Ursachen
Der Körper verliert über drei verschiedene Mechanismen Wärme an die Umgebung:
- Wärmeleitung (Konduktion) und Konvektion: Der Körper kommt mit kalten Oberflächen in Berührung, wodurch Wärme direkt an diese abgegeben wird (z.B. Liegen auf kaltem Boden)
- Wärmestrahlung (Radiation): Der Körper gibt Wärme in Form von elektromagnetischen Wellen an die Umgebung ab
- Verdunstung (Evaporation): Wärmeverlust durch das Verdunsten von Flüssigkeit, z.B. Schweiß oder feuchte Kleidung
Zudem gibt es sekundäre Ursachen, die den Wärmeverlust begünstigen können:
- Thermodysregulation: zum Beispiel bei Alkoholintoxikation, Schlaganfall
oder kardiovaskulären Ereignissen - Mangelnde Wärmeproduktion: beispielsweise bei Patient:innen mit Nebenniereninsuffizienz oder Hypoglykämie
- Erhöhter Wärmeverlust: zum Beispiel bei Verbrennungen
oder Schock
Pathophysiologie
MerkeReminder: Physiologische Grundlagen
- Der Körper hält die Körperkerntemperatur
(Körperstamm) annähernd konstant bei ca. 37 °C - Er unterliegt jedoch zirkadianen Schwankungen von etwa 0,5 °C. Bei Frauen sind die Schwankungen auch abhängig vom Menstruationszyklus
- Regelzentrum: Der Hypothalamus verarbeitet Informationen vom Rückenmark und peripheren Thermosensoren in der Haut
- Regelmechanismen:
- Der Istwert der Körperkerntemperatur
wird mit dem Sollwert verglichen - Falls nötig, erfolgt eine Gegenregulation
- Reaktion auf Kälte:
- Wärmeabgabe wird reduziert durch Vasokonstriktion
- Wärmeproduktion wird erhöht durch Muskelzittern
AchtungSäuglinge kühlen schneller aus aufgrund ihres hohen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses. Sie können deshalb Wärme zusätzlich im braunen Fettgewebe bilden.
Die pathophysiologischen Veränderungen hängen vom Schweregrad der Hypothermie ab.
Milde Hypothermie - Erregungsstadium (35-32 °C):
- Muskelzittern: Der Körper versucht, durch Muskelkontraktionen Wärme zu erzeugen. Dabei kommt es zu einem Anstieg des Ruhestoffwechsels, was zu Hypoglykämie führt
- Erhöhter Sauerstoffverbrauch: Durch die zerebrale Stimulation des Atemzentrums steigt der Sauerstoffverbrauch
- Tachykardie
und Vasokonstriktion: Eine gesteigerte sympathische Aktivität führt zu erhöhter Katecholaminausschüttung. Dies resultiert in Vasokonstriktion und einem Anstieg der Herzleistung und folglich einer Tachykardie . Zudem führt Vasokonstriktion an den Akren zu Schmerzen - Hyperkaliämie
und metabolische Azidose : Die Zellfunktion ist gestört - Thrombozytopenie
und Funktionsstörung der Thrombozyten : Verminderte Adhäsion und Aggregation
Moderate Hypothermie - Erschöpfungsstadium (32-28 °C):
- Erschöpfung der Glukosequellen: Die Körperreserven von beispielsweise Glykogen sind aufgebraucht. Der Blutzuckerspiegel
sinkt - Bradykardie
und Arrhythmie - Atemdepression: Die Atemfrequenz
sinkt, da das Atemzentrum des Gehirns beeinträchtigt ist - Halluzinationen und paradoxes Verhalten (z.B. Entkleiden)
- Bewusstlosigkeit
- Hypokaliämie
: Kalium wird in die Zelle verschoben und es kommt zur Hypokaliämie und metabolischen Azidose - Störung der plasmatischen Gerinnung: Funktionsstörung von Thrombin und Fibrin sowie eine erhöhte fibrinolytische Aktivität führen zu Gerinnungsstörungen
Schwere Hypothermie - Lähmungsstadium (< 28 °C):
- Reflexe
sistieren und es kommt zu Bewegungsarmut - Herzrhythmusstörungen → Herz-Kreislauf-Stillstand
- fortschreitende Hypokaliämie
und metabolische Azidose
Klinischer Eindruck
Stadieneinteilung | Körperkerntemperatur | Symptome |
---|---|---|
I (milde Hypothermie) | 35-32 °C | Bewusstseinsklar, Kältezittern, AF ↑ |
II (moderate Hypothermie) | 32-28 °C | Bewusstseinseingetrübt, kein Kältezittern, unregelmäßige + flache Atmung |
III ( schwere Hypothermie) | 28-24 °C | Bewusstlosigkeit, Lebenszeichen vorhanden, AF ↓ |
IV | < 24 °C | Kreislaufstilland / minimaler Kreislauf, keine oder minimale Lebenszeichen (Scheintod) |
V | < 13,7 °C | Tod durch Hypothermie (irreversibler Kältetod) |
AchtungEs soll nicht alleine anhand der Temperaturbestimmung auf den Schweregrad der Hypothermie geschlossen werden. Diese können, je nach Patient:innensituation, eine große Bandbreite aufweisen.
Generalisierte Zeichen
- Tachykardie
oder Bradykardie - Hypotonie
- Tachypnoe-/Bradypnoe → Die Sauerstoffsättigung
kann erniedrigt oder normal sein (mögliche Fehlmessung auf Grund der Vasokonstriktion) - Rhythmusstörungen im EKG (Gefahr eines Kammerflimmerns)
- Hyper-/ Hypoglykämie
- Bewusstseinsveränderungen bis hin zum Koma
Diagnostik
Anamnese
Aktuelle Anamnese:
- S (Symptome): Kältezittern, Muskelstarre
- A (Allergien, Infektionen): Bekannte Allergien oder Infektionen?
- M (Medikation): Dauer- oder Akutmedikation?
- P (Patientengeschichte): Bestehende Vorerkrankungen, insbesondere endokrine Erkrankungen und neurologische Erkrankungen. Liegen besondere Umstände wie ein Lawinen- oder Ertrinkungsunfall vor?
- L (Letzte…): Letzte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme?
- E (Ereignis): Letzte Sichtung der Patient:in
- R (Risiko): Kalte Jahreszeit, Wetterbedingungen, Alkoholintoxikation
- S (Schwangerschaft): mögliche Schwangerschaft bei Patient:innen
TippNutze Schemata
Um die Anamnese strukturiert durchzuführen, bietet es sich an, Schemata wie das SAMPLERS oder OPQRST-Schema
zu nutzen. Am obigen Beispiel haben wir Fragen und Befunde dargestellt, die bei dem Verdacht auf eine Hypothermie abgefragt werden sollten und vorliegen könnten.
Körperliche Untersuchung
Inspektion:
- Blasse Haut
- Zyanose möglich
- Muskelzittern möglich
Palpation:
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Palpation des Pulses:
- Tachykardie
, Bradykardie oder Arrhythmie
- Tachykardie
Perkussion:
- Der Perkussionsversuch sollte physiologisch ausfallen. Ist das nicht so, muss differenzialdiagnostisch gedacht werden
Auskultation:
- Der Auskulationsbefund sollte physiologisch ausfallen. Ist das nicht so, muss differenzialdiagnostisch gedacht werden
Vitalparameter:
- Hypothermie
- Atemfrequenz
kann erhöht oder erniedrigt sein - EKG: Initiale Tachykardie
→ später Bradykardie - Arrhythmie
J-Welle / Osborn-Welle
Jer5150, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons
Die J-Welle oder Osborn-Welle bezeichnet eine kleine, positive Zacke am J-Punkt . Sie bildet sich hauptsächlich im Rahmen einer Hypothermie und ist reversibel. - Hypotonie
- Hyper-/Hypoglykämie
TippDie Sauerstoffsättigung
sollte kritisch hinterfragt werden. Durch kalte Extremitäten (Vasokonstriktion) und durch Verschiebung der Sauerstoffbindungskurve können eventuell normale Werte angezeigt werden, die gegebenenfalls nicht mit dem Sauerstoffbedarf übereinstimmen.
InfoOft kommt die Hypothermie als Begleitmorbidität zum Beispiel im Rahmen eines Traumas vor. Differenzialdiagnostisch müssen andere Ursachen der Vigilanzminderung
, wie z.B. Intoxikationen bedacht werden.
Erfrierungen
DefinitionErfrierungen sind lokale Gewebeschädigungen durch Kälteexposition. Meist sind schlecht geschützte Regionen wie Finger, Nase oder Ohren betroffen.
Pathophysiologie:
- Eiskristalle bilden sich im Gewebe aus
- Dehydration führt zur Zerstörung von Zellen
- Mikrovaskuläre Schäden
Symptomatik:
Stadium | Symptomatik | Symptome nach Wiedererwärmung |
---|---|---|
I |
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II |
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III |
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IV |
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Therapie:
- Schutz vor weiterer Auskühlung
- Langsames erwärmen der betroffenen Körperteile
Kein Reiben der betroffenen Stellen → potenzielles Trauma möglich
Weaver TL, Robinson D, Frey ES, CC BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via PMC (PMCID: PMC4106255)
Erfrierungen Grad IV
Therapie
Vermeidung eines weiteren Wärmeverlustes
Eine Wiedererwärmung der Patient:innen ist der zentrale Therapieansatz, jedoch präklinisch schlecht umsetzbar. Deshalb steht hier die Vermeidung eines weiteren Wärmeverlustes sowie eine symptombasierte Therapie im Vordergrund.
AchtungAktive Wiedererwärumg soll wegen der Gefahr eines Wiedererwährmungskollaps mit Blutdruckabfall und Kreislaufversagen präklinisch vermieden werden!
- Indikation:
- Alle Patient:innen mit Hypothermie und erhaltenen Kreislauf
- Material:
- Wolldecken, Patient:innendecken, Rettungsdecken
- Warme Infusionslösungen (40-46 °C): allerdings meist erst effektiv ab einer Infusionsrate von 500 ml/h
- Hibler Packung oder Ready-Heat wenn vorhanden
- Durchführung:
- Patient:innen möglichst schnell vom kalten Untergrund in den RTW verbringen
- Leicht hypotherme Patient:innen können warme Getränke zu sich nehmen
- Frühzeitig an Wärmesysteme wie Ready-Heat etc. denken und vorbereiten (Körperstamm orientiert)
- An Ressourcen im Umkreis der Patient:innen denken und nutzen
- Erfolgskontrolle:
- Temperaturmessung
TippBei Verdacht auf Hypothermie unbedingt daran denken, den Rettungswagen zu beheizen (Temperatur ca. 24–26 °C). So wird eine weitere Auskühlung verhindert und eine sanfte passive Wiedererwärmung eingeleitet.
Oxygenierung und Beatmung
- Die Indikation zur Beatmung soll bei schwerwiegender Hypothermie großzügig gestellt werden
InfoFalls eine Analgesie oder Narkose nötig ist, sollte die Metabolisierung der verschiedenen Medikamente beachtet werden.
Weitere Maßnahmen
Darüber hinaus ist eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter entscheidend, um auf Veränderungen des Zustands der Patient:innen schnell reagieren zu können. Die Kommunikation zwischen Rettungsdienst und der aufnehmenden Klinik ist ebenfalls von großer Bedeutung, um eine optimale Weiterbehandlung zu gewährleisten.
Lagerung:
- Patient:innen sollen aufgrund der hohen myokardialen Irritabilität nicht unnötig bewegt werden und horizontal gelagert werden
- Wenn es bei der Bergung zu einer Umverteilung des Blutes kommt, sodass peripheres, kaltes Blut in zentralerer Regionen fließen kann, kann es zu Rhythmusstörungen und Bergungstod kommen
- Patient:innen sollen mittels ab moderater Hypothermie, mittels Vakuummatratze immobilisiert werden
Besondere Situationen
Reanimation bei Hypothermie:
Hypothermie hat einen zerebroprotektiven Effekt durch Reduktion des Stoffwechsels und Hemmung von schädlichen Effekten der Hypoxie. Das bedeutet, dass selbst ein längerer Kreislaufstillstand überlebt werden kann.
Für den Rettungsdienst heißt das: „Nobody is dead until warm and dead.“ Das Herz reagiert empfindlich auf niedrige Temperaturen und Lagerungsmaßnahmen können bereits ein Kammerflimmern
- Empfehlungen für die Reanimation
bei Hypothermie: - Temperatur feststellen
- Mindestens 1 Minute lang die Vitalzeichen prüfen, am besten in Kombination mit einem EKG (Im Zweifel immer mit der Wiederbelebung
beginnen) - Falls die Umstände keine kontinuierliche CPR
erlauben: - intermittierende HLW bei < 28 °C / unbekannter Temperatur → 5 Minuten CPR
, dann 5 Minuten Pause im Wechsel - intermittierende HLW bei < 20 °C → 5 Minuten CPR
, dann 10 Minuten Pause im Wechsel
- intermittierende HLW bei < 28 °C / unbekannter Temperatur → 5 Minuten CPR
Die Herzdruckmassage
und die Beatmungsrate sollen sich nicht von der Reanimationssituation bei normothermen Patient:innen unterschieden Körperkerntemperatur Maßnahmen < 30 °C - Auf Medikamente wird verzichtet, bis die Kerntemperatur wieder > 30 °C beträgt
- Wenn Kammerflimmern
mit 3 Schocks nicht beherrschbar ist, sollen weitere Defibrillation verschoben werden, bis die Kerntemperatur > 30 °C beträgt
> 30 °C - Die Verabreichungsintervalle für Medikamente verdoppeln sich auf 6-10 Minuten
> 35 °C - Normale Verabreichungsintervalle der Medikamente, wie bei normothermen Patient:innen
- Die Hypothermie ist bei den möglichen reversiblen Ursachen der Reanimation
in den H´s und HITS aufgeführt - Es soll ein Zentrum mit der Möglichkeit einer ECMO
angefahren werden - Für einen längeren Transport kann ein mechanisches CPR
-Gerät sinnvoll sein
Polytrauma:
- Polytraumatisierte Patient:innen können durch direkte Kälteexposition, Hämorrhagischen Schock
, Anästhetika, Muskelrelaxanzien und Wärmeverlust durch Entkleiden eine geringere Körperkerntemperatur aufweisen - Tödliche Trias: Koagulopathie, Azidose
und Hypothermie führen zu einer erhöhten Mortalität - Prävention durch Wärmeerhalt ist deshalb essenziell
Lawinenunfälle:
- Bei Lawinenunfällen wird eine Person von rutschenden oder wirbelnden Schneemassen begraben.
- In einer Reanimationssituation:
- Gestartet wird mit 5 Beatmungen, da die Hypoxie die wahrscheinlichste Ursache des Kreislaufstillstands ist
- Es soll eine Standard-ALS Reanimation
erfolgen, wenn die Person < 60 Minuten verschüttet ist - Bei Lawinenopfern ohne Atemwegsverlegung und einer Verschüttungsdauer > 60 Minuten: Reanimationsmaßnahmen mit ECLS-Wiedererwärmung
Ertrinken:
- Durch Eintauchen eines Körperteils / oder gesamten Körpers unter Wasser (Immersion und Submersion) kommt es zu Panik und der Atemreiz setzt ein → Aspiration von Flüssigkeit → Laryngospasmus → Hypoxie
- Kommt es zu einer Reanimationssituation, soll mit 5 Beatmungen gestartet werden
Ertrinkungsunfälle gehen häufig mit Hypothermie einher
File:Sinking.gif: Michael N. Ericksonderivative work: Jerimee, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons
Wenn ein Teil des Körpers oder der gesamte Körper unter Wasser sind, kann es zu Ertrinkungsunfällen kommen.
TippOhrthermometer können falsch niedrige Werte liefern, wenn sich im Ohr Wasser oder Schnee finden und nicht mit der tatsächlichen Körperkerntemperatur
übereinstimmen,
Weitere Therapie im klinischen Setting
Versorgung in der Notaufnahme
In dieser Notlage kann es helfen, sich mental auf die nächsten Schritte vorzubereiten. Dafür ist es ratsam, schon auf der Fahrt zum Krankenhaus zu erklären, wie das weitere Procedere im Krankenhaus aussieht und worauf die Person sich potenziell einstellen muss.
AchtungDa die Therapie je nach aufnehmendem Krankenhaus und Behandler:in variieren kann, empfiehlt es sich nicht, einen bestimmten Behandlungsweg detailliert zu beschreiben. Eine grobe Skizzierung des weiteren Behandlungspfades reicht völlig aus, um Unsicherheiten zu minimieren. Die weiteren Informationen dienen ausschließlich eurer Information als Fachpersonal!
Für die Behandlung in der Notaufnahme ist eine kontinuierliche Temperaturmessung (beispielsweise ösophageal) essenziell.
Externe nichtinvasive Wärmemethoden:
Durch spezielle Wärmedecken, die mit bis zu 43 °C warmer Luft gefüllt sind
Figure out: Costanzo S, Cusumano A, Giaconia C, Mazzacane S. A proposed methodology to control body temperature in patients at risk of hypothermia by means of active rewarming systems. Biomed Res Int. 2014;2014:136407. doi: 10.1155/2014/136407. Epub 2014 Nov 17. PMID: 25485278; PMCID: PMC4251640.
Wärmedecken werden im Krankenhaus verwendet und sind mit einem Gerät verbunden, welches warme Luft in die Decke pustet.
Invasive Wiedererwärmung:
- Warme Infusionen (können die Körperkerntemperatur
um 3 °C/h anheben) - Ventilation mit warmen Inhalationsgasen (Effekt ist jedoch eher gering)
- Über einen zentralen Venenkatheter (ZVK
) kann ein intravaskulärer Thermokatheter mit Wärmeballon eingeführt werden. Hierüber kann warme Flüssigkeit verabreicht werden - Mittels Hämodialyse
und Hämofiltration können stabile hypotherme Patient:innen durch die aktive Erwärmung des Dialysats erwärmt werden - Kardiopulmonaler Bypass
- ECMO
(Extrakorporale Membranoxygenierung )

Van Meurs, K, Lally, KP, Peek, G, Zwischenberger, Extracorporeal Life Support Organization, Ann Arbor 2005., CC BY 2.5, https://creativecommons.org/licenses/by/2.5, via Wikimedia Commons
Stoffwechsel- und Gerinnungsmanagement:
- Überwachung und Korrektur von metabolischen Störungen
- Gerinnungsüberwachung
Weitere Versorgung in der Klinik
Ursachenklärung und Prävention:
- Primäre Ursachen:
- Wärmeleitung (Konduktion) und Konvektion: Der Körper kommt mit kalten Oberflächen in Berührung, wodurch Wärme direkt an diese abgegeben wird (z. B. Liegen auf kaltem Boden)
- Wärmestrahlung (Radiation): Der Körper gibt Wärme in Form von elektromagnetischen Wellen an die Umgebung ab
- Verdunstung (Evaporation): Wärmeverlust durch die Verdunstung von Flüssigkeit, z. B. Schweiß oder feuchte Kleidung
- Sekundäre Ursachen:
- Thermodysregulation: zum Beispiel bei Alkoholintoxikation, Schlaganfall
oder kardiovaskulären Ereignissen - Mangelnde Wärmeproduktion: zum Beispiel bei Patient:innen mit Nebenniereninsuffizienz oder Hypoglykämie
- Erhöhter Wärmeverlust: zum Beispiel bei Verbrennungen
oder Schock
- Thermodysregulation: zum Beispiel bei Alkoholintoxikation, Schlaganfall
- Präventionsmaßnahmen:
- Bei zugrunde liegenden Erkrankungen ggf. Optimierung der medikamentösen Therapie
- Primäre Ursachen:
InfoIn manchen Regionen wird während kalter Temperaturen (ab 0 °C), durch ehrenamtliche Kräfte ein Kältebus besetzt, der sich um hilfsbedürftige Wohnungslose kümmert und beispielsweise warmen Tee sowie Decken verteilt
. Es können auch Notunterkünfte vermittelt werden.
Transport
Die Wahl des Zielkrankenhauses ist abhängig vom individuellen Fall. Das Zielkrankenhaus sollte über eine Intensivstation verfügen und eine Notaufnahme mit einem Schockraum vorweisen.
Patient:innen mit Hypothermie ab dem Stadium II (32-28 °C) und passendem klinischen Eindruck sollen in eine Klinik mit Möglichkeit zur invasiven Wiedererwärmung gebracht werden. Die Verdachtsdiagnose Hypothermie soll im Vordergrund stehen und das Risiko maligner Herzrhythmusstörungen muss bedacht werden.
- Bei instabiler Kreislaufsituation soll der Transport unter kontinuierlicher Kreislaufüberwachung und gegebenenfalls medikamentöser Unterstützung erfolgen
- An regelmäßige Temperaturmessungen denken und diese dokumentieren
- Schonender Transport unter Immobilisation
- Bei weiten Strecken → an frühzeitige RTH Alarmierung denken
MerkeZusammenfassung Transport
- Zielkrankenhaus: Internistische Abteilung + intensivmedizinische Überwachung
- Bei moderater Hypothermie (32-28 °C) → Transport in ECMO Zentrum
- Überwachung der Vitalparameter
- Regelmäßige Temperaturmessung
Prüfungswissen
Definition:
- Körperkerntemperatur
< 35 °C - Milde Hypothermie → 35–32 °C
- Moderate Hypothermie → 32–28 °C
- Schwere Hypothermie → < 28 °C
Ursachen:
Primäre Wärmeverluste:
→ Konduktion und Konvektion: Kontakt mit kalten Oberflächen (z. B. Boden)
→ Radiation: Wärmeabstrahlung
→ Evaporation: Wärmeverlust durch Verdunstung (Schweiß, nasse Kleidung)
Sekundäre Ursachen:
→ Thermodysregulation: Alkoholintoxikation, Schlaganfall
, kardiovaskuläre Ereignisse → Verminderte Wärmeproduktion: Hypoglykämie, Nebenniereninsuffizienz
→ Erhöhter Wärmeverlust: Verbrennungen
, Schock
Klinischer Eindruck:
- Stadium I (35-32 °C) → Bewusstseinsklar, Kältezittern
- Stadium II (21-28 °C) → Bewusstseinseingetrübt, kein Kältezittern
- Stadium III (28-24 °C) → Bewusstlosigkeit, Lebenszeichen vorhanden
- Stadium IV (< 24 °C) → Kreislaufstilland / minimaler Kreislauf / keine oder minimale Lebenszeichen
- Stadium V (< 13,7 °C) → Tod
Diagnostik:
- Eigen- und Fremdanamnese
- Vollständige Erhebung der Vitalparameter
- Blutzuckermessung
: Hyper-/ Hypoglykämie - 12- Kanal EKG: Rhythmusstörungen, J-Welle
Therapie:
- Ziel: Wärmeverlust vermeiden!
- Maßnahmen:
- Wolldecken, Rettungsdecke
- Warme Infusionen (~40–46 °C)
- Immobilisation (keine unnötigen Bewegungen → Risiko Bergungstod!)
- Sauerstoffgabe
und großzügige Indikation zur Beatmung
- Vitalparameter überwachen:
- EKG → Risiko der malignen Herzrythmusstörungen
Besondere Situationen:
- Reanimation
bei Hypothermie: - Hypothermie hat einen zerebroprotektiven Effekt → Nobody is dead until warm and dead
- Lagerungsmaßnahmen können Kammerflimmern
auslösen - Vitalzeichen sollen mindestens 1 Minute lang geprüft werden
- < 30 °C → Kein Adrenalin
, wenn Kammerflimmern nicht beherrschbar ist mit 3 Schocks , werden weitere Defibrillationen verschoben (bis die Körperkerntemperatur > 30 °C beträgt) - > 30 °C → Die Verabreichungsintervalle von Adrenalin
verdoppeln sich auf 6-10 Minuten - Hypothermie ist eine der möglichen reversiblen Ursachen
- Polytrauma:
- Tödliche Trias: Koagulopathie, Azidose
, Hypothermie sorgen für erhöhte Mortalität - Prävention durch Wärmeerhalt ist essentiell
- Tödliche Trias: Koagulopathie, Azidose
Transport:
- Stadium II (32-28 °C) oder schwerer: Klinik mit invasiven Wiedererwärmungsmethoden
- Gefahr maligner Arrhythmien → Immobilisation und schonender Transport
Quellen
- S3 Leitlinie Vermeidung von perioperativer Hypothermie, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI)
- ERC Leitlinien 2021, European Resuscitation Council 2021; Resuscitation
- Akzidentelle Hypothermie, Referenz Notfallmedizin, 1. Auflage, ISBN: 9783132412903
- Erfrierung und Unterkühlung (Hypothermie), Checkliste Notfallmedizin, 4. Auflage, ISBN: 9783131510549
- Wärmehaushalt und Thermoregulation, Taschenatlas Physiologie, 8. Auflage, ISBN: 9783135677088
- Hypothermie, Kälteschäden, Taschenatlas Pathophysiologie, 6. Auflage, ISBN: 9783132429130
- Hypothermie, retten! 2016; 5(04): 274 - 282
- Bedeutung der Hypothermie beim Polytrauma, Die Unfallchirurgie 112(11):959-964