Zusammenfassung
Eine Intoxikation mit Cholinesterasehemmern entsteht durch eine übermäßige Stimulation des parasympathischen Nervensystems
Sie äußert sich typischerweise durch folgendes klinisches Bild:
- Miosis
- Gesteigerte Sekretproduktion von Haut und Schleimhäuten
- Erhöhter Speichelfluss und Bronchorrhö
- Erhöhte Darmmotilität mit Diarrhoe
und Erbrechen - Bradypnoe
- Bradykardie
- Faszikulationen
(unwillkürliches Muskelzucken) - Lähmung von Skelett- und Atemmuskulatur
- Verwirrung
Eine Vergiftung mit Cholinesterasehemmern tritt häufig durch akzidentelle Exposition, suizidale Absicht oder beruflichen Kontakt mit diesen Substanzen auf.
Die Therapie im Rettungsdienst umfasst die schnelle Sicherstellung der Vitalfunktionen, die Magenspülung, die Beatmung bei Atemdepression und die gezielte Gabe des Antidots Atropin
Atropin
Fallbeispiel
Um den Einstieg in das Thema Intoxikation mit Cholinesterasehemmern etwas zu erleichtern, wird im Folgenden ein Fall beschrieben, wie er sich präklinisch ereignen könnte.
Das Szenario
Einsatzmeldung:
- Stichwort: Bewusstlosigkeit
- Ort: Privathaushalt, Keller
- Alarmzeit: 03:14 Uhr
- Anrufer:in: Ehefrau des Betroffenen
- Anzahl der Betroffenen: 1
- Zusatzinfo:
- Männlich, 49 Jahre alt
- Mutmaßliche orale Aufnahme eines toxischen Insektizids
- Feuerwehr und Polizei sind ebenfalls alarmiert
Lageeinweisung vor Ort:
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes liegt der Patient auf dem Boden. Neben ihm befindet sich ein Kanister mit einem Insektizid.
Die Lage ist wie folgt:
- Der Patient ist bewusstlos
- Bei der Atemkontrolle wird eine regelmäßige Atemfrequenz von 8/min festgestellt
- Der Betroffene zeigt starken Tränenfluss, erhöhter Speichelfluss und Schweißausbrüche
- Die Pupillen sind eng (Miosis)
- Die Ehepartnerin berichtet, dass ihr Mann seit einiger Zeit an schweren Depressionen leide
- Am Abend habe sie ihn zuletzt gesehen, als er sich mit einer Ausrede in den Keller zurückzog. Nach mehreren Stunden sei sie misstrauisch geworden und habe ihn schließlich bewusstlos am Boden liegend gefunden. Die Frau alarmierte sofort den Rettungsdienst
- Es sind keine äußeren Verletzungen erkennbar

Dieses Bild wurde mit der KI-Software DALL·E (OpenAI) erstellt. Es wurde automatisch generiert und dient ausschließlich illustrativen Zwecken.
Ersteinschätzung nach xABCDE-Schema
Um sich einen ersten umfassenden Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten in einer Notfallsituation zu verschaffen, bietet sich das xABCDE-Schema an. Um die Arbeit mit dem Schema zu veranschaulichen, ist hier ein xABCDE-Schema abgebildet, wie es im Falle einer Ersteinschätzung bei einer Patientin oder einem Patienten mit einer Intoxikation mit Cholinergika aussehen könnte.
Es handelt sich dabei um die Befunde, die innerhalb der ersten paar Minuten erhoben werden können. Erweiterte Diagnostik und Abfragen sind natürlich von Bedeutung, jedoch würde zum Beispiel die Anlage eines 12-Kanal-EKG
x |
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A |
| Akutes |
B |
| Akutes |
C |
| Akutes |
D |
| Akutes |
E |
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Mittelbares |
AchtungDas hier gezeigte Assessment vermittelt nur einen exemplarischen ersten Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten. Im Verlauf der Behandlung müssen weitere Maßnahmen ergriffen und Informationen gesammelt werden. Das Schema erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen praktischen Einstieg in das Thema ermöglichen.
InfoIn diesem Fallbeispiel liegt der Fokus auf der medizinischen Versorgung, während das Thema Eigenschutz nicht ausführlich dargestellt wird. Im realen Einsatz hat der Eigenschutz beim Umgang mit Insektiziden höchste Priorität und muss jederzeit beachtet werden.
Definition
DefinitionEine Intoxikation mit Cholinesterasehemmern entsteht durch eine übermäßige Stimulation des parasympathischen Nervensystems
über Acetylcholin (ACh) an muskarinergen und nikotinergen Rezeptoren. Sie äußert sich typischerweise durch folgendes klinisches Bild:
- Miosis
- Gesteigerte Sekretproduktion von Haut und Schleimhäuten
- Erhöhter Speichelfluss und Bronchorrhö
- Erhöhte Darmmotilität mit Diarrhöen und Erbrechen
- Bradypnoe
- Bradykardie
- Faszikulationen
(unwillkürliches Muskelzucken) - Lähmung von Skelett- und Atemmuskulatur
- Verwirrung
Ursachen
Medikamente:
- Neostigmin, Physostigmin (Acetylcholinesterase-Hemmer
) - Irinotecan (Chemotherapeutikum
mit cholinerger Wirkung)
Insektizide:
- Organophosphate (z.B. E605)
- Carbamate
Toxische Pilze:
- Muskarinhaltige Pilze (v.a. einige Risspilzarten)
Sonstige neurotoxische Substanzen :
- Nikotin
- Nervengase (z.B. Sarin)
- Nowitschok-Gifte
InfoDiese Chemikalien zählen aktuell zu den am weitesten verbreiteten Insektiziden:
- Terbufos (COUNTER)
- Phorate (THIMET)
- Dimethoat (CYGON)
- Temephos (ABATE)
- Carbaryl
Sie werden weltweit in der Landwirtschaft sowie im Haushalt zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit, aber auch ihrer toxikologischen Risiken stehen sie unter strenger regulatorischer Überwachung.
Pathophysiologie
MerkeReminder: Physiologische Grundlagen
- Parasympathikus
:
- Der Parasympathikus
ist der Teil des autonomen Nervensystems, der für Erholung, Verdauung und Regeneration sorgt - Acetylcholin (ACh) ist der primäre Neurotransmitter des parasympathischen Nervensystems
und wirkt über zwei verschiedene Rezeptortypen:
- Muskarinerge Rezeptoren (mACh):
- M1 (ZNS, Ganglien): Kognitive Funktionen, Wachheit
- M2 (Herz): Bradykardie
, reduzierte Kontraktilität - M3 (Drüsen, glatte Muskulatur
): Speichelfluss, Tränenfluss, Bronchokonstriktion, Diarrhö , Akkommodation der Augen - M4 + M5 (ZNS): Beeinflussung der Motorik + Regulation von Dopaminfreisetzung
- Die genaue physiologische Funktion ist noch nicht eindeutig erforscht
- Nikotinerge Rezeptoren (nACh):
- Neuromuskuläre Endplatten: Muskelkontraktion
- Vegetative Ganglien: Erregung des autonomen Nervensystems
- Acetylcholinesterase (AChE):
- Enzym, das Acetylcholin im synaptischen Spalt abbaut → reguliert die Reizübertragung
Hemmung der AChE (z.B. durch Insektizide, Nervengifte
Überstimulation der muskarinergen Rezeptoren:
Durch die verstärkte Wirkung von Acetylcholin an M1-, M2- und M3-Rezeptoren kommt es zu:
- M1 (ZNS, Ganglien):
- Erhöhte Reizweiterleitung → Verwirrtheit, Halluzinationen, Krampfanfälle, Koma
- M2 (Herz, Vagusnerv
): - Bradykardie
- Hypotonie
- Bradykardie
- M3 (Drüsen, glatte Muskulatur
): - Hypersekretion: Starker Speichelfluss (Hypersalivation), Bronchialsekretion → Erstickungsgefahr
- Gastrointestinale Stimulation: Übelkeit, Erbrechen, massive Diarrhö
→ Flüssigkeitsverlust - Bronchokonstriktion: Atemnot durch reflektorische Verengung der Bronchien
Überstimulation der nikotinischen Rezeptoren:
Durch die verstärkte Wirkung von Acetylcholin an nikotinergen Rezeptoren kommt es zu:
- Neuromuskuläre Symptomen:
- Muskelzuckungen (Faszikulationen
) durch andauernde Depolarisation - Spastische Lähmungen → Atemlähmung bei Zwerchfellbeteiligung
- Erhöhte Muskelaktivität → im Verlauf Erschöpfung & schlaffe Paralyse
- Muskelzuckungen (Faszikulationen
- Autonome Dysregulation:
- Bradykardie
(Vagusaktivierung) - Blutdruckschwankungen
- Bradykardie
MerkeZusammenfassung: Die kritischen Probleme bei Intoxikationen mit Cholinesterasehemmern
- Anhaltende Stimulation von muskarinergen und nikotinergen Rezeptoren
- Überaktivierung Parasympathikus
- Neuromuskuläre Dysregulation
Klinischer Eindruck
Typische Zeichen
InfoDie Symptomatik entwickelt sich je nach Dosis, Subtanztyp und Aufnahmeweg innerhalb von Minuten bis Stunden. Je nach Schwere der Vergiftung unterscheiden sich die Symptome in ihrer Ausprägung.
Schweregrad der Intoxikation | Symptome |
---|---|
Leicht |
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Mittelschwer |
|
Schwer |
|
AchtungBei schweren Verläufen dominieren die klinischen Leitsymptome:
- Bewusstlosigkeit
- Enge Pupillen (Miosis)
- Bradykardie
- Ausgeprägte Bronchialsekretion (Bronchorrhö)
MerkeMerkhilfe: Sludge
Das Akronym Sludge fasst die typischen Symptome einer Intoxikation mit Cholinesterasehemmern zusammen:
- S-Salivation → übermäßiger Speichelfluss
- L-Lakrimation → starker Tränenfluss
- U-Urinabgang → unkontrollierter Harnabgang
- D-Diarrhö
→ schwere Durchfälle - G-Gastrointestinale Beschwerden → krampfartige Bauchschmerzen
- E-Emesis → starkes Erbrechen
Generalisierte Zeichen
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Verwirrtheit
- Starkes Schwitzen
- Evtl. Geruch nach Knoblauch
- Initial Tachykardie
möglich - Engegefühl in der Brust
- Hypotonie
Diagnostik
Anamnese
- S (Symptome): SLUDGE → Übermäßiger Speichelfluss, starker Tränenfluss, unkontrollierter Harnabgang, Durchfälle, Bauchschmerzen, Erbrechen
- Hinweise auf schwere Intoxikation?
→ Miosis, Bradykardie, Bronchorrhö, Bewusstlosigkeit, Zyanose - Intoxikation mit Carbamaten, z.B. Carbaryl?
→ Spezielle Therapiehinweise beachten - Hinweise auf suizidale Absicht?
→ Leere Kanister? Abschiedsbrief?
- Hinweise auf schwere Intoxikation?
- A (Allergien, Infektionen): Gibt es Hinweise auf Allergien oder Infektionen?
- M (Medikation):
- Einnahme von Dauer- oder Bedarfsmedikation?
- P (Patientengeschichte):
- Psychiatrische Erkrankungen?
- Abschiedsbrief vorhanden?
- L (Letzte…):
- Letzte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme?
- Einnahme der Medikation?
- Wenn ermittelbar → Einnahmezeitpunkt der ursächlichen Substanz
- E (Ereignis):
- Was wurde eingenommen?
- Wann erfolgte die Einnahme?
- Welche Menge wurde eingenommen?
- Wie erfolgte die Aufnahme?
- Warum erfolgte die Aufnahme?
- R (Risiko): Polytoxikomanie (Mischkonsum mit Alkohol, Benzodiazepinen, anderen Substanzen)
- S (Schwangerschaft): Mögliche Schwangerschaft bei Patientinnen
TippNutze Schemata
Um die Anamnese strukturiert durchzuführen, bietet es sich an, Schemata, wie das SAMPLERS oder OPQRST-Schema
zu nutzen. Am obigen Beispiel haben wir Fragen und Befunde dargestellt, die bei dem Verdacht auf eine Intoxikation mit Cholinesterasehemmern abgefragt werden sollten und vorliegen könnten.
Weitere Information zur Anamneseerhebung und dem allgemeinen Vorgehen bei Intoxikation findest du hier: Vorgehen bei Intoxikationen
Körperliche Untersuchung
Inspektion:
- Gesteigerte Sekretproduktion von Haut und Schleimhäuten
- Erhöhter Speichelfluss und Bronchorrhö
- Tränenfluss
- Schweißausbrüche
- Vigilanzminderung
bis Bewusslosigkeit - Atemdepression
- Miosis (kann fehlen)
Palpation:
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Palpation des Pulses:
- Bradykardie
- Gegebenenfalls schwach tastbarer Puls
- Bradykardie
Perkussion:
- Der Perkussionsbefund sollte physiologisch ausfallen. Ist das nicht so, muss differenzialdiagnostisch gedacht werden
Auskultation:
- Der Auskultationsbefund sollte physiologisch ausfallen. Ist das nicht so, muss differenzialdiagnostisch gedacht werden
- Bei schweren Verlaufen können feuchte Rasselgeräusche
, als Zeichen eines Lungenödems auftreten
Vitalparameter:
- Atemfrequenz
: verringert - Sauerstoffsättigung
: verringert - Herzfrequenz
: Bradykardie (initial Tachykardie möglich) - Blutdruck: normal bis erniedrigt
- Temperatur: normal, ggf. erniedrigt, z.B. bei längerer Liegezeit, insbesondere im Freien
- Blutzucker: normal
Therapie
MerkeDie primären Maßnahmen bei einer Intoxikation mit Cholinesterasehemmern im Rettungsdienst sind die Sicherstellung einer ausreichenden Atmung und Vitalparameter sowie die gezielte Antidottherapie mit Atropin
und ggf. Obidoxim. Schnelles und effizientes Arbeiten haben hohe Priorität – daher sollten Maßnahmen, wenn möglich, parallel erfolgen.
Symptomatische Therapie
Die folgenden Maßnahmen werden häufig angewandt:
- Sauerstoffgabe
: Bei Patient:innen mit einer verminderten Sauerstoffsättigung (Hypoxie) wird Sauerstoff verabreicht, um die Sauerstoffversorgung des Gewebes zu verbessern und die Funktion lebenswichtiger Organe sicherzustellen. Eine stabile Sauerstoffsättigung hilft, eine Hypoxie der Organe und Gewebe zu verhindern - Freimachen der Atemwege
: Durch den Ausfall der Schutzreflexe können die Atemwege verlegt sein
→ Bei einem schnarchenden Atemgeräusch soll ein Esmarch-Handgriff durchgeführt werden - Kristalloide Infusionslösungen: Die Flüssigkeitstherapie ist essenziell zur Optimierung der Perfusion und zur Aufrechterhaltung des Blutdrucks
→ Bei Anzeichen eines Volumenmangels sollen kristalloide Infusionslösungen verabreicht werden - Giftentfernung: Bei einer Intoxikation mit Cholinesterasehemmern muss die weitere Aufnahme des Wirkstoffs sofort gestoppt werden, um eine fortschreitende Vergiftung zu verhindern
→ Dekontamination durch Fachkräfte bei Hautkontakt
Antidottherapie
Atropin :
InfoAtropin
antagonisiert die muskarinergen Effekte von Acetylcholin, darunter verstärkte Speichel- und Bronchialsekretion, Laryngo- und Bronchospasmus, Miosis, Bradykardie , Erbrechen und Durchfall. Die nikotinergen Effekte, wie die neuromuskuläre Atemlähmung, werden jedoch nicht beeinflusst.
- Indikation:
- Vergiftungen mit phosphororganischen Cholinesterasehemmstoffen, z.B. E605
- Carbamat-Vergiftung oder Muscarin-Vergiftung, z.B. Risspilzen oder bei Vergiftungen mit Insektiziden und Herbiziden vom Carbamat Typ
- Überdosierung von Neostigmin und Pyridostigmin
- Durchführung:
- Atropin
wird, solange verabreicht, bis die exzessive Sekretion und die Schweißbildung rückläufig sind.
- Atropin
TippHerstellung einer Verdünnungslösung für Atropin
(1 mg/ml) Im Rettungsdienst steht eine 10-ml-Ampulle mit 100 mg Atropin
zur Verfügung. Um eine präzisere Dosierung zu ermöglichen, ist eine Verdünnung erforderlich. Hier wird eine praxisgerechte Methode zur Verdünnung vorgestellt, die eine sichere und genaue Applikation erleichtert.
- 10 ml aus einer 100-ml-NaCl-Flasche entnehmen und verwerfen
- 10 ml Atropin
(100 mg) in die verbleibenden 90 ml NaCl injizieren - Ergebnis: Die Lösung enthält nun 1 mg Atropin
pro 1 ml - Die verdünnte Lösung in eine 10-ml-Spritze aufziehen
TippTrockene Achseln bei der erkrankten Person sind ein Zeichen für eine ausreichende Dosierung von Atropin
.
MerkeIn Einzelfällen und bei sehr schweren Intoxikationen können Dosierungen bis zu 50 mg Atropin
notwendig sein, um einen ausreichenden Erfolg zu erzielen.
AchtungIn akuten Situationen ist die genaue toxische Substanz oft nicht sofort bekannt, was die Einschätzung der optimalen Dosierung von Atropin
erschwert. Wenn die Substanz jedoch eindeutig identifiziert wurde, beispielsweise durch ein Sicherheitsdatenblatt, können die folgenden spezifischen Atropin
-Dosierungen angewendet werden:
- Vergiftungen mit phosphororganischen Cholinesterasehemmstoffen, z.B. E605 → 2-5 mg i.v. alle 15 Minuten
- Carbamat-Vergiftung oder Muscarin-Vergiftung, z.B. bei Vergiftungen mit Insektiziden vom Carbamat Typ oder Intoxikation mit Risspilzen → 1-2 mg i.v. alle 15 Minuten
- Überdosierung von Neostigmin und Pyridostigmin → 1-2 mg i.v.
Obidoxim:
InfoObidoxim ist ein Reaktivator der Acetylcholinesterase und wird bei Vergiftungen mit Organophosphaten (Cholinesterasehemmern) eingesetzt. Es hebt die irreversible Hemmung der Acetylcholinesterase durch Organophosphate auf und kann dadurch die nikotinergen Symptome (z.B. Muskelschwäche, Atemlähmung) verbessern.
- Indikation:
- Begleitmedikation zu Atropin
bei Organophosphatvergiftung mit schweren zentralnervösen Beeinträchtigungen und / oder funktionellen Störungen der Skelettmuskulatur
- Begleitmedikation zu Atropin
- Dosierung:
- Bei Erwachsenen: initial Obidoxim
als Bolusinjektion - Kinder: initial Obidoxim
als Bolusinjektion
- Bei Erwachsenen: initial Obidoxim
AchtungKeine Gabe von Obidoxim bei Intoxikationen mit Carbamaten
Bei Vergiftungen mit Carbamaten ist Obidoxim unwirksam und nicht empfohlen.
Gründe dafür sind die reversible Hemmung durch Carbamate:
- Carbamate blockieren die Acetylcholinesterase nur vorübergehend und die Hemmung löst sich spontan innerhalb weniger Stunden, ohne dass eine enzymatische Reaktivierung durch Obidoxim notwendig ist
- Organophosphate hingegen führen zu einer irreversiblen Hemmung, die ohne Reaktivierung durch Obidoxim bestehen bleibt
Magensonde und Magenspülung
InfoDurch die Magenspülung wird das Magenepithel von Giftresten befreit und so vor weiterer Schadwirkung geschützt. Gleichzeitig werden wasserlösliche Gifte in Lösung gebracht, was ihre Entfernung erleichtert. Zudem trägt die Spülung zur Verdünnung des aufgenommenen Giftes bei.
Indikation:
Die Magenspülung kann bei einer oralen Aufnahme von Cholinesterasehemmern in Erwägung gezogen werden, insbesondere wenn:
- Die Aufnahme erst kürzlich (≤1 Stunde) erfolgt ist
- Eine lebensbedrohliche Dosis aufgenommen wurde
- Die erkrankte Person endotracheal intubiert ist (Aspirationsschutz)
Vorbereitung:
TippZuerst alle benötigten Materialien zusammenstellen und erst dann mit der Anlage beginnen, um unnötige Unterbrechungen zu vermeiden.
- Händedesinfektion und Anziehen von Einmalhandschuhen
- Ausmessen der Magensonde
: Die Länge wird vom Mundwinkel über das Ohr bis zur Magengrube bestimmt und markiert - Auftragen eines Gleitmittels auf den distalen Teil der Magensonde
- Bereitlegen des Auffangbeutels für den Anschluss auf die Magensonde
- Vorbereiten der Absaugpumpe
- Bereitstellen der Flüssigkeit zum Spülen

Anlage der Magensonde bei intubierten Patient:innen
- Patient:innen lagern: 30–45° Oberkörperhochlagerung (alternativ auch Flachlagerung möglich)
- Horizontales Einführen der Magensonde
durch die Nase - Die Magensonde
bis zur zuvor abgemessenen Länge (40–50 cm) vorschieben - Lagekontrolle
- Fixierung der Magensonde
: Die Sonde mit geeignetem Pflaster an der Nase sicher befestigen, um ein Verrutschen zu vermeiden
Lagekontrolle („Blubber-Probe“):
- Ansetzen einer luftgefüllten 50-ml Spritze an das Sondenende, entleeren der Spritze und gleichzeitiges Auskultieren im Bereich der Magengrube
- Richtige Lage im Magen
: Ein gluckerndes Geräusch ist hörbar. Rückfluss von Magensaft ist ein zusätzlich positives Zeichen, jedoch nicht immer vorhanden
- Richtige Lage im Magen
MerkeJe nach Hersteller und Modell der verwendeten Magensonde
kann es vorkommen, dass eine Spritze nicht dicht aufgesetzt werden kann. In solchen Fällen kann alternativ der Auffangbeutel mit Luft gefüllt und zur Lagekontrolle mittels „Blubber-Probe“ verwendet werden.
Durchführung der Magenspülung:
- Spülung in Portionen von 5-10 ml/kg KG (max. Spülflüssigkeit 200–300 ml) über die Magensonde
einlaufen lassen - Absaugen der Spülflüssigkeit → wiederholen, bis klare Flüssigkeit zurückläuft
Tipp
- Als Spülflüssigkeiten eignet sich lauwarmes Wasser oder vorgewärmte kristalloide Infusionslösungen
- Idealerweise Asservierung
einer Probe aus dem ersten Rückfluss zur toxischen Analyse in der Klinik
- Gabe von Aktivkohlegabe
zur weiteren Giftbindung - Kontinuierliche Überwachung
Weitere Maßnahmen
Reinigungsmaßnahmen bei toxischer Exposition:
- Inhalative Exposition ohne Haut- oder Augenreizung: keine speziellen Reinigungsmaßnahmen erforderlich
- Kontaminierte Kleidung: sofort ausziehen, um eine weitere Exposition zu verhindern
- Augenkontakt mit toxischen Substanzen:
- Augenspülung für mindestens 5 Minuten (Kontaktlinsen vorher entfernen)
- Die Spülung sollte während anderer Maßnahmen oder während des Transports fortgesetzt werden
- Direkte Haut- oder Haarexposition: gründliche Spülung mit Wasser für mindestens 15 Minuten
Spezielle Therapie:
- Toxisches Lungenödem
: - Gabe von Kortikosteroid
- Gabe von Furosemid
- Gabe von Kortikosteroid
- Atemwegsverengung (Stridor/Bronchospasmus):
- Adrenalin
vernebeln - Gabe von Kortikosteroid
- Adrenalin
- Krampfanfälle:
- Verabreichung von Benzodiazepinen, z.B. Midazolam
- Verabreichung von Benzodiazepinen, z.B. Midazolam
Darüber hinaus ist eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter entscheidend, um auf Veränderungen des Zustands der Patient:innen schnell reagieren zu können. Die Kommunikation zwischen Rettungsdienst und der aufnehmenden Klinik ist ebenfalls von großer Bedeutung, um eine optimale Weiterbehandlung zu gewährleisten.
Lagerung:
Es ist auch immer wichtig, die Lagerung adäquat anzupassen. In diesem Fall empfiehlt sich bei ausreichender Spontanatmung die stabile Seitenlage
TippLagerung situationsgerecht anpassen
- Bewusstlosigkeit + ausreichende Spontanatmung
→ Stabile Seitenlage, alternativ Rückenlage unter permanenter Kontrolle der Atemwege + Absaugbereitschaft herstellen - Bewusstlosigkeit + keine suffiziente Spontanatmung
→ Rückenlageund Durchführung einer assistierten Beatmung mit anschließender endotrachealen Intubation
Besondere Situationen
Krampfanfälle bei hoher Atropingabe
Krampfanfälle bei einer Intoxikation mit Cholinesterasehemmern entstehen durch eine exzessive cholinerge Überstimulation im zentralen Nervensystem (ZNS). In seltenen Fällen kann eine hohe Gabe von Atropin
Die Hauptmechanismen sind:
- Zentrale cholinerge Dysbalance
- Direkte Atropin
-Wirkung im ZNS bei hoher Dosis
Zentrale cholinerge Dysbalance:
- Cholinesterasehemmer führen zu einer starken Akkumulation von Acetylcholin, die das zentrale Nervensystem übererregt und Krampfanfälle auslösen kann
- Atropin
blockiert nur muskarinerge Rezeptoren, aber nicht die nikotinergen Rezeptoren im Gehirn - Nikotinerge Überstimulation → kann zu Krampfanfällen führen
Direkte Atropin -Wirkung im ZNS bei hoher Dosis:
- In hohen Dosen blockiert Atropin
muskarinerge Rezeptoren im ZNS, die eine hemmende Funktion haben - Dies kann eine zentrale Erregbarkeit und Krampfanfälle fördern
MerkeTherapie von Krampfanfällen:
Die primäre Behandlung erfolgt mit Benzodiazepinen, wie Midazolam
. Bei anhaltenden Krampfanfällen können zusätzlich Antikonvulsiva , wie Levetiracetam, verabreicht werden.
Weitere Therapie im klinischen Setting
Versorgung in der Notaufnahme
In dieser Notlage kann es helfen, sich mental auf die nächsten Schritte vorzubereiten. Dafür ist es ratsam, schon auf der Fahrt zum Krankenhaus zu erklären, wie das weitere Procedere im Krankenhaus aussieht und worauf die Person sich potenziell einstellen muss.
AchtungDa die Therapie je nach aufnehmendem Krankenhaus und Behandler:in variieren kann, empfiehlt es sich nicht, einen bestimmten Behandlungsweg detailliert zu beschreiben. Eine grobe Skizzierung des weiteren Behandlungspfades reicht völlig aus, um Unsicherheiten zu minimieren. Die weiteren Informationen dienen ausschließlich eurer Information als Fachpersonal!
Versorgung im Schockraum :
InfoAnmeldekriterien für eine Schockraum
-Alarmierung Je nach Situation kann eine Anmeldung im Schockraum
notwendig sein. Die Alarmierung eines Schockraums
hängt ab von:
- Der Schwere der Intoxikation
- Regionalen Protokollen
- Hämodynamischer Situation von dem/der Patient:in
- Den bereits getroffenen Maßnahmen, z.B. beatmungspflichtiger Patient
Labordiagnostik:
Bei Patient:innen mit Intoxikationen
Toxikologische Untersuchungen:
- Urinuntersuchung:
- Organophosphat- und Carbamat-Abbauprodukte können im Urin nachgewiesen werden
- Cholinesterase-Aktivität im Blut messen:
- Erythrozyten
-Acetylcholinesterase (AChE) → spezifisch für Organophosphatvergiftung, da irreversibel gehemmt - Plasma-Butyrylcholinesterase (BChE) → früher Marker, da schneller absinkt
- Bedeutung: Ein deutlicher Abfall spricht für eine schwere Intoxikation.
- Erythrozyten
- Erweiterte toxikologische Untersuchung (z.B. bei Mischintoxikationen):
- Benzodiazepine
, Alkohol, Kokain , Amphetamine → häufige Stoffe bei Mischintoxikationen - Paracetamol
→ v.a. bei Suizidversuchen
- Benzodiazepine
Weitere Versorgung auf der Intensivstation
- Symptomatische Behandlung
- Weiterführen der speziellen Antidottheraphie mit Atropin
und ggf. Obidoxim - Engmaschige Laborkontrollen, insbesondere der Cholinesterase-Aktivität → Verlaufskontrolle zur Prognoseeinschätzung
Hämodialyse und Hämoperfusion
Eine Dialyse
DefinitionHämoperfusion vs. Hämodialyse
Die Hämoperfusion ist ein extrakorporales Blutreinigungsverfahren, das zur Entfernung von Toxinen aus dem Blut eingesetzt wird. Dabei erfolgt die Toxinelimination ausschließlich durch Adsorption, also durch die Bindung der Schadstoffe an ein spezielles Adsorptionsmedium.
Im Gegensatz zur Hämodialyse
basiert die Hämoperfusion nicht auf Diffusion oder Konvektion, sondern auf der direkten Absorption toxischer Substanzen aus dem Blutkreislauf.
Präventive Maßnahmen
InfoNach einer überlebten Intoxikation mit Cholinesterasehemmern, insbesondere nach suizidaler Einnahme, besteht ein hohes Risiko für erneute Intoxikationen
. Daher sollten in der Klinik präventive Maßnahmen ergriffen werden, um zukünftige Intoxikationen zu vermeiden und die Patient:innen langfristig zu stabilisieren.
- Sozial- und suchtmedizinische Betreuung
- Bei Bedarf, z.B. nach Suizidversuch → psychiatrische Vorstellung
Transport
Die Wahl des Zielkrankenhauses ist abhängig vom individuellen Fall. Das Zielkrankenhaus sollte über eine internistische Abteilung mit der Möglichkeit der intensivmedizinischen Überwachung verfügen und eine Notaufnahme mit einem Schockraum
- Bei spontan atmenden Patient:innen soll auf freie Atemwege geachtet werden und eine ständige Überwachung der Vitalparameter erfolgen
- Bei beatmeten Patient:innen ist eine kontinuierliche Überwachung der Beatmungsparameter erforderlich, um diese bei Bedarf anzupassen
- Bei instabiler Kreislaufsituation soll der Transport unter kontinuierlicher Kreislaufüberwachung und gegebenenfalls medikamentöser Unterstützung erfolgen
InfoKriterien für Intensivüberwachung / Schockraumanmeldung
Eine Intensivüberwachung ist erforderlich, wenn schwerwiegende respiratorische, kardiovaskuläre oder neurologische Komplikationen auftreten. Folgende Kriterien sprechen für eine Aufnahme auf die Intensivstation:
- Anhaltende respiratorische Insuffizienz
- Erfolgte Antidotgabe
- Erfolgte Atemwegssicherung
- Stattgefundener Krampfanfälle
- Keine Reaktion auf Ansprache (GCS ≤ 8)
- Fehlender Sinusrhythmus
- Systolischer Blutdruck < 80 mmHg
MerkeZusammenfassung Transport
- Zielkrankenhaus: Internistische Abteilung + intensivmedizinische Überwachung
- Kriterien für Intensivüberwachung / Schockraum
beachten - Überwachung der Vitalparameter
- Überwachung der Beatmungsparameter
Prüfungswissen
Definition:
DefinitionEine Intoxikation mit Cholinesterasehemmern entsteht durch eine übermäßige Stimulation des parasympathischen Nervensystems
über Acetylcholin (ACh) an muskarinischen und nikotinischen Rezeptoren. Sie äußert sich typischerweise durch folgendes klinisches Bild:
- Miosis
- Gesteigerte Sekretproduktion von Haut und Schleimhäuten
- Erhöhter Speichelfluss und Bronchorrhö
- Erhöhte Darmmotilität mit Diarrhöen und Erbrechen
- Bradypnoe
- Bradykardie
- Faszikulationen
(unwillkürliches Muskelzucken) - Lähmung von Skelett- und Atemmuskulatur
- Verwirrung
Ursachen:
- Medikamente:
- Neostigmin, Physostigmin (Acetylcholinesterase-Hemmer
) - Irinotecan (Chemotherapeutikum
mit cholinerger Wirkung)
- Neostigmin, Physostigmin (Acetylcholinesterase-Hemmer
- Insektizide:
- Organophosphate (z.B. E605)
- Carbamate
- Toxische Pilze:
- Muskarinhaltige Pilze (v.a. einige Risspilzarten)
- Sonstige neurotoxische Substanzen
: - Nikotin
- Nervengase (z.B. Sarin)
- Nowitschok-Gifte
Pathophysiologie:
- Anhaltende Stimulation von muskarinergen und nikotinergen Rezeptoren
- Überaktivierung Parasympathikus
- Neuromuskuläre Dysregulation
Klinischer Eindruck:
- Typische Zeichen:
- S-Salivation → übermäßiger Speichelfluss
- L-Lakrimation → starker Tränenfluss
- U-Urinabgang → unkontrollierter Harnabgang
- D-Diarrhö
→ schwere Durchfälle - G-Gastrointestinale Beschwerden → krampfartige Bauchschmerzen
- E-Emesis → starkes Erbrechen
AchtungBei schweren Verläufen dominieren die klinischen Leitsymptome:
- Bewusstlosigkeit
- Enge Pupillen (Miosis)
- Bradykardie
- Ausgeprägte Bronchialsekretion (Bronchorrhö)
Diagnostik:
- Gezielte Anamnese (auf Besonderheiten bei Intoxikationen achten)
- Körperliche Untersuchung:
- Inspektion:
- Gesteigerte Sekretproduktion von Haut und Schleimhäuten
- Erhöhter Speichelfluss und Bronchorrhö
- Tränenfluss
- Schweißausbrüche
- Vigilanzminderung
bis Bewusslosigkeit - Atemdepression
- Miosis (kann fehlen)
- Palpation:
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Palpation des Pulses:
- Bradykardie
- Gegebenenfalls schwach tastbarer Puls
- Bradykardie
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Inspektion:
Therapie:
MerkeDie primären Maßnahmen bei einer Intoxikation mit Cholinesterasehemmern im Rettungsdienst sind die Sicherstellung einer ausreichenden Atmung und Vitalparameter sowie die gezielte Antidottherapie mit Atropin
und ggf. Obidoxim. Schnelles und effizientes Arbeiten hat hohe Priorität – daher sollten Maßnahmen, wenn möglich, parallel erfolgen.
- Symptomatische Therapie
- Atemwegsmanagement
- Situationsgerechte Lagerung
Weitere Therapie im klinischen Setting:
- Labordiagnostik
- Toxikologische Untersuchung
- Präventive Maßnahmen, z.B. suchtmedizinische Betreuung, ggf. psychiatrische Vorstellung
Transport:
- Zielkrankenhaus: Internistische Abteilung + intensivmedizinische Überwachung
- Kriterien für Intensivüberwachung / Schockraum
beachten - Überwachung der Vitalparameter
Quellen
- S2k-Leitlinie Katastrophenmedizinische prähospitale Behandlungsleitlinien, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI)
- Akute Einwirkungen von chemischen Substanzen – Cholinesterasehemmer, BASF Corporate Health Management – Humantoxikologie
- Organophosphatintoxikation, Referenz Notfallmedizin. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2019, ISBN: 978-3-13-241290-3
- Extrakorporale Verfahren bei Vergiftungen: Hämoperfusion, Dialyse und Nephrologie für Pflegeberufe. Springer, Berlin, Heidelberg, ISBN: 978-3-662-06611-9