Einleitung
Bei der Überwachung in der Anästhesie denkt man oft an die vielfältigen Möglichkeiten der apparativen Diagnostik. Die körperliche Untersuchung bildet jedoch die wesentliche Grundlage einer umfassenden Überwachung. Sie ermöglicht es den Anästhesist:innen, wichtige Informationen über den klinischen Zustand der Patient:innen zu erhalten und Veränderungen frühzeitig zu erkennen.
Körperliche Untersuchung
Inspektion
- Hautkolorit:
- Rötung → Hinweis auf allergische Reaktion oder hoher Blutdruck
- Blässe → Starker Blutverlust, Hypotonie
- Thoraxexkursionen
- Seitengleich → Physiologisch
- Seitendifferent → Hinweis auf einseitige Intubation
oder Vorerkrankung → Auskultation
- Tränenträufeln, Schwitzen, Bewegungen, Pressen → Hinweise auf zu flache Narkose
- Pupillenweite
- Miosis (kleine Pupille
) → Hinweis auf Opioidwirkung - Mydriasis (große Pupille
) → Hinweis auf zu flache Narkose, hoher Sympathikotonus
- Miosis (kleine Pupille
- Ggf. Urinbeutel
- Geringe Füllung → Reduzierte Nierenfunktion, geringes Herz-Zeit-Volumen (Niere erhält großen Teil des HZV), Fehlanlage des Katheters
- Gelb-orange → Konzentrierter Urin
- Trübe/milchig → Hinweis auf Leukozyturie
oder Bakteriurie - Hell/klar → Hinweis auf Polyurie
(starke Flüssigkeitszufuhr, bei Diabetes mellitus oder insipidus)
- Blut
in Absaugbehälter → Kann zur Abschätzung des intraoperativen Blutverlustes herangezogen werden (Cave: Verdünnung durch Spülflüssigkeit) - Regelmäßige Überprüfung des Infusionssystems (Läuft die Infusion? Gibt es genug funktionierende Zugänge?) → Im Notfall lebenswichtig!
Palpation
- Hauttemperatur:
- Kühl → Hinweis auf Unterkühlung → Wärme applizieren
- Heiß → Hinweis auf Fieber → Körpertemperatur
messen
- Rekapillarisierungszeit
: - <2 sek → Physiologisch
- >2 sek → Hinweis auf Mikrozirkulationsstörung
- Kontrolle der Lagerung → Vermeidung von Druckstellen, Extremitäten sollten gut gepolstert sein, Augen sollten mit Creme oder Pflaster geschützt werden
Auskultation
- Seitengleich vesikulär → Physiologisch
- Seitendifferent vesikulär → Hinweis auf einseitige Intubation
→ Ggf. Tubus zu tief - „Silent chest“→ Hinweis auf obstruktive Lungenerkrankung
- Abgeschwächte bis fehlende Atemgeräusche
→ Hinweis auf Bronchospasmus

TippDa der rechte Hauptbronchus eher dem Verlauf der Trachea folgt, landen sowohl aspirierte Fremdkörper als auch ein zu tief platzierter Tubus eher im rechten Hauptbronchus.
Tubusverschiebung bei Lagerungsmanövern:

TippVor allem Anfänger:innen neigen dazu, den Monitor und nicht die Patient:innen zu behandeln. Der körperlichen Untersuchung der Patient:innen sollte immer Beachtung geschenkt werden, da sich oft erst aus der Kombination von körperlicher Untersuchung und Monitorwerten die richtige Einschätzung ergibt.
Apparatives Monitoring
Das apparative Monitoring liefert eine Vielzahl praktischer Parameter zur besseren Beurteilung der Patient:innen. In den meisten Fällen gibt es ein apparatives Basismonitoring, das bei Bedarf durch ein erweitertes Monitoring ergänzt werden kann. Dieses liefert zusätzliche oder genauere Informationen, ist aber auch invasiver. Bei der Anwendung von Muskelrelaxantien
Basismonitoring
Das Basismonitoring umfasst:
- EKG
- Nichtinvasive Blutdruckmessung
- Pulsoxymetrie
- Bei Eingriffen >30 min: Temperaturmessung
- Bei Beatmung: Kapnografie
(Messung des etCO2), Messung des FiO2, Atemwegsdruck und die Konzentrationen der volatilen Anästhetika - Bei nicht-intubierten Patient:innen: Impedanzpneumografie
- Bei Verwendung von Muskelrelaxantien
: Relaxometrie

EKG
- Prinzip:
- Überwachung der elektrischen Herzaktion durch Ableitung über kutane Elektroden, Verlaufsanalyse des ST-Segments oder der QT-Zeit
- Überwachung der elektrischen Herzaktion durch Ableitung über kutane Elektroden, Verlaufsanalyse des ST-Segments oder der QT-Zeit
- Lokalisation:
- Siehe Abbildung
- Messverfahren:
- 3-Kanal-EKG
: Zeichnet drei Ableitungen (I, II oder III) in der Frontalebene auf, reicht für Basisüberwachung, hat jedoch eine geringe Sensitivität für Ischämien. - 5-Kanal-EKG
: Überwacht 7 Ableitungen (I, II, III, aVR, aVL, aVF und V5) und ermöglicht eine bessere Ischämieerkennung, insbesondere in der Vorderwand. - 6-Kanal-EKG
: Zeichnet zusätzlich zwei Brustwandableitungen (z. B. V2 und V5) auf, was die diagnostische Genauigkeit und die Erkennung von Ischämien weiter verbessert.
- 3-Kanal-EKG
- Cave:
- Bewegungsartefakte
- Signalstörungen bei intraoperativer Anwendung
eines Elektrokauters


Nichtinvasive Blutdruckmessung (NIBP)
- Prinzip:
- Intermittierende Messung des Blutdrucks mithilfe
einer aufblasbaren Blutdruckmanschette
- Intermittierende Messung des Blutdrucks mithilfe
- Lokalisation:
- Oberarm (A. brachialis
) - Alternativ: Unterarm, Handgelenk
, Unterschenkel
- Oberarm (A. brachialis
- Messintervall:
- I.d.R. 3 Minuten bei Allgemeinanästhesie
- Stündlich auf Überwachungsstation
- I.d.R. 3 Minuten bei Allgemeinanästhesie
- Cave:
- Auf korrekte Größe und Ausrichtung der Manschette achten!
- Manschette auf Herzhöhe anbringen
- Falsche Messwerte, wenn sich jemand vom OP-Team gegen Manschette lehnt

Pulsoxymetrie
- Prinzip - Pulsoxymetrie:
- Bestimmung der Absorption
des Hämoglobins bei zwei unterschiedlichen Wellenlängen (660 nm und 940 nm) - Oxygeniertes und desoxygeniertes Hb weisen ein unterschiedliches Absorptionsverhalten bei diesen Wellenlängen auf
- Ermittlung der arteriellen Sauerstoffsättigung
(SpO2) sowie der Pulsfrequenz und Pulskurve
- Bestimmung der Absorption
- Lokalisation:
- Beliebiger Finger
- Messverfahren:
- Spektralphotometrie
- Cave:
- Am besten nicht auf der Seite der Blutdruckmessung
anbringen → Artifizieller Sättigungsabfall bei Aufpumpen der Blutdruckmanschette - Messfehler durch Nagellack, künstliche Fingernägel,
Met-Hb, CO-Hb, Schock - Bewegungsartefakte
- Lokalisation möglichst alle 2 Stunden wechseln
- Am besten nicht auf der Seite der Blutdruckmessung

TippDie Tonmodulation ermöglicht es dir, die Sättigung akustisch zu erfassen. Bei normalen Sättigungswerten erklingen hohe Töne. Nimmt die Sättigung ab, wird auch der Ton immer tiefer.
Temperaturmessung

- Lokalisation:
- Am häufigsten: nasopharyngeal (gut zugänglich, ausreichend genau) → Temperatursonde 10–20 cm ab Naseneingang einführen
- Sublingual (Thermometer muss in hintere Sublingualtaschen positioniert werden (s. Abb.)
- Stirn (Zero-Heat-Flux-Temperaturmessung, Doppelsensor)
- Harnblase (bei Anlage eines Blasenkatheters)
- Cave:
- Durch medikamentös bedingte Vasodilatation kommt es intraoperativ schnell zu starken Wärmeverlusten
→ Vorwärmung vor Narkose und intraoperativ aktive Wärmetherapie mit Warmluftgebläse und Wärmedecke, warme Infusionslösungen (>500 ml/Std., 37° C)
- Durch medikamentös bedingte Vasodilatation kommt es intraoperativ schnell zu starken Wärmeverlusten
AchtungHypothermie führt zu einem erhöhten perioperativen Risiko (erhöhter Blutverlust, erhöhtes Risiko für Wundinfektionen und erhöhte Inzidenz kardiovaskulärer Komplikationen). Eine Körperkerntemperatur von 36 °C sollte nicht unterschritten werden!
Kapnografie
- Prinzip:
- Kapnografie
: Kontinuierliche Messung der CO2-Konzentration in der ausgeatmeten Luft mittels Infrarot-Lichtabsorption
- Kapnografie
- Kapnometrie: Einmalige Bestimmung der CO2-Konzentration in der ausgeatmeten Luft
- Lokalisation:
- Hauptstrommessung: Messküvette im Schlauchsystem
- Seitenstrommessung: über dünnen Schlauch wird Luft abgesaugt und zum Detektor geleitet
- Zielwert:
- Endtidales CO2 (etCO2): 35–40 mmHg
Impedanzpneumografie
- Prinzip der Impedanzpneumografie:
- Nicht-invasive Überwachung der Atemfunktion bei nicht intubierten Patient:innen
→ Messung der elektrischen Impedanzänderung am Brustkorb während der Atmung (meist über 2 EKG-Elektroden)
→ Beurteilung der Atemfrequenz
- Nicht-invasive Überwachung der Atemfunktion bei nicht intubierten Patient:innen
- Atemfrequenz (Erwachsene):
- Normwert ~ 16–20 Atemzüge/min
- Bradypnoe: <10 Atemzüge/min → Ggf. Hinweis auf zu tiefe Sedierung
- Tachypnoe: >20 Atemzüge/min → Ggf. Hinweis auf Schmerz, vegetative Aktivierung, psychische Erregung
Blutgasanalyse
Die Blutgasanalyse
Neuromuskuläres Monitoring (Relaxometrie)
Durch ein neuromuskuläres Monitoring (Relaxometrie) können Wirkung und Abbau der Muskelrelaxantien
- Prinzip:
- Externe elektrische Stimulation eines oberflächlichen Nervs mit Messung der motorischen Antwort
- Lokalisation:
- Häufigste Lokalisation: N. ulnaris und Messung der Muskelantwort des
M. adductor pollicis - Bei Eingriffen an den Extremitäten:
- N. tibialis mit Plantarflexion durch
M. flexor hallucis brevis - N. facialis mit Lidschluss durch
M. orbicularis oculi
- N. tibialis mit Plantarflexion durch
- Häufigste Lokalisation: N. ulnaris und Messung der Muskelantwort des
- Cave:
- Die Stimulation ist schmerzhaft und sollte unter Allgemeinanästhesie
durchgeführt werden - Die Muskulatur besitzt eine unterschiedliche Empfindlichkeit für Muskelrelaxantien
:
→ Pharynxmuskulatur (hohe Empfindlichkeit) erholt sich später als M. adductor pollicis
→ Diaphragma (niedrige Empfindlichkeit) erholt sich früher als M. adductor pollicis - Muskel nicht direkt stimulieren (sonst Reizantwort auch bei tiefer neuromuskulärer Blockade auslösbar)
- Bei zu häufiger Stimulation kommt es zur Ermüdung der Reizantwort (Mindestabstände zwischen Reizantworten einhalten)
- Die Stimulation ist schmerzhaft und sollte unter Allgemeinanästhesie
AchtungAlle Patient:innen, die ein Muskelrelaxans
erhalten, sollten mittels Relaxometrie überwacht werden! Auch kurz wirksame Muskelrelaxantien wie Mivacurium können z.B. bei atypischer Cholinesterase zu einer Kumulation und verlängerten Wirkdauer führen. Zusätzlich zur Relaxometrie kann eine klinische Untersuchung durch Anheben des Kopfes für mehr als 5 Sekunden durchgeführt werden.
Vorgehen am Beispiel des N. ulnaris

- Aufkleben der zwei Stimulationselektroden
→ Abstand 2–4 cm
→ Tipp: du kannst normale EKG-Elektroden verwenden - Myografie Sensor platzieren
- Relaxometer anschließen
→ Merkhilfe: ROtes Kabel: pROximal
→ Schwarzes Kabel: distal
→ Anschluss des Myografie-Sensors - Einstellung des Stimulationsmusters
- Einstellung der Stromstärke
(meist
40-60 mA ~ supramaximale Stromstärke) - Anzeige des Stimulationsmusters
(hier: TOF) - Anzeige der Stromstärke
Stimulationsmuster
Train of Four (TOF)
- Anwendung: am häufigsten verwendetes Stimulationsmuster!
- Beschreibung:
- 4 Einzelreize werden im Abstand von 0,5 s abgegeben (2 Hz)
- Abstand zwischen zwei Messungen mindestens 10 sek
- Auswertung:
- TOF-Zahl: Anzahl der Reizantworten (0–4)
→ 1/4-3/4 intraoperativ meist ausreichend TOF-Ratio: Quotient aus der Stärke der 4. und der 1. Reizantwort (T4/T1)
→ Nur geeignet bei der Verwendung von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien
→ Berechnung erst möglich ab TOF-Zahl von 4
- TOF-Zahl: Anzahl der Reizantworten (0–4)
- Befunde:
- Nichtdepolarisationsblock:
→ „Fading“-Phänomen: bei schnell aufeinanderfolgenden elektrischen Reizen nehmen die Reizantworten bei nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantienab - Depolarisationsblock:
→ Bei depolarisierenden Muskelrelaxantienbleibt die Reizantwort bei schnell aufeinanderfolgenden elektrischen Reizen immer gleich (die TOF-Ratio beträgt daher immer 1 oder 0)
- Nichtdepolarisationsblock:
Double Burst Stimulation (DBS):
- Anwendung: taktile oder visuelle Beurteilung der neuromuskulären Erholung
(~TOF-Ratio: 0,6-0,8, TOF-Zahl: 4) - Cave: Es ist nicht möglich, eine minimale neuromuskuläre Restblockade zuverlässig zu erkennen
Post-Tetanic-Count (PTC)
- Anwendung: Beurteilung einer tiefen neuromuskulären Blockade bei TOF-Zahl von Null (Nur für nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien
geeignet)
Quellen
- S1-Leitlinie: Intraoperative klinische Anwendung von hämodynamischem Monitoring bei nichtkardiochirurgischen Patient:innen, Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI)
- S3-Leitlinie: Vermeidung von perioperativer Hypothermie, Interdisziplinäre Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, der Deutschen Gesellschaft für Urologie, der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für MundKiefer- und Gesichtschirurgie, der Schweizerischen Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation, der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste und der Stiftung Patientensicherheit Schweiz