Zusammenfassung
Die neurologische Untersuchung ist eines der wichtigsten, diagnostischen Instrumente in der Neurologie. Die Untersuchung ermöglicht häufig bereits eine Eingrenzung des Krankheitsbildes und der betroffenen neuroanatomischen Region.
Die hier aufgeführte Untersuchung folgt dem Prinzip „von Kopf bis Fuß“ um eine möglichst flüssige und strukturierte Untersuchung zu ermöglichen. Die Reihenfolge der Untersuchungen ist jedoch keineswegs streng festgelegt. In der klinischen Praxis sollte die Untersuchung um eine internistische Untersuchung ergänzt werden.
Die einzelnen Untersuchungsmethoden sind hier jeweils sehr ausführlich dargestellt. Die Herangehensweise in der klinischen Praxis ist allerdings häufig fokussiert und leitsymptomorientiert. Beispielsweise kommen bei Verdacht auf Morbus Parkinson oder neuromuskulären Erkrankungen spezifischere Untersuchungsmethoden zum Einsatz, die bei anderen Erkrankungen überflüssig sind. In manchen Fällen reicht eine „orientierend-neurologische Untersuchung“ aus. Es sollten daher immer die Verdachtsdiagnose und die Symptome berücksichtigt werden und die Untersuchung daran angepasst werden.
Bestimmte Scoring-Systeme sind ein beliebtes Werkzeug für die Diagnostik neurologischer Erkrankungen. Hier einige Beispiele wichtiger neurologischer Scores:
- Glasgow Coma Scale
(GCS) zur Bewusstseinseinschätzung - National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) bei V.a. Schlaganfall
- Hunt and Hess Scale bei V.a. Subarachnoidalblutung
- Mini-Mental-Tests bei V.a. Demenz
- Besinger-Score bei Myasthenia gravis
Hilfsmittel
- Reflexhammer
- Pupillenleuchte
- Für die Untersuchung der Sensibilität: Stimmgabel, Holzspatel
- Weitere: Wattestäbchen, Frenzel-Brille
Orientierende neurologische Untersuchung
Bei geringem Verdacht auf eine neurologische Erkrankung oder im Rahmen einer allgemeinen körperlichen Untersuchung, kann eine orientierende neurologische Untersuchung ausreichen. Ziel ist es, einen Überblick über die wichtigsten Funktionssysteme zu erhalten und mögliche Warnsignale zu erfassen. Es werden nur die wichtigsten Schritte der neurologischen Untersuchung durchgeführt. Je nach vorliegender Symptomatik kann die Untersuchung um weitere Methoden ergänzt werden.
Für die genauere Beschreibung der einzelnen Untersuchungsmethoden siehe einzelne Abschnitte:
- Bewusstsein und Orientierung
- Beurteilung der Sprache
- Nervendehnungszeichen
- Hirnnervenstatus
- Motorik und Reflexe
- Koordination
- Sensibilität
- Stand- und Gangprüfungen
Bewusstsein und Orientierung
Quantitative Bewusstseinsstörung
Eine quantitative Bewusstseinsstörung
- Die Vigilanz wird überprüft, indem man die Patient:innen laut anspricht, einen Weckreiz setzt (z.B. akustische Töne, Lichtreiz oder leichter Druck auf die Schulter) und deren Reaktion beurteilt
- Bei schläfrigen Patient:innen kann ein leichter Schmerzreiz gesetzt werden (z.B. mit etwas Druck über das Sternum streichen).
Es können folgende quantitative Bewusstseinszustände unterschieden werden:
- Wach: Spontane Reaktion, auch ohne Ansprache
- Somnolent: abnorme Schläfrigkeit, aber gut erweckbar auf Ansprache oder Weckreiz
- Soporös: tief schlafende Patient:innen, nur durch starke äußere Reize oder Schmerzreize erweckbar
- Komatös: nicht erweckbare Patient:innen, keine Reaktion auf Schmerzreize
MerkeDas quantitative Bewusstsein kann außerdem anhand bestimmter Scores beurteilt werden, z.B. mit dem GCS-Score (Glasgow Coma Scale
).
Qualitative Bewusstseinsstörung
Eine qualitative Bewusstseinsstörung
- Bewusstseinstrübung (z.B. Delir, Intoxitation)
- Bewusstseinseinengung (z.B. akute Belastungsstörung, Meditation, posttraumatische Belastungsstörung)
- Bewusstseinsverschiebung (z.B. Schizophrenie, Drogenkonsum)
Beurteilung der Sprache
TippDie Sprache der Patient:innen kann grob während der Anamnese und der neurologischen Untersuchung beurteilt werden.
AchtungHerkunft, Muttersprache und Hörvermögen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Beurteilung der Sprache.
Bei Vorliegen einer Störung der Sprache, sollte diese genauer untersucht werden. Dabei werden folgende sprachlichen Funktionen untersucht:
- Spontane Sprachproduktion/Redefluss (Beurteilung im Gespräch)
- Beurteilung von: Sprachmelodie, Geschwindigkeit, Grammatik, etc.
- Physiologisch: Flüssige und melodische Sprachproduktion
- Sprachverständnis: Aufforderung zu einer bestimmten Aufgabe, z.B. einen Stift aufheben, das rechte Ohr mit der linken Hand anfassen, etc.
- Nachsprechen: Aufforderung, einen bestimmten Satz nachzusprechen
- Benennen: Aufforderung, bestimmte alltägliche Gegenstände zu benennen, z.B. Heben eines Kugelschreibers und fragen „Was ist das?“
- Untersuchung der Aussprache: Ggf. Zungenbrecher nachsprechen lassen, „Die Katze tritt die Treppe krumm“ zur Aufdeckung einer Sprechstörung (Dysarthrie)
InfoBei der Untersuchung der Sprache ist die Unterscheidung zwischen einer Sprachstörung (Aphasie) und einer Sprechstörung (Dysarthrie) wichtig.
Aphasie = Sprachstörung
- Beeinträchtigung der Sprachproduktion und/oder des Sprachverständnisses durch Schädigung der entsprechenden Hirnareale
- Einteilung in motorische, sensorische oder globale Aphasien
- Die Einteilung ist abhängig davon, ob Hirnareale der Sprachproduktion, des Sprachverständnisses oder beider Funktionen betroffen sind
- Mögliche Ursachen sind beispielsweise:
- Ischämischen Schlaganfall
(häufigste Ursache) mit Beteiligung des Sprachzentrums (frontale und temporale Hirnareale) - Schädel-Hirn-Trauma
- Hirntumore
- Neurodegenerative Erkrankungen
- Infektionen (Meningitis, Enzephalitis)
Dysarthrie = Sprechstörung
- Eine Sprechstörung beschreibt eine Beeinträchtigung der motorischen Fähigkeiten zur Artikulation
und Aussprache von Wörtern und Sätzen. Die fehlerhafte Sprechmotorik wird bedingt durch Schädigungen der steuernden Hirnnerven oder zentraler Hirnareale (Hirnstamm , Kleinhirn, Basalganglien). Das Sprachverständnis bleibt bei der Dysarthrie intakt. - Mögliche Ursachen sind beispielsweise:
- Zentrale Läsionen im Hirnstamm
, Kleinhirn oder den Basalganglien - Schädel-Hirn-Trauma
- Mutiple Sklerose
- Myasthenia gravis
- Motoneuronerkrankungen wie Amyotrophische Lateralsklerose (ALS
) CAVE: Sprechstörungen können auch nicht-neurologische Ursachen haben, z.B. Erkrankungen des Pharynx oder Larynx
Nervendehnungszeichen
Durchführung: Durch verschiedene Tests und Bewegungen wird eine Dehnung der Nervenbahnen und Hirnhäute ausgelöst.
- Pathologisch ist, wenn es als
Reaktion auf die Bewegungen zu elektrisierenden Schmerzen oder einer reaktiven, muskulären Anspannung kommt - Positive Nervendehnungszeichen können auf eine Reizung der Hirnhäute bei Entzündungen oder eine Nervenwurzelreizung hinweisen
AchtungUrsachen von Nervendehnungsschmerz:
- Positive Nervendehnungszeichen erhärten den Verdacht auf eine Meningitis
- Meningismus bei Subarachnoidalblutung
(durch Reizung der Hirnhäute) - Insbesondere Lasègue-Zeichen: Nervenreizung durch Bandscheibenvorfall
Test | Durchführung | Pathologisch | Hinweis |
---|---|---|---|
Prüfung auf Meningismus | Beugung des Kopfes in Rückenlage | Meningismus = Schmerzhafte Nackensteifigkeit durch reflektorische muskuläre Anspannung bei passiver Dehnung der Hirnhäute | Abgrenzung von degenerativen HWS-Veränderungen: Drehung des Kopfes in Rückenlage ist bei Meningismus nicht schmerzhaft, bei degenerativen Veränderungen aber schon |
Brudzinski- Zeichen | Passive Kopfbeugung in Rückenlage führt zu Dehnung der Meningen | Reflektorische Beugung im Hüft- und Kniegelenk (Beine werden automatisch angezogen) | |
Lasègue-Test | Passive Anhebung des gestreckten Beins in Rückenlage | Ausstrahlender Schmerz in das ipsilaterale Bein | Positiver Lasègue-Test bei meningealer Reizung oder bei Reizung der Nervenwurzeln der Segmente L4 – S1 oder Des N. ischiadicus, z.B. durch Bandscheibenvorfälle |
Umgekehrtes Lasègue-Zeichen | Patient:innen liegen auf dem Bauch, passive Hyperextension im Hüftgelenk (durch Anheben des Oberschenkels) | führt zu einschießenden Schmerzen im Oberschenkel | Untersuchung der Segmente L3-L4 / N. femoralis |
Bragard- Test | Dorsalextension im Sprunggelenk | Ipsilateral einschießender Schmerz beim Bragard-Test bestätigt ein positives Lasègue-Zeichen | |
Kernig- Zeichen | Passive Hüftbeugung mit gestrecktem Bein | Reflektorische Kniebeugung | Alternative Variante: Beugung um 90° im Hüft- und Kniegelenk, dann passive Streckung im Kniegelenk und Beurteilung der Schmerzen |
Hirnnervenstatus
Die Untersuchung der Hirnnerven gehört zu jeder neurologischen Untersuchung und ist insbesondere wichtig, um die Hirnstammfunktion zu prüfen.
MerkeUrsachen von Hirnnerven-Ausfällen:
- Periphere Läsion von Hirnnerven: Während manche Nerven durch ihren Verlauf häufiger von einer Läsion betroffen sind (z.B. Fazialisparese), treten andere Nervenläsionen so gut wie nie isoliert auf
- Der Ausfall eines Hirnnerven kann auf eine zentrale Hirnstammläsion hinweisen. Durch die enge Nachbarschaft der Hirnnervenkerne und anderer Bahnen im Hirnstamm
, kommt es typischerweise zum ipsilateralen Hirnnervenausfall in Kombination mit kontralateraler Hemisymptomatik.
Übersicht - Hirnnervenuntersuchung
Hirnnerv | Untersuchung | Normalbefund | Pathologischer Befund |
---|---|---|---|
I. N. olfactorius |
| Erkennen von aromatischen Stoffen |
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II. N. opticus |
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III. N. oculomotorius |
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IV. N. trochlearis |
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V. N. trigeminus |
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VI. N. abducens |
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VII. N. facialis |
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à Die Lage der Läsion bestimmt die Ausprägung der Symptomatik |
VIII. N. vestibulocochlearis |
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IX. N. glossopharyngeus |
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X. N. vagus | |||
XI. N. accesorius |
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XII. N. hypoglossus |
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CAVE: Die Zunge ist der einzige Muskel, auf dem man Fibrillationen mit dem bloßen Auge |
AchtungZum Thema Hirnnervenuntersuchung
findest du hier den ausführlichen Artikel: Hirnnervenuntersuchung !
Untersuchung der Motorik
Zur Untersuchung der Motorik gehört eine strukturierte Beurteilung von:
- Inspektion: Muskelrelief, Muskeltrophik, Faszikulationen, spontane Myoklonien
- Muskeltonus: Prüfung durch passives Bewegen der Extremitäten
- Aktive Muskelkraft (Einzelkraftprüfung und Halteversuche)
- Extrapyramidalmotorik
AchtungDie Beurteilung der Motorik sollte immer im Seitenvergleich erfolgen.
Inspektion
Befunde | Beschreibung | Pathologie |
---|---|---|
Muskelatrophie | Gewebeschwund mit Funktionseinschränkung des Gewebes | Fokale Atrophien können auf eine Schädigung des 2. Motoneurons hinweisen Generalisierte Atrophien sind eher Folge einer Sarkopenie (= altersbedingter Verlust der Muskelmasse) oder anderer systemischer Ursachen |
Kontrakturen | Durch Muskulatur bedingte Bewegungseinschränkung in Gelenken | Nicht-neurogen: Bspw. Durch Verkürzung von Sehnen, Vernarbungen der Haut, Gelenkveränderungen Neurogen: Durch zentrale Lähmungen |
Unwillkürliche Muskelaktivität: | ||
Faszikulationen | Mit dem Auge
(Fibrillationen sind hingegen nicht mit dem bloßen Auge | Bei Schädigung des 2. Motoneurons, bspw. Im Rahmen einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS |
Myoklonien | Mit dem Auge | Bspw. Im Rahmen eines epileptischen Anfalls |
Asterixis | Kurze Zuckungen durch intermittierendes Aussetzen des Muskeltonus, Auftreten bei Haltearbeit (z.B. als | Insbesondere durch metabolisch bedingte Enzephalopathien: hepatische Enzephalopathie |
Muskeltonus
- Muskeltonus = Zugrundeliegende Anspannung eines Muskels
- Durchführung: Passives Durchbewegen der einzelnen Gelenke und Muskeln durch die Untersuchenden
- Ggf. mit parallel durchgeführten Ablenkungsmanövern, z.B. durch aktive Bewegung der kontralateralen Seite
- Spezifischere Untersuchungsmethoden:
- Kopf-Fall-Test: Patient:innen liegen, Kopf wird passiv angehoben und plötzlich losgelassen; Überprüfung des Tonus der Nackenmuskulatur
- Erhöhung des Muskeltonus: Eine Tonuserhöhung der Muskulatur kann bei verschiedenen, systemischen Erkrankungen vorkommen. Hierbei ist es wichtig, eine Spastik von einem Rigor zu unterscheiden:
- Rigor:
- Wächserner Widerstand
- Stockende, zahnradähnliche Bewegung (Zahnradphänomen)
- Nicht geschwindigkeitsabhängig: Geschwindigkeit der Bewegung ändert nichts an der Tonuserhöhung
- Froment-Manöver: Patient:innen werden auffordert mit dem kontralateralen Arm wiederholte Bewegungen auszuführen, dadurch kann die Tonuserhöhung besser beurteil werden
- Kommt bei Morbus Parkinson oder atypischen Parkinson-Syndromen vor
- Spastik
- Initialer Widerstand gefolgt von plötzlichem Nachlassen des Widerstandes (Taschenmesserphänomen)
- Geschwindigkeits- und Beschleunigungsabhängig: Je schneller die Bewegung ausgeführt wird, desto höher ist der muskuläre Widerstand, durch eine langsame Bewegung lässt sich die Spastik überwinden
- Bei Schädigung des 1. Motoneurons
- Rigor:
- Erniedrigung des Muskeltonus:
- Muskuläre Hypotonie:
- Mögliche Pathologien: muskuläre Hypotonie (peripher: Läsionen des 2. Motoneurons, Muskelerkrankung; zentral: Kleinhirnläsion, Frühphase zentraler Paresen)
Muskelkraft
Orientierende Untersuchung der Muskelkraft: Beidseitigen Händedruck prüfen
Halteversuche:
- Orientierende Beurteilung der Muskelkraft bei zentralen Läsionen
- Durchführung:
- Arm-Halte-Versuch: Anheben der beiden gestreckten Arme auf Höhe der Schultern, mit den Handflächen nach oben zeigend
- Bein-Halte-Versuch: Anheben beider Beine im Sitzen mit Beugung im Hüftgelenk und Kniegelenk um 90°
- Durchführung mit geschlossenen Augen
- Die Extremitäten sollten für mindestens 30 Sekunden gehalten werden
- Pathologischer Befund: Hinweis auf eine zentrale Parese
- Einseitiges Absinken einer Extremität
- Pronation einer Extremität
AchtungPathologische Halteversuche geben Hinweise auf eine zentrale Läsion, z.B. bei Schlaganfällen oder multipler Sklerose. Bei peripheren Läsionen können die Halteversuche normal ausfallen.
Einzelkraftprüfung
- Untersuchung einzelner Muskeln bei V.a. periphere Nervenläsion oder neuromuskulären Erkrankungen
- Eine ausführliche Untersuchung aller Bewegungen erfolgt meistens nur bei einer gezielten neurologischen Untersuchung
- Anhand der Prüfung bestimmter Muskelgruppen lassen sich Rückschlüsse auf die Schädigung peripherer Nerven, sowie betroffener Segmente im Rückenmark ziehen
- Es können somit auch periphere von zentralen Läsionen unterschieden werden
- Durchführung:
- Aktive Bewegung der einzelnen Gelenke gegen den Widerstand der Untersuchungen
- Beurteilung anhand der Kraftgrade 0 – 5
- Eine Übersicht der zu untersuchenden Bewegungen und der dafür verantwortlichen Nerven und Rückenmarkssegmente zeigt die folgende Tabelle:
Gelenk / Region | Bewegung | Muskeln und Segment |
---|---|---|
Kopf und Hals | Inklination Reklination Kopfdrehung | N. accesorius (Hirnnerv) |
Schultergelenk | Oberarm-Abduktion Oberarm-Elevation Oberarm-Innenrotation Oberarm-Außenrotation | M. suprascapularis, C4- C6 M. deltoideus, C5 – C6 M. subscapularis, C5 – C7 M. infraspinatus, C4 – C6 |
Ellenbogengelenk | Armbeugung in Supination Armbeugung in Mittelstellung Armstreckung | M. biceps brachii, C5 – C6 M. brachioradialis, C5 – C6 M. triceps brachii, C6 – C8 |
Handgelenk | Handstreckung Handbeugung nach ulnar Handbeugung nach radial Faustschluss | Extensoren des Unterarms, C6 – C8 M. flexor carpi ulnaris, C7 – Th1 M. flexor carpi radialis, C5 – C7 |
Fingergelenke | Fingerstreckung (im Grundgelenk) Fingerbeugung (im Mittel- und Endgelenk) Fingerspreizung | M. extensor digitorum, C7 – C8 Mm. flecor digitorum, C7 – Th1 Mm. interossei , C8 – Th1 |
Daumengelenk | Adduktion Abduktion Extension Flexion Opposition | M. adductor pollicis, N. ulnaris, C8 – Th1 Mm. abductor pollicis, N. radialis, C7 – Th1 Mm. extensor pollicis, N. radialis, C6 – C8 Mm. flexor pollicis, C6 – Th1 M. opponens pollicis, C7 – Th1 |
Rumpf | Aufsitzen aus dem Liegen Inspektion und Beurteilung der Wirbelsäule | |
Hüftgelenk | Hüftbeugung Hüftstreckung Abduktion Adduktion | M. iliopsoas, L1 – L4 M. gluteus maximus, L5 – S2 Mm. gluteus medius und minimus, L4 – S1 Adduktoren-Gruppe, L2 – L4 |
Kniegelenk | Kniebeugung
Kniestreckung | M. biceps femoris, semimembranosus, semitendinosus, L5 – S2 M. quadriceps femoris, L2 – L4 |
Sprunggelenk | Plantarflexion Dorsalextension Inversion Eversion
| M. triceps surae, L5 – S2 M. tibialis anterior, L5 – S1 MM. fibrularis longus und brevis, L5 – S1 M. tibialis posterior, L4 – S1 |
Zehengelenke | Großezehenextension | M. extensor hallucis longus, L4 – S1 |
Kraftgrade
- 0 = Keine Muskelaktivität (Plegie, Paralyse = maximale Form der Parese)
- 1 = Tastbare Muskelaktivität ohne Bewegungseffekt
- 2 = Bewegung ohne Einfluss der Schwerkraft möglich
- 3 = Bewegung gegen die Schwerkraft möglich
- 4 = Bewegung gegen Widerstand möglich
- Subjektiv kann eine weitere Unterteilung des Kraftgrades erfolgen:
- 4- Bewegung gegen leichten Widerstand möglich
- 4 Bewegung gegen mäßigen Widerstand möglich
- 4+ Bewegung gegen kräftigen Widerstand möglich = latente Parese (nicht offensichtliche Lähmung, die nur im Seitenvergleich auffällt)
- 5 = normale Kraft
TippBei den Kraftgraden 1-4 spricht man von einer Parese, d.h. einer mehr oder weniger ausgeprägten Lähmung von Muskelpartien. Bei einem Kraftgrad von null spricht man von einer Plegie oder Paralyse (~Maximalform der Parese).
AchtungBei zentralen, latenten Paresen kann die Einzelkraftprüfung normal ausfallen.
InfoJe nachdem, in welchem Muster eine Parese oder Plegie vorliegt, können Rückschlüsse auf die zentrale Läsion gezogen werden
- Hemiparese = Eine gesamte Körperseite betroffen
- Schädigung im Rückenmark (Läsion der Pyramidenbahn
) oder zentral im motorischen Kortex → dann häufiger brachiofazial ausgeprägt (Arm und Gesicht betreffend) - Monoparese = Eine Extremität betroffen
- Plexussläsionen, fokale Läsionen zentral
- Paraparese = Beide Beine betroffen
- Schädigung des unteren Rückenmarks
- Tetraparese = Alle vier Extremitäten betroffen
Extrapyramidalmotorik
Extrapyramidalmotorik = Motorische Symptome, die nicht durch die Pyramidenbahn
- Untersuchung eines Tremors (= Zitterbewegung)
- Inspektion der Extremitäten:
- In Ruhe (Hände auf die Oberschenkel ablegen)
- Bei Haltearbeit (Arme in Pronation nach vorne strecken und halten)
- Bei ungezielten und gezielten Bewegungen (Finger-Nase-Versuch, Knie-Hacke-Versuch)
- Bei alltäglichen Aufgaben (ein Glas Wasser trinken)
- Beurteilung von Rhythmus und Frequenz
- Prüfung der Ablenkbarkeit (z.B. Aufforderung, von 100 in 7-er Schritten herabzuzählen)
- Untersuchung eines Flapping Tremors: Dorsalextension der Hand im Armhalteversuch, Beobachten der Reaktion (CAVE: kein Tremor im eigentlichen Sinne)
- Inspektion der Extremitäten:
Tremorform | Beschreibung |
---|---|
Aktionstremor |
Bspw. Bei essentiellem Tremor oder Psychogenem Tremor |
Haltetremor |
Bspw. Bei essentiellem Tremor oder Psychogenem Tremor |
Ruhetremor |
Bspw. Bei Morbus Parkinson |
Intentionstremor | Kein eigentlicher Tremor, eher eine Form der zerebellären Ataxie (siehe Untersuchung der Koordination) |
- Bradykinese und Hypokinese
- Bradykinese = Bewegungsverlangsamung
- Hypokinese = Bewegungsarmut
- Akinese = Kompletter Verlust der willkürlichen Motorik
- Weitere Untersuchungen:
- Beurteilung der Gesichtsmuskulatur: Hypomimie?
- Beurteilung der Sprache und des Sprechens: Hypophonie?
- Hyperkinese
- Hyperkinese = Pathologische Vermehrung unwillkürlicher Bewegungen
- Chorea = Plötzliche, „tanz-ähnliche“ Bewegungen
- Athetose = „Schlängelnde“ langsame Bewegungen
- Ballismus = Plötzliche, schleudernde Bewegungen
- Tics = Schnelle und sich wiederholende, unwillkürliche Bewegungen
- Hyperkinese = Pathologische Vermehrung unwillkürlicher Bewegungen
Reflexe
Muskeleigenreflexe
- Muskeleigenreflexe sind monosynaptische Reflexe -> Sensor und Effektor befinden sich im selben Organ
- Durchführung: Auslösen eines Reflexes durch das wiederholte Beklopfen der entsprechenden Sehne mit einem Reflexhammer (Locker aus dem Handgelenk
) - Patient:innen sollten hierbei aufgefordert werden, die Muskeln möglichst zu entspannen
- Bahnung: Bei nicht auslösbaren Reflexen kann durch bestimmte Manöver eine Bahnung und damit eine Reflexsteigerung erfolgen, z.B. Jendrassik-Handgriff (Verschränken der Hände und Zug nach außen), die Zähne zusammenbeißen
- Muskeleigenreflexe sind dann pathologisch, wenn:
- Sie einseitig vermindert sind oder fehlen
- Sie einseitig gesteigert sind
Beurteilung des Reflexniveaus
- Normalbefund: Reflexe beidseits symmetrisch, mittellebhaft auslösbar
- Reflexniveau: Fehlend (-), schwach (+), mittellebhaft (++), lebhaft (+++), gesteigert (++++)
- Pathologische Befunde:
- Hyperreflexie, Hyporeflexie, Areflexie
- Erweiterte Reflexzonen: Wenn ein Reflex
mehr als 3 Finger breit von der auszulösenden Sehne auslösbar ist? - Überspringende Reflexantwort (segmental benachbarter Muskeln)
- Kreuzende Reflexantwort (Nach kontralateral überspringender Reflex
)
Achtung
- Reflexe dürfen nie einseitig untersucht werden. Das Reflexniveau einzelner Patient:innen kann sehr unterschiedlich ausfallen, daher ist eine Hyporeflexie meistens erst im Seitenvergleich pathologisch
- Ein Vergleich der Reflexe in verschiedenen Höhen, z.B. Vergleich der Reflexe am Arm mit den Reflexen der Beine, kann Hinweise auf die Lokalisation einer Schädigung geben
Muskeleigenreflexe | Untersuchung | Segment |
---|---|---|
Masseterreflex | Finger auf das Kinn legen und sanft beklopfen, Beurteilung des Kieferschlusses CAVE: Einziger Muskeleigenreflex, der über den Hirnstamm | N. trigeminus |
BSR = Bizepssehnenreflex | Beklopfen der Bizepssehne führt zu Beugung im Ellenbogen | C5 – C6 (N. musculocutaneus) |
RPR = Radiusperiostreflex = Brachioradialisreflex | Beklopfen der Sehne am distalen Radius | C5 – C6 (N. radialis) |
TSR = Trizepssehnenreflex | Arm locker hängen lassen, Extension im Ellenbogen durch Beklopfen der Trizepssehne über dem Olecranon | C7 - C8
|
Pronatorreflex | Pronation im Handgelenk | C6 – C7 |
Trömner-Reflex = Fingerbeugereflex | Handgelenk | C7 – C8 |
Bauchdeckenreflex | Eindrücken der Bauchdecke unter dem Rippenbogen und über der Smyphyse führt zu Kontraktion der Bauchdecke | Th6 – L1 |
Adduktorenreflex | Beklopfen der Adduktorensehne (proximal des Epicondylus medialis) führt zu Adduktion im Hüftgelenk | L2 – L4 |
PSR = Patellarsehnenreflex | Bein in leichter Beugestellung halten Beklopfen der Patellarsehne führt zu Kniestreckung | L3 - L4 |
Hamstring-Reflex | Bein von medial auf der Sehen der Mm. Semitendinosus oder semimembranos beklopfen, Kontraktion beobachten | L5 |
TPR = Tibialis-posterior-Reflex | Beklopfen der Sehne hinter dem Malleolus medialis führt zu Inversion / Supination des Fußes | L5 (N. tibialis) |
ASR = Achillessehnenreflex Alternativ: Beklopfen der Fußsohle (Plantarreflex) | Fuß mit leichter Dorsalextension vordehnen Beklopfen der Achilessehne führt zur Plantarflexion des Fußes | S1 (N. tibialis) |
Klonus
- Definition: Klonus ist die Maximalform von Muskeleigenreflexen
- Repetitive, rhythmische Muskelkontraktion und -entspannung, die normalerweise als
Folge einer schnellen Dehnung eines Muskels auftritt - Pathologisch: Nicht erschöpflicher oder erschöpflicher aber nicht-seitengleicher Klonus
- Pyramidenbahnzeichen (Defekt der Pyramidenbahn
: Fehlende Hemmung und Kontrolle des Reflexbogens)
Fremdreflexe
- Fremdreflexe sind polysynaptische Reflexe, Sensor- und Effektororgan unterscheiden sind damit unterschiedlich
- Unterscheidung in physiologische und pathologische Fremdreflexe:
- Pathologische Fremdreflexe sind während einer bestimmten Entwicklungsphase physiologisch. Sind sie darüber hinaus ins Erwachsenenalter vorhanden, gelten sie als
pathologisch
- Pathologische Fremdreflexe sind während einer bestimmten Entwicklungsphase physiologisch. Sind sie darüber hinaus ins Erwachsenenalter vorhanden, gelten sie als
Physiologische Fremdreflexe | Untersuchung | Pathologie |
---|---|---|
Hirnstammreflexe |
| Pathologisch, wenn im Seitenvergleich fehlend oder abgeschwächt |
Bauchhautreflex | Kontraktion der Bauchmuskulatur bei Bestreichen der Bauchhaut mit einem Spatel | Segmente: Th6 – Th12, abhängig von Durchführung auf verschiedener Höhen |
Kremasterreflex | Kontraktion des M. cremaster bei Bestreichen der Innenseite des Oberschenkels | Segment: L1 – L2 |
Analreflex | Untersuchung während der digital-rektalen Untersuchung → Kontraktion des Schließmuskels durch Bestreichen der perianalen Region | Segment: S3 – S5 |
Pathologische Fremdreflexe | Untersuchung | Pathologie |
---|---|---|
Saugreflex | Berührung der perioralen Region führt zu Mundöffnung und Saugbewegungen | Pathologisch außerhalb des Säuglingsalters |
Glabellareflex | Beklopfen der Glabella führt zu unerschöpflichem Schluss der Augen | Pathologisch z.B. bei Morbus Parkinson |
Palmomentalreflex | Bestreichen des Daumenballens von proximal nach distal führt zum Zucken der Kinnmuskulatur | Pathologisch z.B. bei Demenz oder kognitiven Einschränkungen |
Greifreflex | Berührung der Handinnenfläche führt zur Fingerbeugung | Pathologisch nach dem 9. Monat |
Babinski-Reflex | Kräftiges Bestreichen des Fußaußenrandes, z.B. mit der Spitze des Reflexhammers, physiologisch bis zum 1. Lebensjahr |
|
Schnauzreflex | Berührung der Lippen mit einem Spatel führt zu Lippenspitzen | Möglicher Hinweis auf Morbus Parkinson |
InfoPyramidenbahnzeichen:
- Geben Hinweise auf eine Schädigung des 1. Motoneurons, welches in der Pyramidenbahn
verläuft (zentrale Parese) - Mögliche Orte der Schädigung:
- Zentral
- Im Seitenstrang des Rückenmarks (Tractus corticospinalis = Pyramidenbahn
)
Unterscheidung zentraler und peripherer Paresen
Schädigung des 1. Motoneurons = zentrale Parese | Schädigung des 2. Motoneurons = periphere Parese | |
---|---|---|
Mögliche Ursachen |
|
|
Klinische Zeichen |
|
|
Koordination
Die Koordination ist abhängig von dem Zusammenspiel einzelner Muskelgruppen.
- Störungen der Koordination können durch verschiedene Funktionssysteme vermittelt werden und weisen z.B. auf zerebelläre Störungen, Störungen der Basalganglien oder sensible Defizite hin
- Bei Störungen der Koordination können auch andere Bewegungsprozesse, z.B. Sprechen, Schlucken, Augenbewegungen oder generell die Feinmotorik, betroffen sein
DefinitionAtaxie = Grober Überbegriff der eine fehlerhafte Koordination beschreibt
- Entweder als
alleinstehender Befund oder Einteilung bspw. anhand des Ursprungs: zerebelläre Ataxie oder um ein Symptom zu beschreiben: Gang- oder Standataxie
- Folgen einer zerebellären Ataxie: u.a. Dysmetrie, Dysdiadochokinese, Intentionstremor, Rumpfataxie
- Gang- oder Standataxien können auch Folge einer zerebellären Ataxie sein
Untersuchung | Durchführung | Pathologisch |
---|---|---|
Finger-Nase-Versuch
| Arme gestreckt wie beim Armhalteversuch, dann Berühren der Nase mit den Fingerspitzen, während die Augen geschlossen bleiben |
|
Finger-Folge-Versuch | Ein Finger der Untersuchenden wird in wechselnder Position vor die Patient:innen gehalten, diese müssen den Finger mit ihrem eigenen Finger berühren |
|
Rebound-Phänomen | Patient:innen halten den Arm in 90° Beugestellung, Untersucher zieht fest am Unterarm und lässt plötzlich los | Bei Kleinhirnerkrankungen: Überschießende Gegenbewegung beim Loslassen, Rückprallphänomen („Rebound“) |
Knie-Hacke-Versuch | Anheben eines Beines, dann Berührung des kontralateralen Knies mit der Ferse und mit der Ferse am Schienbein entlang hinabgleiten |
|
Untersuchung einer Rumpfataxie | Prüfung des freien Sitzens mit geschlossenen Augen, ohne sich anzulehnen. Die Patient:innen werden aufgefordert, mit geschlossenen Augen aus dem Sitzen aufzustehen oder die Arme nach vorne zu strecken |
|
Diadochokinese: Ausführen schneller, rhythmischer und wechselnder bzw. antagonistischer Bewegungen
|
|
|
Sensibilität
Die einzelnen sensiblen Modalitäten sollten nacheinander und an verschiedenen Körperstellen untersucht werden. Die Untersuchung erfolgt bei geschlossenen Augen und im Seitenvergleich. Die Patient:innen werden aufgefordert, das Gefühl zu beschreiben.
Untersuchung | Durchführung | Pathologisch |
---|---|---|
Berührungsempfinden (= Ästhesie) | Bestreichen verschiedener Körperteile im Seitenvergleich |
|
Schmerzempfinden | z. B. mit einem abgebrochenen Mundspatel oder Zahnstocher, ggf. im Wechsel mit stumpfem Gegenstand (Spitz-Stumpf-Diskrimination) |
CAVE: Das Schmerzempfinden ist genauer auf ein Dermatom begrenzt, als |
Temperaturempfinden | Prüfung mit zwei Objekten unterschiedlicher Temperatur (z.B. Spitze des Reflexhammers, warmes oder kaltes Glas Wasser) |
|
Vibrationsempfinden (= Pallästhesie) | Verwendung einer Stimmgabel und Aufsetzen auf dem Malleolus medialis, Patient:innen bitten zu sagen, wann sie die Vibration nicht mehr spüren, dann den Wert ablesen Alternativ: Sternum als |
|
Lageempfinden (Wahrnehmung der Gliedmaßen im Raum) | Wird überprüft, indem ein Gelenk (z.B. Großzehengrundgelenk oder Fingergelenke) bei geschlossenen Augen vom Untersucher nach oben und unten bewegt wird und die Lageveränderung durch Patient:innen benannt werden muss (CAVE: Körperteil seitlich berühren) |
|
Zwei-Punkt-Diskrimination (räumliches Auflösungsvermögen) | Definition: Abstand zwischen zwei Hautstellen, um sie gerade noch getrennt wahrzunehmen Setzen zweier Hautreize, Messen des Abstandes und fragen, ob ein oder zwei Reize wahrgenommen wurden |
|
Die sensiblen Modalitäten werden durch verschiedene Rückenmarksbahnen nach zentral weitergeleitet. Daher können bei Rückenmarksschädigungen verschiedene sensible Modalitäten betroffen sein
- Hinterstrangsystem = Lemniskales System: Verlauf im dorsalen Rückenmark, Kreuzung der Bahnen im Hirnstamm
- Berührungsempfinden
- Tiefensensibilität, Propriozeption
- Vibrationsempfinden
- Vorderseitenstrang: Verlauf im seitlichen und vorderen Rückenmark, Kreuzung auf segmentaler Ebene in der Commisura alba anterior
- Temperaturempfinden
- Schmerzempfinden
MerkeSensible Modalitäten können in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein. Die Lokalisation des sensiblen Defizits und welche Modalitäten betroffen sind, ist abhängig vom Ort der Schädigung (Schädigung zentral, im Rückenmark oder peripher).
Anhand der betroffenen Region und dem Muster, nach dem sensible Defizite auftreten, kann zwischen peripheren und zentralen Ursachen unterschieden werden.
- Bei zentralen Läsionen (z.B. im Rückenmark) sind entsprechende Dermatome oder eine Kombination dieser betroffen
- Komplette Querschnittssyndrome: Unterhalb eines bestimmten Dermatoms sind alle sensiblen Qualitäten ausgefallen
- Inkomplette Querschnittssyndrome: Durch die Kreuzung der sensiblen Bahnen auf unterschiedlichen Höhen können bei einem inkompletten Querschnitt nur Schmerz- und Temperaturempfinden betroffen sein = dissoziierte Empfindungsstörung
- Halbeseitiges Querschittsyndrom: Ausfall von Schmerz- und Temperaturempfinden kontralateral und Berührungs- und Vibrationsempfinden ipsilateral
- Zentrale Läsion der Hirnrinde: Häufig einseitige sensible Symptomatik, je nach betroffener Hirnregion können einzelne Regionen betroffen sein (entsprechend der Somatotopie des sensiblen Kortex)
- Periphere Neuropathie: Bei peripheren Nervenläsionen sind die von den Nerven innervierten Gebiete betroffen
InfoUnterscheidung zwischen einer Sensibilitätsstörung und einem sensiblen Neglect:
- Untersuchung: Sensible Prüfung zuerst einer Seite, dann der anderen Seite, dann beider Seiten gleichzeitig (z.B. am Arm)
- Pathologisch, wenn die Berührung beider Arme gleichzeitig nur auf einer Seite wahrgenommen wird
Stand- und Gangprüfungen
Das Stehen und Gehen wird von mehreren Funktionssystemen koordiniert, und kann dadurch auf komplexe zentrale und periphere Störungen hinweisen.
Untersuchung | Durchführung | Pathologisch |
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Standbild | Mit offenen und geschlossenen Augen |
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Romberg-Stehversuch | Stand mit ausgestreckten Armen auf Schulterhöhe, Füße dicht beieinander, Handflächen zeigen nach oben, dann Aufforderung die Augen zu schließen | (= Romberg-Versuch positiv):
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Unterberger-Tretversuch | Stand wie beim Romberg-Stehversuch, dann auf der Stelle treten, dabei Beine richtig vom Boden abheben |
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Einbeinstand | Hüpfen auf einem Bein (= monopedale Standprüfung) |
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Retropulsionstest (= Pull-Test) | Ruckartiges Ziehen an den Schultern, von hinten - Immer ankündigen, was passiert |
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AchtungStandprüfungen sollten immer bei offenen und geschlossenen Augen durchgeführt werden:
- Bei zentralen Läsionen ist die Symptomatik (z.B. Ataxie) schon mit offenen Augen vorhanden und bleiben bei Augenschluss unverändert
- Periphere Läsionen können mit geöffneten Augen kompensiert werden – das Schließen der Augen führt zu einer Verstärkung der Symptomatik und kann die Störung demaskieren
Gangprüfung
- Beurteilung des Gangbildes
- Schrittlänge: kleinschrittig, Schrittform: haftend, Beinführung: Breitbeinig, Zirkumduktion
- Bewegungsinitiation, Bewegungsfluss: Starhemmung, Freezing, Festination (= abnormal beschleunigte Gangart, Schritte werden zunehmend kürzer und schneller)
- Mitschwingen der Arme
- Wendeschrittzahl: Mehr als
3 Wendeschritte? - Gleichgewicht: Fallneigung in eine bestimmte Richtung (Lateropulsion, Propulsion, Retropulsion, ungerichtete Fallneigung)
- Beispiele für pathologische Gangbilder: Hinken, Watscheln, Scherengang, Gangataxie, Parkinson-Gangbild, Steppergang, Trendelenburg-Zeichen
, Duchenne-Zeichen, Wernicke-Mann-Gangbild, Kamptokormie
- Seiltänzergang: Auf einer Linie gehen und Füße direkt voreinander setzen
- Zehengang: Auf den Zehenspitzen gehen, dabei Fersen hochziehen
- Pathologisch: Nicht möglich bei Lähmung des N. tibialis / S1-Segment
- Fersengang: Auf der Ferse gehen, dabei Zehen hochziehen
- Pathologisch: Nicht möglich bei Lähmung des N. fibularis communis / L5-Segment
AchtungGangstörungen haben nicht selten psychogene Ursachen. Durch Ablenkungsmanöver (z.B. Herabzählen von 100 in 7-er Schritten) kann die Gangstörung bei psychogenen Ursachen verbessert und damit aufgedeckt werden.
Neuropsychologische Untersuchungen
Viele neurologische Krankheitsbilder führen zu kognitiven und psychischen Einschränkungen. Daher sollten ergänzend neuropsychologische Untersuchungen erfolgen. Zu einem großen Teil decken sich die neuropsychologischen Untersuchungen mit dem psychopathologischen Befund.
MerkeNeuropsychologische Symptome treten bei einer Läsion des Kortex auf. Je nachdem, ob die dominante oder die nicht-dominante Hemisphäre geschädigt sind, treten bestimmte Symptome häufiger auf.
Bereits im Gespräch ergeben sich beiläufig Informationen zu Wachheit, Aufmerksamkeit und Sprache. Bei Demenzen werden häufig strukturierte Tests wie z.B. der MMST = Mini-Mental-Test, der Uhrentest oder der DemTec verwendet.
AchtungNeuropsychologische Untersuchungen können nur bei ausreichender Vigilanz erfolgen. Für die Beurteilung spielen ebenso Muttersprache und Bildungsstand eine entscheidende Rolle.
Die folgende Tabelle zeigt eine Auswahl neuropsychologischer Untersuchungsmethoden mit den zugehörigen pathologischen Befunden.
Neuropsychologische Untersuchungen | Normalbefund | Pathologischer Befund | |
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Bewusstsein und Orientierung |
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Aufmerksamkeit, Konzentration |
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Gedächtnis, Merkfähigkeit |
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Stimmung, Affekt |
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Sprache, Aphasie | Beurteilung der Sprache:
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Alexie, Agraphie, Akalkulie |
Unter Berücksichtung der individuellen Leistung, Herkunft und Intelligenz |
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Apraxie |
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Agnosie |
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Neglect |
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Genauere Beschreibung einiger neuropsychologischen Untersuchungsmethoden:
Untersuchung eines Neglect
= Vernachlässigung einer Raum- oder Körperhälfte
- Untersuchung häufig durch andere Symptome, wie Paresen, Sehstörungen oder Sensibilitätsstörungen erschwert
- Bezug zu Pathologien: Häufig als
Hemineglect bei Schädigung der nicht-dominanten Hemisphäre – dadurch ist meistens die linke Körperhälfte betroffen
Neglect verschiedener Modalitäten und deren Untersuchung:
- Sensibler Neglect: Prüfung der sensiblen Qualitäten gleichzeitig auf beiden Seiten
- Pathologisch: Bei gleichzeitiger Testung wird nur eine Seite wahrgenommen
- Visueller Neglect: Beobachten der Interaktion mit dem Raum, ein Bild nachzeichnen lassen
- Pathologisch: Aktionen auf der betroffenen Seite im Raum werden nicht wahrgenommen; Der Teil der Zeichnung auf der betroffenen Seite fehlt
- Motorischer Neglect: Aufforderung, erst einen, dann den anderen, dann beide Arme anzuheben
- Pathologisch Beim Anheben beider Arme wird nur ein Arm angehoben
- Olfaktorischer Neglect: Betrifft Gerüche
- Multimodaler Neglect: Häufigster Neglect, meistens ist nicht eine Sinnesmodalität alleine betroffen, sondern eine Kombination verschiedener Störungen
Untersuchung einer Apraxie
= Störung der Ausführung zielgerichteter Handlungsabläufe, ohne Einschränkung der motorischen Funktion
- Pathologie: Häufiger bei Läsionen der dominanten Hemisphäre (meistens linkshemisphärisch)
- Untersuchung: Aufforderung bestimmter Handlungsabläufe, z.B. Mit der Zunge schnalzen, die Zähne putzen, einen militärischen Gruß ausführen, ...
Einteilung:
- Ideomotorische Apraxie:
- Einzelne Komponenten einer Bewegung können nicht gemeinsam ausgeführt werden
- Einzelne Körperregionen können betroffen sein
- Beispiel: Eine Handlung, wie beispielsweise Zähne putzen, kann nicht ausgeführt werden, stattdessen kratzen sich die Patient:innen am Ohr etc. ...
- Ideatorische Apraxie:
- Einzelne Komponenten eines Bewegungsablaufes können ausgeführt werden, aber nicht zu einer komplexen Handlung kombiniert werden
- Beispiel: Die einzelnen Handlungen für das Versenden eines Briefes (Schreiben, Falten, in den Briefumschlag stecken) können nicht kombiniert werden
Untersuchung einer Agnosie
= Fehlerhaftes Erkennen von z.B. Gegenständen, kann unterschiedliche Sinnesorgane betreffen, ohne Einschränkung des eigentlichen Sinnesorgans
- Klassifikation:
- Visuelle Agnosie: Visuelles Erkennen von Gegenständen ist gestört, bei okzipitalen Störungen
- Anosognosie: Nicht Erkennen-Können der eigenen Erkrankung
- Taktile Agnosie: Erkennen von Gegenständen durch Tasten gestört
- Eine Agnosie kann verschiedene Aspekte betreffen
- Farbagnosie: Farben können nicht erkannt werden
- Prosopagnosie: Gesichter können nicht erkannt werden
- Astereognosie: Gegenstände können nicht erkannt werden
Untersuchung von Gedächtnisstörungen
- Kurzzeitgedächtnis oder Arbeitsgedächtnis
- Untersuchung: Beobachten der Merkfähigkeit im Gespräch, Wiederholen von Zahlenreihen vorwärts und rückwärts oder Wörtern in richtiger und umgekehrter Reihenfolge
- Kurzzeitgedächtnis: Zahlenabfolge wiederholen lassen
- Langzeitgedächtnis: Objekte merken und später wiedergeben (5 – 10 Minuten später)
- Weitere Untersuchungen:
- Abfragen von biographischen Informationen (z.B. über die eigene Familie)