Einleitung
- Nozizeption bezeichnet den physiologischen Prozess der Detektion schädlicher Stimuli. Schmerz selbst ist eine subjektive Erfahrung und Ergebnis der zentralen Verarbeitung nozizeptiver Signale
- Für diesen Vorgang sind Rezeptoren, die sogenannten Nozizeptoren, notwendig, welche sich durch spezifische Reize aktivieren lassen
- Die Aktivierung führt entweder durch Öffnung eines Ionenkanals (ionotrope Rezeptoren) oder durch das Auslösen einer intrazellulären Signalkaskade (metabotrope Rezeptoren) zur Depolarisation
und damit zur Aktivierung des zweiten Neurons
- Die Aktivierung führt entweder durch Öffnung eines Ionenkanals (ionotrope Rezeptoren) oder durch das Auslösen einer intrazellulären Signalkaskade (metabotrope Rezeptoren) zur Depolarisation
Nozizeptoren
Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen, die auf schädliche Reize wie Hitze, Druck, Chemikalien oder Gewebeschädigung reagieren und in der Haut und praktisch jedem Gewebe außer dem Gehirngewebe und parenchymatösen Organen (wie z.B. Leber, Lunge, Niere, Milz) zu finden sind. Nozizeptoren werden überwiegend von C-Fasern (langsam leitend) und myelinisierten (schnell leitenden) Aδ-Fasern gebildet.
Typen von Nozizeptoren:
Die Nozizeptoren der Haut werden nach ihren rezeptiven Eigenschaften eingeteilt, die aus dem Entladungsverhalten der zugehörigen afferenten Faser erfasst werden.
- Mechanisch hochschwellige Nozizeptoren
- Reagieren auf starke mechanische Reize und sind langsam adaptierend
- Vor allem von Aδ-Fasern gebildet
- Sind P-Sensoren und vermitteln den schnellen, stechenden Schmerz (1. Schmerz)
- Dienen der Auslösung von Schutzreflexen
- Polymodale Nozizeptoren
- Reagieren auf mechanische Reize, extreme Temperaturen und chemische Substanzen
- Vor allem von C-Fasern gebildet
- Sind langsam adaptierend und bleiben somit über längere Zeit aktiv
- Sind verantwortlich für den verzögert auftretenden brennenden Schmerz (2. Schmerz)
- Schlafende Nozizeptoren
- Etwa 20% der C-Faser-Nozizeptoren sind schlafende Nozizeptoren
- Unter normalen Bedingungen reagieren sie weder auf mechanische noch thermische Reize
- Entzündungsmediatoren wie Histamin, Bradykinin, Prostaglandine (insbesondere PGE2), Leukotriene oder Serotonin sensibilisieren Nozizeptoren, wodurch sie durch schwache mechanische Reize aktiviert werden
- Innerhalb weniger Minuten "erwachen" sie und werden sensitiv für mechanische und Hitze-Reize
Transduktion noxischer Reize
Ionenkanäle und G-Protein-gekoppelte Rezeptoren fungieren an den peripheren, frei endenden Nervenendigungen der Nozizeptoren als Transduktoren, die physikalische oder chemische Schmerzreize in elektrische Signale umsetzen. Diese molekularen Mechanismen ermöglichen es den Nozizeptoren, eine breite Palette von schädlichen Stimuli direkt aus ihrer Umgebung wahrzunehmen und zu verarbeiten.
- Mechanische Reize:
- Aktivieren mechanosensitive Ionenkanäle
- Thermische Reize:
- Noxische Hitze aktiviert den TRPV1
- Noxische Kälte aktiviert den TRPM8
- Chemische Reize:
- Chemische Reize aktivieren Ionenkanäle und
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren - Einige Ionenkanäle sind polymodal, d. h. sie werden durch verschiedene Reize geöffnet
- Beispiel: TRPV1 reagiert sowohl auf Hitze als auch auf verschiedene chemische Reize (Protonen, Capsaicin)
- TRPV1 ist ein ligandenaktivierter Kationenkanal, der im aktivierten Zustand für Na+ und Ca2+ durchlässig ist
- Weitere Ionenkanäle sind der durch extrazelluläre Protonen aktivierte ASIC (Acid Sensing Ion Channel) und P2X3, der auf extrazelluläres ATP reagiert
- Chemische Reize aktivieren Ionenkanäle und
Erregungsleitung:
Die durch Transduktionsprozesse in den Nozizeptoren erzeugten Rezeptorpotenziale breiten sich elektrotonisch aus und können, wenn sie eine ausreichende Stärke und Dauer erreichen, die Aktivierungsschwelle der schnellen spannungsgesteuerten Na+-Kanäle überschreiten. Dies löst Aktionspotenziale aus, die entlang der Nervenfasern zum Zentralnervensystem weitergeleitet werden, wo die Schmerzsignale verarbeitet und als Schmerzempfindung wahrgenommen werden.
Periphere Sensibilisierung
- Als Reaktion auf einen Schmerzreiz werden eine Vielzahl von Effektenangestoßen, welche zu einer Entzündung des Gewebes führen
- Alle führen zu einer Aktivierung der Schmerzfasern
- Ein Mechanismus, der physiologisch große Relevanz hat, ist die periphere Sensibilisierung (~ Vorverstärkung am Reizort)
- Durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Bradykinin, Histamin, Serotonin, Kalium
, PGE2, Protonen und Substanz P wird die Reizschwelle der Nozizeptoren herabgesetzt und es werden „ruhende“ Nozizeptoren im umliegenden Gewebe aktiviert - Dies führt dazu, dass entzündete Körperstellen schon bei leichten Reizen schmerzhaft sind (lat. „dolor“)
→ Dieses Phänomen wird auch Hyperalgesie genannt - Die Entzündungsmediatoren sorgen zudem für eine Vasodilatation
→ Die betroffene Region ist damit stärker durchblutet und erscheint gerötet und erwärmt (lat. „rubor“ und „calor“) → Dadurch wird das Gefäßendothel permeabler und mehr Entzündungszellen (Leukozyten) und Flüssigkeit treten aus den Gefäßen in das Gewebe ein (Schwellung lat. „tumor“) - Die Entzündungszellen wie Makrophagen und Granulozyten steigern die Synthese ihrer COX2
und bilden vermehrt Prostaglandin E2. Dadurch wird die Entzündungsreaktion aufrecht gehalten und weitere Entzündungszellen gelangen an den Ort der Entzündung - Im Allgemeinen ist die Funktion des betroffenen Gewebes eingeschränkt (lat. „functio laesa“)
- Durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Bradykinin, Histamin, Serotonin, Kalium
TippTipp: Die fünf Kardinalsymptome der Entzündung sind
1. dolor 2. rubor 3. calor 4. tumor 5. functio laesa.
InfoKlinischer Ausblick: Sonnenbrand
Ein Sonnenbrand führt zu einer Entzündungsreaktion der Haut, bei der Entzündungsmediatoren freigesetzt werden. Die Folge ist eine periphere Sensibilisierung der Nozizeptoren, so dass eine leichte Berührung der betroffenen Stelle eine Schmerzempfindung auslöst.
Zentrale Weiterleitung
Für das Schmerzempfinden
- Erstes Neuron
: Nozizeptor - Standort: Spinalganglion
- Verlauf: Über die Hinterwurzel in das Hinterhorn des Rückenmarks
- Umschaltung: Auf das zweite Neuron
- Transmitter: Glutamat
- Zweites Neuron
: - Verlauf: Über den Vorderseitenstrang (Tractus spinothalamicus) zum Thalamus
- Drittes Neuron
: - Umschaltungsorte: Laterale und mediale Thalamuskerne
- Nervenfasern aus lateralen Thalamuskernen:
- Ziel: Primärer und sekundärer somatosensorischer Kortex (Gyrus postcentralis)
- Funktion: Bewusste Schmerzwahrnehmung
- Nervenfasern aus medialen Thalamuskernen:
- Ziel: Limbisches System (Gyrus cinguli)
- Funktion: Wahrnehmung der affektiven, emotionalen Schmerzkomponente
Absteigende nozizeptive Bahnen (Schmerzhemmung):
Die deszendierende Schmerzhemmung dient dazu, Schmerzen zu kontrollieren und zu reduzieren. Dieser Prozess wird durch absteigende Nervenbahnen, insbesondere die dorsolaterale Bahn, gesteuert. Das laterale noradrenerge System mit Ursprung im Locus caeruleus und das mediale serotonerge System, das von den Raphe- Kernen gebildet wird, sind die wichtigsten inhibitorischen Bahnsysteme.
Die inhibitorischen Systeme erhalten ihre Impulse vom zentralen Höhlengrau (periaquäduktales Grau, PAG), das seinerseits von den kortikalen und subkortikalen Arealen aktiviert wird, die das Ziel der aufsteigenden sensorischen Information sind (sensorische Kortexareale, limbisches System, Hypothalamus
Die Neurone aus den Raphekernen wiederum senden Nervenfasern zum Hinterhorn des Rückenmarks. Wenn dieses System aktiviert wird, führt dies zu einer erheblichen Verringerung der Schmerzempfindlichkeit.
Die Hemmung erfolgt durch Endorphine, körpereigene Substanzen, die an μ-Opioid- Rezeptoren binden. Dies setzt eine Kaskade von Ereignissen in Gang:
Der Opioid-Rezeptor signalisiert über G-Proteine, um die cAMP-Konzentration in der Zelle zu verringern, was wiederum den Calciumeinstrom hemmt. Dies führt zu einer verminderten Freisetzung von Neurotransmittern und damit zu einer Hemmung der Übertragung von Schmerzsignalen vom ersten auf das zweite Neuron
Zusätzlich finden sich postsynaptisch μ2-Rezeptoren, deren Aktivierung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Kaliumkanäle geöffnet werden. Dies bewirkt eine Hyperpolarisation
InfoKlinischer Ausblick
Dieses System kann durch Opioide
und andere medikamentöse Substanzen beeinflusst werden, um Schmerzen zu lindern.
Spezielle Schmerzformen
Projizierter Schmerz
Der projizierte Schmerz resultiert typischerweise aus einer direkten Reizung oder Schädigung peripherer Nerven. Der Schmerz wird entlang des Versorgungsgebietes des betroffenen Nervs wahrgenommen, unabhängig davon, an welcher Stelle entlang des Nervenverlaufs die Reizung oder Schädigung auftritt. Es ist daher schwierig zu unterscheiden, ob das Signal tatsächlich im Bereich der Innervation entstanden ist oder ob der Nerv entlang seines Verlaufs gereizt wurde.
- Beispiel: Akute Irritation des N. ulnaris
- Reiz: Stoß des Ellenbogens
- Schmerzlokalisation: Halber Ringfinger und kleiner Finger
- Grund: In diesen Fingern ist das Versorgungsgebiet des N. ulnaris gelegen
Übertragener Schmerz
Hierbei handelt es sich um die Schmerzübertragung eines Organs auf ein bestimmtes Hautareal (Dermatom).
→ Das entsprechende Gebiet wird als Head-Zone betitelt
Physiologischer Hintergrund: Im Rückenmark treffen verschiedene Schmerznervenfasern an denselben Neuronen zusammen. Dies umfasst eine Konvergenz von viszeralen Schmerzfasern und Nervenfasern für den somatischen Schmerz aus verschiedenen Hautregionen. Die klare Zuordnung von Schmerzentstehung und -wahrnehmung geht dadurch verloren. Dies führt zum Phänomen des weitergeleiteten Schmerzes, bei dem der Schmerz an einer anderen Stelle wahrgenommen wird als dem Ursprungsort.