Zusammenfassung
Die Opiatintoxikation bezeichnet eine Überdosierung von Opiaten oder Opioiden, die zu potenziell lebensbedrohlichen Symptomen führt. Sie äußert sich typischerweise durch folgendes klinisches Bild:
- Vigilanzminderung bis Koma
- Atemdepression
- Miosis (enge Pupillen)
- Bradykardie
Häufige Ursachen sind der Missbrauch von Betäubungsmitteln (z. B. Heroin, Fentanyl
Die Therapie im Rettungsdienst umfasst die schnelle Sicherstellung der Vitalfunktionen, die Beatmung bei Atemdepression und die gezielte Gabe des Antidots Naloxon
Fallbeispiel
Um den Einstieg in das Thema Intoxikation mit Opiaten und Opioiden etwas zu erleichtern, wird im Folgenden ein Fall beschrieben, wie er sich präklinisch ereignen könnte.
Das Szenario
Einsatzmeldung:
- Stichwort: Bewusstlosigkeit
- Ort: Öffentlicher Raum, Parkanlage
- Alarmzeit: 23:10 Uhr
- Anrufer:in: Passantin
- Anzahl der Betroffenen: 1
- Zusatzinfo:
- Männlich, 28 Jahre alt
- Drogenutensilien vor Ort gefunden
- Verdacht auf Opiatintoxikation
- Die Polizei ist ebenfalls alarmiert
Lageeinweisung vor Ort:
Beim Eintreffen des Rettungsdienstes liegt der Patient regungslos auf einer Bank in der Parkanlage. Neben ihm befinden sich eine leere Spritze und ein Löffel mit Rückständen eines unbekannten Stoffes.
Die Lage ist wie folgt:
- Der Patient ist bewusstlos und reagiert nicht auf Schmerzreiz
- Bei der Atemkontrolle wird eine unregelmäßige Atemfrequenz von 6/min festgestellt
- Der Betroffene zeigt eine deutliche Lippenzyanose
- Die Pupillen sind maximal eng (Miosis)
- Die Passantin, die den Notruf abgesetzt hat, berichtet, dass der Mann bereits vor Eintreffen leblos gewirkt habe
- Es sind keine äußeren Verletzungen erkennbar

Dieses Bild wurde mit der KI-Software DALL·E (OpenAI) erstellt. Es wurde automatisch generiert und dient ausschließlich illustrativen Zwecken.
Ersteinschätzung nach xABCDE-Schema
Um sich einen ersten umfassenden Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten in einer Notfallsituation zu verschaffen, bietet sich das xABCDE-Schema an. Um die Arbeit mit dem Schema zu veranschaulichen, ist hier ein xABCDE-Schema abgebildet, wie es im Falle einer Ersteinschätzung bei einer Patientin oder einem Patienten mit einer Intoxikation mit Opiaten und Opioiden aussehen könnte.
Es handelt sich dabei um die Befunde, die innerhalb der ersten paar Minuten erhoben werden können. Erweiterte Diagnostik und Abfragen sind natürlich von Bedeutung, jedoch würde zum Beispiel die Anlage eines 12-Kanal-EKG
x |
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A |
| ![]() Akutes |
B |
| ![]() Akutes |
C |
| ![]() Akutes |
D |
| ![]() Akutes |
E |
| Mittelbares |
AchtungDas hier gezeigte Assessment vermittelt nur einen exemplarischen ersten Eindruck von einer Patientin oder einem Patienten. Im Verlauf der Behandlung müssen weitere Maßnahmen ergriffen und Informationen gesammelt werden. Das Schema erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen praktischen Einstieg in das Thema ermöglichen.
Definition
DefinitionDie Opiatintoxikation bezeichnet eine Überdosierung von Opiaten oder Opioiden, die zu potenziell lebensbedrohlichen Symptomen führt. Sie äußert sich typischerweise durch folgendes klinisches Bild:
- Vigilanzminderung bis Koma
- Atemdepression
- Miosis (enge Pupillen)
- Bradykardie
Ursachen
Überdosierung bei Substanzmissbrauch:
- Heroin (häufigste Ursache bei illegalem Drogenkonsum)
- Fentanyl
, oft als verstärkter oder verunreinigter Straßenstoff - Methadon oder Buprenorphin bei Substitutionspatient:innen
- Oxycodon, Hydromorphon, Morphin
als missbrauchte Schmerzmittel
Unbeabsichtigte Überdosierung bei medizinischer Anwendung:
- Fehldosierung bei der Schmerztherapie (z. B. zu hohe Dosis oder zu schnelle Gabe)
- Nieren- oder Leberinsuffizienz, die zu einer verzögerten Opioidausscheidung führt
- Polypharmazie, insbesondere in Kombination mit sedierenden Medikamenten (z. B. Benzodiazepine
)
Vergiftung durch unerkannte Kontamination oder hochpotente Opioide :
- „Straßenfentanyl“ (häufig unbemerkt in Heroin oder anderen Drogen beigemischt)
- Carfentanyl oder andere Designer-Opioide
, die extrem wirksam sind und bereits in kleinsten Mengen zu Intoxikationen führen können
Suizidale Überdosierung:
- Gezielte Einnahme großer Mengen von Opiaten oder Opioiden zur Selbsttötung
MerkeDie Ursachen einer Opiat- und Opioidintoxikation sind vielfältig. Sie können durch eine versehentliche Überdosierung von Medikamenten entstehen, etwa durch unsachgemäßen Umgang mit Schmerzpflastern, oder durch den missbräuchlichen Konsum von Drogen.
Pathophysiologie
MerkeReminder: Physiologische Grundlagen
- Opiate
und Opioide sind Substanzen, die an Opioidrezeptoren im Körper binden und primär analgetische (schmerzlindernde) sowie zentral dämpfende Wirkungen entfalten. Sie wirken vor allem im zentralen Nervensystem (ZNS) und im peripheren Nervensystem. - Im menschlichen Körper gibt es drei Haupttypen von Opioidrezeptoren
, die für die Wirkungen der Opiate und Opioide verantwortlich sind:
- MOR
(μ-Opioidrezeptor ) - KOR
(κ-Opioidrezeptor ) - DOR
(δ-Opioidrezeptor ) - Opiate
und Opioide wirken als Agonisten an diesen Rezeptoren und beeinflussen die Schmerzleitung und Wahrnehmung. Sie hemmen die Freisetzung von Neurotransmittern (z. B. Glutamat) in der synaptischen Übertragung zwischen Neuronen. Dadurch wird die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark und Gehirn blockiert - Relevante physiologische Folgen und Nebenwirkungen:
- Analgesie: Starke Schmerzlinderung durch Hemmung der Schmerzrezeptoren
- Atemdepression: Direkte Hemmung des Atemzentrums
- Bradykardie
und Hypotonie: Durch verminderte Symphatikusaktivität - Miosis: Erhöhung der Parasympathikusaktivität
- Sedierung und Vigilanzminderung: Beruhigung, Schläfrigkeit bis hin zum Koma
Die übermäßige Stimulation der Opioidrezeptoren
Atemdepression:
- Hemmung des Atemzentrums in der Medulla oblongata
- Verminderte CO₂-Sensitivität → fehlende Atemanpassung an steigenden CO₂-Spiegel
- Langsame, flache oder fehlende Spontanatmung → Hypoxie, Hyperkapnie
→ Bewusstlosigkeit → Tod
Miosis:
- Überaktivierung des Parasymphatikus → Stimulation des Edinger-Westphal-Kerns im Mittelhirn → maximale Pupillenverengung
Sedierung und Vigilanzminderung:
- Hemmung der Formatio reticularis („Weckzentrum“ im Hirnstamm
) → Bewusstseinsverlust
Bradykardie und Hypotonie:
- Verminderter Sympathikustonus → reduzierte Herzfrequenz
und Blutdruckabfall
Erhöhte Krampfneigung:
- Einige Opioide
, darunter Tramadol, Fentanyl und Meperidin, beeinflussen das GABA-System negativ, was zu einer erhöhten Krampfneigung führen kann - Mechanismus: Hemmung der GABAergen Transmission
MerkeZusammenfassung: Die kritischen Probleme bei Intoxikationen mit Opiaten und Opioiden
Eine Intoxikation mit Opiaten oder Opioiden führt durch eine übermäßige Stimulation der Opioidrezeptoren
zu einer starken zentralen und peripheren Dämpfung lebenswichtiger Körperfunktionen. Besonders gefährlich ist die ausgeprägte Atemdepression, die unbehandelt zum Tod durch respiratorisches Versagen führen kann.
Wirkung von Opioiden
- Agonismus oder Partialagonismus an den endogenen Opioidrezeptoren
- Präsynapse: Bindung führt zur Senkung von intrazellulärem cAMP. Dadurch wird der Einstrom von Calcium
in die Präsynapse und damit die Transmitterfreisetzung (Glutamat) reduziert - Postsynapse: Bindung führt zu einer erhöhten Öffnungswahrscheinlichkeit von postsynaptischen Kaliumkanälen. Der Ausstrom von Kalium
(positiv geladene Ionen) führt zu einer Hyperpolarisation , wodurch ebenfalls die Signalweiterleitung unterdrückt wird

InfoOpiate
vs. Opioide Opiate
werden Substanzen genannt, die aus dem Schlafmohn (Papaver somniferum) gewonnen werden können (zum Beispiel Morphin oder Codein). Opioide ist ein Sammelbegriff für natürliche und synthetische Stoffe, die morphinartige Eigenschaften aufweisen und an Opioidrezeptoren wirksam sind. Das heißt, alle Opiate sind Opioide , aber nicht alle Opioide sind Opiate !
Endogene Opioidrezeptoren
Opioidrezeptor | Wirkung |
---|---|
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CAVE: regelmäßige Stimulation führt zu Abhängigkeit und Toleranzentwicklung |
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MerkeJe nach Rezeptoraffinität
unterscheiden sich die exogenen Opioide in ihrem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil.
Klinischer Eindruck
Typische Zeichen
AchtungEine Intoxikation mit Opiaten und Opioiden führt zu einer charakteristischen Kombination aus Vigilanzminderung, Atemdepression, Bradykardie
und Miosis.
- Bewusstseinsstörung:
- Benommenheit bis Koma (je nach Dosis)
- Reaktionslosigkeit auf verbale Reize
- Verminderte Schmerzreaktion oder fehlende Abwehr
- Atemdepression:
- Langsame, flache Atmung (Bradypnoe, <10 pro Minute)
- Schnappatmung
oder Atemstillstand im Spätstadium - Zentrale CO₂-Narkose mit zunehmender Hypoxie und Hyperkapnie
- Miosis (Pupillenverengung)
- Bradykardie
- Hypotonie
MerkeIm Endstadium unter anhaltender Hypoxie kann sich eine Mydriasis (weite Pupillen) entwickeln.
Generalisierte Zeichen
- Verminderte Reflexe
und Muskeltonus - Krampfanfälle (besonders bei Tramadol, Fentanyl
) - Hypothermie (Unterkühlung) bei längerem Liegen
- QT-Zeit
-Verlängerung und Arrhythmien (insbesondere bei Methadon) - Obstipation
- Harnverhalt
- Übelkeit und Erbrechen
Diagnostik
Anamnese
- S (Symptome): Vigilanzminderung bis Koma, Atemdepression, Miosis, Bradykardie
- Hinweise auf Drogenkonsum?
→ Drogenutensilien in der Nähe von Patient:innen vorhanden? Einstichstellen? - Hinweise auf suizidale Absicht?
→ Leere Tablettenverpackungen? Abschiedsbrief? - Hinweise auf unbeabsichtige Überdosierung?
→ Beispielsweise mehrere Schmerzpflaster
- Hinweise auf Drogenkonsum?
- A (Allergien, Infektionen): Gibt es Hinweise auf Allergien oder Infektionen?
- M (Medikation):
- Chronische Opioid- oder Psychopharmakaeinnahme?
- Substitutionsmedikamente (Methadon, Buprenorphin)?
- P (Patientengeschichte):
- Chronischer Alkoholmissbrauch?
- Psychiatrische Erkrankungen?
- Sonstiger Abusus?
- Abschiedsbrief vorhanden?
- L (Letzte…):
- Letzte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme?
- Einnahme der Medikation?
- Wenn ermittelbar → Einnahmezeitpunkt der ursächlichen Substanz
- E (Ereignis):
- Was wurde eingenommen?
- Wann erfolgte die Einnahme?
- Welche Menge wurde eingenommen?
- Wie erfolgte die Aufnahme?
- Warum erfolgte die Aufnahme?
- R (Risiko): Polytoxikomanie (Mischkonsum mit Alkohol, Benzodiazepinen, anderen Drogen), bekannte Opioidabhängigkeit
- S (Schwangerschaft): Mögliche Schwangerschaft bei Patientinnen (Risiko für fetale Atemdepression)
TippNutze Schemata
Um die Anamnese strukturiert durchzuführen, bietet es sich an, Schemata, wie das SAMPLERS oder OPQRST-Schema
zu nutzen. Am obigen Beispiel haben wir Fragen und Befunde dargestellt, die bei dem Verdacht auf eine Intoxikation mit Opiaten und Opioiden abgefragt werden sollten und vorliegen könnten.
TippInformationen einholen
Bei Intoxikationen
bietet es sich immer an, das Giftnotrufzentrum zu konsultieren. Diese können Auskunft geben über:
- Giftwirkung
- Voraussichtliche Entwicklung
- Giftentfernung möglich / sinnvoll?
- Spezielle Anforderungen an die Klinik nötig? (z.B. Hämodialyse
)
Weitere Informationen zur Anamneseerhebung und dem allgemeinen Vorgehen bei Intoxikationen
Körperliche Untersuchung
Inspektion:
- Blasse, kaltschweißige Haut
- Zyanose
- Hinweise auf Drogenkonsum, z. B. Drogenutensilien, Einstichstellen
- Vigilanzminderung
- Atemdepression
Palpation:
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Palpation des Pulses:
- Bradykardie
- Gegebenenfalls schwach tastbarer Puls
- Bradykardie
Perkussion:
- Der Perkussionsbefund sollte physiologisch ausfallen. Ist das nicht so, muss differenzialdiagnostisch gedacht werden
Auskultation:
- Der Auskultationsbefund sollte physiologisch ausfallen. Ist das nicht so, muss differenzialdiagnostisch gedacht werden
Vitalparameter:
- Atemfrequenz
: Verringert - Sauerstoffsättigung
: Verringert - Herzfrequenz
: Bradykardie - Blutdruck: Hypotonie
- Temperatur: Normal, ggf. erniedrigt, z. B. bei längerer Liegezeit, insbesondere im Freien
- Blutzucker: Normal bis erniedrigt
AchtungAuf Eigenschutz achten
Oberstes Gebot im Rettungsdienst ist immer der Eigenschutz.
- Infektionsgefahr: Patient:innen können an HIV oder Hepatitis erkrankt sein
- Kleidung durchsuchen: Nie blind hineingreifen. Es können dort beispielsweise Nadeln
oder Spritzen verborgen sein
InfoInsbesondere bei wohnungslosen Personen soll die Kleidung, wenn möglich, nicht beschädigt werden.
AchtungVermeidung von Confirmation Bias
Eine Vigilanzminderung mit verringerter Atemfrequenz
in Kombination mit Einstichstellen ist verdächtig für eine Intoxikation mit Opioiden, dennoch dürfen andere Differenzialdiagnosen nicht außer Acht gelassen werden.
Toxikologische Differenzialdiagnosen
Bei einer Intoxikation sollten stets Differenzialdiagnosen anderer Vergiftungen in Betracht gezogen werden. Da sich die Symptome häufig überschneiden, kann die Diagnosestellung erschwert sein. Nachfolgend sind einige Intoxikationen
Intoxikation | Ähnliche Merkmale | Unterschiede |
---|---|---|
Benzodiazepine |
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Alkohol |
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Dimenhydrinat |
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Neuroleptika |
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Therapie
MerkeDie primären Maßnahmen bei einer Opiatintoxikation im Rettungsdienst sind die Sicherstellung einer ausreichenden Atmung sowie die gezielte Antidottherapie mit Naloxon
.
Symptomatische Therapie
Die folgenden Maßnahmen werden häufig angewandt:
- Sauerstoffgabe
: Bei Patient:innen mit einer verminderten Sauerstoffsättigung (Hypoxie) wird Sauerstoff verabreicht, um die Sauerstoffversorgung des Gewebes zu verbessern und die Funktion lebenswichtiger Organe sicherzustellen. Eine stabile, hohe Sauerstoffsättigung hilft, eine Hypoxie der Organe und Gewebe zu verhindern - Freimachen der Atemwege
: Durch den Ausfall der Schutzreflexe können die Atemwege verlegt sein
→ Bei einem schnarchenden Atemgeräusch sollte ein Esmarch-Handgriff durchgeführt werden - Kristalloide Infusionslösungen: Die Flüssigkeitstherapie ist essenziell zur Optimierung der Perfusion und zur Aufrechterhaltung des Blutdrucks
→ Bei einem systolischen Blutdruck unter 90 mmHg sollen kristalloide Infusionslösungen verabreicht werden - Giftentfernung: Bei einer Intoxikation mit Opiaten oder Opioiden muss die weitere Aufnahme des Wirkstoffs sofort gestoppt werden, um eine fortschreitende Vergiftung zu verhindern
→ Vorhandene Schmerzpflaster, z. B. Fentanylmüssen entfernt werden
Assistierte Beatmung
Indikation:
- Bradypnoe <8/min oder unzureichende Spontanatmung
- Hypoxie: SpO₂ <90 % trotz Sauerstoffgabe
- Bewusstlosigkeit mit fehlenden Schutzreflexen
Durchführung:

"Mask Ventilation.jpg" von vintagelove67, CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0, via Wikimedia Commons. Die Abbildung ist ein Derivat der oben genannten Abbildung. Es wurden die Beschriftungen ergänzt.
- Position einnehmen:
- Am Kopfende von Patient:in
- Patient:in liegt flach auf dem Rücken
- Bedingungen optimieren:
- Verbesserte Jackson Position
(„Schnüffelstellung “) - Richtige Maske auswählen
- Bei Bedarf: Guedel- oder Wendl-Tubus
verwenden
- Verbesserte Jackson Position
- C-Griff
zur Sicherung der Beatmungsmaske: - Maske mit Daumen und Zeigefinger fixieren
- Kleiner Finger in Kieferwinkel → Vorschieben des Unterkiefers (~Esmarch-Handgriff)
- Ring- und Mittelfinger an Unterrand des Unterkiefers
- Manuelle (oder maschinelle) Beatmung:
- Inspirationsdruck
sollte <20 mbar sein, um Magenüberblähung zu vermeiden → Entspricht dem Verschlussdruck des unteren Ösophagussphinkters
- Inspirationsdruck
Wenn nicht erfolgreich:
- Doppel C-Griff
- Invasive Atemwegssicherung
erwägen
Antidottherapie mit Naloxon
Naloxon
→ Bei unzureichender Spontanatmung sollte Naloxon
AchtungBei einer Überdosierung von Naloxon
besteht die Gefahr einer starken Entzugssymptomatik, die durch das plötzliche Ende des Rauschzustands ausgelöst wird. Dies kann zu aggressivem Verhalten führen. Das primäre Ziel der Naloxon Gabe ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Spontanatmung, nicht eine vollständige Antagonisierung der Opioidwirkung. Praxistipp: Naloxon
auf eine 10 ml Spritze mit NaCl aufziehen und langsam titrieren.
MerkeAlternative Applikationswege Naloxon
: Ist die Anlage eines i.v.-Zugangs nicht möglich, kann Naloxon
über alternative Applikationswege verabreicht werden. Nachfolgend sind die im Rettungsdienst gebräuchlichsten Methoden einschließlich der empfohlenen Dosierung aufgeführt.
- Intramuskulär → 0,4 mg alle 3-5 Minuten
- Intranasal → 2 mg alle 3-5 Minuten
InfoRebound-Effekt
Naloxon
hat eine kürzere Wirkdauer (30–45 Minuten) als viele Opioide . Wirkstoffe mit langer Halbwertszeit, wie Methadon, Buprenorphin oder Fentanyl , verbleiben nach Abbau von Naloxon weiterhin im Körper.
- Sobald Naloxon
abgebaut wird, besetzen die Opioide erneut die Rezeptoren → Rückkehr der Atemdepression und Bewusstlosigkeit - Neben der intravenösen Gabe sollte auch eine zusätzliche subkutane Applikation
( ) in Erwägung gezogen werden
Weitere Maßnahmen
Darüber hinaus ist eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter entscheidend, um auf Veränderungen des Zustands der Patient:innen schnell reagieren zu können. Die Kommunikation zwischen Rettungsdienst und der aufnehmenden Klinik ist ebenfalls von großer Bedeutung, um eine optimale Weiterbehandlung zu gewährleisten.
Lagerung:
Es ist immer wichtig, die Lagerung adäquat anzupassen. In diesem Fall empfiehlt sich bei ausreichender Spontanatmung die stabile Seitenlage
TippLagerung situationsgerecht anpassen
- Bewusstlosigkeit + ausreichende Spontanatmung
→ Stabile Seitenlage, alternativ Rückenlage unter permanenter Kontrolle der Atemwege + Absaugbereitschaft herstellen - Bewusstlosigkeit + keine suffiziente Spontanatmung
→ Rückenlageund Durchführung einer assistierten Beatmung
Besondere Situationen
Naloxon Wirksamkeit bei Intoxikationen mit Buprenorphin
Buprenorphin weist eine extrem hohe Bindungsaffinität zu μ-Opioidrezeptoren
Praktisch bedeutet dies, dass Naloxon
InfoBuprenorphin
- Partieller Agonismus am μ-Opioidrezeptor
- Bindet mit extrem hoher Affinität an den μ-Opioidrezeptor
, aktiviert ihn aber nur teilweise - Dadurch vermittelt es eine analgetische Wirkung, aber mit einem sogenannten Ceiling
-Effekt (die Wirkung nimmt ab einer bestimmten Dosis nicht weiter zu) - Dies bedeutet, dass die atemdepressive Wirkung bei höheren Dosen nicht linear ansteigt, wie es bei klassischen Opioiden der Fall ist
Vergleich mit Vollagonisten:
- Morphin
, Fentanyl , Heroin: Je höher die Dosis, desto stärker die Atemdepression → Lebensbedrohliche Ateminsuffizienz möglich - Buprenorphin: Steigt die Dosis über einen bestimmten Punkt, nimmt die Atemdepression nicht weiter zu, was das Risiko für eine Apnoe stark reduziert
MerkeGefahr der Atemdepression
Obwohl Buprenorphin allein eine geringe Atemdepression verursacht, kann sie bei bestimmten Situationen dennoch auftreten:
- Kombination mit Benzodiazepinen, Alkohol, Barbituraten
oder anderen ZNS-dämpfenden Substanzen verstärkt die dämpfende Wirkung auf das Atemzentrum - Besonders gefährlich ist die gleichzeitige Einnahme von Benzodiazepinen und Buprenorphin, da beide synergistisch auf die zentrale Dämpfung wirken
Weitere Therapie im klinischen Setting
Versorgung in der Notaufnahme
In dieser Notlage kann es helfen, sich mental auf die nächsten Schritte vorzubereiten. Dafür ist es ratsam, schon auf der Fahrt zum Krankenhaus zu erklären, wie das weitere Procedere im Krankenhaus aussieht und worauf die Person sich potenziell einstellen muss.
AchtungDa die Therapie je nach aufnehmendem Krankenhaus und Behandler:in variieren kann, empfiehlt es sich nicht, einen bestimmten Behandlungsweg detailliert zu beschreiben. Eine grobe Skizzierung des weiteren Behandlungspfades reicht völlig aus, um Unsicherheiten zu minimieren. Die weiteren Informationen dienen ausschließlich eurer Information als Fachpersonal!
Versorgung im Schockraum :
InfoAnmeldekriterien für eine Schockraum
-Alarmierung Je nach Situation kann eine Anmeldung im Schockraum
notwendig sein. Die Alarmierung eines Schockraums
hängt ab von:
- Der Schwere der Intoxikation
- Regionalen Protokollen
- Hämodynamischer Situation von dem / der Patient:in
- Den bereits getroffenen Maßnahmen, z. B. beatmungspflichtige Patient:innen
Labordiagnostik:
Bei Patient:innen mit Intoxikationen
Toxikologische Untersuchungen:
- Opioid-Schnelltest (Urin-Drogenscreening):
- Nachweis klassischer Opioide
(Heroin, Morphin , Codein, Oxycodon, Fentanyl , Methadon)
- Nachweis klassischer Opioide
- Erweiterte toxikologische Untersuchung (beispielsweise bei Mischintoxikationen):
- Benzodiazepine
, Alkohol, Kokain, Amphetamine → häufige Stoffe bei Mischintoxikationen - Paracetamol
→ bei Suizidversuchen
- Benzodiazepine
Präventive Maßnahmen
InfoNach einer überlebten Intoxikation mit Opiaten oder Opioiden, insbesondere bei Drogenabhängigkeit, besteht ein hohes Risiko für erneute Überdosierungen. Daher sollten in der Klinik präventive Maßnahmen ergriffen werden, um zukünftige Intoxikationen
zu vermeiden und die Patient:innen langfristig zu stabilisieren.
- Sozial- und suchtmedizinische Betreuung
- Aufklärung über Überdosierungsrisiken
- Substitutionsprogramme
- Entzugsbehandlung erwägen
- Bei Bedarf, beispielsweise nach Suizidversuch → Psychiatrische Vorstellung
Transport
Die Wahl des Zielkrankenhauses ist abhängig vom individuellen Fall. Das Zielkrankenhaus sollte über eine internistische Abteilung mit der Möglichkeit der intensivmedizinischen Überwachung verfügen und eine Notaufnahme mit einem Schockraum
- Bei spontan atmenden Patient:innen sollte auf freie Atemwege geachtet werden und eine ständige Überwachung der Vitalparameter erfolgen
- Bei instabiler Kreislaufsituation sollte der Transport unter kontinuierlicher Kreislaufüberwachung und gegebenenfalls medikamentöser Unterstützung erfolgen
- Auf Rebound-Effekt nach Naloxongabe achten → ggf. erneute Gabe nötig
InfoKriterien für Intensivüberwachung / Schockraumanmeldung
Eine Intensivüberwachung ist erforderlich, wenn schwerwiegende respiratorische, kardiovaskuläre oder neurologische Komplikationen auftreten. Folgende Kriterien sprechen für eine Aufnahme auf die Intensivstation:
- Anhaltende respiratorische Insuffizienz
- Erfolgte Naloxongabe
- Erfolgte Atemwegssicherung
- Stattgefundene Krampfanfälle
- Keine Reaktion auf Ansprache (GCS ≤8)
- Fehlender Sinusrhythmus
- Systolischer Blutdruck <80 mmHg
MerkeZusammenfassung Transport
- Zielkrankenhaus: Internistische Abteilung + Möglichkeit zur intensivmedizinischen Überwachung
- Kriterien für Intensivüberwachung / Schockraum
beachten - Überwachung der Vitalparameter
- Auf Rebound-Effekt nach Naloxongabe achten
Prüfungswissen
Definition:
DefinitionDie Opiatintoxikation bezeichnet eine Überdosierung von Opiaten oder Opioiden, die zu potenziell lebensbedrohlichen Symptomen führt. Sie äußert sich typischerweise durch folgendes klinisches Bild:
- Vigilanzminderung bis Koma
- Atemdepression
- Miosis (enge Pupillen)
- Bradykardie
Ursachen:
- Überdosierung bei Substanzmissbrauch
- Unbeabsichtigte Überdosierung bei medizinischer Anwendung
- Vergiftung durch unerkannte Kontamination oder hochpotente Opioide
- Suizidale Überdosierung
Pathophysiologie:
- Eine Intoxikation mit Opiaten oder Opioiden führt durch eine übermäßige Stimulation der Opioidrezeptoren
zu einer starken zentralen und peripheren Dämpfung lebenswichtiger Körperfunktionen. Besonders gefährlich ist die ausgeprägte Atemdepression, die unbehandelt zum Tod durch respiratorisches Versagen führen kann
Klinischer Eindruck:
- Typische Zeichen:
- Vigilanzminderung
- Atemdepression
- Bradykardie
- Miosis
Diagnostik:
- Gezielte Anamnese (auf Besonderheiten bei Intoxikationen achten)
- Körperliche Untersuchung:
- Inspektion:
- Blasse, kaltschweißige Haut
- Zyanose
- Hinweise auf Drogenkonsum, z. B. Drogenutensilien, Einstichstellen
- Vigilanzminderung
- Atemdepression
- Palpation:
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Palpation des Pulses:
- Bradykardie
- Gegebenenfalls schwach tastbarer Puls
- Bradykardie
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit
- Inspektion:
- An toxikologische Differenzialdiagnosen denken
Therapie:
MerkeDie primären Maßnahmen bei einer Opiatintoxikation im Rettungsdienst sind die Sicherstellung einer ausreichenden Atmung sowie die gezielte Antidottherapie mit Naloxon
.
- Symptomatische Therapie
- Atemwegsmanagement
- Ggf. Antidottherapie mit Naloxon
- Situationsgerechte Lagerung
Weitere Therapie im klinischen Setting:
- Labordiagnostik
- Toxikologische Untersuchung
- Präventive Maßnahmen, beispielsweise suchtmedizinische Betreuung, ggf. psychiatrische Vorstellung
Transport:
- Zielkrankenhaus: Internistische Abteilung + Möglichkeit zur intensivmedizinischen Überwachung
- Kriterien für Intensivüberwachung / Schockraum
beachten - Überwachung der Vitalparameter
- Auf Rebound-Effekt nach Naloxongabe achten
Quellen
S3-Leitlinie Medikamentenbezogene Störungen, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN)
SOP Intoxikation. Teil 2: Toxidrome, Notfallmedizin up2date 2020; 15(04): 339 - 344
Hello again! – Antagonisierung einer Opioidintoxikation, Notfallmedizin up2date 2015; 10(02): 99 - 101
Taschenatlas Rettungsdienst, 11. aktualisierte Auflage, ISBN: 978-3-948320-00-3