Einleitung
Perioperativer Umgang mit gerinnungsaktiven Medikamenten
Der Umgang mit gerinnungsaktiven Medikamenten ist oft kompliziert und unterliegt unterschiedlichen nationalen oder klinikeigenen Standards. Der Umgang mit gerinnungsaktiven Medikamenten sollte daher im Vorfeld eng mit dem Operationsteam abgestimmt werden.
TippAbhängig von der Dringlichkeit der Operation, dem Blutungsrisiko der Operation und des Thromboembolierisikos des/der Patient:in sollte entschieden werden, ob die gerinnungshemmende Medikation pausiert werden sollte. Die Entscheidung sollte möglichst frühzeitig getroffen und im Team kommuniziert werden, da die Medikamente nach dem Absetzen teilweise auch noch für mehrere Tage gerinnungshemmend wirken können.
Acetylsalicylsäure (ASS)
Perioperativer Umgang mit ASS
Wenn ASS als einziges gerinnungshemmendes Medikament eingenommen wird, muss es in der Regel nicht abgesetzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn es zur Sekundärprophylaxe eingenommen wird. Vor größeren Eingriffen mit einem hohen Blutungsrisiko sollte es insbesondere abgesetzt werden, wenn es nur zur Primärprophylaxe eingenommen wird. Es sollte ca. 5-7 Tage vor dem Eingriff abgesetzt werden, da es auch nach dem Absetzen für einige Tage gerinnungshemmend wirksam ist
- Präoperativ muss ASS in der Regel nicht abgesetzt werden bei:
- Operationen mit geringem/mittlerem Blutungsrisiko
- Applikation von intraarteriellen Stents
- Insbesondere nicht, wenn ASS zur Sekundärprophylaxe genutzt wird
- Präoperativ sollte ASS abgesetzt werden:
- Vor neurochirurgischen Operationen
- Wenn ASS zur Primärprophylaxe genutzt wird sollte es ca. 5-7 Tage vor größeren Eingriffen abgesetzt werden
➜ Postoperativ sollte der Wiederbeginn abhängig vom Blutungsrisiko erfolgen
Cave: erhöhtes Blutungsrisiko bei Kombination von ASS mit anderen gerinnungshemmenden Substanzen
Duale Thrombozytenaggregationshemmung (DAPT)
Perioperativer Umgang mit einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung
Eine duale Thrombozytenaggregationshemmung erfolgt bei einem erhöhten Risiko für Thromboembolien (z.B. nach einer Stentimplantation im Rahmen eines akuten Myokardinfarktes). Operationen sollten daher nach Möglichkeit verschoben werden, bis keine Indikation mehr für die duale Thrombozytenaggregationshemmung besteht. Hiernach erfolgt in der Regel eine Monotherapie mit ASS, die ggf. auch perioperativ fortgeführt werden kann.
- Präoperativ sollten P2Y12-Inhibitoren (im Rahmen einer DAPT
) in der Regel nur vor großen Operationen mit einem großen Blutungsrisiko pausiert werden: - Clopidogrel
5-7 Tage vorher - Prasugrel
7 Tage vorher - Ticagrelor
5 Tage vorher
- Clopidogrel
- Bei einer bestehenden DAPT
mit ASS sollte nach dem Pausieren des Kombinationspartners (Clopidogrel , Prasugrel , Ticagrelor ) die Monotherapie mit ASS nach Möglichkeit perioperativ fortgeführt werden - Nach der Operation sollte die DAPT
so schnell wie möglich fortgesetzt werden - Bei Notfall-Operationen bei denen die DAPT
fortgeführt wurde/werden muss, sollte genau auf Blutungskomplikationen geachtet werden. Mögliche Komplikationen können ggf. mit Thrombozytenkonzentraten und anderen Medikamenten behandelt werden
AchtungEine DAPT
sollte bei bestehender Indikation für eine DAPT nicht einfach so abgesetzt werden. Die zugrunde liegenden Erkrankungen, bei denen eine Indikation für eine DAPT besteht, weisen meistens ein hohes Risiko für Thromboembolien auf. Wenn eine DAPT kurz nach einer koronaren Stentimplantation abgesetzt wird, kann es zu einer Stentthrombose kommen. Nur wenn eine Operation nicht verschoben werden kann und mit einem hohen Blutungsrisiko einhergeht, sollte eine Umstellung auf eine Monotherapie mit ASS erfolgen. Heparine, bzw. ein perioperatives Bridging mit niedermolekularem Heparin
, können eine DAPT nicht ersetzen.
InfoDie Thrombozytenaggregationshemmung kann im Notfall, z.B. bei einer akuten Blutung, kurzfristig nur durch die Gabe von Thrombozytenkonzentraten aufgehoben werden. Auch nach dem Absetzen von Thrombozytenaggregationshemmern besteht deren gerinnungshemmende Wirkung auch noch für 5-7 Tage (P2Y12-Inhibitoren) oder sogar länger (ASS).
Unfraktioniertes Heparin
Perioperativer Umgang mit unfraktioniertem Heparin
- Vor dem Eingriff mindestens 2x/Tag Bestimmung der aPTT
Niedermolekulares Heparin
Perioperativer Umgang mit niedermolekularem Heparin
- Bei erhöhtem Blutungsrisiko und Notwendigkeit einer Pausierung der Therapie: 2 Tage vor dem Eingriff absetzen
- Bei reduzierter Nierenfunktion ggf. Bestimmung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität
- Am Folgetag nach dem Eingriff wieder ansetzen
- Bei stark reduzierter Nierenfunktion frühestens 48 Stunden nach dem Eingriff wieder ansetzen
Fondaparinux
Perioperativer Umgang mit Fondaparinux
- Je nach Nierenfunktion 36-42 vor Eingriff mit erhöhtem Blutungsrisiko oder rückenmarksnaher Anästhesie absetzen
- Frühestens 6 Stunden nach dem Eingriff wieder ansetzen
Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
Perioperativer Umgang mit Vitamin-K-Antagonisten
- Bei Eingriffen mit einem niedrigen Blutungsrisiko (z.B. kleine ambulante Operationen oder Herzkatheteruntersuchungen) kann eine Fortführung der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten
erfolgen - Bei einem mittleren oder hohen Blutungsrisiko sollte eine präoperative Unterbrechung von Vitamin-K-Antagonisten
erfolgen - Absetzen des Vitamin-K-Antagonisten
ca. 5-8 Tage vor dem geplanten Eingriff - Je nach Thromboembolierisiko und Indikation für die Gabe von Vitamin-K-Antagonisten
ist ein Bridging erforderlich (siehe Bridging) - Regelmäßige Überwachung des INR-Wertes
- Operation erst bei einem INR-Wert
<1,5
Bridging:
- Vitamin-K-Antagonisten
sind in der Regel bei intraoperativen Blutungen schlecht kontrollierbar - Bei Patient:innen, die mit Vitamin-K-Antagonisten
antikoaguliert sind, wird daher bei Operationen mit einem erhöhten Blutungsrisiko ggf. ein Bridging notwendig - Hierzu wird einige Tage vor der Operation der Vitamin-K-Antagonist abgesetzt und überbrückend (➜ „bridging“), sobald der INR-Wert
unter 2 liegt, ein Heparin (bevorzugt niedermolekulares Heparin ) gegeben (bei mechanischer Herzklappe unfraktioniertes Heparin ggf. bereits ab höheren INR-Werten) - Perioperativ wird das Heparin
abgesetzt (dies ist aufgrund der kurzen Wirkdauer von Heparin möglich) - Nach der Operation wird gleichzeitig Heparin
und der Vitamin-K-Antagonist gegeben, bis der Ziel-INR-Wert erreicht ist (Wiederbeginn der Antikoagulation je nach Operation sowie dem individuellen Thromboembolie- und Blutungsrisiko des/der Patient:in - Im Falle einer Blutung und perioperativ kann die Wirkung des Heparins kurzfristig unterbrochen werden
- CAVE: Das Bridging erhöht das Blutungsrisiko und sollte daher primär bei Patient:innen mit einem hohen Risiko für eine Thromboembolierisiko durchgeführt werden
- Bei einem geringen Thromboembolierisiko muss nicht unbedingt ein Bridging erfolgen
- Bei einem mittelhohen Thromboembolierisiko kann z.B. ein niedermolekulares Heparin
in prophylaktischer Dosierung verwendet werden - Bei einem hohen Thromboembolierisiko kann z.B. ein niedermolekulares Heparin
in therapeutischer Dosierung verwendet werden (oder bei einer mechanischen Herzklappe ein Heparin -Perfusor mit unfraktioniertem Heparin ) - Ein hohes Thromboembolierisiko und somit eine Indikation für ein Bridging besteht insbesondere bei Patient:innen mit einer mechanischen Herzklappe; Vorhofflimmern
mit einer signifikanten Mitralklappenstenose ; Vorhofflimmern mit einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥3 bei Frauen und von ≥2 bei Männern; akutem thromboembolischen Ereignis in den letzten 4 Wochen; hohem akutem Thromboembolierisiko (z.B. LV-Apexthrombus, Antithrombin -3-Mangel, Protein-C- und Protein-S-Mangel)
- Ein hohes Thromboembolierisiko und somit eine Indikation für ein Bridging besteht insbesondere bei Patient:innen mit einer mechanischen Herzklappe; Vorhofflimmern
InfoNicht bei allen Patient:innen, die mit einem Vitamin-K-Antagonisten
behandelt werden, ist ein Bridging notwendig. Patient:innen mit einem geringen Thromboembolierisiko benötigen ggf. kein Bridging. Da das Bridging das Blutungsrisiko erhöht, sind periprozedurale Blutungen häufiger als eine Thromboembolie. Das Bridging sollte in der Regel mit niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Patient:innen mit einer mechanischen Herzklappe weisen ein hohes Thromboembolierisiko auf und benötigen daher normalerweise ein Bridging, das mit unfraktioniertem Heparin durchgeführt werden sollte.
TippDie Wirkung von Heparinen kann kurzfristig unterbrochen werden, daher eigenen sie sich besser zur perioperativen Antikoagulation als Vitamin-K-Antagonisten
. Da die Vitamin-K-Antagonisten auch nach dem Absetzen noch einige Tage gerinnungshemmend wirken, sollte bereits einige Tage vor einer Operation die Umstellung auf ein Heparin erfolgen.
Praktisches Beispiel bei einem erhöhten Thromboembolierisiko
- 5-8 Tage vor der Operation: Absetzen von Vitamin-K-Antagonist
- Bei einem INR-Wert
von <2 (bei mechanischer Herzklappe höhere INR-Zielwerte): Beginn einer Therapie mit z.B. Enoxaparin 1 mg/Kg Körpergewicht (100 IE/Kg Körpergewicht) 1-0-1 - Spätestens 12 Stunden vor der Operation: Absetzen von Enoxaparin
und Kontrolle des INR-Wertes - Frühestens 6-12 Stunden nach der Operation (je nach Blutungs- und Thromboembolierisiko auch späterer Beginn 48-72 Stunden postoperativ und vorübergehende prophylaktische Dosierung indiziert): Wiederbeginn von Enoxaparin
1 mg/Kg Körpergewicht (100 IE/Kg Körpergewicht) 1-0-1 und am ersten oder zweiten postoperativen Tag Aufsättigung des Vitamin-K-Antagonisten (siehe Eindosierung von Vitamin-K-Antagonisten ) - Wenn INR-Wert
im INR-Zielbereich: Absetzen von Enoxaparin
Direkte orale Antikoagulantien (DOAKs)
Perioperativer Umgang mit DOAKs
- Bei Eingriffen mit einem geringen Blutungsrisiko und unter Berücksichtigung der Risikofaktoren des/der Patient:in kann die Gabe von einem DOAK eventuell fortgeführt werden
- DOAKs können in der Regel während einer Kardioversion
oder einer Katheterablation eines nicht-valvulären Vorhofflimmerns eingenommen werden und müssen nicht pausiert werden - Aufgrund der verhältnismäßig kurzen Halbwertszeit (ca. 12-24 Stunden) sollte kein Bridging erfolgen
- Folgende Intervalle sind auf elektive Operationen und Vorhofflimmern
als Indikation zur DOAK-Gabe bezogen: - Perioperativer Umgang mit Dabigatran
: - Geringes Blutungsrisiko & GFR >80 ml/min: ≥24 Stunden vorher letzte Gabe
- Geringes Blutungsrisiko & GFR <80 ml/min: ≥36 Stunden vorher letzte Gabe
- Geringes Blutungsrisiko & GFR <50 ml/min: ≥48 Stunden vorher letzte Gabe
- Hohes Blutungsrisiko & GFR >80 ml/min: ≥48 Stunden vorher letzte Gabe
- Hohes Blutungsrisiko & GFR <80 ml/min: ≥72 Stunden vorher letzte Gabe
- Hohes Blutungsrisiko & GFR <50 ml/min: ≥96 Stunden vorher letzte Gabe
- Nach Katheterentfernung (Spinalanästhesie
, Epiduralanästhesie, Lumbalpunktion ): frühestens nach 2 Stunden Gabe
- Perioperativer Umgang mit Apixaban
: - Geringes Blutungsrisiko & GFR >30 ml/min: ≥24 Stunden vorher letzte Gabe
- Geringes Blutungsrisiko & GFR <30 ml/min: ≥36 Stunden vorher letzte Gabe
- Mittleres bis hohes Blutungsrisiko: ≥48 Stunden vorher letzte Gabe
- Epidurale oder intrathekale Verweilkatheter dürfen erst 20-30 Stunden nach der letzten Dosis entfernt werden (mindestens eine Dosis vor der Katheterentfernung auslassen). Frühestens 5 Stunden nach der Entfernung darf eine erneute Einnahme erfolgen
- Perioperativer Umgang mit Rivaroxaban
: - Geringes Blutungsrisiko & GFR >30 ml/min: ≥24 Stunden vorher letzte Gabe (bei reduzierter Dosis von 2,5 mg ≥12 Stunden vorher)
- Geringes Blutungsrisiko & GFR <30 ml/min: ≥36 Stunden vorher letzte Gabe
- Hohes Blutungsrisiko: ≥48 Stunden vorher letzte Gabe
- Epiduralkatheter darf bei jungen Patient:innen frühestens nach 18 Stunden und bei älteren Patient:innen frühestens nach 26 Stunden nach der Einnahme von Rivaroxaban
entfernt werden. Frühestens 6 Stunden nach der Entfernung darf eine erneute Einnahme erfolgen (nach traumatischer Punktion Einnahme von Rivaroxaban um 24 Stunden verschieben)
- Perioperativer Umgang mit Edoxaban
: - Geringes Blutungsrisiko & GFR >30 ml/min: ≥24 Stunden vorher letzte Gabe
- Geringes Blutungsrisiko & GFR <30 ml/min: ≥36 Stunden vorher letzte Gabe
- Hohes Blutungsrisiko: ≥48 Stunden vorher letzte Gabe
- Wiederbeginn:
- So früh wie unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos vertretbar
- Geringes Blutungsrisiko: ca. 6-8 Stunden nach dem Eingriff
- Hohes Blutungsrisiko: in interdisziplinärer Rücksprache (z.B. 6-8 Stunden nach dem Eingriff Thromboseprophylaxe beginnen und 48-72 Stunden nach dem Eingriff DOAK wieder beginnen)
TippIn der PAUSE-Studie wurde die perioperative Pausierung von den DOAKS Apixaban
, Rivaroxaban und Dabigatran untersucht. Hierbei zeigte sich unter dem folgenden Vorgehen eine geringe Rate an Blutungskomplikationen (1%) und von thromboembolischen Komplikationen (0,5%): Eingriffe mit geringem Blutungsrisiko: 24 Stunden vor dem Eingriff letzte Gabe und Wiederbeginn 24 Stunden nach dem Eingriff
Eingriffe mit hohem Blutungsrisiko: 48 Stunden vor dem Eingriff letzte Gabe und Wiederbeginn 48 Stunden nach dem Eingriff
Bei Dabigatran
und einer GFR <50 ml/min: Verlängerung des Absetzintervalls
Vorgehen bei Hyperkoagulabilität
- Patient:innen mit Risikofaktoren für eine Gerinnungsneigung:
- Präoperativ bestehende Immobilisation
- Prä-/intraoperative Akute-Phase-Reaktion
- Angeborene oder erworbene Thromboseneigung
- Bei Patient:innen mit Risikofaktoren für eine erhöhte Gerinnungsneigung sollte eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden
- Bei einer APC-Resistenz sollte eine Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin
erfolgen - Bei einem Antithrombin
-Mangel oder einem Protein-C-Mangel sollte ggf. eine Inhibitor-Substitution durchgeführt werden
Perioperative Thromboseprophylaxe
Siehe perioperative Thromboseprophylaxe
Quellen
- Freissmuth et al.: Pharmakologie und Toxikologie. Springer 2012, ISBN: 978-3-642-12353-5.
- Karow, Lang-Roth: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2012
- Lüllmann et al.: Pharmakologie und Toxikologie. 15. Auflage Thieme 2002, ISBN: 3-133-68515-5
- Wehling: Klinische Pharmakologie. 2. Auflage Thieme 2011, ISBN: 978-3-131-60282-4
- PAUSE-Studie: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6686768/
- Douketis JD, Spyropoulos AC, Duncan J, Carrier M, Le Gal G, Tafur AJ, Vanassche T, Verhamme P, Shivakumar S, Gross PL, Lee AYY, Yeo E, Solymoss S, Kassis J, Le Templier G, Kowalski S, Blostein M, Shah V, MacKay E, Wu C, Clark NP, Bates SM, Spencer FA, Arnaoutoglou E, Coppens M, Arnold DM, Caprini JA, Li N, Moffat KA, Syed S, Schulman S. Perioperative Management of Patients With Atrial Fibrillation Receiving a Direct Oral Anticoagulant. JAMA Intern Med. 2019 Nov 1;179(11):1469-1478. doi: 10.1001/jamainternmed.2019.2431. PMID: 31380891; PMCID: PMC6686768.