Zusammenfassung
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Pharmakologie des Atmungssystems mit Fokus auf den präklinischen Einsatz im Rettungsdienst. Es werden häufig verwendete Wirkstoffgruppen wie β₂-Sympathomimetika, Anticholinergika
Ergänzend werden die pathophysiologischen Grundlagen der Atemwege
Grundlagen der Atemwegspathophysiologie
Die Weite der Atemwege
Im gesunden Zustand wird der Tonus der Bronchialmuskulatur durch ein Gleichgewicht zwischen parasympathischem und sympathischem Nervensystem reguliert:
- Parasympathikus
: Aktivierung muskarinerger Rezeptoren → Kontraktion der Bronchialmuskulatur → Verengung der Atemwege - Sympathikus
: Aktivierung β₂-Adrenozeptoren durch Adrenalin oder β₂-Sympathomimetika → Relaxation der glatten Muskulatur → Weitstellung der Bronchien
- Bei Erkrankungen wie Asthma bronchiale
oder COPD kommt es zu einer pathologischen Engstellung der Atemwege , was die Atmung deutlich beeinträchtigen kann.
MerkeTypische Mechanismen für eine Bronchokonstriktion
- Bronchospasmus: Überaktivität der Bronchialmuskulatur, oft durch Reize wie Allergene oder kalte Luft ausgelöst (z.B. bei Asthma bronchiale
) - Schleimhautödem: Entzündliche Reaktion der Bronchialschleimhaut mit Schwellung und Einengung des Lumens
- Vermehrte Schleimproduktion: Sekretansammlung in den Atemwegen, insbesondere bei COPD
oder allergischen Reaktionen
Diese Mechanismen führen typischerweise zu Dyspnoe, exspiratorischen Atemgeräuschen
InfoHagen-Poiseuille-Gesetz
Das Hagen-Poiseuille-Gesetz
beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Strömungswiderstand in einem Rohr und dessen Radius . Auch wenn es streng genommen nur auf laminare Strömung in starren Röhren zutrifft, lässt sich der Grundsatz auf die Bronchien übertragen:
- Der Luftstrom ist proportional zur vierten Potenz des Bronchusradius
- Eine Halbierung des Durchmessers reduziert den Luftstrom um das 16-Fache
→ Bereits geringe Verengungen führen daher zu einem massiven Anstieg des Atemwegswiderstands und zu schwerer Atemnot.
Physiologie des vegetativen Nervensystems
- Das vegetative Nervensystem (autonomes Nervensystem) kontrolliert Prozesse, die sich weitestgehend der willkürlichen Kontrolle entziehen
- Es steuert lebenswichtige Funktionen wie die Verdauung, die Atmung und den Stoffwechsel
- Auch bestimmte Organe wie die Geschlechtsorgane oder die inneren Augenmuskeln werden vom vegetativen Nervensystem beeinflusst
- Das vegetative Nervensystem kann in drei Komponenten eingeteilt werden:
- Sympathisches Nervensystem
- Parasympathisches Nervensystem
- Enterisches Nervensystem
- Sympathisches Nervensystem
Vergleich von Sympathikus und Parasympathikus
Sympathikus | Parasympathikus | |
---|---|---|
Wirkung |
|
|
Merkhilfe | „Fight or Flight“ | „Rest and Digest“ |
Präganglionäre Transmitter | Acetylcholin | |
Postganglionäre Transmitter |
|
|
Rezeptoren |
|
|
Sympathikus
- Der Effekt der ausgeschütteten Neurotransmitter ist abhängig von der Verteilung und Art der Rezeptoren am Erfolgsorgan
- Man kann 5 verschiedene Adrenozeptoren unterscheiden. Es handelt sich dabei um G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
- α₁ ( G
q ) - α2 ( G
i ) - β₁ ( G
s ) - β2 ( G
s ) - β3 ( G
s )
- α₁ ( G
Übersicht über die Verteilung und Wirkung
Erfolgsorgan | Adrenozeptor | Effekt |
---|---|---|
Auge | α₁ |
|
Herz | β₁ |
|
Bronchien
| β2 |
|
Gastrointestinaltrakt
| α₁ |
|
α2 , β₁ , β2 |
| |
Gefäße | α₁ |
|
β2 |
| |
Niere | β₁ |
|
Fettgewebe
| β₁ , β2 , β3 (braunes Fett) |
|
Harnblase | α₁ |
|
Mastzellen | β2 |
|
Uterus | β2 |
|
Leber | β2 |
|
Pankreas | β2 |
|
ZNS | α2 |
|
Zusammenfassung der zentralen Wirkungen der Adrenozeptoren
α₁ |
|
α2 |
|
β1 |
|
β2 |
|
Häufig verwendete Arzneimittel im Rettungsdienst
In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Medikamentengruppen sowie häufig verwendete Arzneimittel im rettungsdienstlichen Kontext vorgestellt. Dabei liegt der Fokus auf Wirkmechanismus, Indikation, Dosierung und praktischen Hinweisen zur Anwendung im Einsatz.
Weitere Informationen findest du in den jeweiligen Lernkarten zu den Medikamenten.
Beta2-Agonisten (β2-Sympathomimetika)
Wirkstoffe:
Inhalative β₂-Sympathomimetika werden je nach Wirkdauer in zwei Gruppen unterteilt:
AchtungFür den Rettungsdienst sind vor allem die kurzwirksamen β₂-Sympathomimetika wie Salbutamol
und Reproterol von Bedeutung.
Wirkung:
- Selektive Aktivierung der β2-Rezeptoren:
- Bronchodilatation
- Tokolyse
(Wehenhemmung ) - Histaminfreisetzung durch Mastzellen ↓
- Vasodilatation
Wirkmechanismen auf die Atemwege:
- Bronchospasmolyse durch Membran-Hyperpolarisation
: Ein Teil der Wirkung erfolgt über die Aktivierung spannungsabhängiger Kaliumkanäle (Kv-Kanäle), was zur Hyperpolarisation der Zellmembran führt → Dadurch wird der Calcium -Einstrom gehemmt und die Muskelkontraktion reduziert → Bronchodilatation - Aktivierung der mukoziliären Clearance: β₂-Sympathomimetika regen die Schleimhautreinigung der Atemwege an, indem sie die Bewegung der Flimmerhärchen (Zilien) fördern. Dies unterstützt den Abtransport von Schleim und Fremdstoffen aus den Bronchien
- Hemmung von Entzündungsmediatoren: Darüber hinaus hemmen β₂-Sympathomimetika die Freisetzung von Entzündungsstoffen aus Mastzellen und anderen Immunzellen. Dadurch tragen sie auch zu einer entzündungshemmenden (antiphlogistischen) Wirkung bei
InfoAnwendungsgebiete
- Asthma bronchiale
- COPD
- Anaphylaxie
Praxisrelevante Hinweise:
- Dosierung Salbutamol
: - Erwachsene: 2,5 - 5 mg inhalativ über O2-Verneblermaske
- Kinder: 0,5 mg/Lebensjahr, max. 2,5 mg inhalativ über O2-Verneblermaske
AchtungFür eine effektive Medikamentenverneblung muss der Sauerstofffluss mindestens 8 Liter pro Minute betragen, um eine ausreichende Tröpfchengröße und Wirkstoffverteilung in den Atemwegen sicherzustellen.
Je nach Literatur kann dieser Wert jedoch zwischen 6 und 10 Liter pro Minute variieren.
TippSalbutamol
wird im Rettungsdienst häufig gemeinsam mit Ipratropiumbromid vernebelt. Die Kombination nutzt zwei unterschiedliche Wirkmechanismen zur Bronchodilatation:
- Salbutamol
wirkt sympathomimetisch - Ipratropium wirkt parasympatholytisch
→ Synergieeffekt: Stärkere und länger anhaltende Bronchienerweiterung
- Dosierung Reproterol
: - Erwachsene: 0,09 mg i.v. über 0,5–1 min (ggf. Wiederholung nach 10–15 min)
- Kinder (ab 3. Lebensmonat): 1 μg/kg KG i.v. über 10 min
Parasympatolytika (Anticholinergika)
Wirkstoff:
- Ipratropiumbromid
Wirkung:
- Hemmung muskaringer Acetylcholinrezeptoren (M₃-Rezeptor) → Bronchodilatation
Wirkmechanismus auf die Atemwege:
- Ipratropiumbromid
blockiert kompetitiv die M₃-Rezeptoren an glatten Muskelzellen der Bronchien → Dadurch wird die Wirkung von Acetylcholin, das physiologisch eine Konstriktion vermittelt, gehemmt → Bronchodilatation
Anwendungsgebiete:
- Bronchiale Obstruktion, z.B. bei:
- Asthma bronchiale
- COPD
- Asthma bronchiale
Praxisrelevante Hinweise:
- Dosierung:
- Erwachsene: 0,5 mg inhalativ über O2-Verneblermaske
- Kinder: 0,25 mg inhalativ über O2-Verneblermaske
AchtungFür eine effektive Medikamentenverneblung muss der Sauerstofffluss mindestens 8 Liter pro Minute betragen, um eine ausreichende Tröpfchengröße und Wirkstoffverteilung in den Atemwegen sicherzustellen.
Je nach Literatur kann dieser Wert jedoch zwischen 6 und 10 Liter pro Minute variieren.
TippIpratropiumbromid
wird im Rettungsdienst häufig gemeinsam mit Salbutamol vernebelt. Die Kombination nutzt zwei unterschiedliche Wirkmechanismen zur Bronchodilatation:
- Salbutamol
wirkt sympathomimetisch - Ipratropium wirkt parasympatholytisch
→ Synergieeffekt: Stärkere und länger anhaltende Bronchienerweiterung
Adrenalin
Wirkung:
- Adrenalin
gehört zu den direkten Sympathomimetika - Es wirkt aktivierend auf 𝛼1-/β1-/β2-Adrenozeptoren:
- 𝛼1: Vasokonstriktion → Anstieg des Blutdrucks
- β1: Positiv chronotrop (Herzfrequenz
↑), positiv inotrop (Kontraktilität↑), positiv lusitrop (Erschlaffungsgeschwindigkeit↑), positiv dromotrop (Erregungsleitung ↑), positiv bathmotrop (Erregbarkeit↑) - β2: Bronchodilatation
Wirkmechanismen auf die Atemwege:
- 𝛼1-Rezeptoren: Adrenalin
aktiviert 𝛼1-Rezeptoren in der glatten Gefäßmuskulatur und führt dadurch zu einer Vasokonstriktion, was den Blutdruck steigert und Schleimhäute abschwellen lässt - β2-Rezeptoren: Bronchodilatation
Die genauen Wirkmechanismen werden im Abschnitt β₂-Sympathomimetika erklärt.
Anwendungsgebiete:
- Anaphylaxie
- Pseudokrupp / Epiglottitis
Praxisrelevante Hinweise:
- Dosierung
- Anaphylaxie:
- Erwachsener: 0,5 mg i.m. in die Oberschenkelaußenseite
- Kinder (6–12 Jahre): 0,3 mg i.m.
- Kinder (<6 Jahre): 0,15 mg i.m.
- Verneblung (bei Bronchospastik oder Pseudokrupp): 2–4 mg pur
- Anaphylaxie:
AchtungFür eine effektive Medikamentenverneblung muss der Sauerstofffluss mindestens 8 Liter pro Minute betragen, um eine ausreichende Tröpfchengröße und Wirkstoffverteilung in den Atemwegen sicherzustellen.
Je nach Literatur kann dieser Wert jedoch zwischen 6 und 10 Liter pro Minute variieren.
MerkeBei der inhalativen Gabe von Adrenalin
ist eine kontinuierliche Überwachung von EKG und Blutdruck zwingend erforderlich. Hierbei kann es zu Tachykardie , Hypertonie und Herzrhythmusstörungen kommen. Diese kardiovaskulären Nebenwirkungen treten insbesondere bei höheren Dosierungen oder bei Patient:innen mit vorbestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf.
Glukokortikoide
Wirkstoff:
- Prednisolon
Wirkung:
- Entzündungshemmend
- Antiallergisch
- Antiödematös
- Immunsuppressiv
Wirkmechanismen auf die Atemwege:
- Entzündungshemmung: Prednisolon
hemmt die Aktivität von Entzündungszellen (z.B. Mastzellen, eosinophile Granulozyten, Makrophagen ) und unterdrückt die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine. Dadurch wird die Schleimhautreizung in den Atemwegen reduziert
- Antiallergische Wirkung: Prednisolon
dämpft allergische Reaktionen durch Hemmung der Histaminwirkung und der Freisetzung anderer Mediatoren aus Mastzellen, was besonders bei Anaphylaxie oder allergischem Asthma wichtig ist - Ödemreduktion: Die Glukokortikoidwirkung führt zu einer Abnahme der Gefäßpermeabilität
→ Schleimhautödem↓- Dies hat eine Verringerung des Atemwegswiderstands zur Folge
- Verstärkung der β₂-Sympathomimetika-Wirkung: Prednisolon
erhöht die Empfindlichkeit der β₂-Rezeptoren, wodurch Bronchodilatatoren wie Salbutamol besser wirken
Anwendungsgebiete:
- Asthma bronchiale
- COPD
- Anaphylaxie
- Pseudokrupp / Epiglottitis
Praxisrelevante Hinweise:
- Dosierung:
- COPD
: - Erwachsene: 50 mg i.v.
- Status asthmaticus:
- Erwachsene: 100 mg i.v.
- Kinder: 2 mg/kg Kg i.v., alternativ 100 mg rektal
- Anaphylaxie:
- Erwachsene: 250 mg i.v.
- Kinder: 2 mg/kg Kg i.v., alternativ: 100 mg rektal
- Pseudokrupp / Epigottitis:
- Kinder: 2 mg/kg Kg i.v., alternativ: 100 mg rektal
- COPD
TippAufgrund der vergleichsweise langen Anschlagszeit soll eine frühzeitige Gabe erfolgen.
Magnesium
Wirkung:
- Mineralstoff
, der als physiologischer Calcium -Antagonist wirkt: - Bronchodilatation
- Membranstabilisierung am Herz
Wirkmechanismen auf die Atemwege :
- Hemmung des Calciumeinstroms: Magnesium
wirkt als physiologischer Calcium -Antagonist und beeinflusst die glatte Muskulatur durch Hemmung des Calcium -Einstroms → Kontraktion der Bronchialmuskulatur nimmt ab → Bronchodilatation - Stabilisierung von Mastzellen: Magnesium
reduziert die Freisetzung von Histamin und anderen Entzündungsmediatoren → Reduktion der bronchialen Reizung - Synergieeffekt mit β₂-Sympathomimetika: Wirkverstärkung von z.B. Salbutamol
, indem es die cAMP-vermittelte Relaxation der Bronchien unterstützt
Anwendungsgebiete:
- Status asthmaticus, nach Versagen der Initialtherapie
Praxisrelevante Hinweise:
- Dosierung:
- 2 g i.v. über 20 Minuten
MerkeMagnesiumsulfat
soll als Kurzinfusion in 100 ml NaCl 0,9 % über 20 Minuten verabreicht werden. Diese langsame Applikation dient der Verträglichkeit und reduziert das Risiko unerwünschter Wirkungen wie Hypotonie oder Herzrhythmusstörungen. Die Gabe soll stets unter EKG- und Blutdrucküberwachung erfolgen.
AchtungBei Kindern ist die Anwendung von Magnesium
im Rettungsdienst nicht vorgesehen, da Sicherheit und Wirksamkeit in dieser Altersgruppe nicht ausreichend belegt sind. Daher sollte Magnesium nur bei Erwachsenen eingesetzt werden.
Quellen
- Duale Reihe Pharmakologie und Toxikologie, 2., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2016. ISBN: 9783131692924
- retten – Notfallsanitäter. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2023. ISBN: 9783132421233
- Taschenatlas Pharmakologie. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2019 ISBN: 9783132426153