Zusammenfassung
Die Pyelonephritis ist eine bakterielle Entzündung des Nierenbeckens (Pyelitis) und des Nierenparenchyms (interstitielle Nephritis), die in akute und chronische Verlaufsformen sowie in unkomplizierte und komplizierte Formen eingeteilt wird. Die häufigste Ursache ist eine aufsteigende Infektion durch Escherichia coli aus der Harnblase, die über die Ureteren in das Nierenparenchym gelangt und dort eine Entzündung auslöst.
Klinisch zeigen sich Flankenschmerzen, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager, Fieber, Schüttelfrost, Dysurie
Die Diagnostik umfasst die körperliche Untersuchung, Urinanalyse mit Leukozyturie
Die Therapie besteht aus einer antibiotischen Behandlung, initial empirisch, später angepasst an das Antibiogramm. Schwere Verläufe erfordern eine stationäre Aufnahme mit intravenöser Antibiotikagabe. Bei Harnwegsobstruktionen (z.B. durch Urolithiasis) ist eine sofortige Harnableitung notwendig. Komplikationen umfassen Nierenabszesse, Urosepsis und die Progression zu einer chronischen Nierenerkrankung.
Epidemiologie
- Eine der häufigsten Harnwegserkrankungen
- Höhere Inzidenz bei Frauen (Männer:Frauen → 1:2)
- Frauen insbesondere im mittleren, reproduktiven Alter (u.a. durch Geschlechtsverkehr, Veränderungen in der Schwangerschaft → oft akuter Verlauf
- Männer insbesondere im höheren Lebensalter (häufig assoziiert mit Harnabflusstörungen bei benignem Prostatasyndrom (BPS) → oft chronischer Verlauf
- Selten: Kinder (meist Mädchen mit vesikoureteralem Reflux) → oft chronischer Verlauf
Ursachen
- Bakterielle Infektion
- Meist durch Aszension von Erregern infolge einer Zystitis (meist Schmierinfektion mit Erregern der physiologischen Darmflora)
- Meist einseitig
- 80-90 % durch Infektion mit Escherichia coli
- Weitere Erreger: Klebsiella pneumoniae > Proteus mirabilis > Enterobacter spp.
- Bei Manipulationen an Harnwegen oder einliegendem Fremdkörper (z.B. Katheter): oft Pseudomonas aeruginosa
- Bei chronischen Verläufen: meist rezidivierende Infektionen durch E.coli, Enterokokken, Staphylococcus aureus, häufig in Verbindung mit Harnwegsobstruktionen
- Selten: Deszension von Erregern durch hämatogene oder lymphogene Streuung bei Septikopyämie; Ausbreitung der Erreger per continuitatem bei infiziertem Nachbargewebe
- Meist durch Aszension von Erregern infolge einer Zystitis (meist Schmierinfektion mit Erregern der physiologischen Darmflora)
InfoRisikofaktoren für obere und untere Harnwegsinfektionen:
- Allgemeine Risikofaktoren:
- Weibliches Geschlecht: durch kürzere Urethra und die anatomische Nähe der Urethra zum Introitus vaginae und Anus
- Menopause: durch hormonelle Veränderungen mit Veränderungen der Schleimhäute
- Häufiger Geschlechtsverkehr → Honeymoon-Zystitis
- Mangelnde Hygiene
- Komplizierende Faktoren:
- Harnabflussstörungen: z.B. Urolithiasis, Urethrastenosen oder -strikturen, benignes Prostatasyndrom (BPS), neurogene Blasenentleerungsstörungen, Nierenfunktionsstörungen mit Restharn >100 ml
- Urogenitale Fehlbildungen: z.B. Fehlmündung des Ureters mit vesikoureteraler Reflux (VUR)
- Einliegende Fremdkörper: dienen als Eintrittspforte für Keime, z.B. transurethraler Dauerkatheter
- Zustand nach Manipulation oder OP am Urogenitaltrakt: z.B. Zystoskopie
- Schwangerschaft: durch hormonelle Veränderungen mit Erweiterung der Ureteren durch Progesteron und Veränderung der intraabdominalen Druckverhältnisse (besonders bei Mehrlingsschwangerschaften) → Pyelonephritis gravidarum
- Diabetes mellitus
: aufgrund von Glucosurie und beeinträchtigter Immunabwehr - Angeborene oder erworbene Immunschwäche: z.B. Immunsuppression Z.n. Transplantation oder bei hämatologisch-onkologischen Erkrankungen, Langzeit-Glukokortikoidtherapie
Pathophysiologie bei Keimaszension
In den Ureteren verbleiben geringe Mengen an Urin, es kommt zu einem Rückstau von Urin bei Harnwegsobstruktionen oder es besteht ein Reflux des Urins → Die am Urothel haftende Bakterien steigen immer weiter bis zu den Nieren auf → Aktivierung des Immunsystems mit Infiltration des Nierenparenchyms mit neutrophilen Granulozyten und anderen Immunzellen → Freisetzung von Zytokinen und Chemokinen sowie Aktivierung von Mastzellen und Makrophagen
Einteilung
Unkomplizierte Pyelonephritis
- Primär, ohne komplizierende Faktoren
- Formen: nur akut
MerkePyelonephritiden bei Frauen im mittleren Alter sind meist unkompliziert!
Komplizierte Pyelonephritis
- Sekundär, durch komplizierende Faktoren (siehe oben)
- Formen: akut oder chronisch
AchtungAls komplizierte Pyelonephritis gelten immer:
- Chronische Pyelonephritis
- Nosokomiale Pyelonephritis: da sie über Manipulationen am Urogenitaltrakt oder einliegende Fremdkörper entsteht
- Pyelonephritis bei Männern bis zum Beweis des Gegenteils (Ausschluss komplizierender Faktoren)
Pathologie
Makroskopische Merkmale
Akute Pyelonephritis | Chronische Pyelonephritis | |
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Gesamtbild |
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Nierenoberfläche |
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Nieren-Schnittfläche |
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Figure out Isling LK, Aalbaek B, Schrøder M, Leifsson PS. Pyelonephritis in slaughter pigs and sows: morphological characterization and aspects of pathogenesis and aetiology. Acta Vet Scand. 2010 Aug 12;52(1):48. doi: 10.1186/1751-0147-52-48. PMID: 20704704; PMCID: PMC2928766.
Mikroskopische Merkmale
Akute Pyelonephritis | Chronische Pyelonephritis | |
Nierenparenchym |
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Nephrone |
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Nephron, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons. Das identische Bild wurde rechts mit Markierungen, Beschriftungen und Pfeilen versehen hinzugefügt.
Klinik
Akute Pyelonephritis
- Fieber und Schüttelfrost: meist als Erstsymptome; oft undulierendes Fieber >38°C
- Starkes Krankheitsgefühl, Schwäche
- Flankenschmerz: meist einseitig, dumpf, zunehmend im Verlauf
- Zystitis-Symptome: Pollakisurie
, Dysurie , Algurie - Übelkeit, Erbrechen, ggf. abdomineller Druckschmerz
- Bei schweren Verläufen mit Urosepsis: Tachykardie
, Hypotonie Selten: Diarrhö
Achtung
Im Kleinkindalter, hohen Alter, bei Immunsuppression und bei autonomer Neuropathie fehlt häufig die typische Klinik einer Pyelonephritis (z.B. fehlender Flankenschmerz)! Bei diesen Patient:innengruppen sollte verstärkt auf unspezifische Symptome wie Verwirrtheit, Inappetenz oder Gedeihstörungen (bei Kleinkindern) geachtet werden.
Chronische Pyelonephritis
Meist eher unspezifische Symptome:
- Krankheitsgefühl, Schwäche
- Subfebrile Temperaturen
- Dumpfe Rückenschmerzen
Diagnostik
MerkeTrias bei akuter Pyelonephritis:
- Fieber
- Flankenschmerz
- Bakteriurie
mit Leukozyturie (Pyurie )
Anamnese
- Symptome: Flankenschmerzen, Veränderungen der Miktion (Pollakisurie
, Dysurie , Algurie ), Fieber, Schüttelfrost - Medikamente: Einnahme von Glukokortikoiden, Chemotherapeutika
- Vorerkrankungen:
- Bekannte Zystitis, bekannte Neigung rezidivierenden Harnwegsinfektionen
- Angeborene oder erworbene Immunschwäche, Diabetes mellitus
- Bekannte Erkrankungen oder Fehlbildungen des Urogenitalsystems und/oder der Nieren
- Vorangegangene Nierenbelastungen: Operationen, einliegende Fremdkörper
- Lebensstil: häufiger Geschlechtsverkehr
- Schwangerschaft, Menopause
Körperliche Untersuchung
- Allgemeinzustand: starkes Krankheitsgefühl, allgemeine Schwäche
- Vitalparameter: Fieber
Palpation: klopfschmerzhaftes Nierenlager
Tipp
Der Flankenschmerz wird von Patient:innen oft als Rückenschmerz beschrieben.
Labor
- Serum:
- Erhöhung der Entzündungsparameter (CRP
↑, BSG↑, Leukozytose mit Linksverschiebung), ggf. erhöhte Nierenretentionsparameter (z.B. Kreatinin , Harnstoff ) - Blutkultur
- Erhöhung der Entzündungsparameter (CRP
- Urin:
- Aussehen: ggf. sichtbare Trübung des Urins (Pyurie
) - Urinstatus: Leukozyturie
, Mikrohämaturie , signifikante Bakteriurie (Keimzahl >105 /ml im Mittelstrahlurin ) und/oder Nitirit positiv - Urinsediment
: Leukozytenzylinder - Urinkultur
: Nachweis von Bakterien, Bestimmung des Resistogramms
- Aussehen: ggf. sichtbare Trübung des Urins (Pyurie
AchtungBei Abszedierung ist aufgrund des abgekapselten Prozesses ein unauffälliger Urinstatus möglich!
InfoEin negativer Nitrittest schließt eine bakterielle Infektion nicht aus, da nicht alle Erreger Nitrit bilden. Ein positives Ergebnis ist jedoch ein starker Hinweis auf eine Infektion mit gramnegativen Bakterien.
Bildgebung
- Sonografie der Nieren
: - Akute Pyelonephritis: ödematöse Schwellung der Niere mit Größenzunahme und verbreitertem, echoarmem Nierenparenchym, ggf. unscharfe Rinden-Mark-Grenze
- Chronische Pyelonephritis: Schrumpfniere, verschmälerte Rinde, deformierte Nierenkelche
- Beurteilung von Nierenabflussstörungen (z.B. sichtbare Hydronephrose, dilatierte Ureteren) oder Abszessen

Kristoffer Lindskov Hansen, Michael Bachmann Nielsen and Caroline Ewertsen, CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via Wikimedia Commons. Es wurden rote Pfeile zur Markierung der Größe sowie eine rote Markierung der Nierenparenchym-Breite hinzugefügt.

Kristoffer Lindskov Hansen, Michael Bachmann Nielsen and Caroline Ewertsen, CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via Wikimedia Commons
AchtungJeder fieberhafte Harnwegsinfekt sollte sonografisch abgeklärt werden!
- CT-Abdomen mit Kontrastmittel: bei unklarem Befund, persistierendem Fieber >72 Std nach Beginn der Antibiose oder Verdacht auf Komplikationen (z.B. Abszessbildung)
- Ggf. MRT-Abdomen: Bestimmung des Ausbreitungsausmaßes der Entzündung
- Bei chronischer Pyelonephritis oder V.a. komplizierende Faktoren wie Obstruktionen/Anomalien des Harntraktes:
- Zystoskopie
- Ausscheidungsurografie
- Urodynamische Untersuchungen
- Nierenfunktionsszintigrafie
Differentialdiagnosen (Auswahl)
- Akute abakterielle interstitielle Nephritis, z.B. bei Lupus-Nephritis
- Akute Zystitis (Pollakisurie
, Dysurie , Algurie - ohne Fieber und Flankenschmerz) - Urolithiasis mit akutem Steinabgang (kolikartiger Schmerz
, kein Fieber) - Rückenschmerzen im Lendenbereich
- Nierenvenenthrombose
- Niereninfarkt
- Gynäkologische Erkrankungen, z.B. Adnexitis
Therapie
Akute Pyelonephritis
- Symptomatische Therapie:
- Bettruhe und Analgetika mit antipyretischer Wirkung zur Linderung von Schmerzen und Fieber
- Steigerung der Diurese durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr (oral, in schweren Fällen Vollelektrolytlösung i.v.)
- Antibiotische Therapie:
- 1. Erstlinientherapie: Breitspektrum-Antibiotika
- Unkomplizierte akute Pyelonephritis: ambulant, p.o.
- 1. Wahl: Fluorchinolone
(z.B. Ciprofloxacin oder Levofloxacin ) - 2. Wahl: Cephalosporine
(z.B. Cefotaxim, Ceftriaxon)
- 1. Wahl: Fluorchinolone
- Komplizierte akute Pyelonephritis: stationär, i.v.
- Amoxicillin/Clavulansäure oder Cephalosporin der 2. Generation (z.B. Cefuroxim) plus Aminoglykosid (z.B. Gentamicin)
- Unkomplizierte akute Pyelonephritis: ambulant, p.o.
- 2. Weitere Therapie: abhängig vom Antibiogramm und Resistogramm
- 1. Erstlinientherapie: Breitspektrum-Antibiotika
AchtungFür den Einsatz von Fluorchinolonen
gibt es Warnhinweise und Rote-Hand-Briefe. Der Einsatz sollte daher noch kritischer Nutzen-Risiko-Abwägung im individuellen Fall und mit Aufklärung der Patient:innen über Risiken und Nebenwirkungen (z.B. QT-Zeit -Verlängerung, Sehnenschäden, Schlafstörungen) erfolgen.
MerkeAufgrund hoher Resistenzen (bis 40%) gegen Ampicillin und Cotrimoxazol
sollten diese in der Therapie einer Pyelonephritis nur bei nachgewiesener Sensibilität des Erregers verwendet werden.
- Interventionelle oder operative Therapie: bei Komplikationen oder komplizierenden Faktoren, z.B.
- Drainage: bei Abszessen
- Harnableitung: bei Harnstau
- Operative Therapie: z.B. bei Obstruktionen
AchtungBei Zeichen einer Urosepsis (z. B. Fieber, Hypotonie, Tachykardie
) ist eine sofortige intensivmedizinische Therapie notwendig!
InfoNach der Behandlung einer akuten Pyelonephritis ist eine Nachkontrolle des Urins (Urinstatus, Urinkultur
) nach etwa 4–6 Wochen empfehlenswert, um sicherzustellen, dass keine rezidivierende Infektion vorliegt.
Chronische Pyelonephritis
- Primäres Therapieziel ist die Behandlung des komplizierenden Faktors, z.B. TUR-P bei benignem Prostatasyndrom (BPS)
- Zusätzlich ggf. prophylaktische Antibiose nach Antibiogramm und lokaler Resistenzlage
- Bei fortgeschrittener chronischer Pyelonephritis mit Funktionslosigkeit der betroffenen Niere: totale Nephrektomie (zur Entfernung des potenziellen Infektionsherdes)
Sonderform: Pyelonephritis gravidarum
Pyelonephritis gravidarum
DefinitionAkute Pyelonephritis während der Schwangerschaft, Auftreten insbesondere im 2. Trimenon
- Ursache:
- Erleichterte Keimaszension durch Progesteron-bedingte Erweiterung der Ureteren sowie erhöhtem Glukosegehalt im Urin
- Veränderte intraabdominelle Druckverhältnisse, insbesondere bei Mehrlingsschwangerschaft
- Weitere komplizierende Faktoren (siehe oben): z.B. vorbestehende Erkrankungen/Anomalien des Urogenitalsystems
- Besonderheiten in der Therapie:
- Antibiotische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure oder Cephalosporinen der 3. Generation (z. B. Cefpodoxim-Proxetil)
- Großzügige stationäre Aufnahme
- Besondere Komplikationen:
- Frühgeburt
- Nierenversagen oder Urosepsis mit Gefährdung der Mutter und des Fötus
AchtungFluorchinolone
sind in der Schwangerschaft kontraindiziert!
AchtungBei Schwangeren muss jede Bakteriurie
(auch die asymptomatische) sofort behandelt werden, um Komplikationen für Mutter und Fötus zu vermeiden!
Komplikationen
- Nierenabszesse → Ggf. Ausbreitung per continuitatem zu para- oder perinephritischem Abszess
- Pyonephrose: Eiteransammlung im Nierenbecken
- Urosepsis
- Entwicklung einer chronischen Pyelonephritis oder rezidivierender Pyelonephritiden, insbesondere bei nicht behobenen komplizierenden Faktoren
- Bei chronischer Pyelonephritis: chronische Nierenerkrankung
(CKD) bis hin zum terminalen Nierenversagen mit Schrumpfniere
Prognose
- Bei frühzeitiger Diagnose und angemessener Therapie ist die Prognose einer unkomplizierten Pyelonephritis in der Regel gut
- Die Prognose verschlechtert sich bei komplizierter Pyelonephritis, insbesondere bei Komplikationen wie Nierenabszessen, chronischer Niereninsuffizienz oder anderen Begleiterkrankungen
- Eine verzögerte oder unzureichende Behandlung kann zu dauerhaften Nierenschäden führen
Vergleich akute und chronische Pyelonephritis
Akute Pyelonephritis | Chronische Pyelonephritis | |
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Einteilung |
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Ursache |
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Makroskopie |
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Mikroskopie |
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Sonografie |
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Therapie |
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Komplikationen |
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Prognose |
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Quellen
- S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen (HWI), Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU)
- S2k-Leitlinie Harnwegsinfektionen im Kindesalter – Diagnostik, Therapie und Prophylaxe, Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie e.V. (GPN)