Zusammenfassung
Unter Sepsis versteht man eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine fehlregulierte Immunantwort auf eine Infektion ausgelöst wird. Das Ungleichgewicht zwischen pro- und antiinflammatorischen Prozessen führt zu einer Schädigung des Organismus.
Die Inzidenz bei Kindern unter einem Jahr in Deutschland wird auf etwa 1.500 Fälle pro 100.000 Einwohner geschätzt.
Die Ätiologie der Sepsis bei Kindern ist vielfältig und wird hauptsächlich durch bakterielle Infektionen verursacht, jedoch können auch Viren, Pilze und Parasiten Auslöser sein. Bei Neugeborenen sind vor allem Gruppe-B-Streptokokken (GBS, Streptococcus agalactiae) und E. coli, während bei älteren Kindern Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae häufiger sind.
Sepsis bei Kindern kann sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern, darunter hohes Fieber
Zur Erregersicherung sollten möglichst vor Antibiotikagabe, Blutkulturen
Die Therapieziele bei Sepsis im Kindesalter sind die Stabilisierung des Kreislaufs, die Eliminierung des Erregers und die Behandlung bzw. Prophylaxe von Gerinnungsstörungen wie einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC). Dies beinhaltet eine frühzeitige und adäquate Antibiotikatherapie, die Identifizierung der Infektionsquelle und die Behandlung oder Entfernung derselben, sowie unterstützende Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen (Volumensubstitution, ggf. Katecholamingabe).
Zur Prävention sind insbesondere die Einhaltung von Hygienemaßnahmen sowie die Beachtung der Impfempfehlungen des Robert Koch-Instituts essenziell, da einige der häufigsten Sepsiserreger im Kindesalter impfpräventabel sind (z.B. Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus influenzae Typ b).
Dieser Artikel bezieht sich auf die Sepsis bei Kindern jenseits der Neonatalperiode. Alle Informationen zur Neugeborenensepsis finden sich im Artikel: systemische Neugeboreneninfektion
Definition
DefinitionAllgemeine Definition
Unter Sepsis versteht man eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine fehlregulierte Immunantwort auf eine Infektion durch Bakterien, Viren, Pilze oder Protozoen ausgelöst wird. Das Ungleichgewicht zwischen pro- und antiinflammatorischen Prozessen führt zu einer Schädigung des Organismus.
Definition der Sepsis im Kindesalter gemäß den Phoenix-Sepsis Score (2024):
Im Jahr 2024 wurde im Rahmen eines internationalen Konsensus der Phoenix Sepsis Score (PSS) vorgestellt, der speziell zur Diagnose von Sepsis und septischem Schock
InfoDer Phoenix Sepsis Score ist kein Screening-Instrument für unselektierte Patient:innen, sondern wird nur bei klinischem Verdacht auf eine Sepsis eingesetzt, um die Diagnose zu sichern und den Schweregrad zu bestimmen.
- Im Kindesalter liegt eine Sepsis vor bei:
- (Vermuteter) Infektion plus ≥2 Punkten im Phoenix Sepsis Score
- Ein septischer Schock
liegt vor bei: - Diagnostizierter Sepsis plus ≥ 1 Punkt im Bereich Hämodynamik im Phoenix Sepsis Score
Parameter | 0 Punkte | 1 Punkt | 2 Punkte | 3 Punkte |
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Oxygenierungsindex | PaO2:FiO2 ≥400 oder SpO2:FiO2 ≥292 | PaO2:FiO2 <400 unter jeglicher O2-Gabe oder Beatmung | PaO2:FiO2 100-200 unter invasiver Beatmung | PaO2:FiO2 <100 unter invasiver Beatmung |
Hämodynamik Teil 1 (vasoaktive Medikamente* + Laktat im Serum) | Keine vasoaktiven Medikamente* Laktat <5 mmol/l | 1 vasoaktives Medikament* Laktat 5-10,9 mmol/l (jeweils 1 Punkt, max. 2) | ≥2 vasoaktive Medikamente* Laktat ≥11 mmol/l (jeweils 2 Punkte, max. 4) | |
Hämodynamik Teil 2 (mittlerer arterieller Blutdruck/MAD in mmHg) | <1 Mo: >30 1-11 Mo: >38 1- <2J: >43 2- <5J: >44 5- <12J: >48 12-17J: >51 | <1 Mo: 17-30 1-11 Mo: 25-38 1- <2J: 31-43 2- <5J: 32-44 5- <12J: 36-48 12-17J: 38-51 | <1 Mo: <17 1-11 Mo: <25 1- <2J: <31 2- <5J: <32 5- <12J: <36 12-17J: <38 | |
Gerinnung | Thrombozyten INR ≤1,3 D-Dimer ≤2mg/l Fibrinogen | Thrombozyten INR >1,3 D-Dimer >2mg/l Fibrinogen (jeweils 1 Punkt, max. 2) | ||
Neurologie | GCS Pupillen- | GCS | Beidseits lichtstarre Pupillen |
Epidemiologie
Jährlich sind weltweit schätzungsweise 1,2 Millionen Kinder von einer Sepsis betroffen.
Besonders gefährdet sind:
- Frühgeborene, Neugeborene und Säuglinge
→ Erhöhtes Risiko für systemische Infektionen aufgrund eines unreifen Immunsystems - Kinder mit Immunsuppression oder chronischen Erkrankungen
→ Beispielsweise bei onkologischen Erkrankungen oder angeborenen Immundefekten - Kinder mit Fehlbildungen oder Intensivpflichtigkeit
→ Erhöhtes Infektionsrisiko durch invasive Maßnahmen und anhaltend eingeschränkte Organfunktionen
Erregerspektrum
Die Erreger einer Sepsis variieren je nach Altersgruppe, Immunkompetenz und lokaler Epidemiologie. Bakterien sind die häufigsten Auslöser, doch auch Viren und Pilze spielen, insbesondere bei immungeschwächten Patient:innen, eine Rolle.
Neonatalperiode (≤ 28 Tage)
In der Neonatalperiode dominieren spezifische Erreger, insbesondere:
- Gruppe-B-Streptokokken (GBS)
- Escherichia coli (E.coli)
Für detaillierte Informationen siehe Artikel: systemische Neugeboreneninfektion
Jenseits der Neonatalperiode
Die häufigsten Erreger sind hier:
- Bakterien:
- Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken)
- Neisseria meningitidis (Meningokokken)
- Haemophilus influenzae
- Staphylococcus aureus, inklusive Methicillin-resistenter Stämme (MRSA) (grampositive Haufenkokken)
- Gramnegative Erreger wie Escherichia coli, Klebsiella spp. und Pseudomonas aeruginosa
- Viren:
- Enteroviren
- Herpesviren (z.B. Herpes-simplex-Virus)
- Pilze (insbesondere bei immungeschwächten Kindern):
- Candida spp. (Hefepilze)
- Aspergillus spp. (Schimmelpilze)
Klinik
Die klinischen Zeichen einer Sepsis im Kindes- und Jugendalter sind oft unspezifisch und hängen vom Infektionsfokus sowie vom Ausmaß der Organdysfunktion ab. Eine frühzeitige Erkennung ist essenziell, da die Symptome zunächst subtil sein können und sich rasch verschlechtern können.
TippDie erschwerte Anlage eines peripheren Zugangs kann ein Hinweis für das Vorliegen einer eventuellen Zentralisation als Symptom einer schweren Grunderkrankung sein.
- Allgemeine Symptome
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Fieber (auch Hypothermie möglich), oft begleitet von Schüttelfrost
- Bewusstseinseinschränkungen (z. B. Lethargie, Somnolenz)
- Herz-Kreislauf-System
- Hypotonie
- Tachykardie
, im Verlauf Bradykardie +
- Haut
- Verlängerte Rekapillarisierungszeit
durch eingeschränkte Mikrozirkulation - Petechien
und Purpura (Hinweis auf eine disseminierte intravasale Gerinnungsstörung oder das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom )
- Verlängerte Rekapillarisierungszeit

“Purpura” von User:Hektor, CC BY-SA 3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/, via Wikimedia Commons
- Atmungssystem
- Tachypnoe (schnelle Atmung, oft Hinweis auf eine beginnende respiratorische Insuffizienz)
- Je nach Infektionsfokus weitere spezifische Symptome:
- Bronchialer Fokus: Husten
, Sputum -Auswurf , thorakale Einziehungen - Abdomineller Fokus: Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Zeichen einer Peritonitis
- Urologischer Fokus: Polyurie
oder Anurie - Neurologischer Fokus:
- Bewusstseinseinschränkung
- Epileptische Anfälle
- Zeichen eines erhöhten Hirndrucks (z. B. Kopfschmerzen
, Papillenödem) - Meningismuszeichen
- Wundinfektion (postoperativ oder katheterassoziiert): Lokale Entzündungszeichen an der Wunde, wie Rötung, Schwellung, Schmerz oder Eiteraustritt
- Bronchialer Fokus: Husten
MerkeBei Bewusstseinseintrübung oder dem Auftreten von Petechien
sollten alle Alarmglocken läuten. Bis zum sicheren Ausschluss einer Sepsis müssen umgehend diagnostische und therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden.
Diagnostik
1. Anamnese
- Beginn, Art und Verlauf der Symptome
- Vorerkrankungen (z.B. Immunsuppression)
- Erkrankte Kontaktpersinen
- Reiseanamnese
- Impfstatus (z.B. Pneumokokken, Meningokokken, Hib)
- Verlauf von Schwangerschaft und Geburt
2. Körperliche Untersuchung
- Kreislauf: Herzfrequenz
(Tachykardie als Frühsymptom), Zentralisation (blasse, kühle Haut, verlängerte Rekapillarisierungszeit > 2 Sekunden) - Atmung: Atemfrequenz
, Atemarbeit (Einziehungen, Nasenflügeln), Oxygenierung (SpO₂) - Neurologie: Bewusstseinslage, adäquate Reaktionfähigkeit
- Gerinnung: Petechien
, Purpura (Hinweise auf eine DIC)
3. Labordiagnostik
- Initial: Blutgasanalyse
mit Laktat, Säure-Basen-Status , Glukose - Blutbild
mit Differentialblutbild - Entzündungsparameter: CRP
, Procalcitonin (PCT ), Interleukin -6/8 - Gerinnung: Hinweise auf eine disseminierte intravasale Gerinnung:
- Quick-Wert
↓, Fibrinogen ↓, Thrombozyten ↓ - D-Dimere
↑, aPTT ↑, Blutungszeit ↑
- Quick-Wert
- Nierenwerte
: Kreatinin , Elektrolyte - Leberwerte: Transaminasen
, Bilirubin
Spezifische Erregerdiagnostik:
- Blutkulturen
: - Mindestens 2 Kulturen aus unterschiedlichen Stellen (inkl. ZVK
) - Volumen: ≥1 ml (größere Kinder 3–10 ml)
- In der Regel aerobe Kulturen ausreichend, anaerobe bei spezifischer Indikation (z.B. Abszesse, Mukositis)
- Mindestens 2 Kulturen aus unterschiedlichen Stellen (inkl. ZVK
- Weitere Probenmaterialien je nach Infektionsfokus:
- Liquorpunktion bei Verdacht auf eine Meninigitis
- Urin
- Trachealsekret
- Punktate (z.B. Pleuraerguss
) - Wundabstriche
- Katheterspitzen
TippStrikte Hygienemaßnahmen (inkl. ausreichender Einwirkzeit des Desinfektionsmittels) und sterile Blutentnahme senken das Kontaminationsrisiko und reduzieren falsche Befunde in den Blutkulturen
.
AchtungEin negativer Erregernachweis schließt eine Sepsis nicht aus (z.B. bei schwer anzüchtbaren Erregern oder Antibiotikatherapie vor Abnahme).
4. Apparative Diagnostik
MerkeDie hämodynamische Situation kann sich bei Sepsis rasch verschlechtern. Ein engmaschiges hämodynamisches Monitoring
ist daher essenziell, um Kreislaufinstabilität frühzeitig zu erkennen und zeitgerecht zu therapieren.
- Hämodynamisches Monitoring
: - Herzfrequenz
, Blutdruck, Atemfrequenz , Sauerstoffsättigung , Körpertemperatur - Bei liegendem ZVK
: zentrale oder gemischt-venöse O₂ -Sättigung
- Herzfrequenz
- Fokusspezifische Bildgebung:
- Sonografie: Abdomen, Lunge
, Nieren, Schädel (bei Säuglingen durch die Fontanellen) - Echokardiografie
- Röntgen-Thorax
- MRT (bei neurologischen Symptomen), alternativ kraniales CT (CCT)
- Sonografie: Abdomen, Lunge
Therapie
1. Kausale Therapie
- Antibiotische Therapie:
- Sofortiger Therapiebeginn innerhalb von 1 Stunde nach Sepsisverdacht
- Blutkulturen
vor Beginn der Antibiotikatherapie abnehmen, aber keine Verzögerung der Antibiotikagabe - Empirische Initialtherapie:
- Ambulant erworbene Sepsis: Cefotaxim oder Ceftriaxon (± Aminoglykosid
) oder Piperacillin-Tazobactam - Abdomineller Fokus: Ceftriaxon + Metronidazol
oder Piperacillin-Tazobactam oder Meropenem - Nosokomiale Sepsis/Immunsuppression: Piperacillin-Tazobactam + Aminoglykosid
oder Meropenem (± Vancomycin/Teicoplanin) - MRSA-Verdacht: Ergänzung von Vancomycin oder Linezolid
- Ambulant erworbene Sepsis: Cefotaxim oder Ceftriaxon (± Aminoglykosid
- Deeskalation nach 48-72 Stunden basierend auf Erregernachweis, Resistogramm und klinischem Verlauf
- Therapiedauer: i.d.R. 7-10 Tage, bei komplizierten Infektionen (z.B. S. aureus) ggf. 14-21 Tage
- Antimykotische Therapie:
- Nur bei Hochrisiko-Patient:innen (z.B. Immunsuppression)
- Empirisch Echinocandine (z.B. Caspofungin) oder liposomales Amphotericin B
MerkeSepsis im Kindesalter ist ein infektiologischer Notfall. Schnelles Handeln verbessert die Prognose erheblich. Die Therapie sollte regelmäßig reevaluiert und entsprechend dem Erreger und vorhandenen Resistenzen angepasst werden.
2. Adjuvante Therapie
- Kreislaufstabilisation:
- Flüssigkeitsgabe: 20 ml/kg balancierte Kristalloide, ggf. wiederholt
- Katecholamine
bei unzureichender Kreislaufstabilität (z.B. Adrenalin , Noradrenalin )
- Glucocorticoide
: - Nur bei nachgewiesenem Hypocortisolismus oder therapierefraktärem septischem Schock
- Gabe von Hydrocortison
(50 mg/m²/24 h)
- Nur bei nachgewiesenem Hypocortisolismus oder therapierefraktärem septischem Schock
- Protein-C
-Konzentrat: - Erwägung bei Purpura fulminans (z.B. Meningokokken-Sepsis)
- Glukosekontrolle:
- Ziel: Blutzucker <150 mg/dl, ggf. Insulintherapie
- Ernährung:
- Beginn der Ernährung nach klinischem Zustand
- Immunglobuline
: - Keine generelle Empfehlung, erwägbar bei Streptokokken-Toxischem Schocksyndrom (STSS)
MerkePiperacillin-Tazobactam eignet sich unabhängig vom Fokus als kalkulierte Initialtherapie bei ambulant erworbener Sepsis im Kindesalter.
3. Operative Therapie
- Die frühzeitige Sanierung des Infektionsfokus ist eine zentrale Säule der Sepsisbehandlung und verbessert das Outcome signifikant.
- Indikationen zur operativen Sanierung:
- Abszesse, Empyeme
→ Drainage (z.B. Pleuraempyem , intraabdominelle Abszesse) - Nekrotisierende Fasziitis, Weichteilinfektionen → Debridement
- Perforierte Organe (z.B. Appendizitis, Darmperforation) → chirurgische Versorgung (z.B. Appendektomie, Naht der Perforation, ggf. Anlage eines Stomas)
- Fremdkörperinfektionen (z.B. infizierte Katheter, Prothesen) → Explantation
- Abszesse, Empyeme
Prognose
- Mortalität: Die Letalität bei schwerer Sepsis im Kindesalter liegt in Industrieländern mit hoher medizinischer Versorgung zwischen 2,5 % und 17,5 %
- Klinische Marker: Verlängerte Rekapillarisierungszeit
und erhöhtes Laktat (>4 mmol/l) deuten auf ungünstigen Verlauf hin
MerkeSepsis im Kindesalter ist insgesamt nicht häufig, aber unter den Kindern, die versterben, ist Sepsis eine der häufigsten Todesursachen.
Prävention
- Händehygiene
: Desinfektion (z.B. mit Octenidin) vor invasiven Maßnahmen - ZVK
-Management: Auswahl, Pflege und Wechsel nach Standards - Antiinfektiva-Prophylaxe: Bei Immunsuppression (z. B. Antibiotika
, Taurolidin-/Ethanol-Block am ZVK ) - Surveillance-Programme: Monitoring von lokalen Infektionen und Resistenzen
- Impfungen: Vollständige Immunisierung gegen relevante Erreger:
- Pneumokokken, Haemophilus influenzae Typ b, Meningokokken und Influenza.
- Besondere Berücksichtigung von Impfungen bei Kindern mit Grunderkrankungen oder funktioneller Asplenie
Quellen
- S3-Leitlinie Sepsis - Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge, Deutsche Sepsis Gesellschaft e. V.
- S2-Leitlinie Leitlinie Sepsis bei Kindern jenseits der Neonatalperiode, Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e.V. (GNPI)