Einleitung
Die Patientenübergabe und Patientenvorstellung sind wichtige Aufgabe im medizinischen Berufsalltag, insbesondere für Assistenzärzt:innen, Medizinstudierende in der Famulatur
Eine strukturierte und klare Kommunikation ist dabei entscheidend, um die wichtigen Informationen verständlich zu vermitteln und eine kontinuierliche Versorgung der Patient:innen sicherzustellen. Eine gute Vorbereitung und ein fokussierter Ablauf ohne Störungen sind dabei wichtig.
InfoAbhängig von der Situation und der Art der Vorstellung/Übergabe sollte die Länge angepasst werden:
- Übergaben an die nächste Schicht können ausführlich sein
- Patientenvorstellungen auf der Visite
, sollten in der Regel etwas kürzer als die Übergabe sein, aber dennoch ausreichend über den Aufnahmegrund, den Verlauf, die aktuelle Situation und die geplanten Maßnahmen informieren - Patientenvorstellungen in der Frühbesprechung sollten sehr kurz sein und in der Regel nur das Alter, den Namen und den Aufnahmegrund darstellen
Leitspruch: So kurz wie möglich, so ausführlich wie nötig
Ablauf

Die Patientenübergabe sollte immer in einer ruhigen Umgebung ohne Störungen stattfinden, damit eine ungestörte Kommunikation möglich ist. Wichtig ist es, alle relevanten Informationen systematisch zu übermitteln. Dabei sollte auf folgende Aspekte eingegangen werden:
- Patientenidentifikation: Name, Alter sowie Aufnahmedatum
- Aufnahmegrund und Grunderkrankung
- Diagnosen: Angabe der Hauptdiagnose und relevanter Nebendiagnosen
- Verlauf: Erfolgte Diagnostik, Komplikationen und Therapie
- Aktueller Zustand: Wie geht es dem/der Patient aktuell? Hauptproblem, aktuelle Beschwerden, relevante Untersuchungsergebnisse und Vitalparameter
- Warum ist der/die Patient aktuell noch auf Station?
- Was sind die aktuellen Probleme?
- Was sind aktuell relevante Befunde und wie werden diese interpretiert? (z. B. auffällige Vital- oder Laborwerte)
- Medikation: warum werden bestimmte Medikamente gegeben und ist eine Änderung notwendig? (z.B. Antibiose → warum und bis wann?) Besonders wichtige Medikationen, wie zum Beispiel Antikoagulantien
, Immunsuppressiva oder Antibiotika sollten erwähnt werden
- Geplante diagnostische, therapeutische und organisatorische Schritte
- Was sind ausstehende To-Dos und die nächsten Schritte? Welche Untersuchungen, Eingriffe oder Medikationsanpassungen sollten erfolgen?
- Besondere Risiken: Allergien, Sturzgefahr oder Probleme, die in der letzten Zeit aufgetreten sind
- Zeit für Rückfragen einplanen
TippBei der Übergabe oder Vorstellung von Patient:innen kann man sich an der Visitendokumentation bzw. am Verlaufseintrag orientieren.
Schemata
ISBAR-Schema:
Ein bewährtes Schema für die Patientenübergabe ist das ISBAR-Schema. Dieses Schema hilft dabei, alle wichtigen Informationen in logischer Reihenfolge zu übermitteln:
- I (Identify): Patientenidentifikation (Name, Alter, Geschlecht)
- S (Situation): Aktuelle Situation, Hauptproblem, warum der Patient zur Behandlung da ist
- B (Background): Hintergrundinformationen, Vorerkrankungen, relevante Anamnese
- A (Assessment): Einschätzung des aktuellen Zustands, Diagnosen, Untersuchungsergebnisse
- R (Recommendation): Empfehlungen für das weitere Vorgehen und die weitere Diagnostik und Behandlung, nächste Schritte
SOAP-Schema
Das SOAP-Schema eignet sich besonders gut für die Dokumentation und Vorstellung von Patienten:
- S (Subjective): Subjektive Beschwerden des Patienten (z.B. Schmerzen oder Übelkeit)
- O (Objective): Objektive Befunde (z.B. Vitalparameter, Laborwerte, weitere Untersuchungsergebnisse)
- A (Assessment): Einschätzung, Analyse der Befunde, Diagnose
- P
(Plan): Weiteres Vorgehen, weitere organisatorische, diagnostische oder therapeutische Schritte
SINNHAFT-Schema
Das SINNHAFT-Schema
- S (Situation): Aktuelle Situation, was ist das Hauptproblem und was sind die weiteren Probleme des Patienten?
- I (Informationen): Wichtige Hintergrundinformationen wie Vorerkrankungen oder relevante Anamnese
- N (Neuigkeiten): Neue Befunde oder Entwicklungen seit der letzten Übergabe
- N (Notwendigkeit): Welche Maßnahmen sind dringend notwendig, was muss sofort geschehen?
- H (Hintergrund): Weitere Details wie Allergien, Medikation, Verlauf, Besonderheiten
- A (Aktueller Zustand): Aktueller Status des Patienten, einschließlich Vitalparameter und Befunde
- F (Fortschritt): Welche Veränderungen sind erfolgt, wie hat sich der Zustand des Patienten entwickelt?
- T (To-Dos): Nächste Schritte, geplante Untersuchungen oder therapeutische Maßnahmen sowie organisatorische Schritte
ATMIST-Schema
Das ATMIST-Schema wird häufig bei der Übergabe im präklinischen Bereich und im Schockraum
- A (Age): Alter des Patienten
- T (Time): Zeitpunkt des Ereignisses
- M (Mechanism): Mechanismus der Verletzung (z.B. Verkehrsunfall/Hochrasanztrauma)
- I (Injuries): Verletzung(en), die festgestellt wurden
- S (Signs): Vitalparameter (z.B. Atemfrequenz
, Blutdruck, Herzfrequenz , Temperatur) → am besten nach dem xABCDE-Schema - T (Treatment): Bisher durchgeführte Maßnahmen (z.B. Medikamente, Immobilisation, Sauerstoffgabe
)
Tipps
AchtungBeeinflussbare Faktoren, die sich negativ auf die Übergabe auswirken können
- Starke Hierarchien
- Verwendung vieler Fachtermini und fehlendes Verständnis für diese
- Mangelhafte Einarbeitung in die Abläufe
- Sprachbarrieren
- Müdigkeit
- Ablenkung
- Geräuschkulisse
- Zeitdruck
- Fehlender Blickkontakt
- Angst vor
Verurteilung
TippKommunikation
- Ehrlich, klar, professionell und sachlich
- Fokussiert auf die wichtigen Informationen
- Alle einbeziehend
- Standardisiert
Viele weitere Tipps für eine gute Kommunikation im Team findest du im folgenden Artikel:
Kommunikation: praktische Tipps
Übergabe gut vorbereiten:
- Vorbereitung: Vor
der Übergabe alle relevanten Informationen zusammenstellen und strukturieren und sich auf die Übergabe vorbereiten. Ggf. kann es helfen eine Checkliste zu erstellen, um sicherzustellen, dass keine wichtigen Informationen vergessen werden. Diese Checkliste kann bei der Übergabe auch überreicht werden - Arbeitsplatz sauber und aufgeräumt übergeben: Vor
der Übergabe sollte der Arbeitsplatz aufgeräumt und ggf. gesäubert werden. Wenn ein Telefon übergeben wird, sollte dies aufgeladen sein. Stationslisten sollten ggf. vorher ausgedruckt werden, sodass direkt mit der Übergabe gestartet werden kann - Dokumentation aktualisieren: Die Dokumentation sollte nach Möglichkeit vor
der Übergabe aktualisiert werden. So kann sich der nächste Dienst bei Unklarheiten anhand der Dokumentation informieren
Ruhige und ungestörte Umgebung:
- Ruhige Umgebung schaffen: Die Patientenübergabe sollte in einer ruhigen Umgebung stattfinden. Im klinischen Setting werden ca. 50% der Übergaben gestört. Hierdurch gehen viele Informationen verloren
- Geräuschkulisse reduzieren: Eine möglichst geringe Geräuschkulisse hilft, die Konzentration aufrechtzuerhalten und Missverständnisse zu vermeiden
- Während der Übergabe keine privaten Gespräche oder Ablenkungen: Während der Übergabe sollten keine privaten Gespräche geführt werden oder Ablenkungen (z.B. aufs Handy schauen) erfolgen
Informationsvermittlung:
- Konzentration auf das Wesentliche: Die Übergabe sollte auf die wichtigsten Informationen begrenzt sein, da das Kurzzeitgedächtnis maximal 4-7 Informationen speichern kann. Mitschreiben ist daher sinnvoll. Die wichtigsten Informationen sollten hervorgehoben werden
- Anpassung an die Situation: Je nach Situation sollte die Menge der Informationen angepasst werden. Bei einer Übergabe, der Vorstellung auf einer Visite
oder der Vorstellung in der Frühbesprechung ist ggf. ein unterschiedlich hoher Detailgrad sinnvoll.
- Anpassung an die Situation: Je nach Situation sollte die Menge der Informationen angepasst werden. Bei einer Übergabe, der Vorstellung auf einer Visite
- Prägnante Ausdrucksweise: Informationen sollten kurz dargestellt und auf den Punkt gebracht werden. Fachbegriffe sind präzise zu nutzen, um Missverständnisse zu vermeiden. Es sollte darauf geachtet werden, dass alle ein gleiches Verständnis der Fachbegriffe haben
- Auf Wissensschatz und Erfahrung des Empfängers anpassen: Die Übergabe sollte auf den Wissensstand und die Erfahrung des Empfängers abgestimmt sein. Jungen Assistenzärzt:innen sollte man ggf. eine ausführlichere Übergabe machen und sie motivieren, Fragen zu stellen
- Auf Aufmerksamkeit achten: Bei der Übergabe sollte man auf die eigene Aufmerksamkeit, aber auch auf die Aufmerksamkeit des Empfängers achten. Wenn man selbst oder der Empfänger unaufmerksam wird, sollte gegebenenfalls pausiert werden
- Nur eine Person sollte sprechen: Es sollten nur diejenigen sprechen, die die Übergabe senden und empfangen. Beide Seiten sollten einander ausreden lassen. Andere Personen sollten nicht sprechen, um die Geräuschkulisse zu reduzieren und Missverständnisse zu vermeiden
- Standardisiertes Schema und Raum: Die Nutzung eines standardisierten Schemas und eines festen Raumes kann dabei helfen, alle wichtigen Informationen in einer ruhigen und ungestörten Umgebung zu übermitteln und die Effektivität der Übergabe zu erhöhen
- Kritische Überprüfung der Informationen: Die Informationen sollten kritisch hinterfragt werden. Bei Unklarheiten sollte nachgefragt und ggf. später selbst nochmal überprüft werden
Stetige Verbesserung und offener Austausch im Team:
- Feedback einholen: Feedback von Kollegen einholen, um die Übergabe kontinuierlich zu verbessern
- Nicht verurteilen: Wenn eine Aufgabe aufgrund eines hohen Zeitdrucks nicht erledigt wurde oder etwas nicht optimal gelaufen ist, sollte die andere Person nicht verurteilt oder über sie gelästert werden. Man sollte lieber offen besprechen, wie die Dinge in Zukunft optimiert werden können
- Fälle diskutieren: Bei der Übergabe kommen häufig mehrere Kolleg:innen zusammen. Daher kann die Übergabe ein wichtiger Zeitpunkt sein, um die Fälle einmal gemeinsam zu besprechen und zu reflektieren. Häufig fallen in der Übergabe noch notwendige ToDos oder neue Befunde auf. Nimmt man sich Zeit für die Übergabe und lässt Nachfragen und Diskussionen zu, kann dies die Versorgungsqualität erhöhen
Beispiele
Patientenübergabe:
Vor der Übergabe:
- Der Fall wurde noch einmal gründlich aufgearbeitet
- Alle relevanten Informationen wurden auf einem Blatt Papier in Stichpunkten zusammengefasst
- Der Verlaufseintrag und der Entlassungsbrief
wurden aktualisiert - Alle, für die die Übergabe relevant ist, gehen zusammen in einen ruhigen Raum zur Übergabe
- Nicht an der Übergabe beteiligte werden darüber informiert, dass nun die Übergabe erfolgt und nach Möglichkeit keine Störungen erfolgen sollten. In Notfallsituationen kann natürlich jederzeit eine Unterbrechung erfolgen
- Die Empfänger erhalten eine ausgedruckte Stationsliste und Zeit, um sich vorzubereiten
Übergabe:
I (Identify):
- Frau Müller ist eine 68 Jahre alte Patientin …
S (Situation):
- … und wurde gestern mit einer Pneumonie
aufgenommen. Aktuell besteht neben produktivem Husten eine leicht zunehmende Dyspnoe. Sie ist aktuell febril , mit Temperaturen bis zu 39,2°C. Die Sauerstoffsättigung beträgt 90% unter Gabe von 3 Litern Sauerstoff pro Minute, die Atemfrequenz ist mit 21 Atemzügen pro Minute leicht erhöht. Der Blutdruck und die Herzfrequenz befinden sich im Normbereich. Im Laborbefund zeigen sich steigende CRP - und Leukozytenwerte. Das Procalcitonin stellt sich ebenfalls erhöht dar. In der Blutkultur ist bisher noch kein Erregernachweis erfolgt.
B (Background):
- Relevante Vorerkrankungen sind eine COPD
Grad III sowie eine arterielle Hypertonie - Sie wurde initial mit Ampicillin/Sulbactam behandelt
- Sie benötigt zusätzlich Sauerstoff
via Nasenbrille (3L/min)
A (Assessment):
- Die aktuelle Verschlechterung könnte auf ein unzureichendes Antibiotikawirksamkeit zurückzuführen sein
R (Recommendation):
- Eskalation auf Piperacillin/Tazobactam → bei Vorliegen von positiven Blutkulturen
ggf. Anpassung an das Antibiogramm - Sauerstoffgabe
anpassen (beachten, dass eine COPD vorliegt) - Regelmäßige BGA
-Kontrollen der Blutgase - Monitoring der Vitalparameter
- Abnahme von weiteren Blutkulturen
- Ggf. erneutes Röntgen-Thorax
oder erweiterte bildgebende Diagnostik mit CT -Thorax - Regelmäßige Verlaufskontrollen der Entzündungswerte
Nach der Übergabe:
- Nach der Übergabe werden offene Fragen geklärt
Patientenvorstellung auf Visite :
Vor der Visite :
- Der Fall wurde noch einmal gründlich aufgearbeitet
- Alle relevanten Informationen wurden auf einem Blatt Papier in Stichpunkten zusammengefasst
- Alle, für die die Patientenvorstellung relevant ist, stehen zusammen auf dem Flur vor
dem Patientenzimmer. Es befinden sich keine anderen Patient:innen in Hörreichweite, sodass eine Vorstellung unter Wahrung des Datenschutzes und der Privatsphäre des/der Patient:in erfolgen kann
Die Vorstellung:
Herr Meier ist ein 65 Jahre alter Patient, der gestern mit einem akuten ST-Hebungsinfarkt aufgenommen wurde.
Herr Meier stellte sich gestern mit plötzlich aufgetretenen, starken retrosternalen Schmerzen in der Notaufnahme vor
Im Rahmen der Koronarangiografie
Heute ist Herr Meier hämodynamisch stabil. Die Vitalparameter sind unauffällig, der Blutdruck liegt bei 125/80 mmHg, die Herzfrequenz
Er
Die Verlaufskontrolle der Troponinwerte und eine Echokardiographie
Nach der Vorstellung:
- Nach der Patientenvorstellung werden offene Fragen geklärt