Wachstum beschreibt die Zunahme der Körpergröße über die Zeit und ist ein komplex regulierter Prozess, der durch genetische, endokrine, nutritive und psychosoziale Faktoren beeinflusst wird. Besonders relevant für das Längenwachstum ist die Aktivität der Epiphysenfugen, deren Chondrozytenproliferation durch Hormone wie Wachstumshormon (GH) und insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) gesteuert wird.
Während in der frühen Kindheit Ernährung und genetische Faktoren dominieren, bestimmen in der Kindheitsphase vor allem GH und IGF-1 das Wachstum. In der Pubertät übernehmen Sexualsteroide wie Testosteron und Östradiol eine zentrale Rolle, die über die Epiphysenfugen schließlich auch das Längenwachstum beenden.
Physiologie und Regulation des Längenwachstums
Endokrine Regulation:
GH (Somatotropin) wird pulsatil im Hypophysenvorderlappen sezerniert und wirkt über den GH-Rezeptor
GH induziert die IGF-1-Synthese in der Leber (sowie lokal im Wachstumsknorpel)
IGF-1 vermittelt proliferative Effekte auf epiphysäre Chondrozyten
Weitere Einflussfaktoren: Schilddrüsenhormone, Glukokortikoide, Insulin, Sexualhormone
ICP-Modell nach Karlberg:
Das ICP-Modell beschreibt die drei Hauptphasen des Größenwachstums:
Infantile Phase (I):
Wachstum durch Ernährung und intrauterine Faktoren
Childhood Phase (C):
GH/IGF-1-basiertes Längenwachstum
Pubertätsphase (P):
Anstieg der Sexualsteroide → Wachstumsschub und Schluss der Epiphysenfugen
Diagnostik des Wachstums:
Die Beurteilung des kindlichen Wachstums erfolgt in der klinischen Praxis vor allem mithilfe von Wachstumskurven, in denen Körperlängen, -gewichte oder BMI-Werte in Bezug zu Alters- und Geschlechtsperzentilen dargestellt werden. Diese Perzentilen(z. B. 3., 10., 50., 90., 97.) repräsentieren die Streuung in der gesunden Bevölkerung.
“Weight-for-age-girls de.svg” von derivative work: FischX (talk)Weight-for-age-girls.svg: *derivative work: FischX (talk)Weight-for-age-girls.jpg: National Center for Health Statistic, Public domain, via Wikimedia Commons
Beispielgrafik für eine Perzentilenkurve
Die 50. Perzentile entspricht dem Median (Durchschnitt)
Kinder unterhalb der 3. Perzentile gelten als kleinwüchsig
Kinder oberhalb der 97. Perzentile gelten als großwüchsig
Im Säuglings- und Kleinkindalter sind Perzentilen besonders bedeutsam, da in dieser Phase das Wachstum sehr dynamisch verläuft. Eine einmalige Messung auf der 3. oder 97. Perzentile ist dabei nicht zwangsläufig pathologisch – ausschlaggebend ist der Verlauf über die Zeit, insbesondere ein Absinken über zwei Perzentilenlinien oder eine deutliche Abflachung der Wachstumskurve.
Neben den Längenkurven sind auch Gewichts- und BMI-Perzentilen wichtig, um z. B. Mangelernährung, endokrine Störungen oder psychosoziale Belastung zu erkennen. Die Verwendung von geschlechtsspezifischen, standardisierten Referenzkurven (z. B. der WHO oder der KiGGS-Studie für Deutschland) ist essenziell für eine korrekte Interpretation.
Weitere Parameter:
Wachstumsgeschwindigkeit → mind. 2 Messpunkte in 6–12 Monaten
Knochenalter → Abschätzung der biologischen Reife
Endlängenprognose über:
Target Height: (Elterngröße/2) ± 6,5 cm
Projektion anhand der standardisierten Abweichung (SDS) von der Normkurve bei regelrechtem Verlauf
Knochenalter-abhängige Modelle
Wachstumsgeschwindigkeit im Verlauf
Alter
Mittlere jährliche Längenzunahme
1. Lebensjahr
ca. 25 cm
2. Lebensjahr
ca. 11 cm
3. Lebensjahr
ca. 8 cm
Kindheit (bis Pubertät)
ca. 5–8 cm
Pubertät
ca. 7–10 cm
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Kleinwuchs
Definition:
Von Kleinwuchs spricht man bei einer Körpergröße unterhalb der 3. Perzentile für Alter und Geschlecht oder bei einer deutlich verminderten Wachstumsgeschwindigkeit (< 4 cm/Jahr im Kindesalter). Entscheidend ist nicht nur die absolute Körpergröße, sondern insbesondere die Dynamik des Wachstums. Ein einmaliges Unterschreiten der Perzentile ist weniger relevant als eine Abflachung der Wachstumskurve über die Zeit.
Diagnostik:
Die wichtigste Unterscheidung in der klinischen Praxis liegt zwischen physiologischen (nicht behandlungsbedürftigen) und pathologischen Formen des Kleinwuchses. Zur Beurteilung sind Anamnese, körperliche Untersuchung, Wachstumskurvenanalyse, Knochenalterbestimmung und ggf. laborchemische oder genetische Tests notwendig.
Ursachen:
Physiologische Varianten (häufigste Ursachen):
Familiärer Kleinwuchs:
Kinder gesunder, kleinwüchsiger Eltern
Normale Wachstumsgeschwindigkeit
Knochenalter entspricht dem Lebensalter
Zielgröße liegt unterhalb der Bevölkerungsschnitts, aber im familiären Korridor
Inadäquate Zuwendung oder Vernachlässigung kann über hormonelle Mechanismen das Wachstum beeinträchtigen
Iatrogene Ursachen:
ZNS-Bestrahlung, Chemotherapie, Glukokortikoidgabe in hoher Dosis oder über längere Zeit
Merke
Ein verzögertes Knochenalter bei gleichzeitig normaler Wachstumsgeschwindigkeit spricht eher für eine konstitutionelle Variante. Eine proportionale Wachstumsverzögerung mit pathologischer Wachstumsgeschwindigkeit und diskrepantem Knochenalter weist auf eine behandlungsbedürftige Pathologie hin.
Tipp
Wachstumskurven mit Beispiel für Kleinwuchs
Dieses Bild wurde mit der KI-Software DALLE (OpenAI) erstellt. Es wurde automatisch generiert und dient ausschließlich illustrativen Zwecken.
Diese Beispielgrafik zeigt drei typische Verlaufsformen von Kleinwuchs im Vergleich zu den altersgerechten Perzentilen (3., 50. und 97.):
Familiärer Kleinwuchs → Wachstum verläuft konstant parallel zur 3. Perzentile → Körperproportionen und Entwicklung unauffällig → Zielgröße entspricht genetischer Erwartung
Konstitutioneller Kleinwuchs → Anfangs deutlich unterhalb der Normkurven → Wachstumsschub verzögert, aber ausgeprägt in der Pubertät → Endgröße meist im Bereich der familiären Zielgröße
Wachstumshormonmangel (GH-Mangel) → Stark abgeflachte Wachstumskurve → Fehlender Wachstumsschub → Diagnostik und ggf. Hormonersatztherapie erforderlich
Nicht die absolute Größe, sondern die Wachstumsgeschwindigkeit und die Dynamik im Zeitverlauf sind entscheidend für die Diagnostik!
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Achondroplasie
Die Achondroplasie ist die häufigste Form des disproportionalen Kleinwuchses und gehört zur Gruppe der Skelettdysplasien. Sie beruht auf einer autosomal-dominant vererbten oder de-novo entstandenen Mutation im FGFR3-Gen (Fibroblast Growth Factor Receptor 3). Diese führt zu einer Störung der enchondralen Ossifikation, während die desmalen Ossifikationsprozesse (z. B. Schädelkalotte) nicht betroffen sind.
Kein Wachstumshormonmangel – GH-Therapie i. d. R. nicht wirksam
Therapie:
Symptomatisch (z. B. Physiotherapie, orthopädische Korrekturen)
In Einzelfällen operative Beinverlängerung
Neue medikamentöse Ansätze in Entwicklung (z. B. Vosoritid – Analogon des natriuretischen Peptids vom C-Typ (CNP))
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Großwuchs liegt vor, wenn die Körpergröße oberhalb der 97. Perzentile für Alter und Geschlecht liegt. Im Gegensatz zum Kleinwuchs ist eine große Körperlänge in vielen Fällen physiologisch und erfordert keine Therapie – insbesondere, wenn sie mit der familiären Zielgröße übereinstimmt. Dennoch können auch krankhafte Prozesse, speziell hormonelle oder syndromale Störungen, ursächlich sein.
Diagnostik:
Entscheidend ist eine differenzierte Anamnese (z. B. Pubertätsverlauf, familiäre Größe, Geburtsmaße), eine Beurteilung der Proportionen (Makrosomie vs. Makrozephalie vs. disproportionaler Wuchs) sowie die Analyse der Wachstumsgeschwindigkeit und des Knochenalters.
Ursachen:
Nicht-endokrine Ursachen
Familialer Hochwuchs:
Harmonie mit Elternkörpergrößen
Normale Proportionen
Normale Pubertätsentwicklung
Syndrome:
Marfan-Syndrom:
Bindegewebsschwäche, lange Extremitäten, Aortenaneurysmen
Sotos-Syndrom (Zerebraler Gigantismus):
Makrozephalie, Entwicklungsverzögerung, Übergröße im Kindesalter
Nicht jeder Großwuchs ist behandlungsbedürftig – entscheidend ist die Wachstumsgeschwindigkeit, Reifeverzögerung und die Frage nach strukturellen oder endokrinen Störungen.
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Quellen
S1-Leitlinie Kleinwuchs, Deutsche Gesellschaft für pädiatrische und adoleszente Endokrinologie und Diabetologie (DGPAED)