Zusammenfassung
Antipsychotika wurden früher auch Neuroleptika („nervenberuhigende Medikamente“) genannt. Die Bezeichnung ist mittlerweile obsolet. Die Antipsychotika sind eine heterogene Wirkstoffgruppe, welche mit verschiedensten Rezeptoren interagieren. Allen Antipsychotika gemeinsam ist jedoch ein kompetitiver Antagonismus am D2-Dopaminrezeptor.
Indikationen
- Schizophrenie
- Manie
- Wahnzustände
- Organisch bedingte Psychosen
- Unruhezustände
- Schlafstörungen
AchtungCave:
- Alle Antipsychotika senken die Krampfschwelle!
- Antipsychotika machen nicht abhängig
- Es besteht eine Antipsychotika-Überempfindlichkeit bei Patienten mit einer Lewy-Body-Demenz
Schizophrenie
Die Schizophrenie umfasst Erkrankungen, welche mit Psychosen einhergehen. Psychosen sind charakteristische psychische Störungen (bspw. Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen). Die Symptomatik der Schizophrenie wird grob in Positiv- und Negativsymptomatik unterteilt.
- Positivsymptome kommen zur normalen Wahrnehmung hinzu und werden daher auch Plussymptome genannt
- Plussymptome:
- Halluzinationen (vor allem akustische Halluzinationen)
- Wahnstörungen
- Ich-Störungen
- Formale Denkstörungen
- Plussymptome:
- Negativsymptome sind reduziert im Vergleich zum normalen Gefühlserleben und werden daher auch als Minussymptome bezeichnet
- Negativsymptome (6 „A“s):
- Affektverflachung (verringerte Schwingungsfähigkeit/emotionale Modulationsfähigkeit)
- Alogie (Verarmung der Sprache)
- Apathie (Teilnahmslosigkeit/Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen und der Umwelt; Abwesenheit von Emotionen und Interessen)
- Anhedonie (Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden, in Situationen, die früher Freude bereitet haben)
- Asozialität (Verhaltensweisen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen und der Gesellschaft (vermeintlich oder tatsächlich) schaden)
- Aufmerksamkeitsstörung
- Negativsymptome (6 „A“s):
Einteilung
Entsprechend des Wirkprofils werden typische von atypischen Antipsychotika unterschieden. Die typischen Antipsychotika können weiter nach der antipsychotischen Potenz in hoch- bzw. niedrigpotent klassifiziert werden.
Typische hochpotente Antipsychotika
Typische hochpotente Antipsychotika sind charakterisiert durch einen ausgeprägten D2-Antagonismus und eine gute Wirksamkeit auf die Plussymptomatik. Es besteht gleichzeitig ein erhöhtes Potential für extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS). Sie werden gerne im Rahmen der Notfalltherapie (bspw. bei aggressivem Verhalten) eingesetzt.
- Wirkstoffe:
- Haloperidol
- Benperidol
- Flupentixol
- Fluphenazin
- Wirkung:
- D2-Antagonismus
- Reduktion der Positivsymptomatik
- Keine Verbesserung der Negativsymptomatik
- Nebenwirkungen:
- Häufig extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)
→ Durch Blockade der D2-Rezeptoren im nigrostriatalen System - Hyperprolaktinämie
→ Durch Blockade der D2-Rezeptoren im tuberoinfundibulären System
→ Führt zu einer Galaktorrhö bei Frauen und einer Gynäkomastie bei Männern - QT-Zeit
-Verlängerung - Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)
- Häufig extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)
Extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)
DefinitionExtrapyramidalmotorische Störungen: Gruppe an Bewegungsstörungen, welche durch den D2-Antagonismus im nigrostriatalen System ausgelöst werden. Es werden 4 verschiedene Formen unterschieden (Übersicht auf der nächsten Seite). Ein besonders hohes Risiko für die Entstehung von extrapyramidalmotorischen Störungen besteht bei den typischen hochpotenten Antipsychotika. Das atypische Antipsychotikum Clozapin löst als einziger antipsychotischer Wirkstoff keine EPMS aus.
Übersicht über die extrapyramidalmotorischen Störungen
Form | Beginn der Symptome | Symptome | Therapie |
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1. Frühdyskinesie |
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2. Parkinsonoid |
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3. Akathisie |
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4. Spätdyskinesie (potentiell irreversibel!) |
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Typische niedrigpotente Antipsychotika
Typische niedrigpotente Antipsychotika binden nur mit niedriger Affinität an den D2-Rezeptor. Sie wirken daher erst bei hohen Dosen antipsychotisch. Bei dieser Wirkstoffgruppe ist daher der sedierende Effekt führend. Es handelt sich um „dirty drugs“, welche ebenfalls antihistaminerge, anti-⍺1-adrenerge und anticholinerge Nebenwirkungen besitzen.
- Wirkstoffe:
- Chlorpromazin („mittelpotent“)
- Melperon
- Pipamperon
- Levomepromazin
- Promethazin
- Wirkung:
- Kaum antipsychotisch
- Nebenwirkungen:
- Weniger EPMS & Hyperprolaktinämie
- Besonderheiten:
- Melperon und Pipamperon werden aufgrund der sedierenden Wirkung als Schlafmittel in der Geriatrie eingesetzt
- Promethazin wirkt überwiegend antihistaminerg und kann die Wirkung von Opioiden verstärken
→ Missbrauch: Kombination mit Codein-haltigem Hustensaft („purple drank“)
Atypische Antipsychotika
Atypische Antipsychotika sind eine heterogene Wirkstoffgruppe mit einem breiten Wirkspektrum. Abhängig vom jeweiligen Rezeptorprofil sollte der passende Wirkstoff ausgewählt werden. Sie besitzen eine antagonistische Wirkung an 5-HT-Rezeptoren sowie an Dopaminrezeptoren (D2, D3, D4).
MerkeAllgemein:
- Weniger EPMS & Hyperprolaktinämie
- Bessere Wirksamkeit auf die primäre Negativsymptomatik
- Alle atypischen Antipsychotika können zu einer QT-Zeit
-Verlängerung führen
Übersicht
Wirkstoff | Nebenwirkungen | Besonderheit |
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Clozapin |
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Olanzapin |
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Quetiapin |
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Risperidon |
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Aripiprazol |
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InfoAgranulozytose
- Definition: starke Reduktion der Leukozyten
im Blut (<500/µl) - Symptome: klassische Trias
- Stomatitis aphtosa
- Halsschmerzen (Angina agranulocytotica)
- Fieber
Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)
Ein malignes neuroleptisches Syndrom ist eine gefürchtete Komplikation der Antipsychotikatherapie. Es handelt sich um eine Nebenwirkung aller Antipsychotika. Sie tritt jedoch häufiger bei hochpotenten Antipsychotika auf. Das MNS ist unabhängig von Dauer und Dosierung des Antipsychotikums. Pathophysiologisch scheint ein Dopaminmangel in bestimmten Hirnregionen zugrunde zu liegen.
- Symptome:
- Vegetativ:
- Hohes Fieber
- Tachykardie
- Tachypnoe
- Psychiatrisch:
- Vigilanzminderung (verminderte Wachheit)
- Stupor
- Verwirrtheit
- Mutismus
- Extrapyramidalmotorisch:
- Rigor
- Tremor
- Akinesie
- Rigor
- Vegetativ:
- Diagnostik:
- Erhöhte Kreatinkinase
(CK) - Erhöhte Transaminasen
- Leukozytose
- Metabolische Azidose
- Erhöhte Kreatinkinase
- Therapie:
- Antipsychotika absetzen
- Flüssigkeitssubstitution
- Dopaminagonisten
(Bromocriptin ) - Dantrolen
- Ultima Ratio: Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
- Differentialdiagnosen:
- Serotonin-Syndrom
- Maligne Hyperthermie
(siehe Anästhetika) - Perniziöse Katatonie
- Serotonin-Syndrom
AchtungBei schwerem Verlauf ist eine intensivmedizinische Betreuung notwendig!
AchtungKatatones Dilemma: klinisch sind die perniziöse Katatonie und das MNS sehr ähnlich. Das Dilemma besteht darin, dass bei einer perniziösen Katatonie die Gabe von Antipsychotika notwendig ist während das MNS das sofortige Absetzen dieser Medikamente erfordert.
Video
Quellen
- Freissmuth et al.: Pharmakologie und Toxikologie. Springer 2012, ISBN: 978-3-642-12353-5.
- Karow, Lang-Roth: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2012
- Lüllmann et al.: Pharmakologie und Toxikologie. 15. Auflage Thieme 2002, ISBN: 3-133-68515-5
- Wehling: Klinische Pharmakologie. 2. Auflage Thieme 2011, ISBN: 978-3-131-60282-4