Zusammenfassung
Ein Delir ist eine akute, meist reversible Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörung mit fluktuierendem Verlauf, die aufgrund einer organischen Ursache auftritt. Es ist ein medizinischer Notfall, der sowohl präklinisch (z.B. im Rettungsdienst) als auch klinisch rasch erkannt und behandelt werden muss. Häufige Ursachen sind Infektionen, Stoffwechselentgleisungen, medikamentöse Nebenwirkungen, Dehydratation
MerkeDelir
- Akut
- Meist reversibel
- Fluktuierend (in Bezug auf die Tageszeit und Symptome)
- Bewusstseinseinschränkend
- Aufmerksamkeitseinschränkend
Definition
DefinitionEin Delir ist eine akute Störung des Bewusstseins sowie der Aufmerksamkeit mit zusätzlichen kognitiven, emotionalen oder psychomotorischen Veränderungen.
Charakteristisch sind:
- Ein abrupter Beginn
- Ein fluktuierender Verlauf
- Eine organische Ursache
TippIm Gegensatz beispielsweise zur Demenz ist das Delir prinzipiell reversibel.
AchtungDas Delir ist ein medizinischer Notfall und sollte so schnell es geht ärztlich versorgt werden!
Ursache
Das Delir entsteht fast immer multifaktoriell:
- Infektionen wie Pneumonie oder Harnwegsinfekt
- Stoffwechselentgleisungen durch Hypoglykämie, Hypoxie, Elektrolytstörungen, Dehydratation
- Medikamente und Intoxikationen
, u.a. Psychopharmaka, Anticholinergika , Alkohol oder Drogen - Entzugssituationen, insbesondere beim Alkohol- oder Medikamentenentzug
- Traumata, Operationen und Schmerzen
AchtungDas Risiko für ein postoperative Delir ist bei Patient:innen >65 Jahren deutlich erhöht!
InfoRisikofaktoren: hohes Alter, Demenz in der Vorgeschichte, Sinnesdefizite (Schwerhörigkeit, Erblindung usw.), Multimedikation, insbesondere delirogene Medikamente (z.B. Benzodiazepine
, Opiate , Anästhetika).
Delirogene Medikamente (Extrawissen)
Anticholinerge Substanzen:
- Antidepressiva
: trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin) - Antipsychotika
: ältere, hochpotente Substanzen wie Chlorpromazin - Antihistaminika: V.a. H1-Antagonisten der 1. Generation (Diphenhydramin, Hydroxyzin)
- Urologika: Oxybutynin, Tolterodin
- Parkinsonmedikamente: Biperiden
, Trihexyphenidyl
MerkeAnticholinerge Substanzen sind klassische Delir-auslösende (delirogene) Medikamente!
Psychotrope Medikamente:
- Benzodiazepine
: besonders bei älteren Patient:innen, auch ein Benzodiazepine -Entzug kann ein Delir triggern - Z-Substanzen
: Zolpidem, Zopiclon - Opioide
: insbesondere Morphin , Fentanyl , Oxycodon (ZNS-Wirkung, beachte auch die Metabolitenakkumulation bei Niereninsuffizienz)
Dopaminerge Medikamente:
- L-Dopa
und Dopaminagonisten (z.B. Pramipexol , Ropinirol ): können Halluzinationen und Delir begünstigen
Kortikosteroide:
- Wie z.B. Prednisolon
, Dexamethason (bei hoher Dosis: Psychosen, Manien, Delir möglich)
Antiinfektiva:
- V.a. Chinolone
(Ciprofloxacin, Levofloxacin) - Makrolide
(Clarithromycin) - Cephalosporine
(z.B. bei eingeschränkter Nierenfunktion kann es zur Akkumulation kommen: neurotoxisch)
Andere relevante Substanzen:
- Digoxin (v.a. bei Intoxikation)
- Antihypertensiva
: z.B. Clonidin , Methyldopa - Lithium (bei Intoxikation: Delir, Verwirrtheit, Ataxie
) - Antikonvulsiva
: V.a. Valproat, Phenytoin, Gabapentin, Pregabalin
MerkeWichtige Zusatzinformation
- Polypharmazie ist oft der entscheidende Punkt. Bereits ein zusätzlicher anticholinerger oder sedierender Wirkstoff kann ein Gleichgewicht in Richtung Delir kippen
- Nieren- oder Leberinsuffizienz steigert das Risiko (Metabolitenakkumulation)
- Delir durch Absetzen von Alkohol, Benzodiazepine
, oder Opioide (Entzugsdelir)
MerkeKlassiker sind anticholinerge Medikamente, Benzodiazepine
, Opioide , Kortikosteroide, dopaminerge Substanzen und bestimmte Antiinfektiva.
Pathophysiologie
MerkeReminder: Physiologische Grundlagen
Damit das Gehirn klar und geordnet arbeitet, müssen mehrere physiologische Systeme reibungslos zusammenspielen. Diese Grundlagen sind entscheidend, um zu verstehen, warum Störungen, etwa durch Sauerstoffmangel, Infekte oder Medikamente, rasch zu einem Delir führen können.
- Neuronale Kommunikation:
- Nervenzellen
tauschen Informationen über elektrische Signale und Neurotransmitter aus - Wichtig ist das Gleichgewicht zwischen erregenden (Glutamat) und hemmenden (GABA) Botenstoffen
- Auch Dopamin, Noradrenalin
, Serotonin und Acetylcholin regulieren Aufmerksamkeit, Denken und Stimmung - Energieversorgung und Homöostase:
- Das Gehirn benötigt kontinuierlich Sauerstoff und Glukose
, da Nervenzellen kaum Reserven haben - Ein stabiler Blutdruck, ausreichende Atmung und Elektrolytgleichgewicht sind dafür entscheidend
- Astrozyten unterstützen die Energieversorgung und regulieren das chemische Milieu um die Nervenzellen
- Jede Störung der Atmung, Durchblutung oder Glukoseversorgung kann die Hirnfunktion akut beeinträchtigen, daher Vitalparameter und BZ immer prüfen
- Schutzsysteme und Stoffwechsel:
- Die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn vor Schadstoffen, und das lymphatische System sorgt für die nächtliche Reinigung von Stoffwechselprodukten
- Nur, wenn diese Systeme intakt sind, bleibt das Gehirn leistungsfähig und klar
Das Gehirn funktioniert nur dann stabil, wenn Neurotransmitterbalance, Energiezufuhr und Homöostase erhalten bleiben. Jede akute Störung dieser physiologischen Grundlagen kann das Gleichgewicht empfindlich beeinträchtigen und den Weg in ein Delir ebnen.
Es handelt sich nicht um eine primär psychiatrische Erkrankung, sondern um eine organische Hirnfunktionsstörung („acute brain failure“), ausgelöst durch unterschiedliche systemische Ursachen.
- Neurotransmitter-Ungleichgewicht
- Zentral ist ein Mangel an Acetylcholin (z.B. durch Hypoxie, Medikamente mit anticholinerger Wirkung, Hypoglykämie)
- Gleichzeitig besteht oft eine relative Dopaminüberaktivität, die Halluzinationen und Unruhe begünstigt
- Auch Noradrenalin
, Serotonin, GABA und Glutamat sind beteiligt und beeinflussen die neuronale Erregbarkeit
- Neuroinflammation
- Systemische Entzündungen (z.B. bei Infektionen, Traumata oder postoperativ) aktivieren Zytokine wie IL-1, IL-6 und TNF-α
- Diese stören die Blut-Hirn-Schranke, aktivieren Mikroglia und führen zu einer Funktionsstörung synaptischer Netzwerke
- Metabolisch-energetische Dysfunktion
- Hypoxie, Hypotonie, Hypoglykämie oder Anämie
verursachen mangelhafte neuronale Energieversorgung - Dies führt zu einer gestörten neuronalen Kommunikation, besonders in den kortikalen Aufmerksamkeitsnetzwerken
- Hypoxie, Hypotonie, Hypoglykämie oder Anämie
- Gestörte neuronale Konnektivität
- EEG
-Befunde zeigen eine Verlangsamung der Aktivität (Theta- /Delta-Dominanz), was eine diffuse Dysfunktion der kortikalen Netzwerke widerspiegelt - Funktionelle Bildgebung belegt eine Spaltung zentraler Aufmerksamkeits- und Wachheitsnetzwerke
- EEG
- Prädisponierende Faktoren
- Alter, Demenz, Multimorbidität
- Dehydratation
, Elektrolytstörungen, Infekte - Medikamente mit anticholinerger oder sedierender Wirkung
- Schlafentzug, sensorische Deprivation
, Alkoholentzug
MerkeDie Entstehung des Delirs ist komplex und muss je nach Ursache unterschieden werden.
- Ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern, insbesondere ein Acetylcholinmangel und eine relative Überaktivität von Dopamin
- Entzündliche Prozesse mit Freisetzung von Zytokinen
- Gestörte Hirnperfusion und Stoffwechselveränderungen
- Eine Unterbrechung des Tag-Nacht-Rhythmus, die die Symptomatik verstärken kann
Klinischer Eindruck
Da im präklinischen Setting nur eingeschränkte Mittel zur Verfügung stehen, sind folgende Schritte entscheidend:
- Anamnese / Fremdanamnese: plötzliches Auftreten, Medikamente, Alkohol- / Drogenkonsum erfragen, Vorerkrankungen
- Klinische Beobachtung: Orientierung
, Aufmerksamkeit, Motorik (Unruhe vs. Apathie) - Vitalparameter: Atemfrequenz
, Kreislauf, Sauerstoffsättigung , Körpertemperatur - Blutzuckerbestimmung
zur Hypoglykämie-Ausschlussdiagnostik - Einfache Aufmerksamkeitstests wie rückwärts zählen. Hilfreich sind kurze Screening-Tools (z.B. 4AT)
DefinitionDer 4AT ist ein Test zur Bewertung von Delir und / oder kognitiver Einschränkung. Er besteht aus folgenden vier Kategorien:
Überprüfung von: Test Punkte 1. Wachheit Beobachtung, ob Patient:innen aufmerksam, schläfrig oder agitiert reagiert 0 oder 4 2. Orientierung Alter, Geburtsdatum, aktueller Ort, Kalenderjahr erfragen 0–2 3. Aufmerksamkeit Monate rückwärts nennen lassen (ab Dezember) 0–2 4. Fluktuierende Symptomatik Veränderung der Aufmerksamkeit oder Wahrnehmung in den letzten 2 Wochen, besonders innerhalb der letzten 24 Stunden 0 oder 4
Summe Punkte Interpretation 4 oder mehr Hinweis auf Delir: Weitere diagnostische Abklärung erforderlich 1-3 Mögliche kognitive Beeinträchtigung: Vertiefende kognitive Tests / Anamnese nötig 0 Delir oder Demenz erscheinen unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen: Je nach klinischem Gesamteindruck eventuell weitere Abklärung nötig
Diagnostik
Die Diagnose im Rettungsdienst muss pragmatisch, schnell und präzise erfolgen. Ein standardisiertes Vorgehen kann dabei hilfreich sein.
Verdachtsdiagnose durch klinische Beobachtung:
- Plötzlicher Beginn von Verwirrtheit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsproblemen
- Fluktuierender Verlauf (Symptome können sich verändern, je nach Tageszeit)
- Unterscheidung zwischen Delir und anderen Ursachen (z.B. Intoxikation, Schlaganfall
)
Unterschiede zwischen hypo- und hyperaktiven Delir:
| Merkmal | Hyperaktives Delir | Hypoaktives Delir |
|---|---|---|
| Auftreten | Häufiger im akuten Setting, meist auffällig | Oft übersehen, „leises“ Delir |
| Motorik / Verhalten | Unruhig, agitiert, nestelnd, laut, aggressiv | Verlangsamt, apathisch, schläfrig, desinteressiert |
| Bewusstseinslage | Getrübt, stark wechselnd | Getrübt, aber ruhig, oft schläfrig |
| Kommunikation | Laut, inkohärent, halluzinierend | Leise, verlangsamt, antwortet kaum |
| Vegetative Zeichen | Tachykardie | Oft unauffällig oder leicht bradykard |
| Gefahr | Selbst- oder Fremdgefährdung | Übersehenes Delir = hohe Mortalität |
| Häufige Verwechslung mit.. | Psychose, Alkoholintoxikation | Depression, Demenz, Erschöpfung |
| Prognose | Meist rasch erkannt und behandelt | Schlechter, da häufig spät erkannt |
Tipp
- Beim hyperaktiven Delir steht die Sicherung von Patient:innen und Umfeld im Vordergrund
- Beim hypoaktiven Delir ist das genaue Beobachten und frühe Erkennen entscheidend, besonders bei älteren Patient:innen mit Apathie oder Verlangsamung
- In beiden Fällen gilt: organische Ursache suchen, Vitalparameter prüfen, beruhigende Umgebung schaffen
Einschätzinstrumente:
InfoIm Rettungsdienst sind spezifische Delir-Scores meist nicht etabliert, aber Orientierung
an etablierten Instrumenten sinnvoll (z.B. CAM, CAM-ICU, 4AT).
- Bei bewusstseinsveränderter Patient:innen: Glasgow Coma Scale
(GCS ) - Orientierungstest
MerkeOrientierung
nach ZOPS Um die Orientierung
umfassend zu prüfen, sollten vier Dimensionen geprüft werden. Z: Zeitliche Orientierung
(Welcher Tag ist heute? Welches Jahr haben wir derzeit? Welche Tageszeit haben wir gerade) O: Örtliche Orientierung
(Wissen Sie, wo wir hier sind?) P: Orientierung
zur Person (Können Sie mir Ihren Vornamen nennen? Was ist ihr Geburtsdatum?) S: Situative Orientierung
(Wissen Sie, was gerade passiert? Erinnern Sie sich daran, was heute passiert ist?)
- Aufmerksamkeitstest (z.B. rückwärts zählen)
- Eventuell informelle Rückfrage bei Begleitpersonen (Fremdanamnese): „Wie war der geistige Zustand vor Kurzem?“
Differenzialdiagnose und Sofortmaßnahmen:
Immer sofort prüfen und ausschließen:
- Hypoglykämie (Blutzucker messen)
- Hypoxie (Sauerstoffspiegel messen, SpO₂)
- Hypotonie
- Akute neurologische Ereignisse (Schlaganfall
, Meningitis , Enzephalitis, usw.) - Intoxikationen
, Elektrolytverschiebungen, Medikamentenwirkung - Schädel-Hirn-Trauma, Commotio (neurologischer Status)
Dokumentation und Kommunikation:
- Zeitpunkt des Beginns der Symptomatik, Verlauf, Fluktuationen?
- Vitalparameter, relevante Laborwerte (sofern vorhanden), Glukose
- Vorbefunde, Medikamente, bekannte Vorerkrankungen
- Suchtanamnese
Therapie
Im Rettungsdienst ist die Delirtherapie in erster Linie stabilisierend, ursachenorientiert und symptomatisch:
Basismaßnahmen / Stabilisierung:
- Sicherung der Vitalfunktionen (ABCDE)
- Sauerstoffgabe
bei Hypoxie, ggf. Atemunterstützung - Intravenöser Zugang und Volumentherapie bei Hypotonie oder Dehydratation
- Kontrolle und Korrektur von Blutzucker, Elektrolyten (sofern möglich)
- Monitoring von EKG
, SpO₂, Blutdruck, Puls
Therapie des auslösenden Faktors:
- Absetzen oder Reduktion von potenziell delirogenen Medikamenten am besten in Rücksprache mit einem ärztlichen Kollegen
- Präklinisch ist diese Maßnahme nicht besonders zielführend, sollte aber insbesondere bei Transportverweigerungen angesprochen werden
- Analgesie bei Schmerzen, Vermeidung unnötiger Sedativa
- (Wenn nötig) Korrektur von Hypoglykämien (oder Elektrolytstörungen)
Symptomatische Maßnahmen zur Beruhigung und Orientierung :
- Ruhige, reizarme Umgebung
- Reorientierungshilfen (Uhr, Kalender, vertraute Gegenstände)
- Beruhigung durch adäquate Kommunikation: beruhigende Ansprache, Zugewandtheit, Aufbau eines Vertrauensverhältnis
AchtungFixierung als Ultima ratio
Fixierung ist nur im Ausnahmefall (als Ultima ratio) möglich und sollte sorgfältig erwogen werden. Bei fremdaggressiven Patient:innen ist auf den Eigenschutz zu achten und die Polizei zuziehen. Ohne die Amtshilfe von polizeilichen Kolleg:innen ist eine Fixierung rechtswidrig, da sie einem Freiheitsentzug entspricht, den der Rettungsdienst nicht vornehmen darf. Sollte rettungsdienstliches Personal angegriffen werden, ist ein Rückzug oft eine gute Option.
Transport und Kommunikation:
- So rasch wie möglich in eine geeignete Klinik transportieren
- Übergabe
mit klarer Einschätzung, welchem Delir-Typ (hyperaktiv / hypoaktiv) und welche Auslöser vermutet werden - Kontinuierliche Beobachtung im Transport (Vitalfunktionen, Bewusstsein)
Weiteres Vorgehen im Krankenhaus
Versorgung in der Notaufnahme
In dieser Notlage kann es helfen, sich mental auf die nächsten Schritte vorzubereiten. Dafür ist es ratsam, schon auf der Fahrt zum Krankenhaus zu erklären, wie das weitere Procedere im Krankenhaus aussieht und worauf die Person sich potenziell einstellen muss.
AchtungDa die Therapie je nach aufnehmendem Krankenhaus und Behandler:in variieren kann, empfiehlt es sich nicht, einen bestimmten Behandlungsweg detailliert zu beschreiben. Eine grobe Skizzierung des weiteren Behandlungspfades reicht völlig aus, um Unsicherheiten zu minimieren. Die weiteren Informationen dienen ausschließlich eurer Information als Fachpersonal!
Eine telefonische Voranmeldung von Patient:innen mit Delir in der aufnehmenden Klinik kann sinnvoll sein, da die Betreuung engmaschig erfolgen muss. Oft ist eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der Patient:innen notwendig, teilweise auch eine Aufnahme auf der Intensivstation.
Auch die Auswahl der aufnehmenden Klinik ist stark vom Fall abhängig. Bei einem bekannten Medikamentenabusus, kann es ratsam sein eine Psychiatrie anzufahren, während ein Delir im Rahmen einer Sepsis in einem somatischen Krankenhaus besser aufgehoben sein kann. Auch hier hilft die telefonische Rücksprache mit den aufnehmenden Ärzt:innen.
Weitere Versorgung in der Klinik
Diagnostik:
- Labor: Elektrolyte, Nieren- und Leberwerte, Differenzialblutbild
, Entzündungsparameter (CRP, ggf. PCT ), Glukose , BGA , TSH - Urinstatus, Urinuntersuchung, Kultur
- Bei positiven Entzündungswerten ggf. Blutkulturen
, ggf. Liquoruntersuchung bei Verdacht auf ZNS-Infektion - Toxikologie / Medikamentenspiegel (z.B. Antiepileptika
, Psychopharmaka)
TippFalls man im Rettungsdienst-Einsatz Medikamentenblister / Medikamentenschachteln / Medikamentenlisten bei den Patient:innen vorfindet, kann man diese am besten mitnehmen. Somit können die Ärzt:innen im Krankenhaus mögliche Ursachen bereits besser eingrenzen.
- Bildgebung: CT oder MRT vom Kopf bei neurologischem / traumatologischen Verdacht
- EEG
, wenn epileptische Aktivität erwogen wird - Kardiovaskuläre Diagnostik, ggf. EKG
, Herzultraschall
Therapie:
- Ursache gezielt angehen (Antibiotika
, Elektrolytkorrektur, hämodynamisches Management usw.) - Nicht-pharmakologische Maßnahmen (Multikomponenten-Programme: Mobilisation
, Schlafhygiene, Reorientierung, sensorische Optimierung) - Medikamentöse Therapie bei Bedarf (Haloperidol, ggf. atypische Antipsychotika
, ggf. Sedierung) - Überwachung, je nach Schwere ggf. Intensivstation
- Therapie von Komplikationen (z.B. Sturzprophylaxe
, Dekubitusprophylaxe )
AchtungDelir ist assoziiert mit längerer Verweildauer, höherer Letalität und möglichen kognitiven Defiziten nach Entlassung.
Besondere Situationen
Plötzliche Verschlechterung:
- Mögliches Fortschreiten der Bewusstseinseinschränkung bis hin zum Koma oder epileptischem Status
- Einleitung der Notfallmaßnahmen unter Zuzug von Ärzt:innen (Atemwegsmanagement
, Gabe von Sauerstoff , ggf. Notfallmedikation)
- Einleitung der Notfallmaßnahmen unter Zuzug von Ärzt:innen (Atemwegsmanagement
- Verschlechterung des psychischen Status im Sinne einer Agitation mit Selbst- oder Fremdgefährdung
- Teilweise auch mit der Notwendigkeit zur Sedierung oder (nach strenger Indikationsstellung) Fixierung
AchtungEigenschutz beachten! Zur Not: Polizist:innen zur Hilfe alarmieren. Notärzt:in zum Verabreichen von Medikamenten hinzuziehen.
Sturzgefahr / Trauma durch Verwirrtheit:
- Sicherung der Patient:innen (z.B. zusätzliche Assistenz)
Transportprobleme und Monitoring:
- Schwierige Kommunikation durch unzusammenhängende Aussagen oder Verweigerung der Kommunikation
- Schwankungen im Bewusstsein
- Engmaschiges Monitoring und entsprechende Anpassung (z.B. Sauerstoff
, Flüssigkeit)
Prüfungswissen
Definition:
Das Delir ist eine akut einsetzende, fluktuierende Störung des Bewusstseins und der Kognition.
MerkeTypisch sind:
- Aufmerksamkeitsstörungen
- Desorientierung
- Wahrnehmungsstörungen (v. a. optische Halluzinationen)
- Psychomotorische Unruhe oder Lethargie
- Starke Tag-Nacht-Schwankungen
TippEs unterscheidet sich von einer Demenz durch seinen plötzlichen Beginn und wechselnden Verlauf.
Ursachen:
Die Ursachen sind komplex und meist multifaktoriell. Häufige Auslöser:
- Infektionen (z.B. Pneumonie
, Harnwegsinfekt, Sepsis) - Metabolische Störungen (Hypoglykämie, Elektrolytstörungen, Hypoxie, Nieren- / Leberinsuffizienz)
- Medikamente (v.a. Benzodiazepine
, Anticholinergika , Opioide , Kortikosteroide) - Entzugssyndrome (Alkohol, Benzodiazepine
) - Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall
, Krampfanfall - Schmerz, Dehydratation
, Fieber , Hypothermie
Pathophysiologie:
Das Delir beruht auf einer diffusen Funktionsstörung des Gehirns. Wesentliche Mechanismen sind:
- Cholinerger Mangel: vermindertes Acetylcholin führt zu Aufmerksamkeitsstörungen
- Dopaminerge Überaktivität: begünstigt Halluzinationen und Unruhe
- Neuroinflammation: Entzündungsmediatoren (IL-1, IL-6, TNF-α) beeinträchtigen die neuronale Signalübertragung
- Energiemangel
: Hypoxie oder Hypoglykämie führen zu gestörter neuronaler Kommunikatio
MerkeDiese Prozesse verursachen die fluktuierende kortikale Dysfunktion, die klinisch als Delir sichtbar wird.
Diagnostik im Rettungsdienst:
Im Rettungsdienst steht die klinische Einschätzung im Vordergrund. Wichtige Punkte:
- Bewusstseinslage prüfen: Glasgow Coma Scale
(GCS ) - Orientierung
prüfen: Person, Ort, Zeit, Situation - Anamnese: Akuter Beginn? Medikamentenwechsel? Infektzeichen?
- Vitalparameter: Hypoxie, Hypotonie, Fieber
, Hypo- / Hyperglykämie, SpO₂, Blutdruck, Puls , Temperatur - Blutzucker messen: Hypoglykämie ausschliessen
- Einsatz von Screeningtools (sofern geschult / zeitlich möglich)
TippRuhige Kommunikation, Orientierungshilfen (z.B. Name nennen, Tageszeit erklären) und die Vermeidung von Reizüberflutung sind essenziell. Ein hektisches Umfeld verstärkt Symptome deutlich.
Therapie im Rettungsdiensteinsatz:
Ziel ist Stabilisierung, der Transport in ein Krankenhaus und ggf. falls möglich die Ursachenbehandlung:
- Sicherung der Vitalfunktionen: ABCDE-Schema
- Hypoxie beheben: O₂-Gabe bei SpO₂ <94 %
- Hypoglykämie: Glukosegabe (20 % i.v.)
- Fieber
: Antipyretische Maßnahmen, Flüssigkeitszufuhr - Schmerz: Adäquate Analgesie (vorsichtig mit sedierenden Opioiden)
- Delirante Unruhe: Nur bei Eigen- / Fremdgefährdung
Sedierung (ärztliche Entscheidung!)
AchtungKeine Fixierung / Zwangsmedikation ohne ärztliche Anordnung. Fixierungen können Angst und Agitation verstärken.
Weiteres Vorgehen im Krankenhaus:
Nach der Übergabe
- Labor: Elektrolyte, Nieren- / Leberwerte, CRP
, Blutbild , BGA - Bildgebung: cCT / cMRI bei neurologischen Auffälligkeiten
- EKG
: Rhythmusstörungen, QT-Verlängerung - Medikamentenanalyse: anticholinerge Last, Polypharmazie
- Therapie:
- Ursache beheben (z.B. Infektbehandlung, Flüssigkeitssubstitution, Elektrolytkorrektur)
- Umgebung beruhigen, Reizabschirmung
- Bei ausgeprägter Agitation: Antipsychotika
(z.B. Haloperidol oder Risperidon, individuell nach Situation)
Besondere Situationen im Rettungsdiensteinsatz:
- Hypoaktives Delir: Oft übersehen, Patient:innen wirken ruhig, aber stark desorientiert. Hohe Mortalität!
- Delir mit Aggression: Gefahr für Personal: Sicherheit zuerst! Ärzt:innen und / oder Polizei hinzuziehen
- Delir bei Alkoholentzug: Tremor, Schwitzen, Krampfgefahr: Diazepam
oder Midazolam nach ärztlicher Rücksprache - Nach Sedierung: Engmaschige Kontrolle von Atmung und Kreislauf
MerkePrüfungswissen
- Das Delir ist akut, fluktuierend und potenziell reversibel
- Leitsymptom: Aufmerksamkeitsstörung und Bewusstseinsstörung
- Pathophysiologie: cholinerger Mangel, dopaminerge Überaktivität, Entzündung, Energiemangel
- Häufige Ursachen: Infekte, delirogene Medikamente, Elektrolytstörungen, Entzug
- Diagnose: klinisch, Anamnese, akuter Beginn
- Therapie: Vitalparameter sichern, Ursache behandeln, Umgebung beruhigen, Reizabschirmung, ggf. Sedierung
- Merke: Delir = Notfall! Immer organische Ursache annehmen, bis das Gegenteil bewiesen ist
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